Thema: Re: Dancing With The Elephant (Deutsche Übersetzung) Mi 14 Nov 2012 - 10:32
Die Wahrheit der Lust, von Frau zu Mann 05/01/2012
Joie: Gut, du hast danach gefragt, also hier ist es. Und wie meine Mädels, Salt-n-Pepa, sagen würden – Let’s talk about sex, baby!
Also vor drei Wochen schweifte die Diskussion über They Don’t Care About Us irgendwie vom Thema ab zu Michael Jacksons unglaublichem Sex Appeal (das könnte an mir gelegen haben) und die Kommentare gerieten außer Rand und Band.
Willa: Joie! Michael Jackson sexy? Ich bin wirklich geschockt. Mein Interesse an Michael Jackson ist rein akademischer Natur, das kann ich dir versichern. Ich habe niemals diese erstaunlichen Augen bemerkt, oder die unglaubliche Art, wie er auf der Bühne seinen Körper bewegte oder diesen süßen kleinen Hintern in Thriller …
Joie: Gut, da du ja niemals irgendetwas von diesen Dingen bemerkt hast, Willa, was ist dann mit diesen sinnlichen Lippen? Oder der verführerischen Art, wie seine Stimme dich anzieht? Oder sein kleines sexy Lachen? Oder auf welche wundervolle Weise er diese verblüffende goldene Hose auf der HIStory Tour ausgefüllt hat …
Willa: Ich hab‘ mich schon gefragt, wie lange es dauert, bis du die goldene Hose erwähnst.
Joie: Was soll ich sagen; ich bin eine sehr visuelle Person! Aber egal, Willa und ich sind da offenbar auf ein kleines Diskussionstabu gestoßen, das viele von euch in ihren Kommentaren als den ultimativen Elefant im Raum bezeichnet haben. Und weil dieser Blog dazu da ist, diese Elefanten auf den Tanzboden zu bitten, haben wir uns gedacht, wir beginnen das neue Jahr damit, mit dem größten Elefanten von allen eine kesse Sohle auf’s Parkett zu legen.
Weißt du Willa, um ganz ehrlich zu sein, ich war mehr als nur ein wenig überrascht, als wir so viele Kommentare erhielten, die um eine Diskussion zu diesem Thema baten. Ich meine … ich habe Michael immer als unglaublich sexy und sehr attraktiv empfunden, und ich weiß, dass ich nicht die Einzige bin, die auf diese Art für ihn fühlt. Wie Aldebaran nach jenem Post in einem Kommentar angemerkt hat, alles was du tun musst, ist auf YouTube zu gehen, und es sehr leicht, diese sehr sinnlichen Videos von Fans zu finden, die Michaels sexy Seite zeigen – ein kleines heimliches Vergnügen, das ich gerne „MJ Porno“ nenne. Und es ist überall in YouTube; es muss mindestens mehrere Hundert von ihnen geben. Also, ich wusste, ich war nicht allein. (Nebenbei gesagt, lass mich bei dieser Gelegenheit persönlich all jenen danken, die besagte Videos kreiert und zu meiner Freude auf YouTube eingestellt haben; ihr habt keine Ahnung, wie sehr ich das anerkenne!)
Aber, ich vermute, was mich so schockiert hat war, dass so viele von unseren Lesern nach einer „ernsthaften“ Diskussion über Michaels erotische Anziehungskraft gefragt haben, und wie die Medien ihm diesen Status als Sexsymbol, den er so mühelos verdient, vehement abgesprochen haben.
Willa: Das ist eine wichtige Frage, aber es ist schwierig, darüber zu sprechen. Nicht nur, dass es irgendwie ein Tabu ist, sogar jetzt, sondern es ist auch sehr verworren und subjektiv. Es ist schwer zu identifizieren, was es genau ist, und das macht ihn so unglaublich heiß.
Joie: Nein, ist es nicht; hast du ihn angesehen?!
Willa: Ich weiß, ich weiß. Aber unterschiedliche Menschen reagieren auf unterschiedliche Art und aus unterschiedlichen Gründen. Er war unglaublich attraktiv, aber nicht alle attraktiven Menschen sind sexy. Er war auch sehr gefühlvoll und liebenswürdig und leidenschaftlich in seinen Ansichten, und unglaublich klug und sehr lustig, und er hatte diese erstaunliche Stimme und konnte sich bewegen wie ein Panther, und hast du jemals diese Adern an seinem Unterarm gesehen? Ich muss sagen, er hat sehr hübsche Adern …
Joie: Und auch schöne Hände, sehr groß und maskulin …
Willa: Jedenfalls ist das alles sehr subjektiv, und für mich persönlich ist es sehr schwierig, darüber zu sprechen, einfach weil meine eigenen Gefühle so kompliziert sind. Sie sind vermischt mit dem Thema Rasse und tiefsitzenden kulturellen Tabus und meiner eigenen Kindheit, und es ist schwer, das alles auseinander zu sortieren.
Du weißt ja, seit ich das erste Mal Ben im Radio gehört habe, fühlte ich diese tiefe Verbindung zu Michael Jackson – einfach dieses überwältigende Gefühl, dass er ein Seelenverwandter war. Es war überhaupt nicht sexuell – ich war elf Jahre alt – es war einfach dieses beruhigende Gefühl, dass er jemand war, der die Dinge auf dieselbe Art sah wie ich, und dass er jemand war, mit dem über Dinge reden konnte, die mich beunruhigten. Und was mich beunruhigte, zum größten Teil, waren die Dinge, die ich sah und hörte, als sie die lokalen Schulen integrierten. Er half mir wirklich durch das alles hindurch, und dafür bin ich immer noch sehr dankbar.
Und dann gehen ein paar Jahre ins Land, und er ist plötzlich zu dem sexiesten Typ herangewachsen, den du dir vorstellen kannst, und das war einfach überwältigend für mich. Ich konnte es nicht glauben. Es war wie: Wow, die Dinge sind gut gelaufen für dich! Diese Metamorphose war erstaunlich und wunderbar, aber auch ziemlich verwirrend. Er war umwerfend – der schönste Mann, den ich je gesehen habe – aber er war so umwerfend, dass es schon wieder entfremdend war. Er schien irgendwie so exotisch mit seinen sinnlichen Augen und seinem heißen Körper und seiner Boa Constrictor.
Aber er war wie mein Freund aus der Kindheit und schien mir so vertraut.
Also gab es da diesen seltsamen Konflikt zwischen exotisch und vertraut. Und dann war da dieses hässliche Vorurteil, dass sich Weiße Mädchen angeblich nicht von Schwarzen Jungs angezogen fühlen (sollten). Speziell im Süden wurden Weiße Mädchen, die sich mit Schwarzen Jungs trafen, als abstoßend angesehen, „Weißer Abschaum“, und sogar obwohl ich damit nicht übereinstimmte, konnte ich nicht anders als dafür sensibilisiert zu sein. Ich wusste, was die Leute über solche Mädchen dachten. Aber er war unglaublich sexy, und ich war unbestreitbar angezogen von ihm – sehr angezogen von ihm – und es fühlte sich für mich überhaupt nicht falsch an. Außerdem, wie ich schon sagte, war er mir so vertraut, und es gab für mich keinen Weg, akzeptieren zu können, dass die starke Verbindung zu ihm irgendwie falsch sei. Es war zu wichtig für mich und bereits zu lange ein Teil von mir, als dass ich diese Verbindung hätte leugnen können.
Also war es dieser seltsame Kampf, der in mir zwischen vertraut und exotisch tobte, zwischen dem Begehrenswerten und dem Tabu – zwischen dem, was meine Kultur mir sagte, was ich fühlen soll und dem, was ich selbst in mir fühlte.
Joie: Das ist sehr interessant für mich, denn meine eigene Erfahrung ist genau am anderen Ende der Skala. Ich vermute, ich kann verstehen, in welch verwirrender Situation du dich befunden hast, aber als kleines Schwarzes Mädchen musste ich so etwas nie durchmachen. Für mich war es wirklich genau das Gegenteil. Michael und seine Brüder waren der Stolz der Black Community, der Stolz der gesamten Rasse eines Volkes, also war es nur natürlich für mich, ihn zu lieben, aber man wurde dazu auch ermutigt. Alle jungen schwarzen Kinder wurden darin bestärkt, zu ihnen aufzusehen. Als er also plötzlich dieser ultrasexy, superheiße erwachsene junge Mann wurde, fühlte sich das für mich sehr natürlich an. Tatsächlich kann ich dir genau erzählen, wann ich meinen ersten richtigen „Jungen-Mädchen-Gedanken“ hatte, wenn du willst. Es war das allererste Mal, als ich das Rock With You Video sah. Ich war gerade in der Pubertät, als das Off The Wall Album herauskam und plötzlich verstand ich irgendwie, dass es bei diesen Lyrics – „I wann rock with you, all night“ – nicht wirklich ums Tanzen ging! Und dann kam das Video heraus, und ich sah ihn in diesem engen, funkelnden Silberanzug und den Stiefeln … es war das erste Mal, dass ich jemals von ihm (oder jemand anderem, was das betrifft) auf eine tatsächlich „erwachsene“ Art gedacht habe, wenn du verstehst, was ich meine!
Willa: Joie, ernsthaft, du hast die Art meiner Gefühle über diesen Song revolutioniert. Es ist erstaunlich. Ich kann diesen Song sogar nicht mehr im Auto anhören. Ich rede über anschauliche Bildersprache: „Relax your mind / Lay back and groove with mine.“ Meine Güte. Ich meine, wirklich. Meine Güte! Und dann sagen sie, Handys würden ablenken! Dieser Song sollte mit einem Warnlabel versehen sein. Jemand könnte bei aller Glückseligkeit einen Unfall bauen.
Joie: Ich weiß. Und bis zum heutigen Tag sind dieser Song und dieses Video immer noch ganz besonders für mich. Aber ich verstehe total, wenn du über den „seltsamen Konflikt zwischen dem Exotischen und dem Vertrauten“ erzählst, denn das habe ich sicherlich genauso erlebt. Soweit ich mich zurückerinnern kann, war er immer ein Teil meines Lebens – sogar als ich ein sehr kleines Kind war. Und wie du sagst, er war so etwas wie der beste Freund, mit dem ich immer reden konnte. Aber dann, ganz plötzlich, war er EIN MANN, und das machte mich stark darauf aufmerksam, dass ich nun eine junge Frau wurde! Von dem Punkt an nahm meine lebenslange Besessenheit von Michael Jackson eine völlig neue Dimension an; es gab nun diese ganz andere Facette an ihm und an meiner MJ Mania. Und die Jahre über vertiefte sich die Manie nur noch, so wie die Songs und die Videos heißer wurden und die Hosen enger.
Willa: Also, da sind wir wieder zurück bei den goldenen Hosen, oder? Du bist zu lustig!
Joie: Oh, aber das sind nicht nur die Gold Pants – da gibt es auch noch die rote Lederhose wie in Blood on the Dance Floor und rote Jeans wie in Thriller, und verschiedene schwarze Hosen – einige von ihn sogar aus schwarzem Lackleder wie im Come Together Video und in Scream – oh, und graue Lederhosen und genauso auch einige sehr hübsche Blue Jeans, so … uh … hmm? Um … worüber haben wir gerade gesprochen …?
Willa: Ich hab‘ keine Ahnung. Ich fühle mich gerade etwas abgelenkt. Aber solange wir noch bei diesem Thema sind, was ist mit In The Closet? Was für ein wirklich inspirierender Film das ist …
Willa: Absolut. Und ich mag die Art, wie du das sagst. Es ist sehr … künstlerisch … auf vielen verschiedenen Ebenen. Es ist elegant und amüsant und visuell interessant (ich liebe die Silhouetten) und unglaublich heiß. Wir können unmöglich über Michael Jacksons enormen Sexappeal reden und nicht In The Closet erwähnen.
Joie: Sexappeal! Genau! Das ist es, worüber wir reden … ist es eigentlich heiß hier?
Willa: Frag mich nicht – ich fächere mir mit einem Geschirrhandtuch Luft zu, seit wir angefangen haben.
Joie: Vielleicht sollten wir ein Fenster öffnen … Aber weißt du, die wirklich faszinierende Sache an Michael Jacksons Sexappeal ist, dass darüber nur in einer „streng geheimen“ Art gesprochen wird und auch nur unter Fans.
Willa: Ich weiß nicht – ich habe einige Foren besucht, da sprachen die Fans überhaupt nicht in streng geheimer Art. Tatsächlich können sie manchmal ziemlich aus sich herauskommen. Aber du hast Recht, es wird nicht viel darüber außerhalb gewisser Fanseiten geredet.
Joie: Okay, das stimmt, die Fans können zeitweise schon etwas anzüglich werden (mich selbst eingeschlossen). Aber es wird darüber nicht außerhalb der Fanseiten gesprochen, und ich habe das niemals wirklich verstanden, weil er solch ein unglaublich sexuell attraktiver Mann ist und zu manchen Zeiten war er das, was ich sogar offenkundig sexuell nennen würde – besonders wenn er auf der Bühne war.
Willa: Das ist wahr, er konnte sehr sinnlich sein auf der Bühne, aber wie er Rabbi Boteach erzählte „Ich denke nicht, dass ich jemals etwas Anstößiges auf der Bühne gemacht habe“ und da stimme ich ihm zu.
Joie: Oh, versteh‘ mich nicht falsch; ich beklage mich nicht!
Willa: Aber um darauf zurückzukommen, was wir früher gesagt haben, es ist sehr interessant für mich, dass sich bei uns beiden unsere Einstellung gegenüber Michael Jackson entwickelte, als wir erwachsen wurden, und wir wurden erwachsen. Und die Art, wie sich unsere Gefühle entwickelten, war sich auf manche Art sehr ähnlich und in anderer Hinsicht nicht.
