Tibets unerträgliche Verzweiflung Kommentar von Nicola Albrecht, ZDF-Studio Peking
Was für Schmerzen muss ein Mensch erlitten haben, wenn er sich auf so brutale Weise das Leben nimmt? Wie verzweifelt muss er sein, um sich mit Benzin zu überschütten und anzuzünden? Es ist schwer nachvollziehbar, was in Tibet derzeit geschieht.
Fast täglich verbrennen sich in Tibet Menschen aus Protest gegen Chinas Herrschaft über die Tibeter. Mehr als 95 Menschen sind es seit 2009. Mönche und Nonnen sind unter denen, die sich auf so grausame Weise selbst opfern, aber auch einfache Arbeiter, Schüler, Mütter.
Geschmuggeltes Filmmaterial, v
erstörende Bilder [Sie müssen registriert oder eingeloggt sein, um das Bild sehen zu können.]Nicola Albrecht, ZDF-Studio PekingFür mich als China-Korrespondentin ist es nicht leicht, darüber zu berichten. Die chinesische Regierung verbietet mir, dorthin zu reisen, und unterbindet, dass ich mir ein eigenes Bild machen kann. Insofern muss ich mir die Situation vorstellen, mit Augenzeugen reden, aus der Region geschmuggeltes Filmmaterial auf Authentizität prüfen und auswerten.
Ich muss mir immer wieder die verstörenden Bilder brennender Menschen ansehen und die Interviews mit Überlebenden anhören, die das chinesische Staatsfernsehen zur Abschreckung führt und sendet. Und schließlich muss ich mir die Positionen beider Seiten anhören und die jeweiligen Argumente abwägen.
Dalai Lama schweigtChinas Position ist klar: Die Machthaber werfen der exiltibetischen Regierung vor, Anstifter der Selbstverbrennungen zu sein. Sie setzen die aus ihrer Sicht "aufrührerischen Täter" mit Selbstmordattentätern oder islamistischen Terroristen gleich. Sie verbitten sich jede Einmischung von Außen und stempeln Versuche, unabhängige Untersuchungskommissionen nach Tibet zu schicken, als die Idee arroganter Westler ab, die mit der "Dalai-Lama-Clique" unter einem Hut stecken.
Die exiltibetische Regierung wiederum wendet sich Hilfe suchend ans Ausland und kämpft mit Worten für ein freies, unabhängiges Tibet. Die Vorwürfe Chinas, Agitator zu sein, weist sie zurück. Allerdings verurteilt sie die Selbstverbrennungen auch nicht deutlich. Aus dem Munde des Dalai Lama kommt kein Wort, dass die Selbstverbrennungen aufhören müssen. Doch das müssen sie.
Kompromisslosigkeit nimmt drastisch zu Sicherlich haben die Selbstverbrennungen dazu beigetragen, dass die Welt auf Tibet schaut und dass Journalisten darüber berichten. Aber hat es etwas geändert? Natürlich darf man auch Ursache und Wirkung nicht verwechseln: Könnten die Tibeter in ihrer Heimat ihre Religion und ihre Kultur ungestört leben, würde sich dort so schnell kein Mensch selbst verbrennen.
Ebenso ist es zynisch und menschenverachtend, die Straßen in Tibet mit Feuerlöschern und chinesischen Militäreinheiten zu pflastern, die im "Notfall" eingreifen können. Doch die Dynamik der Selbstopfer und die Kompromisslosigkeit auf beiden Seiten nehmen derzeit so drastisch zu, dass sie mit mir nur eines machen: Sie lassen mich völlig ratlos.
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