"Kauf" von Stars bald schon Geschichte?
Aus strafrechtlicher Sicht ist der Tod von Michael Jackson am 25. Juni 2009 abgehakt: Jacksons Leibarzt Conrad Murray verabreichte dem medikamentensüchtigen Sänger eine Überdosis des Anästhetikums Propofol und verbüßt deshalb eine Strafe wegen fahrlässiger Tötung. Nun steht jedoch das Urteil in einem Zivilprozess an, der die Bedeutung des Schuldspruchs gegen Murray verblassen lässt.
Michael Jacksons Mutter hatte schon im Jahr 2011 Klage gegen den letzten Konzertveranstalter des „King of Pop“, die Firma AEG Live, eingebracht. Allein der Kampf darum, ob der Prozess überhaupt stattfindet, wurde zu einer juristischen Materialschlacht - und das nicht ohne Grund: Es geht nicht nur um Schadenersatzforderungen in der Höhe von Hunderten Millionen Dollar, sondern indirekt darum, wie die Verträge von Stars künftig aussehen werden.
Verkauft und verraten?
Bis jetzt ist es gang und gäbe, dass Veranstalter einen Star „im Paket“ kaufen: Der Künstler verpflichtet sich zu einer bestimmten Anzahl von Konzerten und bekommt einen Fixbetrag im voraus. Das Risiko - aber auch die Chance zu weit größerem Profit - bleibt beim Veranstalter. Der Star wiederum „gehört“ während dieser Zeit de facto dem Veranstalter, bis hin zum brancheninternen Fachbegriff des „Micro Managements“: In diesen Vereinbarungen gibt es Regeln für fast jeden Bereich des Privatlebens - bis hin zu festgelegten Schlafzeiten.
Jackson hatte einen solchen Vertrag mit AEG: Das Haus, in dem er zu seinem Lebensende wohnte, war vom Veranstalter angemietet. Sogar die Möbel waren von AEG bereitgestellt. Rund um die Uhr waren Mitarbeiter des Promoters an der Seite des Sängers und gaben ihm seinen Tagesablauf minutiös vor. Genau das könnte für AEG nun zum Bumerang werden: Wer das Leben von jemandem bis ins Detail bestimmt, müsse auch für dessen unnatürlichen Tod mitverantwortlich sein, argumentierten die Anwälte des Jackson-Clans.
In Summe 1,3 Milliarden gefordert
Eingebracht wurde die Klage von Katherine Jackson, der 83-jährigen Mutter des Sängers, die die Obsorge über seine drei minderjährigen Kinder Prince, Paris und Blanket hat. Sie forderte für jedes der Kinder 85 Millionen Dollar Schadenersatz wegen des erlittenen Leids und für sich selbst aus demselben Grund 35 Millionen. Macht in Summe 290 Millionen Dollar (215 Mio. Euro). Das ist jedoch nichts im Vergleich zur separaten Forderung nach Ersatz von entgangenen Einkünften, die bei ungefähr einer Milliarde Dollar angesetzt wurde.
Die Größe der Schadenssumme führt gemäß US-Recht dazu, dass der Zivilprozess vor einer Geschworenenjury verhandelt wird, bei der neun von zwölf Stimmen für einen Schuldspruch reichen. Bewusst spielte der Jackson-Clan in dem Prozess deshalb mit Gefühlen und schilderte in emotionalen Zeugenaussagen, wie AEG den Star unter Druck gesetzt habe - mit dessen gesamtem Vermögen, darunter die Rechte an all seinen eigenen Aufnahmen als Besicherung für die Tourpläne.
Stars müssen umlernen auf Eigenverantwortung
„Jeder Anwalt“ aus der Branche warte gespannt auf das Urteil, sagte Uniprofessor John Nockleby gegenüber der Nachrichtenagentur Reuters: „Jeder in der Unterhaltungsindustrie hat persönliche Assistenten, und das umfasst auch medizinische Betreuung.“ Kollegin Jody Armour pflichtet bei: „Die gesamte Industrie“ sehe sich „sehr genau an, wie sich das entwickelt“ - möglicherweise hin zu einem „abschreckenden Effekt“ darauf, „wie aggressiv Firmen ihre Entertainer dazu drängen, ihren vertraglichen Verpflichtungen nachzukommen“.
Die bekannte Promi-Vermarkterin und Buchautorin Jo Piazza sieht schon jetzt wegen des Rechtsstreits einen „Umdenkprozess“ in der Industrie. Immerhin gehe es um „Millionen und Milliarden von Dollar“. Die noch vorherrschenden „gigantischen Multi-Millionen-Dollar-Vorauszahlungen“ würden sich in Zukunft wohl zu einem „Gewinnbeteiligungsmodell“ hinentwickeln. Künftig würden Stars „mehr Verantwortung“ tragen müssen und „genau so viel Geld machen, wie ihre Vorstellung wert ist“, glaubt Piazza.
orf.at