Joie: Ja, mich würde interessieren, wie viele eine ähnliche Erfahrung gemacht haben. Und die Tatsache, dass er dieser unbestreitbar, unglaublich sexy Mann war – und dass buchstäblich Millionen Frauen (und Männer) auf der ganzen Welt so über ihn gefühlt haben – wurde komplett und vollständig von den Medien ignoriert, und das ist wirklich seltsam. Warum war das so? Ich glaube, Ultravioletrae traf den Nagel auf den Kopf, als sie in ihrem Kommentar schrieb:
„Der wirkliche Punkt ist, dass die Gesellschaft einfach nicht akzeptieren kann, dass er sich traute, in Frage zu stellen, wie ein Schwarzer Mann zu sein hat. Er wollte einfach nicht in dieser Schublade sitzen. Als Gruppe sind wir komplett blind gegenüber dem, was passiert ist und wollen immer noch nicht darüber diskutieren … Ich denke, Sexualität ist das Herz des Ganzen. Als die J5 ihre Folge von #1 Hits hatten, flippte jeder aus. Aber da war dieses unbequeme Dilemma, mit dem man klarkommen musste – die stillschweigende Voraussetzung, dass brave kleine Weiße Mädchen sich nicht in Schwarze Jungs verlieben. Sogar ohne dass es ihnen gesagt wurde, wussten Weiße Mädchen, dass dieses Verhalten nicht toleriert würde und sie wurden zu „passenderen“ Weißen Alternativen gelenkt. Die Teen Magazine dieser Tage konzentrierten sich auf Donny Osmond und David Cassidy.“
Das ist solch eine wahre Feststellung und das „unbequeme Dilemma“, das Ultravioletrae erwähnt, wurde über die Jahre nur schlimmer, als Michael vom herzzerreißend anbetungswürdigen Teenidol zur explosiven sexy erwachsenen Ikone wurde. Und nach dem Erfolg von Thriller, war er buchstäblich der größte, einflussreichste Künstler unserer Zeit, und das ängstigte viele Leute. Das Establishment konnte einen Schwarzen Mann nicht reich, erfolgreich und sexuell reizvoll auch für junge Weiße Frauen sein lassen. Das war einfach keine Frage. Also taten sie alles, was sie konnten, um die allgemeine Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass er freakig aussah. Er hat sein Gesicht durch plastische Operation verändert; was für ein Spinner! Hat seine Nase machen lassen? Oh mein Gott, wer macht das?!
Willa: Elvis, für seinen Teil, ein früheres Teenidol – aber es war ein viel größeres Thema für Michael Jackson, denn die Form deiner Nase ist ein Kennzeichen deiner Rasse. Als also Elvis die Form seiner Nase änderte wurde es einfach als ästhetische Entscheidung gesehen. Als aber Michael Jackson die Form seiner Nase änderte, musste er all diese unbequemen Fragen über sich ergehen lassen, was es bedeutet Schwarz zu sein, und es wurde nicht als ästhetische Entscheidung gesehen, sondern als Stellungnahme dazu, wie er für sich selbst den Begriff Rasse definiert. Weil alles, was er tat, durch die Linse unserer Rassenhistorie gesehen wurde, war alles so viel komplizierter für ihn.
Joie: Und weil er die größte Berühmtheit war, die unsere Gesellschaft je gesehen hat, wurde alles, was er tat durch die Medien so sehr überzeichnet.
Willa: Aber ich glaube, du hast Recht: das größere Thema ist das Tabu gegen sexuelle Anziehung zwischen weißen Frauen und schwarzen Männern, und es ist ein Tabu auf beiden Seiten der Gleichung. Es ist nicht nur beschämend für weiße Frauen, von schwarzen Männern angezogen zu werden; traditionell ist es auch sehr gefährlich für schwarze Männer, weiße Frauen anzuziehen. Schwarze Männer sind dafür gefoltert und getötet worden, ihr Körper wurde als Warnung für andere schwarze Männer ausgestellt. Und dieses Tabu gab es nicht nur während der Sklavenzeit. Malcom X spricht in seiner Autobiografie darüber, bei einem Einbruch erwischt worden zu sein und eine übermäßig brutale Zeit im Gefängnis erlebt zu haben, und er deutet an, dass sein „wirkliches Vergehen“ nicht Gelegenheitsdiebstahl war, sondern eine weiße Frau getroffen zu haben.
Joie: Du weißt ja, das ganze sexuelle Tabu rund um Größe und Leistungsfähigkeit bei schwarzen Männern – das ist durch die ganze Geschichte hindurch die treibende Kraft hinter den Lynchmorden. Es lässt mich an die Lyrics von Threatened denken:
Every time your lady speaks she speaks of me, threatened Half of me you’ll never be, so you should feel threatened by me
Jedesmal wenn deine Lady spricht, spricht sie von mir, bedroht Du wirst nie auch nur die Hälfte von mir sein, also solltest du dich durch mich bedroht fühlen
Du weißt, ich mag den Song; es ist einer meiner liebsten, aber ich habe niemals vorher bei ihm an das Thema Rasse gedacht, aber kürzlich las ich einen Kommentar von Anais Karim, in dem sie andeutete, Threatened könnte durch die Rassenlinse gesehen werden. Ich glaube, sie hat es durchschaut.
Aber sogar heute, 2012, ist es ein Thema. Natürlich mag es niemand zugeben, aber es gibt immer noch viele Leute da draußen auf beiden Seiten der Rassengrenzen, die es entweder deutlich missbilligen oder heimlich zusammenzucken, jedes Mal, wenn sie einen schwarzen Mann mit einer weißen Frau sehen. Erst letzten Monat habe ich eine Nachricht online gelesen über eine Kirche in Kentucky, die es gemischtrassigen Paaren nicht erlaubt, Mitglied der Kirchengemeinde zu sein. Sie kümmern sich nicht drum, wenn schwarze Menschen sich ihrer Kirche anschließen – das ist in Ordnung. Aber gemischtrassige Paare sind nicht willkommen!
Willa: Und da gab es vor ein paar Wochen eine Beratungskolumne in der Zeitung mit einem Brief von einer weißen Frau aus dem Süden. Sie wurde von ihren Freunden gemieden – Leute, die ihr ihr ganzes erwachsenes Leben lang nah waren – weil sie herausgefunden hatten, dass sie sich einige Male mit einem schwarzen Mann getroffen hat. Es ist einfach unglaublich, wie fest verwurzelt manche dieser Vorurteile sind, und wie die Leute gedankenlos diesen Vorurteilen folgen.
Und dieses Tabu gegenüber sexueller Anziehung zwischen schwarzen Männern und weißen Frauen lebt sich auf Arten aus, die sehr bedrohlich und gefährlich sein können. In Ralph Ellisons Invisible Man ist die Hauptfigur ein erfolgreicher High School Student, und er ist eingeladen vor den weißen Führern einer Stadt eine Rede über Rassenbeziehungen zu halten. (Soweit ich mich erinnere spricht er in seiner Rede darüber, wie Schwarze Männer erfolgreich sein können, wenn sie eine angemessene Bescheidenheit bewahren.) Aber als er eintrifft, um seine Rede zu halten, findet er sich selbst in einem Boxring wieder mit einem Haufen anderer junger schwarzer Männer, und dann beginnt eine weiße Stripperin zwischen ihnen zu tanzen, während die lüsternen Führer der Stadt zusehen.
Die Emotionen dieser Szene sind absolut elektrisch, als der Protagonist beschreibt, was er und anderen jungen schwarzen Männer gegenüber dieser Frau fühlen: Verlangen, Angst, Mitgefühl, Abscheu und blanken Terror davor, dass sie zu weit gehen wird und die Weißen Männer sie dafür bestrafen. Diese Dynamik, die Ralph Ellison so gut beschreibt, wie Weiße Männer weiße Frauen als Rechtfertigung dafür benutzen, schwarze Männer zu bestrafen und zu erniedrigen, hat eine sehr lange und sehr hässliche Geschichte.
Joie: Ja, das stimmt. Eine Geschichte, deren Wurzeln in Rassengewalt und dem Blut viel zu vieler junger schwarzer Männer liegen, die gelyncht, geschlagen und/oder getötet wurden für das Verbrechen, eine weiße Frau anzuziehen oder manchmal auch nur anzusehen.
Willa: Oder manchmal war das Verbrechen politischer Aktivismus, aber sie wurden fälschlich der Bedrohung einer weißen Frau angeklagt, um einen Aufstand anzuzetteln. Also wie spielt sich das lang bestehende Tabu gegenüber schwarzen Männern, die sexuell anziehend gegenüber weißen Frauen sind ab, wenn du das erste schwarze Teenidol bist und Millionen von Frauen aller Rassen denken, du bist das Heißeste, was sie je gesehen haben? Das ist eine sehr komplizierte und sehr gefährliche Lage, in der man dann ist, und ich glaube, Michael Jackson war sich dessen sehr bewusst. To Kill A Mockingbird (Wer die Nachtigall stört) war einer seiner Lieblingsfilme, und es ist die Geschichte einer alleinstehenden weißen Frau, die sich von einem schwarzen Mann angezogen fühlt und ihn küsst, aber als ihr Vater hereinkommt und sie sieht, behauptet sie, der Mann hätte sie angesprochen. Die Geschichte konzentriert sich auf seine Gerichtsverhandlung, und sogar, als der Richter beweist, dass er unschuldig ist, befindet die Weiße Jury ihn für schuldig. Es hat kein Happy End.
Offenbar hat Michael Jackson diesen Film regelmäßig während seines Prozesses 2005 gesehen, um sich für das vorzubereiten, was er durchstehen musste, und die Parallelen und Verbindungen zwischen diesem Film und seinem eigenen Leben sind schaurig. Ich glaube nicht, dass es Zufall ist, dass das erste schwarze Teenidol unserer Nation fälschlicherweise eines sexuellen Verbrechens durch einen wütenden weißen Mann angeklagt wurde. Und ich denke nicht, dass es Zufall ist, dass ein Weißer Bezirksstaatsanwalt blind die Anschuldigungen des Mannes akzeptiert trotz aller widersprechenden Beweise, und dann jene falschen Anschuldigungen als Rechtfertigung benutzt, ihn jahrelang zu jagen und zu schikanieren. Und ich glaube nicht, dass es Zufall ist, dass weitestgehend weiße Medien (seine selbsternannte Jury) ihn wiederholt als Schuldig porträtierten, sogar obwohl die Beweise klar zeigten, dass er unschuldig war, und sogar obwohl eine tatsächliche Jury im Prozess 2005 die Beweise geprüft hat und ihn für unschuldig befand.
Joie: Weißt du, ich habe ganz ehrlich vorher nie unter diesen Bedingungen darüber nachgedacht, aber du hast wahrscheinlich genau Recht. Es war kein Zufall und sicherlich nicht überraschend, vor allem wenn man die Tatsache bedenkt, dass er das erste schwarze Teenidol unserer Nation war und er die Bewunderung und Aufmerksamkeit von Millionen jungen Mädchen der ganzen Welt auf sich zog – von denen wahrscheinlich mehr als die Hälfte weiß waren. Die einzige Art, wie man der Geschichte ein Ende bereiten konnte, war ihn fälschlich eines sexuellen Verbrechens an einer weißen Person anzuklagen. Geschichte wiederholt sich immer und bei einer schwarzen Persönlichkeit seiner Größenordnung, wie hätte es auf andere Art ausgehen sollen?
Willa: Du hast absolut Recht, Joie. Geschichte wiederholt sich selbst, weil wir sie sich selbst wiederholen lassen. Es gibt gewisse kulturelle Erzählungen, die wir uns wieder und wieder erzählen, und wir zwingen verschiedene Menschen dazu, sich immer wieder und wieder und wieder in diese selben Geschichten einzupassen. Also wurde natürlich unser erstes Schwarzes Teenidol fälschlich eines Sexualverbrechens angeklagt durch einen wütenden weißen Mob – obwohl der Mob in Michael Jacksons Fall eher mit Kameras als mit Stricken ausgerüstet war.
Aber die erstaunliche Sache ist letztlich die, dass die Geschichte diesmal anders ausgegangen ist, denn Michael Jackson unterminierte die Erzählung und versuchte sie zu ändern – er versuchte die kulturelle Erzählung zu ändern. Es erscheint unmöglich, so als wollte man einen Berg bewegen, aber er nahm es in Angriff. Und während es jetzt noch zu früh ist, zu sagen, wie erfolgreich er damit war, ist der Versuch an sich schon faszinierend.
Also nächste Woche sehen wir uns ein wirklich großes Thema an: die Zusammenhänge von Rasse und Sexualität in der Geschichte unserer Nation, und was die Auswirkungen für Michael Jackson waren, und wie er zurückschlug.
Lilly
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Thema: Re: Dancing With The Elephant (Deutsche Übersetzung) Mi 14 Nov 2012 - 13:50
Diese Leidenschaft brennt in mir 11/01/2012
Willa: Diese Woche sehen Joie und ich uns In The Closet an. Um ehrlich zu sein, das war nicht der Post, den wir ursprünglich schreiben wollten – wir hatten geplant, einen Blick auf die Historie von Rasse und Sexualität zu werfen, um dann Michael Jackson in diesen historischen Kontext zu positionieren. Aber als wir mit unserer Diskussion anfingen, gerieten wir in solch eine lebhafte Debatte über In The Closet, dass wir entschieden haben, einen Abstecher zu machen.
Allerdings nähern wir uns dieses Mal ein wenig anders an. Wie der Titel uns sagt, handelt In The Closet von einer Tabubeziehung. Aber sie ist nicht tabu wegen der sexuellen Orientierung – dies ist eine Geschichte über eine Frau und einen Mann – also muss es irgendeinen anderen Grund geben. Aber welchen? Warum ist dies eine verbotene Liebe? Als wir darüber sprachen, diskutierten Joie und ich vier verschiedene Antworten auf diese Frage – jede auf ihre Art interessant, jede wird unterstützt durch Lyrics und sichtbare Hinweise, und jede führt zu einer anderen Interpretation des Videos als Ganzem.
Eine Interpretationsmöglichkeit ist, dass es sich um ein Tabu aufgrund der Rasse handelt. Das Video zeigt zwei Darsteller, die die Modalitäten ihrer Beziehung aushandeln, und bei diesen Darstellern handelt es sich um Naomi Campbell, einem schönen schwarzen Model und um Michael Jackson. Weil wir seine Vorgeschichte kennen und weil er sich selbst als schwarz bezeichnet, denken wir von ihm als Schwarzen und nehmen an, er spielt die Rolle eines Schwarzen.
Aber er sieht nicht schwarz aus in diesem Video. Er sieht mediterran aus, eine Deutung, die betont wird durch die spanische Architektur und die spanischen Tänzer, und durch die Tatsache, dass er einen Ehering an seiner rechten Hand statt an der linken trägt, wie es in Spanien üblich ist. Also haben wir hier eher eine Victor/Victoria-ähnliche Situation, in der Michael Jackson ein schwarzer Schauspieler ist, der einen weißen Mann darstellt, der in einer Tabubeziehung mit einer schwarzen Frau steht. (Und ich muss sagen, wer sonst außer Michael Jackson könnte sich so ein solches Szenario ausdenken? Und wer könnte es nur halb so gut spielen? Er ist einfach endlos faszinierend für mich …).
