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Thema: THORSTEN HEINZE, JULI 2009 So 19 Sep 2010 - 21:03
Neun Jahre am Hof des King of Pomp
Von 1995 bis 2004 lebte der Berliner Künstler als Pantomime auf der Neverland-Ranch. In BILD am SONNTAG beschreibt er das Innenleben einer bizarren Märchenwelt
Alles begann so unbeschwert, und Thorsten Heinze (42) wähnte sich im „Paradies“. An jeder Ecke gab’s Eiscreme und frisches Popcorn, auch die Schokolade ging nie aus. Und bei den Entscheidungen, die man für den Tag zu treffen hatte, stand häufig lediglich die Frage im Mittelpunkt, ob man mal wieder den Tieren im Zoo einen Besuch abstattet, den Affen, Giraffen, Tigern und Elefanten.
Oder ob „Michael und ich einfach nur Scheiße bauen“: Dann heizten sie wie die Verrückten über die Autoscooterbahn und rammten einander, bis sie nicht mehr konnten vor Lachen, schwangen um die Wette in der Schiffschaukel und bombardierten sich gegenseitig mit Bonbons. Oder lümmelten sich in die roten Samtsessel des prachtvollen Heimkinos, sahen sich einen Film von Charlie Chaplin an und stopften Popcorn in sich rein, bis ihnen schlecht wurde. Erzählt Thorsten Heinze von seiner Zeit auf Michael Jacksons Neverland-Ranch, erscheint sie wie ein einziger wahr gewordener Kindheitstraum.
1995 war der Deutsche nach Neverland gekommen, im Gefolge des mit Jackson befreundeten Marcel Marceau. Aus dem Besuch wurden neun Jahre. Inzwischen ist Neverland verwaist, die Karussells sind eingerostet, in den 45 Zimmern des Haupthauses liegt Staub auf dem Parkett, die Tiere haben ein neues Zuhause gefunden. 2005, nach dem umstrittenen Freispruch im Missbrauchsprozess gegen Gavin Arvizo (14), verließ Michael Jackson das 1130 Hektar große Anwesen. Er kehrte nie zurück, jetzt ist er tot.
Thorsten Heinze hatte fest eingeplant, seinen Freund dieser Tage in London wiederzusehen, wo Jackson ein furioses Bühnencomeback feiern wollte. Und auch wenn ihn das Ende des King of Pop „nicht überrascht hat“, wie er sagt, so fällt es ihm doch schwer, Worte zu finden für seine Trauer um „einen Menschen voller Licht und Leben, der wahnsinnig viel gegeben hat“. Heinze, der heute 42 ist, lebt seit ein paar Jahren in Berlin, wo er eine kleine Galerie in Mitte betreibt. Er ist gelernter Pantomime, war Schüler und dann Assistent des großen Marcel Marceau.
1995, bei den Vorbereitungen zu einer von Jackson und Marceau gemeinsam konzipierten Show für den Fernsehsender HBO, lernte er Michael Jackson kennen. Die Show fand nie statt, weil der King of Pop am Tag vor der Aufzeichnung einen Zusammenbruch erlitt, von dem er sich nur schleppend erholte. Aber Jackson war angetan von dem jungen Deutschen, lud ihn ein nach Neverland – und engagierte ihn schließlich als Tänzer und Choreographen. „Es war schon toll, dass ich bei einem Meister wie Marcel Marceau lernen durfte. Dass ich dann zum zweiten Mal mit einer solchen Legende zusammenarbeiten durfte, war ein großes Geschenk.“
Jackson bot Heinze an, auf seiner Ranch zu wohnen: Er sei immer eingeladen und könne kommen und gehen, wann er wolle. Zwar behielt der gebürtige Hamburger eine Wohnung in Hollywood, wo er nebenher Schauspieler wie die Terminatrix Kristina Lokken trainierte. Neverland aber wurde sein Zuhause. Jackson erwarb das Grundstück im Niemandsland hinter Santa Barbara in Kalifornien 1988. Er hatte das Areal fünf Jahre vorher beim Dreh des Videos zum Hit-Duett „Say Say Say“ mit Paul McCartney kennengelernt und zu einem Erholungs- und Vergnügungspark ausbauen lassen. Das Tor öffnete sich zum von Michael gesungenen „Have You Seen My Childhood?“, eine Bimmelbahn brachte die Besucher in fünf Waggons zu den ungezählten Attraktionen, zu denen neben dem Privatzoo, einem Riesenrad und einer Achterbahn auch ein künstlicher See gehörte, über dem man in Booten in Schwanenform schaukeln konnte.