Was diese Beziehung zum Tabu macht, ist die Ehe. Während Weiße Männer traditionell mit schwarzen Frauen geschlafen haben, wenn nötig mit Gewalt, haben sie schwarze Frauen nicht geheiratet. Geheiratet haben sie die „passenden“ weißen Frauen. Die Ehe zwischen einem weißen Mann und einer schwarzen Frau ist so tiefgreifend auf seine Art wie Sex zwischen einem schwarzen Mann und einer weißen Frau. Und ich glaube, das ist das Tabu, das Michael Jackson in In The Closet attackiert.
Joie: Willa, ich muss sagen, dass ich auf diese Art noch nie über dieses Video nachgedacht habe. Ich habe In The Closet überhaupt noch nie in Hinblick auf das Thema Rasse betrachtet. Für mich handelt der Text ganz eindeutig ausschließlich von Sex. Verbotenem Sex, um genauer zu sein. Und, wie du sagst, neigen wir dazu, von Michael als schwarzem Mann zu denken – weil er es ist – also habe ich ihn in diesem Video nie als jemanden gesehen, der einen weißen Mann darstellt.
Willa: Ich bin sehr froh, dass du das erwähnst, Joie, denn ich möchte dies ganz deutlich machen. Ich möchte nicht in irgend einer Art andeuten, dass Michael Jackson als Person kein Schwarzer war oder versucht hat, seine schwarze Herkunft zu leugnen. Das glaube ich überhaupt nicht. Ich sage einfach, dass er als Schauspieler nicht auf die schwarzen Rollen beschränkt sein muss, und ich glaube, wir sollten nicht immer annehmen, dass er immer nur Schwarze darstellt. Ich liebe die Version des Films Much Ado about Nothing (Viel Lärm um Nichts) von Kenneth Brannagh, in dem Denzel Washington einen Weißen darstellt, Don Pedro. Interessant genug, Don Pedro ist Spanier – ein spanischer Adliger, und dieser Film kam 1993 heraus, ein Jahr nach In The Closet.
Joie: Oh, ich liebe diesen Film auch! Er macht wirklich Spaß, nicht wahr? Und ich habe eine Schwäche für Shakespeare! Aber ich weiß, dass du nicht andeutest, Michael Jackson sei kein Schwarzer gewesen. Ich finde deine Ansicht zu diesem Video nur wirklich überraschend. Und ziemlich clever. Aber trotzdem, Michael hat oft einen Ring an der rechten Hand getragen, also noch mal, ich habe dem keine große Bedeutung beigemessen. Nicht dass ich mit deiner Interpretation nicht einverstanden wäre; ich finde sie faszinierend. Ich sage nur, dass ich es nie zuvor auf diese Art gesehen habe. Sehr interessant.
Willa: Und ich sage sicherlich nicht, dass es die einzige Art ist, wie man es sehen kann, aber ich denke, es ist eine Möglichkeit und eine fundierte Herangehensweise. Es gibt mehrere sichtbare Hinweise, die dies nahelegen, obwohl sie subtil sind. Das Video beginnt mit einer Aufnahme des Rings: Michael Jackson in seiner Rolle geht mit den Händen in seinen Hintertaschen, und die Hand mit dem Ring ist genau im Bild. Wichtig ist, Naomi Campbell trägt in ihrer Rolle keinen Ring, symbolisch erzählt uns dies, dass er mehr an ihre Beziehung gebunden ist als sie - aber vielleicht auch nicht. Während er auf gewisse Art mehr an diese Beziehung gebunden ist, möchte er ihre Beziehung geheim halten, und sie nicht. Wie sie ihm in ihrem Eröffnungsmonolog sagt, „Versteck‘ unsere Liebe nicht.“ Sie denkt nicht an die Ehe; sie will einfach nur eine normale Beziehung.
Er denkt an die Ehe. Dies ist nicht Thomas Jefferson, der nicht weniger als sechs Kinder mit einer Sklavin, Sally Hemings, hat und sie niemals anerkennt. (In einem geheimen Testamentsnachtrag schenkt er den Kindern die Freiheit, aber nicht ihr. Sie bleibt eine Sklavin ihr Leben lang.) Sie scheint ganz anders zu sein, obwohl er sich noch dazu getrieben fühlt, „unsere Liebe zu verstecken“. Mit anderen Worten, dieser moderne Mann des 20. Jahrhunderts kämpft immer noch mit den Auswirkungen der langen, schmerzvollen Rassen-, Sexual- und Kulturgeschichte – einer Geschichte, die auf die Zeit zurückgeht, bevor wir überhaupt ein Land waren, und sie beinhaltet mindestens einen unserer Gründungsväter und den Verfasser der Unabhängigkeitserklärung.
Ich glaube, dies ist das Tabu, gegen das Michael Jackson mit seiner Darstellung kämpft. Er möchte ein wirkliches Leben mit ihr zusammen. Er trägt einen Ring. Er beschwört das Bild von Frauen herauf, die wie bei einer Hochzeit tanzen. Und er nimmt sie mit zu einem Haus – nicht zu einem Restaurant oder einer Bar oder einem Dance Club, aber zu einem heimischen Ort, an dem sie zusammen ein Leben beginnen können. Aber das Haus ist nicht in einer Gemeinschaft; es ist vollständig isoliert, draußen in der Wüste. Er möchte die Ehe, aber das bedeutet, ein strenges kulturelles Tabu zu überschreiten, und er ist noch nicht bereit, diesen Schritt zu machen. Also hält er seine Hand hoch vor sein Gesicht, zeigt ihr den Ehering und bittet sie mit ihm „ein Gelübde abzulegen“ („take a vow“). Aber anstatt des Ehegelübdes, sagt er „Fürs Erste / Lass uns ein Gelübde ablegen / Lass es uns geheim halten“ („For now / let’s take a vow / to keep it in the closet“).
Joie: Wie ich schon sagte, ich finde deine Interpretation faszinierend, und sie ist fundiert. Aber ich denke, du solltest sie vielleicht ein bisschen überdenken. Es kann auch sein, dass sie keinen Ehering trägt, NICHT weil sie nicht an die Ehe denkt, sondern einfach, weil sie nicht seine Ehefrau ist. Vielleicht ist der Grund, warum er ihre Beziehung geheim halten will – und sie mit zu dem völlig isolierten Haus nimmt, weit weg vor neugierigen Blicken – dass sie seine Geliebte ist. Deswegen der verbotene Sex. Er möchte frei sein, um sie öffentlich lieben zu können, aber er kann ganz einfach nicht, denn er ist schon mit einer anderen verheiratet. Immerhin erzählt er uns in den Eröffnungszeilen
Sie ist einfach eine Liebhaberin Die mit mir zurechtkommt Es ist das Geben wert Es ist den Versuch wert Du kannst es nicht spalten oder in den Brennofen stecken Du kannst es nicht nass machen Du kannst es nicht verbrennen
She’s just a lover who gets me by It’s worth the giving, it’s worth the try You cannot cleave it, put it in the furnace You cannot wet it, you cannot burn it
In der Bibel – einem Buch, von dem wir wissen, das Michael es regelmäßig gelesen hat – wird uns in Genesis 2.24 gesagt “Deshalb soll ein Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und er soll festhalten an seiner Frau: und sie sollen ein Fleisch sein.”(„Therefore shall a man leave his father and his mother, and shall cleaveunto his wife: and they shall be one flesh“).
Gemäß Merriam-Webster bedeutet das Wort cleave ‚fest anhaften und eng oder treu und unerschütterlich‘. Also erzählen die Lyrics uns, dass dieser Mann verheiratet, aber in eine Tabubeziehung mit einer anderen Frau verwickelt ist. Er „kann sich nicht an sie binden“ (cannot cleave it), weil er diese Bindung schon jemand anderem gelobt hat (vowed to cleave to someone else). Dann macht er weiter und sagt
Es ist einfach ein Gefühl Du musst es beruhigen Du kannst es nicht vernachlässigen Du kannst es nicht missbrauchen Es ist einfach Verlangen Du kannst es nicht vergeuden Also, wenn Du es willst Warum kostest du es dann nicht?
It’s just a feeling, you have to soothe it You can’t neglect it, you can’t abuse it It’s just desire, you cannot waste it But if you want it, then won’t you taste it
Er sagt uns hier, dass er sich verzehrt nach der Lust und der Begierde für eine Frau, die nicht seine Ehefrau ist. Und offensichtlich ist er bereit, entsetzlich viel zu riskieren, um sein Verlangen zu befriedigen, wie er uns erzählt
Wenn Du es bekommen kannst ist es den Versuch wert Ich will es wirklich Ich kann es nicht leugnen Es ist einfach Verlangen Ich liebe es wirklich Denn wenn es schmerzt musst Du es reiben
If you can get it, it’s worth a try I really want it, I can’t deny It’s just desire, I really love it ‘Cause if it’s aching, you have to rub it
Er fügt sogar überall im Song das kleine neckische „Fordere mich heraus“ („Dare me“) ein. Er weiß, dass das, was er tut, riskant ist, und dass er jeden Moment erwischt werden könnte. Ich glaube, diese Interpretation wird durch das Video genauso unterstützt. Du hast schon darauf hingewiesen, dass er sie zu einem abgeschiedenen Liebesnest, wo das Risiko geringer ist, dass sie entdeckt werden von jemandem, der einen von ihnen kennt. Es gibt mehrere auffällige Aufnahmen von dem Ring, den er trägt und sie nicht. Und dann gibt es Aufnahmen von ihm, wie er mit dem Rücken an der Wand und an der Türschwelle tanzt – nicht drinnen und nicht draußen – weil er nicht frei ist, eine wirkliche Bindung mit ihr einzugehen.
Ich mag deine Interpretation; sie hat mir einen ganz neuen Weg gezeigt, über dieses Video nachzudenken. Aber ich tendiere dazu, das sowohl der Song als auch der Short Film nicht so sehr das Rassenthema ansprechen wie den Ehebruch. Die Romantisierung der Vorstellung von verbotenem Sex. „Die Wahrheit der Lust, von Frau zu Mann.“
Willa: Joie, ich mag deine Analyse hierzu, und ich stimme dir vollkommen zu, dass dies eine berechtigte Interpretation von In The Closet ist. Und ich bin jetzt ganz fasziniert von dem Wort „cleave“. Ich habe einfach angenommen, dass es eine eher einfache Definition haben würde, welche ist, etwas zu spalten, wie mit einem Beil. Ich habe vorher gar nicht nachgedacht über den Sinnbezug zur Bibel, und wie traditionell es sich auf die Ehe bezieht. Während dies den Gedanken verstärkt, dass dieses Video von einer verbotenen Liebe handelt – eine die nicht durch die Ehe geweiht ist – ist für mich nicht erkennbar, warum es verboten ist. Es könnte sein, weil er bereits verheiratet ist, aber es könnte auch aufgrund der Rasse sein. Für mich unterstützt das beide Interpretationen.
Joie: Wirklich? Also, ich widerspreche. Ich glaube, das Wort „cleave“ („festhalten, verhaftet sein“ = biblische Interpretation, ansonsten „spalten“) sagt alles. Er ist definitiv verheiratet, und die Frau, auf die er scharf ist, ist definitiv nicht seine Ehefrau. Andernfalls hätte Michael meiner Meinung nach nicht ein so ungewöhnliches Wort benutzt. Er hat versucht, eine Botschaft zu vermitteln und eine Geschichte zu erzählen und er wählte speziell dieses Wort aus, um uns das ganz klar darzulegen. Der gesamte Rest der ersten Strophe erweckt ebenso Assoziationen an die Bibel „oder in den Brennofen stecken / Du kannst es nicht nass machen / Du kannst es nicht verbrennen“, also ich glaube, er versuchte wirklich, ein ganz bestimmtes Bild zu zeichnen mit diesen Eröffnungszeilen.
Willa: Das ist so interessant, Joie – es beschwört Bilder von der Hölle und Verdammung herauf, was ich vorher niemals bei diesen Lyrics assoziiert habe. Und das deutet tatsächlich eine dritte Interpretationsmöglichkeit und einen dritten Grund an, warum diese Beziehung tabu ist: weil er diese Frau als Versuchung ansieht. Vor allem ist sie ganz deutlich ein sexuelles Wesen und scheint sich mit Sex und Begierde sehr gut auszukennen.
Es gibt da eine Jahrhunderte alte Ansicht, dass ehrbare Frauen kein sexuelles Verlangen spüren (sollen), und besonders im 19. Jahrhundert führte dies dazu, dass viele Männer – und auch Frauen – Frauen in zwei unterschiedliche Kategorien eingeteilt haben: Ehrbare Frauen (die nicht sexuell waren) und sexuelle Frauen (die nicht ehrbar waren). Edith Wharton schrieb in The Age of Innocence (Das Zeitalter der Unschuld), als sie 1880 die Ansichten der jungen Männer der Oberklasse beschrieb, dass es eine kulturell anerkannte Kluft gibt „zwischen den Frauen, die man liebt und respektiert und jenen, die man genießt – und bemitleidet“. Sie schreibt weiter „In dieser Hinsicht werden sie unermüdlich angestiftet von ihren Müttern, Tanten und anderen älteren weiblichen Verwandten.“
Während diese strengen und unterdrückenden Verhaltensweisen spürbar weniger geworden sind, sind sie durchaus nicht ganz verschwunden – und Naomi Campbells Rolle in dem Video ist offen sexuell und geht sehr ungezwungen mit ihrer Sexualität um. Der männliche Darsteller spürt ihr gegenüber offensichtlich eine starke Anziehung, aber ist das die Art Frau, die du mit nach Hause bringst zum Schmorbraten essen bei den Eltern? Und ich denke weiter nach über diese weiblichen spanischen Tänzerinnen in ihren traditionellen Kleidern. Sie würden bei seiner Hochzeit tanzen, wenn er die richtige Art Frau heiratet, aber werden sie bei seiner Hochzeit tanzen, wenn er sie heiratet – eine sehr sinnliche Frau?
Wenn man sich In The Closet auf diese Art ansieht, ist vielleicht „die Wahrheit der Lust, von Frau zu Mann“, dass Frauen sexuelles Verlangen spüren und dafür nicht verurteilt werden sollten. Wir bestehen nicht darauf, dass ehrbare Männer ihre Sexualität verleugnen und wie ein Mönch leben, also warum verlangt man das von Frauen?
Joie: Das ist ein interessanter Punkt. Und als ich dasaß und dieses Video immer wieder ansah, kam mir noch eine vierte Interpretationsmöglichkeit in den Sinn und es knüpft an das an, was du über das sexuelle Verhalten um 1880 gesagt hast. Du hast völlig Recht darin, dass diese Ansichten noch nicht komplett verschwunden sind. Und es könnte sein, dass dieser Song – und das Video – ganz einfach von der Freude am Sex selbst handelt. Vielleicht ist er nicht verheiratet, und die verbotene Natur des Songs liegt darin, dass der Sex selbst das Tabu darstellt. Von uns allen wird erwartet, dass wir „anständige“ Wesen sind, und Sex außerhalb der Ehe ist undenkbar und falsch. Vielleicht fühlt es sich für deshalb so aufregend und verboten an. In dem Refrain des Songs singt er voller Freude:
Da ist etwas an dir, Baby Das mich dazu bringt, es dir geben zu wollen, Ich schwöre, da ist etwas an dir, Baby Das mich wollen lässt …
Er weiß, dass er nicht auf diese Art fühlen sollte; das wird von ihm nicht erwartet. Die Gesellschaft – und die Bibel – sagen ihm, dass es falsch ist. Aber er kann nicht anders. Er ist ein Mensch, und er hat menschliche Sehnsüchte. Und so ist es auch bei ihr. Aber in seiner Ausgelassenheit geht er trotzdem sicher und erinnert sie:
Aber versprich mir, was immer wir sagen Oder was immer wir miteinander tun Fürs Erste geloben wir uns, dass wir es einfach Geheim halten
Es muss ein Geheimnis bleiben, denn was sie tun, ist so falsch oder zumindest völlig unangemessen.
Willa: Das ist faszinierend, Joie, und es ergibt sehr viel Sinn. Michael Jackson war sich der komplizierten Natur von Sex sehr bewusst. Er kann ein zärtlicher Ausdruck von Liebe und Intimität sein, wie wir es in Songs wie Break of Dawn gesehen haben. Aber er kann als Manipulation, aus Ehrgeiz oder aus Rache eingesetzt werden wie wir es in Songs wie Billy Jean sehen, oder er kann lediglich das stumpfsinnige körperliche Verlangen befriedigen wie in Superfly Sister. Und seine Songs geben manchmal einen allegorischen, sinnbildlichen Eindruck, also denke ich, dass eine allegorische Interpretation wie diese sehr angemessen ist und mit seiner künstlerischen Vision einhergeht.
Ich erinnere mich daran, als wir vor mehreren Monaten über My Baby sprachen und versucht haben, herauszufinden, was den Protagonisten sich so von den bösen Mädchen angezogen fühlen lässt, die ihn und My Baby wiederholt verletzt haben. Es passiert immer wieder in Songs wie Heartbreak Hotel und Dirty Diana und Dangerous. Du hast angedeutet, es könnte sein, dass die Frauen Ruhm bedeuten – darum wurde er so von ihnen angezogen und konnte nicht einfach weggehen und sie verlassen – und, für mich eröffnete das eine völlig neue Art, die Songs zu betrachten. Ich denke jedes Mal daran, wenn ich sie höre. Und ich denke, es könnte hier ein ähnliches sinnbildliches Element geben.
Joie: Da stimme ich zu. Und viele seiner Songs fühlen sich gelegentlich allegorisch an. Aber weißt du, ich bin einfach völlig geplättet davon, dass wir auf so viele verschiedene Arten der Interpretation sowohl für die Lyrics als auch bei dem Short Film dieses Songs gekommen sind. Bevor wir angefangen haben, darüber zu sprechen, habe ich nie realisiert, dass es so viele Schichten dabei gibt! Es ist tatsächlich sehr tiefgehend und komplex, und ich ertappe mich selbst immer wieder dabei, wie ich mich frage, ob er das Konzept für den Short Film schon hatte, während er die Lyrics schrieb oder ob sich das später entwickelte, denn beides scheint so miteinander verbunden. Sehr faszinierend.
Willa: Das ist eine gute Frage. Das möchte ich auch gerne wissen. In Moonwalk sagt er:
Die drei Videos, die aus dem Thriller Album entstanden – Billy Jean Beat It und Thriller – waren alle Teil meines Original-Konzeptes für das Album. Ich war entschlossen, diese Musik so visuell wie möglich zu präsentieren.
Es klingt also so, als würden einige der visuellen Elemente von Anfang an in sein Gehirn sickern. Aber ich glaube, er ließ die Dinge sich auch entwickeln während der Besprechung der Szenen und während der Produktion wie er weiter erzählt:
Ich hatte das Gefühl, Beat It sollte wörtlich interpretiert werden, auf die Art wie es geschrieben war, eine Gang gegen die anderen auf den harten Straßen. Es musste rau sein. Das ist es, wovon Beat It handelt.
Als ich zurückging nach L.A., sah ich Bob Giraldis Demoband und da wusste ich, dass er der Regisseur ist, den ich für Beat It wollte. Ich liebte die Art, wie er in seinen Arbeiten eine Geschichte erzählte, also sprach ich mit ihm über Beat It. Wir gingen die Dinge durch, meine Ideen, seine Ideen, und so ist es entstanden. Wir spielten mit dem Handlungsablauf und formten ihn, und so entstand es.
Also wie bei seiner Arbeit im Studio, wenn er Songs produzierte, schien er eine Vision davon zu haben, was er vermitteln wollte („Ich hatte das Gefühl, Beat It sollte wörtlich interpretiert werden, auf die Art wie es geschrieben war“), aber dann war er fähig, das Beste aus den mit ihm arbeitenden Leuten herauszuholen und die Dinge sich während des ganzen Prozesses entwickeln zu lassen, um auf ihre Gedanken und Urteile genauso zurückzugreifen.
Und du hast völlig Recht, Joie. In The Closet ist auf so vielen verschiedenen Ebenen so interessant – künstlerisch, kulturell, psychologisch. Was immer der Grund ist, Michael Jacksons Darstellung zeigt in diesem Video einen Charakter mit tief sitzenden Konflikten. Er spürt ganz offensichtlich enormes Verlangen nach dieser Frau, und er möchte das Richtige tun und sie heiraten, aber er kann nicht – entweder weil er schon verheiratet ist oder weil er nicht ganz den Mut finden kann, dem kulturellen Tabu die Stirn zu bieten oder weil sie die gefährliche Verkörperung von Sex an sich repräsentiert.
Die Choreographie und Kameraführung betonen diesen inneren Konflikt. Wie du vorher schon erwähnt hast, Joie, sehen wir Aufnahmen von ihm, wie er mit dem Rücken an der Wand tanzt, buchstäblich, und wir sehen zahlreiche Aufnahmen in Türöffnungen von ihm – nicht drinnen und nicht draußen, wie du sagtest. Vielleicht sind die wundervollen Silhouetten die eindrucksvollsten Sequenzen, bei denen er im Türrahmen tanzt. Dies führt wieder auf Gedanken an die Ehe zurück, denn traditionell trägt der Bräutigam die Braut über die Türschwelle, wenn sie ihr gemeinsames Leben beginnen. Aber er kann das aus irgendeinem Grund nicht, also tanzt er stattdessen im Türrahmen – unfähig eine offizielle Ehe einzugehen, aber auch unfähig, einfach weg zu gehen.
Das Video endet damit, wie er die Tür schließt und sich selbst im Haus einschließt und uns auf sichtbare Weise erzählt, dass er fürs Erste entschlossen ist, diese Beziehung geheim zu halten.
Joie: Aber Willa und ich würden sehr gerne wissen, was über darüber denkt. Wenn ihr eine Interpretation für In The Closet habt, die von den vier genannten abweicht, lasst es uns wissen; wir möchten sie gerne hören!
Lilly
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Thema: Re: Dancing With The Elephant (Deutsche Übersetzung) Mi 14 Nov 2012 - 16:18
Sie dachten, sie hätten wirklich die Kontrolle über mich – Teil 1 18/01/2012
Joie: Vor zwei Wochen haben wir das neue Jahr damit begonnen, Michaels unheimlichen Sexappeal zu untersuchen, und die Diskussion wurde manchmal etwas heiß. Oder ich sollte vielleicht sagen, Willa und ich waren manchmal etwas überhitzt, aber mal ehrlich, wer kann es uns verdenken? Ich meine, komm schon. Wir sprachen über einige ziemlich … künstlerische … Kurzfilme und wie wirklich … kunstvoll … Michael in diesen Filmen aussah. In der Tat war es eine sehr lehrreiche Diskussion über Michaels Hosen. Ich meine KUNST! Kunst … Würdigung, stimmt’s Willa?
Willa: Himmel Joie, du und diese Gold Pants! Es ist eine gute Sache, dass sie diese Hose nicht beim Fan Fest hatten, sonst wärst du immer noch da.
Joie: Doch, die Goldhose war wirklich beim Fan Fest, aber weißt du was? Sie wirkt einfach nicht so magisch, wenn er nicht drinsteckt.
Willa: Das glaube ich dir…
Joie: Okay egal, wir setzten die Unterhaltung fort mit einer Diskussion über In The Closet und all die unterschiedlichen Arten, in denen man den Song und den Kurzfilm interpretieren kann. Es schien wirklich alles irgendwie zu passen, seit wir in dem Sexsymbol Post so davon abgelenkt wurden. Aber in dieser Woche wollen wir wieder auf die Spur zurückkehren und auf die ursprüngliche Unterhaltung über Rasse und Sex zurückkommen und unser Ziel, Michael in den historischen Kontext zu platzieren und darüber reden, warum dies ein so bedeutendes kulturelles Phänomen war und warum es eine so starke Gegenreaktion auf ihn dazu gab. Aber um zu verstehen, warum der Gedanke an ein schwarzes Sexsymbol so radikal war, müssen wir zeitlich einen Schritt zurückgehen und uns die entsetzliche, beschämende Geschichte der Sklaverei und Sexualität in unserem Land ansehen.
Willa und ich wissen, dass dies wirklich sehr schmerzhaft ist, ein sehr hässlicher Bereich. Und während es nicht leicht ist, darüber zu lesen – oder eigentlich darüber zu schreiben – spüren wir doch ganz stark, dass diese Diskussion sinnlos und unvollständig wäre ohne diese kleine Geschichtsstunde. Es ist notwendig, um Michael Jacksons enorme Bedeutung zu verstehen, nicht nur als Künstler, sondern auch als kulturelle Figur.
Willa: Das ist sehr wahr, Joie, und wie du vor zwei Wochen gesagt hast, Geschichte wiederholt sich. Eine ganze Menge von dem, was 1993 passiert ist, war eine einfache Fortsetzung von rassisch-sexuellen Mustern, die sich sehr früh in der Geschichte unserer Nation etabliert haben, weit zurück liegend, als die Sklaverei um 1600 in Nordamerika eingeführt wurde. Also können wir ein besseres Verständnis dessen erlangen, was 1993 passierte, und warum die Polizei so handelte, wie sie es tat, und warum Michael Jackson auf die Art reagierte, wie er es tat, einfach indem wir zurückschauen und entdecken, wie diese ganze Episode sich in das große Muster einfügt.
Unsere Grundhaltung gegenüber Rasse, Geschlecht und Sexualität ist so verstrickt mit den Vereinigten Staaten, dass es fast unmöglich ist, sie zu entwirren. Ich denke, es gibt einen Grund dafür, dass Michael Jackson die Grenzen von Geschlecht und Sexualität genauso wie Rasse überschritten hat: Der Grund ist, dass sie so verflochten miteinander sind, dass du deine Einstellung auf der tiefenpsychologischen Ebene, auf der er wirkte, gegenüber einem der Parameter nicht ändern kannst, ohne alle drei anzusprechen.
Rassismus in den Vereinigten Staaten hieß über Jahrhunderte fortwährender Kampf zwischen weißer Herrschaft und schwarzem Widerstand, und diese Kämpfe konzentrierten sich auf reale schwarze menschliche Körper und wer diese Körper unter Kontrolle hat – speziell weibliche Körper. Es ist eine sehr reale Wahrnehmung, dass weibliche Körper das Schlachtfeld waren, auf denen dieser fortwährende Machtkampf zwischen den Rassen ausgefochten wurde.
Traditionell hatten weiße Männer Zugriff auf den Körper schwarzer Frauen. Vor dem Bürgerkrieg waren Weiße Sklavenbesitzer buchstäblich Besitzer der Schwarzen Frauenkörper, und viele dieser Männer beanspruchten für sich das Recht, mit ihnen zu tun, was sie wollten, wenn nötig durch Zwang oder Nötigung. Es gibt einen Grund dafür, dass die meisten schwarzen Amerikaner gemischtrassig sind und nicht „rein“ schwarz – nämlich deswegen, weil die meisten schwarzen Amerikaner mindestens einen weißen Vergewaltiger in ihrem Stammbaum haben, wie es Malcolm X ausgedrückt hat. Sogar Thomas Jefferson zeugte wahrscheinlich Kinder mit einer seiner weiblichen Sklaven, Sally Hemings.
Joie: Ich glaube, das „wahrscheinlich“ kannst du aus dem Satz streichen, Willa.
Willa: Ich denke, du hast „wahrscheinlich“ Recht, Joie. DNA-Nachweise haben gezeigt, dass er höchstwahrscheinlich der Vater von mindestens einem ihrer Kinder war, möglicherweise sogar von allen sechs. Also hatte offenbar sogar der Verfasser der Unabhängigkeitserklärung – der Mann, der die Worte schrieb „Wir halten diese Wahrheit für selbstverständlich, dass alle Menschen gleich sind.“ – das Gefühl, er hätte das Recht auf den Körper einer schwarzen Frau, und während dies generell nicht ausgesprochen wurde, so wurde es doch stillschweigend akzeptiert.
Und nach der Tradition waren schwarzen Männern die Körper weißer Frauen verboten, sowohl vom Gesetz als auch von den gesellschaftlichen Gebräuchen her, wie wir schon vor zwei Wochen kurz erwähnten. Weiße Frauen, die gemeinsam mit schwarzen Männern gesehen wurden, galten als Verräter ihrer Rasse und wurden verachtet. Schwarze Männer in Gesellschaft von weißen Frauen oder wenn sie in manchen Fällen eine weiße Frau nur ansahen wurden als jemand gesehen, der einen Bereich verletzte, auf den er kein Recht hatte, und viele dieser Männer wurden gefoltert oder getötet. Die ganz klare Botschaft war, dass der Körper einer weißen Frau für einen schwarzen Mann tabu war – sogar dann, wenn er ihre Zustimmung hatte und sogar dann, wenn es ihre Idee war.
Also wurden Frauenkörper die symbolische Landschaft, auf der die Rassenunterdrückung geschrieben stand mit gleichzeitiger Dominanz weißer Männer über die Körper schwarzer Frauen, während sie das Verbot gegenüber schwarzen Männern bei Übergriff auf Körper weißer Frauen mit Gewalt einforderten.