Natürlich zog dieses Zauberreich, in den Michael Jackson versuchte, die Kindheit nachzuholen, die er nie hatte – natürlich zog Neverland vor allem Kinder an. Und sie wurden auch gerne eingelassen. „Michael liebte Kinder.
Doch dann wurde der König zum Gespenst...
Die Art und Weise, wie er mit ihnen umging, hatte etwas Zärtliches, woraus eine große Ehrfurcht sprach. Sie waren etwas Heiliges für ihn“, erinnert sich Thorsten Heinze. Vor allem geprügelten Kindern, wie er selbst eines war, stand Neverland stets offen. Auf der Galerie des Kinos gab es eine Reihe keimfreier Räume mit großen Scheiben zum Zuschauerraum, in denen kranke, oftmals dem Tod geweihte Kinder Filme ansehen konnten. Auch auf Tour ließ der Popstar sterbenskranke Kinder hinter die Bühne kommen.
Er sprach mit ihnen, berührte sie, erfüllte ihnen so einen letzten Wunsch, das hat mich sehr bewegt“, erzählt Heinze.
Der junge deutsche Pantomime und der Märchenprinz sahen einander fast täglich – und Thorsten Heinze durfte fotografieren. Es waren Bilder, die viel Geld wert gewesen wären, doch für den Künstler wog der Respekt vor der Musiklegende mehr. „Ich habe Michael viel fotografiert“, sagt Thorsten Heinze. „Auf Feiern, kleinen Festen und beim Tanzen. Aber wenn der Film voll war, habe ich ihn aus der Kamera genommen und Michael ausgehändigt. Das war mein Vertrauensbeweis für ihn. Ich wollte nicht zu denen gehören, die es ausnutzten, so nah bei ihm zu leben. Aus diesem Grund habe ich nur ein einziges Bild behalten, das uns beide zusammen zeigt.“
Im Sommer 2000 dankte der King of Pop seinem braven Untertan auf eine besondere Weise: Er organisierte auf Neverland das Hochzeitsfest für Heinze und Jacksons Make-up-Artistin Karen Faye. Jackson zahlte alles, von den aufwendig gestalteten Einladungen bis zum Catering. Während des Fests wurden einige der Tiere aus den Gehegen gelassen und streiften zwischen den Hochzeitsgästen umher. Heinze: „Die waren sehr zahm und ließen sich streicheln.“ Insbesondere die imposanten Raubkatzen waren für Michael Jackson nicht nur Kuschelfreunde – ihre Anmut und Geschmeidigkeit dienten ihm auch als Inspirationsquelle. Thorsten Heinze sah ihn oft, „wie er auf seinem Lieblingsbaum saß, die Tiere beobachtete und ihre Bewegungen studierte.“.
Von Heinzes Hochzeit selbst hielt sich Jackson allerdings fern. „Aber ich bin sicher, dass er es sich von irgendwo angesehen hat“, meint der Deutsche. „Er hat mal gesagt, er wäre gern eine Fliege, die irgendwo sitzt und sich alles ansehen kann.“
Der Mensch Michael Jackson musste gar nicht erst zum Fernglas greifen, denn neben allen kindlichen Vergnügungen war Neverland eine streng überwachte Sicherheitszone. Videokameras in den Bäumen erfassten jeden Winkel. Während einige der 200 Angestellten dafür sorgten, dass in der großen Gemeinschaftsküche rund um die Uhr warme Mahlzeiten serviert wurden, fuhr die hauseigene Neverland Security Dauerstreife – auch wenn gefeiert wurde. Schließlich war „alles, was Rang und Namen hat“, in Neverland zu Besuch, erzählt Heinze. Besonders oft sei Liz Taylor gekommen, im Kino platzte Heinze auch mal in eine Privatvorführung für Marlon Brando. Selbst Michaels verhasster Vater Joseph schaute ab und zu vorbei; hinterher hat der Popstar regelmäßig geweint.
Sein Niedergang kam schleichend. Für jemanden, der täglich mit einem Menschen zu tun hat, wie Heinze mit Michael Jackson, war er weniger an Äußerlichkeiten, denn am Verhalten sichtbar. Die Tage, an denen der King of Pop fingerschnippend und mit einem Lied auf den Lippen über das Gelände tänzelte, wurden weniger. Stattdessen huschte er stumm, bleich und geistesabwesend durch die Gegend, wie ein Gespenst. 2004, als die Busse mit Kindern den Übertragungswagen der TV-Stationen wichen, verließ Heinze die Ranch.
Er wird ihn trotzdem „als Buddy“, als Freund, in Erinnerung behalten, „der viel gelacht hat“ – und ihm einst „das schönste Geschenk machte, das ich je erhielt: Einmal hat er für mich gesungen, nur für mich ganz allein.“