Diese rassisch-sexuelle Dynamik existierte über 300 Jahre, und bis zu einem gewissen Grad besteht sie sogar heute noch. Aber in den 1980er Jahren passierte etwas Einschneidendes: Michael Jackson wurde ein Teenidol – unser erstes schwarzes Teenidol - und ein gänzlich neues Phänomen in der Geschichte unserer Nation. Weiße Mädchen fielen während seiner Konzerte in Ohnmacht, hängten sich Poster von ihm in ihr Schlafzimmer und drückten offen aus, wie sexy er war, und das war wirklich revolutionär.
Joie: Willa … ich stimme dir in allem, was du sagst, zu. Aber ich werde mal für eine Minute den Advokat des Teufels spielen und darauf hinweisen, dass Michaels Position als erstes schwarzes Teenidol eventuell nicht ganz so revolutionär gewesen ist, wie du denkst. Oder vielleicht sollte ich besser sagen, ich versuche zu erklären, wie sein Aufstieg in diese Position sogar möglich war, und es wirft vielleicht etwas Licht darauf, wo unsere Kultur zu dem Zeitpunkt gestanden hat. Ich habe einfach das Gefühl, dass es wichtig ist, herauszustellen, dass Michael nicht der Erste war. Es gab jemanden, der vor ihm den Weg markiert hat und vielleicht sogar den Weg für ihn bereitet hat. Wie du sagst, in den 1980ern passierte etwas Einschneidendes. Aber nur ein paar wenige Jahre früher, 1977, war etwas noch Einschneidenderes passiert: Sein Name war Teddy Pendergrass.
Teddy Pendergrass war ein afroamerikanischer, gefühlvoller R&B Künstler, der als Leadsänger der Gruppe Harold Melvin and the Bluenotes in den frühen 70ern erfolgreich wurde. Aber 1977 wurde er Solokünstler, und seine Karriere stieg sprunghaft an. Er wurde der erste schwarze männliche Sänger, der fünf aufeinander folgende Platinalben aufnahm, und sein Erfolg war in nicht zu geringem Maß auf seine gefühlvollen Hits wie Close the Door, Turn off the Lights und Come Go With Me zurückzuführen. All dieses lieferte er mit einer gesunden Dosis Sexappeal. Seine Lyrics waren nicht derb, wie es oft heute im R&B üblich ist, aber wenn sie verbunden waren mit seiner sexy Baritonstimme, wurden sie zu etwas Gefühlvollem und Romantischem, das die Grenze zur Erotik überschritt. Kombiniere das mit der Tatsache, dass er sehr schön anzusehen war – groß, dunkel und attraktiv – und du hast „ein gänzlich neues Phänomen in der Geschichte unserer Nation“, wie du vorher schon gesagt hast. Die Frauen LIEBTEN ihn. Alle Frauen. Schwarz, Weiß – es spielte keine Rolle. Frauen drängten sich in seinen ausverkauften Konzerten und sie gerieten ins Schwärmen und fielen in Ohnmacht, als er summend auf der Bühne stand.
Und er spielte es definitiv hoch. Tatsächlich waren seine Live Shows berühmt für ihre unverhohlene Sexyness und er trug diese engen kleinen Outfits auf der Bühne (Vorläufer der Gold Pants) und er rief den Männern im Publikum sogar zu, dass er „ihre Frauen für später vorbereiten würde“. Die Sache wurde so heiß, dass sie seine Shows mit „For Ladies Only“ plakatierten, etwas, was einige der heutigen männlichen Stars des Musikgeschäftes zu kopieren versuchen, und am Ende jeder Show war es berüchtigt, dass die Bühne buchstäblich übersät war mit Damenslips – viele von ihnen mit Telefonnummern versehen. Und wir reden von einem Meer von Frauen - Weiße, Schwarze und jede Farbe dazwischen.
Ende 1978 war Teddy Pendergrass das größte Sexsymbol; viele der Medien fingen an, ihn den „Schwarzen Elvis“ zu nennen, und früh im Jahr 1982 – demselben Jahr, in dem Michael Jackson explodierte – hatte Teddy Bear, wie die Ladies ihn zu nennen pflegten, bereits die sexuelle Vorstellungskraft vieler Weißer Frauen in Brand gesetzt. Vielleicht genau die weißen Frauen, deren Teenagertöchter später für Michael Jackson schwärmten und in fieberhafter Bewunderung in Ohnmacht fielen. Also, so wie junge weiße Mädchen in den frühen 80er Jahren verrückt nach Michael Jackson waren, waren viele ihrer Mütter in den 1970er Jahren verrückt nach Teddy Pendergrass. Eigentlich, wenn er 1982 nicht diesen tragischen und lebensverändernden Autounfall gehabt hätte, der ihn von der Hüfte abwärts im Alter von 31 Jahren gelähmt zurückgelassen hat, wäre Teddy Pendergrass möglicherweise ein heißer musikalischer Rivale für Michael in Hinblick darauf gewesen, die Herzen und die sexuelle Vorstellungskraft der Frauen zu vereinnahmen. Also, bereits in den späten 70ern wurden jene tief sitzenden Tabus und die rassisch-sexuelle Machtstruktur herausgefordert von TP, bevor Michael diese Rolle übernahm.
Willa: Joie, das ist so interessant. Ich wusste, dass Teddy Pendergrass ein großer Name und ein wundervoller Sänger war. (Wenn du ein College Basketball Fan bist, er singt die klassische Version von One Shining Moment, dem Erkennungssong der NCAA Championships.) Und ich weiß, dass es einige attraktive Schwarze Entertainer mit Crossover Appeal vor Michael Jackson gab – Künstler wie Sidney Poitier, Harry Belafonte und Al Green – aber sie waren sehr subtil. Definitiv hatten sie Sex Appeal, aber es war nur unterschwellig, nicht offenkundig. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, wie Sidney Poitier sein Shirt aufreißt. Ich habe nicht bemerkt, dass das Phänomen Teddy Pendergrass diese ganzen anderen Elemente hatte. Das ist ziemlich verblüffend.
Joie: Weißt du, ich habe es ja zu der Zeit auch nicht realisiert. Ich war ein Teenager und habe bemerkt, wie meine Mutter meine Tanten verrückt nach ihm waren, aber erst nachdem Teddy Pendergrass gestorben war und ich eine dieser „Hinter den Kulissen“ Sendungen über seine Karriere gesehen hatte, habe ich seinen Einfluss richtig verstanden. Und natürlich, wie immer wenn ich über irgendeinen Musiker oder eine Gruppe nachdenke, kann ich nicht anders, als darüber nachzudenken, in welchem Verhältnis es zu Michael und seiner Karriere steht. Also wurden jene Grenzen rassisch-kultureller Tabus bereits mutig von links und rechts durch Teddy Pendergrass überschritten. Aber dann prallte er gegen die Wand – fast buchstäblich – und seine Karriere nahm einen anderen Verlauf. Aber in genau demselben Jahr, in dem er gezwungen wurde, mit dem Grenzen überschreiten aufzuhören, erscheint plötzlich Michael Jackson auf der Bildfläche und übernimmt die Sache, obwohl er es auf eine ganz andere Art anpackte. Aber ich denke, es ist wirklich bezeichnend und absolut nicht zufällig.
Willa: Das ist interessant, Joie, und du hast absolut Recht – es zeigt, dass das kulturelle Verhalten sich verschoben hatte und dass die Zeit reif war für jemanden wie Michael Jackson. Und wow, er hat die Gelegenheit ergriffen. Er war der größte Star von allen – der größte Star, den es jemals gegeben hat, jeder Rasse – und er wurde auf dem gesamten Planeten als einer der sexiesten lebenden Männer erkannt.
Aber dann tat er etwas, von dem ich glaube, dass es sogar noch revolutionärer war. Nachdem er bewiesen hatte, dass er für Millionen Frauen aller Rassen enorm attraktiv war – und er hat es definitiv bewiesen – weigerte er sich, dieses Recht auszunutzen. Er hielt seine Sexualität sehr privat, und er weigerte sich, Sex als etwas zu benutzen, um männliche Macht und Leistungsfähigkeit zu beweisen. Wie früher bereits erwähnt, war Macht über die Rassen (und männliche Macht besonders) traditionell mit dem Körper der Frauen verbunden. In der Geschichte unserer Nation im Besonderen, hatten weiße Männer Zugang zu schwarzen Frauenkörpern, und schwarze Männer hatten keinen Zugang zu weißen Frauenkörpern. Wenn Michael Jackson den Ruf entwickelt hätte, mit weißen Supermodels oder weißen Groupies zu schlafen und Songs gesungen hätte, die dies noch unterstützten – mit anderen Worten, wenn er sich stereotyp wie ein weißer Rockstar verhalten hätte – würde er ernsthaft die traditionelle Machtstruktur herausgefordert und die Art und Weise, wie die Figuren auf dem Schachbrett angeordnet sind, verschoben haben.
Aber er tat mehr als das. Er bewegte die Teile nicht einfach weiter; er lehnte das Schachbrett als Ganzes ab. Er überschritt Geschlechtergrenzen ebenso wie Rassengrenzen und weigerte sich, männliche Macht auf Frauenkörper zu schreiben.
Michael Jackson war sehr anziehend für Frauen, aber er identifizierte sich auch mit Frauen und hatte starke Freundschaften mit Frauen, und einige seiner populärsten Werke haben sowohl eine feminine als auch eine maskuline Sensibilität. Er war ganz offensichtlich ein Mann, aber er wies die femininen Teile seiner Persönlichkeit nicht von sich, und das sehen wir in seinen Werken. Dirty Diana ist ein Song über ein Groupie und einen Rock Star, und er hätte es wirklich ausschlachten können, aber das hat er nicht. Tatsächlich ist es sogar eher aus ihrer Perspektive als aus seiner geschrieben mit der wechselnden Sichtweise zwischen ihr und ihm. Und The Way You Make Me Feel ist eines der femininsten Videos, das ich persönlich jemals gesehen habe: es kritisiert ganz direkt die Art, wie Männer Frauen benutzen, um sich selbst gegenüber anderen Männern zu beweisen.
Joie: Das ist ein wirklich guter Punkt, Willa, ich stimme dir zu. Sogar In The Closet, über das wir letzte Woche gesprochen haben, ist aus beiden Perspektiven, seiner und ihrer, geschrieben. Er singt immer wieder davon, wie angezogen er sich von ihr fühlt und fragt sich, was es ist, das ihn so anzieht, aber sie ist diejenige, die all die Weisheiten über Sex und Beziehungen vom Stapel lässt.
Willa: Daran habe ich noch gar nicht gedacht, Joie, aber du hast Recht – es ist strukturiert wie eine Unterhaltung zwischen den beiden, und es beginnt mit ihrer Stimme, nicht seiner.
Also übertrat Michael Jackson nicht nur die Rassengrenzen und forderte die weißen Autoritäten heraus. Er überschritt auch Geschlechterbegrenzungen und forderte die patriarchalischen Autoritäten heraus. Es ist schwer für mich auszudrücken, wie einschneidend und bedeutend das ist. Es war wahrlich grenzüberschreitend und ebenso gefährlich. Er übertrat einige unserer tiefgreifendsten Tabus und widersprach Jahrhunderten rassisch-patriarchalisch-sexueller Unterdrückung. Es war sehr gefährlich – er erhielt Todesdrohungen – und er ging mehr als eine Dekade mit diesem Minenfeld sehr sorgfältig um.
Joie: Das ist wahr, Willa; es war eine gefährliche Position, in der er sich befand. Und nächste Woche, in der zweiten Hälfte dieser zweiteiligen Serie werden wir uns in ein ziemlich trübes Gewässer wagen, um einen Blick darauf zu werfen, warum dies so gefährlich war. Wir untersuchen die Vorkommnisse von 1993 und stellen dies in den historischen Zusammenhang, um zu verstehen, warum es so bezeichnend war.
Lilly
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Thema: Re: Dancing With The Elephant (Deutsche Übersetzung) Mi 14 Nov 2012 - 16:53
Sie dachten, sie hätten wirklich die Kontrolle über mich – Teil 2 25/01/2012
Willa: Also, ich will offen und ehrlich sein und sagen, dass Joie und ich schrecklichen Bammel vor dem Post dieser Woche hatten – die Große Depression, wie Joie es genannt hat. Er behandelt ziemlich ausführlich einige sehr schmerzvolle Vorgänge in der Geschichte unserer Nation, einschließlich jener Vorgänge von Rassenunterdrückung und sexuellem Missbrauch. Aber wir hatten das Gefühl, dass es notwendig ist, diesen Zusammenhang herzustellen, um zu verstehen, was 1993 passierte und auch alles, was danach daraus folgte.
Joie: Und Willa macht keine Scherze, wenn sie sagt, dass uns dies in eine Große Depression gebracht hat. Dies war die schwierigste Diskussion, die wir je geführt haben, und es brachte einige wirklich negative Gefühle bei uns beiden an die Oberfläche. Eine Zeit lang wussten wir nicht, ob wir das durchstehen würden; wir hatten sogar Angst, dass wir die Gefühle des anderen verletzen würden.
Willa: Auch möchten wir niemanden, der dies liest, verletzten oder verärgern, und wir sind besonders besorgt um neue Leser, die uns noch nicht so gut kennen. Wir haben eine ganze Menge neue Leser und Zustimmung durch den Sexappeal Post in den letzten Wochen erhalten, welcher so viel Spaß gemacht hat, ein richtiger Wohlfühl-Post zum Schreiben. Joie und ich hatten einen Wahnsinnsspaß damit, und wir haben vor, bald mit einigen Spaß bringenden Themen zurückzukommen. Tatsächlich befassen wir uns in der nächsten Woche mit einem Rückblick auf Off The Wall.
Aber wir glauben beide ganz stark, dass man manchmal einfach aufstehen und die Wahrheit sagen muss, auch wenn es unerfreulich und verstörend ist. Wir glauben, dass die Weigerung der Öffentlichkeit, sich mit diesen unerfreulichen Dingen zu befassen, Bezirksstaatsanwalt Tom Sneddon erlaubte, die Macht seines Amtes so lange Zeit zu missbrauchen. Während es also sehr schmerzhaft war, dies zu schreiben, und während wir versuchten, so sensibel wie möglich damit umzugehen, fühlten wir uns gezwungen, ganz ehrlich auf spezielle Aspekte des Rassismus und Missbrauchs in der schrecklichen Geschichte unserer Nation einzugehen.
Joie: Also setzen wir in dieser Woche unsere Unterhaltung über Michael Jackson als Sexsymbol fort und erörtern, warum dies sowohl wesentlich als auch gefährlich für sein Leben war. Wir haben diese Diskussion in der letzten Woche mit der Zeitperiode von 1970 bis 1982 beendet, als Michaels Karriere mit der Veröffentlichung von Thriller förmlich explodierte. – und wie die kulturelle Haltung zu jener Zeit im Wandel begriffen war. Die Dinge verschoben sich ein wenig, und die Zeit war gekommen für jemanden mit Michaels breitgefächertem Crossover Appeal, und er zögerte nicht eine Sekunde. Er drehte auf, nutzte den Moment und wurde der größte Star, den die Welt je gesehen hat.
Willa: Dann, im Jahr 1993, klagte ihn ein weißer Mann, Evan Chandler, wegen eines sexuellen Verbrechens an. Es ist bedeutsam, dass Chandler in einem geheim aufgezeichneten Telefongespräch zugab, Leute bezahlt zu haben, „einen Plan auszuführen, der nicht mein eigener ist“. Er sagte:
„Da sind andere Leute in gewissen Positionen involviert, die auf meinen Telefonanruf warten. Ich habe sie dafür bezahlt, das zu tun. Alles geht gemäß einem Plan, der nicht nur mein eigener ist.“
Er sagte auch: „Es wurde mit mir geprobt, was ich sagen soll und was nicht“, und er sagt weiter, dass „es ein Massaker geben wird, wenn ich nicht das bekomme, was ich will“, und das waren 20 Millionen Dollar. Dies ist ganz eindeutig ein Erpressungsversuch.
Um zu verstehen, was als nächstes passierte, müssen wir in unserer nationalen Geschichte zurückgehen und uns einige wahrhaft grauenhafte Szenen ansehen. Und wir wissen, dass es schwierig zu lesen ist. Es war unglaublich schwer, es zu schreiben. Aber wir haben beide das Gefühl, dass wir ohne diesen Hintergrund nicht wirklich verstehen können, was 1993 passiert ist.
Wie wir schon zuvor erwähnt haben, gibt es eine kulturelle Erzählung, die besagt, dass schwarze Männer eine Bedrohung für weiße Frauen seien, und diese Erzählung wurde als Vorwand benutzt, schwarze Männer zu unterdrücken, zu erniedrigen und zu missbrauchen, um sie gefügig zu machen. Schwarze Männer, die sich nicht entsprechend untergeben verhielten, konnten gequält und getötet werden. Es ist bedeutend, dass die Qualen, die diese Männer aushalten mussten, sich meistens auf die Körperteile bezogen, die wir als sexuell ansehen, und ihre verstümmelten Körper wurden danach oft öffentlich zur Schau gestellt als Warnung für andere schwarze Männer.
Also wurden schwarze Männer nicht nur körperlich misshandelt; sie wurden sexuell misshandelt und auf eine sehr öffentliche Art vorgeführt. Und diese Art der sexuellen Erniedrigung war nicht beschränkt auf nur ein paar Einzelfälle. Es wurde systematisch gemacht, und es war ein fester Bestandteil der Rassenunterdrückung in den Vereinigten Staaten.
In städtischen Gegenden, wie in New Orleans, gab es Prügelhäuser (Häuser, in denen Menschen ausgepeitscht wurden), und wenn du ein Sklave warst, dann konntest du durch die Laune deines Besitzers dort hingeschickt werden, für so etwas Triviales wie einen „herausfordernden Blick“. Der Sinn solcher Orte war, deinen Geist zu brechen und dich mit Gewalt zu der Vorstellung zu zwingen, dass du ein Sklave bist. Beide, Männer und Frauen, wurden zu solchen Plätzen geschickt, und sie peitschten dich nicht durch die Kleidung hindurch aus. Wenn du eine Frau warst und dorthin geschickt wurdest, hattest du mit nackter Brust vor einem brutalen Mann zu stehen, der seinen Lebensunterhalt damit verdiente, Menschen zu verletzen. Er würde deine Hände über deinem Kopf zusammengebunden haben, um dich aufrecht zu halten während du ausgepeitscht würdest, aber er könnte dich auch auf Arten bestrafen, die weniger physisch schmerzhaft, sondern wahrscheinlich eher psychisch verletzend waren. Er konnte dich (sexuell) belästigen. Er konnte dir deine Kleidung wegnehmen. Er konnte dich zwingen, für Stunden so da stehen zu bleiben. Er konnte dich erniedrigen und demütigen, so viel er wollte. Und dies war ein öffentlicher Ort mit Galerien für Zuschauer, also waren da wahrscheinlich eine Menge rauer, höhnisch johlender Männer, die sich an solchen Plätzen versammelten, nur um zu beobachten, wie andere Menschen verletzt und gedemütigt werden.
In Onkel Toms Hütte deutet Harriet Beecher Stowe an, dass die Intensität der Demütigung, die Frauen (und Männer) an diesen Orten erfuhren, auf ihre Art eine genauso grausame Bestrafung waren wie der physische Schmerz, den sie durch die Peitschenhiebe aushalten mussten. Ein wunderbarer Teenager, Rosa, wird dabei erwischt, wie sie ein Kleid anprobiert, das ihrer Herrin Maria gehört. Als Bestrafung befiehlt Maria, dass Rosa zum Prügelhaus geführt werden soll, um 15 Peitschenhiebe zu erhalten, „leicht“ angewandt. Eine ältere Frau versucht, in Rosas Sinn zu intervenieren und sagt „Aber könntest du sie nicht auf andere Weise bestrafen – auf eine Art, die weniger beschämend für sie wäre?“ Maria antwortet:
„Ich habe die Absicht, sie zu beschämen; das ist genau das, was ich will. Sie hat sich ihr Leben lang auf ihre Zartheit verlassen, auf ihr gutes Aussehen, auf ihr damenhaftes Getue, bis sie vergessen hat, wer sie ist - und ich gebe ihr die eine Lektion, die sie wieder auf den Boden zurückholt, denke ich!“
Die intensive Beschämung, die Rosa an diesem Ort erfahren wird, ist nicht zufällig: wie Maria sagt „Ich habe die Absicht, sie zu beschämen; das ist genau das, was ich will.“ Diese extreme öffentliche Erniedrigung geschieht absichtlich und ihr Zweck ist, sie „runter zu machen“ – ihre Gedanken genauso zu abzubrennen wie ihren Körper und sie gefügig zu machen – indem sie gezwungen wird, den Gedanken, dass sie machtlos ist – und eine Sklavin - zu akzeptieren und zu verinnerlichen.
Joie: Du weißt ja, Willa, ich habe Onkel Toms Hütte nicht mehr gelesen seit der High School, aber ich kann sagen, nur der kleine Ausschnitt, den du erwähnt hast, erinnert mich daran, wie unwohl – und wütend und empört und entsetzt und schockiert und verletzt – ich mich damals gefühlt habe. Es ist kein angenehmes oder leichtes Buch für eine schwarze Person.
Willa: Oh Gott, Joie. Einige dieser Szenen sind einfach schrecklich zu lesen. Ich war über 40, und es war immer noch wirklich schwer für mich zu ertragen. Und ich kann mir gut vorstellen, dass es, wenn du es als schwarzes Teenager Mädchen liest eines völlig andere Erfahrung ist, als wenn du es als weiße Frau mittleren Alters liest. Die meisten der schlimmsten Dinge passieren hinter den Kulissen – zum Beispiel, als eine weinende Rosa zum Prügelhaus geschickt wird, und wir sehen sie dann nicht wieder – aber trotzdem, es ist wirklich schmerzhaft und unbehaglich. Sehr viele weiße Leute mögen das Buch auch nicht lesen, einfach weil es so schmerzhaft ist, und natürlich auch, weil es außerdem sehr viele Gefühle kollektiver Schuld aufwühlen kann.
Ich erinnere mich, als ich als weißes Mädchen aus den Südstaaten etwas über die Sklaverei erfuhr, fühlte ich mich, als hätte ich herausgefunden, dass meine Mutter eine Mörderin war. Ich konnte es kaum begreifen. Und es war noch gar nicht so lange her. Meine Großmutter liebte ihren Großvater und erzählte mir gerne Geschichten über ihn und wie gütig er war. Wenn ich jetzt zurückschaue, realisiere ich, dass er zwölf Jahre alt war, als der Bürgerkrieg begann. Er war sechzehn, als durch die Verabschiedung des 13. Verfassungszusatzes die Sklaverei abgeschafft wurde. Wir neigen dazu, zu denken, dass dies lang vergangene Geschichte ist, aber es war wirklich nicht vor langer Zeit. Der Großvater meiner Großmutter lebte zu jener Zeit, und wir gehen mit einer ganzen Menge dieser Grundhaltungen noch heute um.
Joie: Nein, das ist nicht lange her. Der Urgroßvater meiner Mutter ist verschwunden durch die Sklaverei. Er wurde verkauft an einen anderen Sklavenhalter, und man hörte nie wieder etwas von ihm. Das war vor nur vier Generationen.
Willa: Oh Gott, Joie, das ist furchtbar.
Joie: Und sogar obwohl das Buch erfunden ist, basiert es auf sehr realen Erfahrungen mit der Sklaverei in unserem Land. Und es ist weitgehend verantwortlich dafür, die meisten der rassenbezogenen Stereotypen über Schwarze, die wir heute kennen, erschaffen und im kollektiven amerikanischen Gedächtnis verwurzelt zu haben.
Willa: Du hast Recht, es ist Fiktion, aber es bezieht sich auf die Erfahrungen realer Menschen. Stowes Ehemann besuchte ein Prügelhaus in New Orleans und schrieb über das, was er gesehen hatte, einschließlich einem nackten Teenager Mädchen – ein Mädchen wie Rosa – und Szenen von unaussprechlicher Grausamkeit. Also kommen eine Menge der Ideen für Stowes Roman von realen Lebenserfahrungen.
Aber viele der rassenbezogenen Stereotypen, die du erwähnt hast – besonders das Rollenklischee des Onkel Tom – kommt nicht von Stowes Roman, wenigstens nicht direkt. Ihr Roman war unglaublich populär – der bekannteste Roman des 19. Jahrhunderts – und die Vaudeville-Nummern, die auf ihrem Roman basierten, wurden ebenfalls sehr populär. Jene Nummern zeigten oft weiße Schauspieler mit geschwärzten Gesichtern, die die Rolle von glücklichen Sklaven spielten, einschließlich eines glücklichen Onkel Tom, und daher kommen diese Klischees, aber darauf darf man ihren Roman nicht reduzieren. Stowes Tom ist kein Onkel Tom. In Wirklichkeit wird er gequält und getötet von seinem Besitzer, weil er sich weigert, andere Sklaven zu peitschen oder ihm zu verraten, wo sich zwei geflohene Sklaven verstecken. Onkel Toms Hütte aufgrund dieser Vaudeville-Klischees zu beurteilen ist so, als würde man Michael Jackson basierend auf Weird Al Yankowic beurteilen.
Joie: Da widerspreche ich dir völlig. Während es stimmen mag, dass Stowe wahrscheinlich für die Figur des Tom die Rolle des ‚edlen Helden’ beabsichtigt hat, wurde das Klischee von ihm als unterwürfigem alten Narr, der sich wie ein guter kleiner Sklave beugt und alles dafür tut, dass sein Weißer Herr glücklich ist, durch die vielen Bühnenproduktionen, auf die Stowe keinen Einfluss hatte, weiterentwickelt, und so ist ihr Roman doch voll verantwortlich für viele andere rassenbezogene Stereotypen. Der faule, sorgenfreie „Happy Darky“ („fröhliche Dunkle“). Die tragische Figur der attraktiven hellhäutigen Mulattin, die von all den Weißen Männern als Sexobjekt benutzt wird. Die mollige, mütterliche, dunkelhäutige „Mammy“ mit dem um den Kopf gewickelten Tuch wie bei Aunt Jemima (Aunt Jemima ist eine Handelsmarke für Pfannkuchenteig und andere Lebensmittel, die zur Quaker Oats Company of Chicago gehört. Auf den Verpackungen sind schwarze Frauen abgebildet). Sogar die „Negerbaby“ Stereotype von schwarzen Kindern – „wollene Köpfe und funkelnde Augen“. Es ist unglaublich anzüglich, und es kam direkt von den Beschreibungen und Illustrationen in diesem Buch. Und wie du schon herausgestellt hast, war es zur damaligen Zeit der einzig populäre Roman des 19. Jahrhunderts.
Ich will seine Bedeutung als unschätzbare Stellungnahme gegen die Sklaverei nicht schmälern. Ich möchte nur seine Beteiligung an der Erschaffung und Beibehaltung all dieser rassenbezogenen Stereotypen, mit denen wir noch heute kämpfen, betonen.
Willa: Weißt du, ich möchte Onkel Toms Hütte nicht besser machen, als es ist. Es wurde an einem ganz anderen Ort, zu einer ganz anderen Zeit und mit einer ganz anderen geistigen Haltung geschrieben, und ich gebe zu, ich bin während des Lesens ein wenig zusammengezuckt. Aber ich denke, Stowe entlarvt eine Menge dieser Stereotypen als falsch, indem sie uns mitnimmt in die Gedankenwelt dieser Charaktere und aus ihnen reale, menschliche und komplexe Menschen macht. Die Figur der Mammy, Chloe, ist eine kluge, sachliche Frau, die einige ziemliche subversive Dinge sagt, und wenn es nach Cassie gegangen wäre, dann hätte sie einen Pfahl durch das Herz des Mannes gestoßen, der sie gezwungen hatte, seine Geliebte zu sein. Sie bleibt eine eigenständige Persönlichkeit und wird nie zu dem, wie er sie haben will. Sie ist kein Sexkätzchen. Und Cassie ist eine Schlüsselfigur. Einer der Gründe, die ich so wichtig bei Stowe finde und warum ich mich so sehr auf sie beziehe ist der, dass sie durch Figuren wie Rosa und Cassie die Verbindungen zwischen Sklaverei und Sexualität aufzeigt – besonders, wie kompliziert Macht in Sachen Rasse, Geschlecht und Sexualität miteinander verflochten sind.
Joie: Okay. Zuerst mal habe ich niemals die Charaktere der Mulattinnen als Sexkätzchen bezeichnet, ich sagte, sie seien Sexobjekte (das ist ein großer Unterschied) und ein Rassenklischee. Zweitens, und am Wichtigsten, wir werden über dieses Buch niemals übereinstimmen oder uns in der Mitte treffen, also sollten wir vielleicht einfach weitermachen.
Willa: Okay, ich hätte nicht so heftig darauf eingehen sollen. Ich entschuldige mich.
Der Gedanke, den ich versuche klarzumachen ist, dass Rassismus und Sklaverei falsche Ideologien sind – künstliche menschliche Konstrukte – die mit der menschlichen Gedankenwelt zutiefst unvereinbar sind. Alles in uns rebelliert bei dem Gedanken, ein Sklave zu sein, und es braucht brutale Maßnahmen, uns bis zu dem Punkt zu brechen, an dem wir es akzeptieren. Und im amerikanischen Süden wurden brutale Maßnahmen angewandt.
Und hier ist der entscheidend wichtige Punkt, der Grund, warum es so wichtig ist, auf diese grauenhafte Geschichte zurückzublicken: Jene falschen Ideologien wurden „real gemacht“, indem sie auf reale menschliche Körper „geschrieben“ wurden. Jene Ideologien wurden buchstäblich in die Narben der Peitschenhiebe oder Ketten und der Brandeisen geschrieben, aber sie wurden auch auf weniger offensichtliche Weise geschrieben durch sexuellen Missbrauch oder sogar durch das öffentliche Starren der weißen Männer, die dachten, sie hätten das Recht, die Körper schwarzer Männer und Frauen zu dominieren und sich weigerten, deren Menschlichkeit anzuerkennen. Und diese andere Art des „Schreibens“ auf den Körper verletzt wahrscheinlich mehr die Psyche als das physische Leiden, denn es konzentriert sich auf die Bereiche des Körpers, die wir als sexuell ansehen. Diese Bereiche sind intimer (vertraulicher) und deswegen enger mit dem inneren Sein und dem Selbstempfinden verbunden, also verletzt es mehr auf psychischer Ebene, wenn diese Bereiche missbraucht werden.
Dies ist Teil des schrecklichen Erbes des rassen-/ sexualbezogenen Missbrauchs unserer Nation, und dies ist der Hintergrund für das, was Michael Jackson 1993 widerfuhr. In jenem geheim aufzeichneten Telefongespräch sagt Evan Chandler:
„Der Anwalt, den ich gefunden habe – ich suchte den fiesesten Mistkerl, den ich finden konnte. Alles was er will, ist dies so schnell er kann in die Öffentlichkeit zu bringen, so groß wie möglich und so viele Menschen wie möglich zu demütigen. Er ist gemein, er ist gerissen, und er ist hungrig nach öffentlicher Aufmerksamkeit.“
Mit anderen Worten, Chandler wollte Michael Jackson beherrschen – er wollte ihn gefügig machen und ihn zwingen, sich seinen Wünschen zu beugen – indem er ihm drohte, ihn auf eine sexuelle Art öffentlich zu „demütigen“ dadurch, dass er ihn wegen eines sexuellen Verbrechens anklagte. Dies ist ganz einfach eine Fortsetzung dessen, was Maria der Rosa in Onkel Toms Hütte antun wollte. Als Maria sagt „Es ist meine Absicht, sie zu beschämen; das ist genau das, was ich will.“ Und bei Michael Jacksons letztem Treffen mit Chandler, als er sich weigert, ihm das Geld zu zahlen, das dieser verlangt, zeigt Chandler mit dem Finger auf ihn und sagt „Du wirst untergehen, Michael. Du wirst am Boden liegen.“ Noch mal, dies ist einfach eine moderne Variante dessen, was Maria über Rosa gesagt hat mehr als ein Jahrhundert früher: „Ich werde ihr eine Lektion erteilen, die sie wieder auf den Boden herunterholt, glaube ich.“
Als Michael Jackson sich weigert, auf Chandlers Forderungen einzugehen, wurde die Polizei ins Spiel gebracht, geleitet durch einen Weißen Bezirksstaatsanwalt mit Namen Tom Sneddon. Sneddon akzeptierte blind Chandlers Beschuldigungen trotz all der Beweise dafür, dass es sich um einen Erpressungsversuch handelte, und er ergriff mit Chandler Partei gegen Michael Jackson. Sneddon nutzte dann seine Position als Bezirksstaatsanwalt, um einen Strip Search (Leibesvisitation) anzuordnen. Einige Tage vor Weihnachten 1993 wurde Michael Jackson gezwungen, nackt auf einer Plattform zu stehen, während die intimsten Körperteile – die Bereiche, die als sexuell angesehen werden – fotografiert und auf Video aufgenommen werden. Wäre der Zivilprozess vor Gericht gekommen, hätten diese Fotografien und Videobänder als Beweismittel in einem Gerichtssaal öffentlich gemacht werden können.
Die intensive Demütigung, die auszuhalten Michael Jackson während des Strip Search gezwungen war, und der er sich während eines Zivilprozesses hätte aussetzen müssen, stimmt völlig mit der grauenhaften Geschichte des rassenbezogenen / sexuellen Missbrauchs in unserer nationalen Geschichte überein. Und noch einmal, es ist bloß eine Fortsetzung der Demütigung, denen die Sklaven in den öffentlichen Prügelhäusern ausgesetzt waren, wenn die intimsten Bereiche ihres Körpers – Bereiche, die als sexuell bezeichnet werden – auf eine öffentliche Plattform gestellt werden.
Joie: Du hast absolut Recht, Willa. Und du weißt, es fällt mir immer sehr schwer, Berichte über den Strip Search zu lesen, und für eine ganze Weile habe ich gedacht, es wäre deswegen, weil es sich so wie der Bericht einer Vergewaltigung anfühlt. Und so ist es. Ich meine, wenn du dich in Michaels Lage versetzt, während du liest, was während des Strip Search passierte, fühlt es sich gerade so an, als wäre es eine Gruppenvergewaltigung durch jeden in dem Raum gewesen – die Fotografen, die Videografen, der Arzt des Staatsanwaltes, die Polizisten, die in dem Raum waren – durch jeden. Es ist einfach so unangenehm das zu lesen; es ist solch eine Entehrung.
Aber, bis wir mit der Arbeit an diesem Post begonnen hatten, habe ich niemals darüber nachgedacht, dass es vielleicht einen anderen Grund gibt, warum ich mich so unwohl fühle beim Lesen über den Vorfall ist, weil es mich so sehr daran erinnert, wie sich ein Sklave fühlen muss, der öffentlich beurteilt und misshandelt und erniedrigt wird, bevor er verkauft oder ausgepeitscht wird. Ich glaube, Aldebaran und ich sprachen in den Kommentaren vor einigen Wochen kurz darüber.
Weißt du, für viele schwarze Amerikaner ist es sehr schwierig, über Sklaverei auf eine tiefe und bedeutungsvolle Art zu lesen, etwas im Fernsehen anzusehen oder auch nur darüber zu sprechen, und sie fühlen sich sehr unwohl dabei. Und wie du weißt, Willa, fiel es mir wirklich schwer, meine Zustimmung zu dieser speziellen Diskussion zu geben. Ich fühlte mich wie gelähmt dadurch. Als du es das erste Mal erwähnt hast, dass wir darüber sprechen wollen, habe ich das Thema wochenlang gemieden. Und ich war dadurch sehr verwirrt für eine lange Zeit, bis ich mich wirklich hingesetzt und über die Gründe dafür nachgedacht habe. Warum fällt mir dieses Thema so schwer? Und schließlich war mir bewusst, dass es für mich aus mehreren Gründen so unerfreulich ist. Sklaverei ist abstoßend, und ich will darüber nicht reden. Und Vergewaltigung ist abstoßend, und ich WILL darüber nicht reden. Und zu versuchen, eine bedeutungsvolle Diskussion darüber zu führen, wie jemand, den du liebst und verehrst, gedemütigt und vergewaltigt wird, dazu gebracht wird, sich wie ein gewöhnlicher Sklave zu fühlen ist … unangenehm. Gelinde gesagt. Es ist widerwärtig, und ich will nicht darüber reden.
Willa: Weißt du, ich fühlte lange Zeit auf die gleiche Art. Ich habe immer eine tiefe Verbundenheit zu Michael Jackson gefühlt, seit ich neun Jahre alt war, und ich habe immer geglaubt, dass er unschuldig ist, aber ich wollte keine Details wissen. Es war zu hässlich, außerdem hatte ich das Gefühl, sein Privatleben soll privat bleiben. Ich habe niemals Biografien über ihn gelesen, als er noch lebte – tatsächlich habe ich nichts dergleichen gelesen, bis ich dabei war, M Poetica zu schreiben und bemerkte, dass seine späteren Werke zurückwiesen auf 1993. Dann hatte ich das Gefühl, dass ich mich informieren müsste über das, was passiert war, so dass ich verstehen konnte, auf was er sich bezog, so dass ich eine Vorstellung davon bekam.
Und es war schockierend. Ich wusste nichts über den Strip Search. Als ich eine Beschreibung darüber las, was an dem Tag passiert war, fühlte ich mich für Stunden körperlich krank, innerlich wie ausgehöhlt – ich kann es nicht mal beschreiben. Und ich wusste definitiv nichts von den Fotografien und Videoaufnahmen. Als ich alles darüber herausfand, dachte ich, natürlich hat er den Fall beilegen lassen. Natürlich. Ich hätte es auch getan.
Aber ich wusste nichts über sie oder über die Aufnahme, auf der Evan Chandler sagt „Alles passiert gemäß einem Plan, der nicht nur mein eigener ist“, und er sagt, er hat Leute bezahlt, die helfen den Plan auszuführen. Ich wusste nicht, dass Chandlers Sohn die Beschuldigungen bejaht hat, nachdem er narkotisiert worden war, und ich wusste nichts über die Details, wie Chandler seinen Sohn befragt hat – wie er log und ihm drohte und ihn manipulierte, bis dieser schließlich den Anschuldigungen zustimmte. Ich habe immer gehofft, dass irgendwann einmal Beweise auftauchen würden, die zeigen würden, dass er unschuldig sei. Ich hatte keine Ahnung, dass es diese Beweise schon gab, aber die Polizei und die Presse haben sie ignoriert.
Zurückblickend denke ich, es war Tom Sneddon möglich, die Macht seines Amtes zu missbrauchen – und Michael Jackson zu missbrauchen und zu schikanieren – weil eine Menge Leute wie ich sich weigerten, auf die Beweise zu sehen und darauf, was da gerade passierte. Du warst sehr viel besser daran als ich, Joie – du hast durch den Fan Club daran gearbeitet, die Menschen aufmerksam zu machen, aber wenn ich zurückschaue, habe ich das Gefühl, als wenn ich absichtlich bedauerlich ignorant war.
Joie: Naja, damals habe ich noch nicht für den MJFC gearbeitet. Es gab keinen MJFC 1993.
Willa: Ich spreche nicht nur über 1993.Ich spreche über die ganze Zeit ab 1993. Tom Sneddon jagte ihn jahrelang.
Joie: Ja, das ist sehr wahr; er verfolgte ihn mit aller Macht, und ich glaube wirklich, er war besessen von Michael. Aber ich war wirklich sehr im Thema bei allem, was passierte, auch bevor ich anfing, mit dem MJFC zu arbeiten. Ich hatte es mir zur Aufgabe gemacht, alles zu verfolgen, was passierte. Aber wie du, wollte ich von den Details nichts wissen. Ich glaube nicht, dass irgend jemand sich die Details näher ansehen wollte, weil es solch eine abstoßende Anschuldigung war. Und ich habe das Gefühl, ich sollte das Wort beibehalten – abstoßend – und ich entschuldige mich dafür, aber ich kann bei dieser Unterhaltung nicht davon wegkommen.
Aber um zu beweisen, von dem wir wissen, dass es wahr ist – dass Michael unschuldig war – und um andere über die Wahrheit aufzuklären (weil die Sensationsnachrichten es sicher nicht tun werden) müssen wir uns die Fakten ansehen; wir haben keine Wahl. Und die Fakten weisen ganz klar auf Erpressung. Und wie Sneddon und seine Gefolgsleute das ignorieren konnten und stattdessen eine Hexenjagd begannen, haut mich immer noch um. Und es besteht für mich kein Zweifel daran, dass Michael gewonnen hätte, wäre der Fall vor Gericht gekommen. Aber ich verstehe absolut, warum er nach dem Strip Search plötzlich den Fall stoppte, und ich kann ihm das nicht vorwerfen. Ich würde wahrscheinlich genau dasselbe getan haben. Sogar obwohl ihn das Beilegen des Falles schuldig aussehen ließ. Und es lässt mich an die Stelle in Frank Cascios Buch My Friend Michael denken, wo er darüber spricht, dass Michael das Thema bei einer Gelegenheit ansprach und sagt:
„Die ganze Welt denkt, ich bin ein Kinderbelästiger. Du weißt nicht, wie es sich anfühlt, fälschlich beschuldigt zu sein.“
Willa: Das denke ich auch, Joie. Ich würde den Fall beigelegt haben. Wenn dieser Zivilprozess vor Gericht gekommen wäre, stell dir vor, wie das gewesen wäre. Nicht nur, dass es unerträglich erniedrigend gewesen wäre, es hätte auch als Warnung für andere schwarze Männer gedient, was passieren kann, wenn sie nicht aufpassen. Mit anderen Worten, es wäre eine Fortsetzung der Botschaft, übertragen durch die Körper schwarzer Männer, die in der Vergangenheit als Warnung zum Gehorsam gelyncht wurden. Wie bei all den früher besprochenen Machtmissbräuchen, war der Zweck dieser intensiven sexuellen Demütigung, seinen Geist zu brechen – ihn unter Kontrolle zu haben, ihn zu unterdrücken und zu zwingen, die kulturelle Position zu akzeptieren, die für ihn vorgesehen ist – durch das „Schreiben“ der Ideologie auf seinen Körper, durch das Schreiben, wie machtlos er war, als es um die intimsten Bereiche seines Körpers ging.
Aber es funktionierte nicht. Er wurde nicht gebrochen, es unterwarf ihn nicht und es machte ihn nicht gefügig. Stattdessen wurde er trotzig – trotziger als jemals zuvor. Die Presse nannte ihn unbezwingbar, unverschämt. Es ist auffallend für mich, wie viele Artikel geschrieben wurden, die besagten, dass er jemanden brauchen würde, der ihn unter Kontrolle hat – seine Familie, seine Manager, irgend jemanden. Und hier geht es nicht um eine Person, die Waffen schwingt oder Menschen bedroht oder massiv fremdes Eigentum beschädigt. Er lässt die Leute sich einfach nur unwohl fühlen durch das, was er „exzentrische Seltsamkeiten“ nannte.
Aber seine „exzentrischen Seltsamkeiten“ waren kein Zufall – sie nahmen eine ganz spezielle Form an. Er antwortete auf die Versuche, die Ideologien des Rassismus und der Unterwürfigkeit auf seinen Körper zu schreiben durch vollständiges Auswechseln der Art und Weise, sein Gesicht und seinen Körper zu lesen und zu interpretieren. Er manipulierte die öffentliche Wahrnehmung von seinem Gesicht, bis es nicht mehr auf die herkömmliche Art gelesen werden konnte. War er schwarz, oder war er weiß? War er maskulin, oder war er feminin? War er hübsch und begehrenswert, ein Sexsymbol, oder war er zerstört durch plastische Operationen? War er heterosexuell? Homosexuell? Bisexuell? Asexuell? War er ein Pädophiler oder das Opfer? Unschuldig oder schuldig? Jeder, der ihn ansah, sah etwas anderes. Wir haben als Kultur komplett die Fähigkeit verloren, sein Gesicht und seinen Körper zu lesen und zu deuten, weil er die Kennzeichen, die wir zum Lesen benutzen, durcheinander gewürfelt hat.
Und das war kein Zufall. Wie er uns ziemlich deutlich durch seine Werke sagt, war es eine künstlerische Entscheidung. Besonders die Sinnestäuschung der Gesichtsoperationen war eine künstlerische Antwort auf die kulturellen Einschränkungen, die ihm aufgezwungen wurden, und es ist brillant. Tatsächlich, so sehr ich seine Musik liebe und seinen Tanz und seine Filme (und ich liebe sie wirklich) glaube ich, sein Gesicht und sein Körper – und die Illusionen, die er damit erzeugt hat – sind sein größtes Kunstwerk. Ich glaube, dass zukünftige Generationen auf Michael Jackson zurückblicken und ihn als eine umgestaltende Persönlichkeit sehen werden und als bedeutendsten Künstler unserer Zeit – nicht den größten Sänger oder Tänzer oder Filmemacher, sondern den größten Künstler, basta, einschließlich der Dichter und Maler und Bühnenautoren. Und ich glaube, sie werden sein Gesicht als sein Meisterwerk ansehen.
Allerdings, sein Gesicht ist nicht nur sein ambitioniertestes und wichtigstes Kunstwerk. Es ist auch eine völlig neue Art von Kunst – ein gänzlich neues Kunstgenre. Es gibt uns ein ungutes Gefühl, weil es solch eine neue Art von Kunst ist und wir noch nicht wissen, wie wir das deuten sollen. Aber sie hat das Potential, die Ideologien „umzuschreiben“, die auf unsere Körper geschrieben sind und die Art und Weise zu ändern, wie unser Selbst und unsere Welt einen Sinn ergibt. Und das ist wahrlich revolutionär.
Joie: Willa, es stimmt, dass jeder, der ihn ansah, etwas anderes gesehen hat. Aber ich tendiere dazu zu denken, dass das wir selbst waren, nicht er. Jeder sah etwas anderes, einfach weil die Leute das sehen, was sie sehen wollen. Du hast uns selbst während unserer Diskussion von Is It Scary gesagt, dass „wenn du jemanden mit Mitgefühl betrachtest, du ihn einfach anders siehst, als wenn du das nicht tust“. Und jene Leute, die ihn ansahen und glaubten, er sei ‚zerstört durch plastische Operationen’ oder schuldig wie die Sünde oder ein verrückter Irrer oder sonst was, wollten ihn einfach auf diese Art sehen.
Aber ich stimme dir zu, mit der Zeit wird die Welt realisieren, dass Michael Jackson tatsächlich der bedeutendste Künstler unserer Zeit war. Und dieses Statement hat nichts zu tun mit seiner Musik oder seiner Fähigkeit zu tanzen oder seinen Kurzfilmen. Stattdessen hat es vollständig mit der Tatsache zu tun, dass er – der berühmteste Mann des Planeten, der erfolgreichste Entertainer der Welt – die große Aufgabe hatte, der ganzen Welt zu beweisen, dass schwarze Menschen und weiße Menschen gleich sind. Und diese Verantwortung kam mit der Krankheit, für die er verhöhnt, gereizt und gequält wurde für den Rest seines Lebens. Aber er ging damit mit so großer Anmut und Würde und Demut und Tapferkeit um. Und er gab sein Bestes, dies zu nutzen, um uns auf seinem Weg einige sehr tiefsinnige Lektionen beizubringen. Und du hast Recht. Das ist sehr revolutionär.
Lilly
Anzahl der Beiträge : 87 Anmeldedatum : 07.11.12
Thema: Re: Dancing With The Elephant (Deutsche Übersetzung) Mi 14 Nov 2012 - 17:05
Schieb’ das „Neun bis Fünf“ noch etwas zur Seite 02/02/2012
Joie: Seit unserem Blog Post über Michaels Sexappeal, habe ich eine Menge über Off The Wall nachgedacht und was für ein wahrlich erstaunliches Album das ist. Ich glaube, ich habe schon während des Sexappeal Posts erwähnt, dass dieses Album etwas ganz Besonderes für mich ist, denn es wurde veröffentlicht, als die Pubertät mich gerade hart getroffen hatte, und es veränderte wirklich völlig die Art, wie ich über Michael Jackson dachte. Ich habe ihn immer geliebt, sogar als sehr kleines Kind. Aber dieses Album hat wirklich alles für mich verändert. Es war wie mein Moment des Erwachsenwerdens. Und obwohl ich das nicht im traditionellen Sinn meine, habe ich dir verraten, wie es sozusagen mein sexuelles Erwachen bewirkt hat. Aber ich meine das ebenso in anderer Hinsicht. Zum Beispiel, dass ich wirklich meine Liebe zur Musik entdeckte.
Musik war immer ein Teil meiner Kindheit. Ich erinnere mich, dass während ich aufwuchs, Musik ein fester, beruhigender Bestandteil in unserem Haushalt war – fast wie ein weiteres Familienmitglied. Das Radio oder die Stereoanlage war ständig an. Meine beiden Eltern waren riesige Musikliebhaber, alle meine Geschwister lieben Musik, und sie sind alle älter als ich, ich stand nie unter Kontrolle in Bezug auf das, was wir so hörten. Also im Endeffekt wuchs ich mit einem vielseitigen Mix von Stilen auf, die sich in meinem Kopf vermischten. Es schien, als ob wir alles hörten – Blues, Motown, Country, Rock, Funk, Disco, Old School Rap – sogar Gospel. Und bis zum heutigen Tag habe ich immer noch einen wirklich gewaltigen und abwechslungsreichen Musikgeschmack. Aber als Off The Wall herauskam, war es wie eine Offenbarung für mich. Sogar obwohl ich eine Million Jackson 5 Alben und jedes Jacksons Album besaß, war es, als Off The Wall herauskam, als ob ich endlich verstanden hatte, wie unentbehrlich Musik für mein Wohlergehen ist, und dass Michael Jackson im Besonderen so etwas wie Heilwasser für mich war; er war wie meine Rettungsleine für meine seelische Ausgeglichenheit.
Ich bin sicher, das hört sich jetzt alles nicht so an, wie ich es beabsichtige, und wahrscheinlich klingt es verrückt, aber es war ein sehr bedeutender Moment in meinem Leben, und Off The Wall hat alles damit zu tun. Aber interessanterweise, viele Jahre später, nachdem ich mehr emotionale Reife erlangt hatte und mich wirklich geerdet mit meiner Liebe und meinem Wissen für Musik fühlte, erfasste ich wirklich, was dieses Album zu bieten hat, und ich begann es wegen seiner eigenen Verdienste und nicht wegen meiner sentimentalen Kindheitserinnerungen zu schätzen. Und was ich entdeckte, ist, dass dieses Album wahrlich wundervoll ist von Anfang bis Ende.
Willa: Joie, das klingt überhaupt nicht verrückt. Es hilft mir wirklich dabei, deine Gefühle beim Hören dieses Albums zu verstehen, und ich denke, du bearbeitest da etwas wirklich Wichtiges von Grund auf, das oft übersehen wird, nämlich die emotionale Power von Michael Jacksons Werken.
Es ist interessant – ich habe mich diesem Album aus der entgegengesetzten Richtung wie du angenähert, bin aber an einer ähnlichen Stelle gelandet. Als du vorgeschlagen hast, über Off The Wall zuschreiben, bin ich zurückgegangen und habe das Album als Ganzes gehört, was ich, um ehrlich zu sein, eine ganze Zeit lang nicht getan habe. Normalerweise höre ich die Songs gemischt (mit Shuffle), wenn ich also den Songs von Off The Wall zuhöre, höre ich sie nicht als ganzes Album.
Joie: Das ist wirklich lustig, denn ich mache das genauso.
Willa: Es ist interessant, wie die Technik die Art, wie wir Musik hören, verändert hat, oder? Für mich fühlte es sich richtig gut an, zurückzugehen und diese Songs als Album zu hören, in der Art, die er beabsichtigt hat, als er sie zusammenstellte. Aber während du zurückgingst und es dir angehört hast mit deinen Erinnerungen daran, was es für dich als Teenager bedeutet hat, war ich mir sehr bewusst, dass ich es als Frau mittleren Alters hörte. Und Joie, ich bin so im mittleren Alter, dass ich es kaum glauben kann. Irgendwie werde ich zu dieser klassischen Ich-kann-meine-Brille-nicht-finden, Kann-mich-nicht-erinnern-was-ich-unten-wollte, Weiß-nicht-welcher-Tag-heute-ist-Frau-mittleren-Alters. Ganz im Ernst, ich schockiere mich selbst jeden Tag. Ich habe meine Brille heute Morgen aufgesetzt, und entdeckte später, dass ich bereits meine Brille trage. Himmel!
Joie: Willa, manchmal bist du echt zum Schießen!
Willa: Naja egal, genug von meinem vernebelten alten Gehirn. Ich möchte einfach sagen, dass es ein Wahnsinnsspaß war, das Album diese Woche zu hören. Ich bin 50 Jahre alt, aber dieses Album lässt mich in die psychische Umgebung einer 20-jährigen eintauchen, und das hat mir so viel Spaß gemacht. Es ist zum einen solch ein ausgelassenes Album mit dieser unglaublichen Energie und der Zuversicht von 20-jährigen, aber es fängt auch dieses verwirrende Gefühl ein, dass alles, was du tust und jede Entscheidung, die du triffst so folgenschwer ist. Er packt wirklich einige große Themen an auf diesem Album – Arbeit und Spiel, Sex und Romantik, Nachdenken über die Zukunft und das Genießen des jetzigen Augenblicks – und das sind genau die Themen, die meistens den Geist eines 20-jährigen beschäftigen. Wo gehe ich hin? Welche Art von Person werde ich sein? Welche Zukunft möchte ich haben?
Mich lies das Hören dieses Albums völlig in die Erfahrung, 20 Jahre alt zu sein, eintauchen, welches eine Zeit der Entdeckungen und großer Energie und der großen Dramen ist. Die Dinge sind nun wesentlich ruhiger für mich und darüber bin ich froh, aber es macht Spaß, mental zurückzureisen und sich manchmal an diese Phase des Lebens zu erinnern.
Diesem Album als Ganzem zuzuhören lies mich bemerken, wie einheitlich es ist. Ein Hauptkritikpunkt, der gegen seine Alben vorgebracht wird, ist ja, dass sie zu sehr gemischt sind – einfach eine beliebige Mixtur von Songs ohne ein einheitliches Thema oder einen Stil, der sie zusammenhält. Und es stimmt, er mochte es, mit unterschiedlichen Musikgenres zu experimentieren, verschiedene Rhythmen und synkopierten Takten, unterschiedlichen Klängen, einschließlich erfundenen Klängen. Aber es gibt eine psychische und emotionale Einheit in seinen Alben, die sehr aufrüttelnd und unwiderstehlich für mich ist.
Joie: Das stimmt, Willa. Ich bin immer so verwundert bei der Kritik, dass Michaels Alben zu beliebig zusammengestellt sind, denn für mich muss man ganz einfach nur zuhören. Aber du darfst nicht nur mit deinen Ohren hören; du musst auch mit deinem Herzen hören. Und wenn du das tust, sind die verbindenden Themen, die die Kritiker in einem Album sehen wollen, genau da. Und sie sind nie vergraben; es ist nicht so, dass du sie suchen musst. Es ist alles da direkt unter der Oberfläche, wenn sie nur zuhören würden.
Willa: Ich liebe es, Joie, wenn du sagst „Du musst mit deinem Herzen hören“. Ich glaube wirklich, das ist wahr, auf verschiedenen Ebenen. Um Musik wirklich zu erfahren, musst du dich ihr emotional öffnen. Seine Musik kann dich wirklich an andere Orte mitnehmen, wenn du es zulässt, aber du musst wollen, dass sie dich mitnimmt. Und um die volle Kraft seiner Musik zu begreifen, denke ich, wir müssen versuchen zu verstehen, was sie emotional macht.
Du weißt ja, wir haben den ganzen Oktober zurückgeschaut auf das Invincible Album, welches veröffentlicht wurde, als die Öffentlichkeit sich gegen ihn gewandt hat und sich weigerte, zuzuhören, was er zu sagen hatte. Und die schmerzhaften Gefühle dieser Zeit seines Lebens erfüllen das ganze Album. Song für Song versucht der Erzähler die Hand auszustrecken und eine Beziehung mit einer Frau zu erlangen oder eine Beziehung zu reparieren, die zerbrochen oder in einer Krise ist, aber sie hört ihm nicht zu, gibt ihm keine Chance. Und so befindet er sich selbst als nicht fähig, sich zu artikulieren und Dinge richtig zu machen – „Ich kann einfach nicht die richtige Sache finden, die ich sagen kann“ wie er in Don’t Walk Away singt. Wir erleben, wie dasselbe Szenario sich wieder und wieder wiederholt auf diesem Album vom donnernden Heartbreaker und Invincible bis zum schmerzend schönen Don’t Walk Away und Whatever Happens. Und nicht nur, dass es eine Stimmung der Traurigkeit und Verlustes auf diesem Album entstehen lässt – von Fehlkommunikation und verschenkten Gelegenheiten und nichterfüllten Träumen – es erschafft auch eine Art Gedankenverschmelzung, bei der wir als Zuhörer eine Zeit lang in seine emotionale Umgebung eintauchen und tatsächlich sein Leiden bis zu einem gewissen Grad mitfühlen.
Ich sehe eine ähnliche Art von psychischer und emotionaler Einheit auf Off The Wall und fühle dasselbe, wie ich für eine Weile in sein emotionales Umfeld eintauche. Aber auf diesem Album ist er ein junger Mann bereit an der Grenze zum Erwachsenwerden, und er fängt perfekt die Mischung von Hochgefühl und Verwirrung ein, die wir in dieser Zeit fühlen.
Joie: Genau, und es gibt ebenso auch ein sicheres Level von Ausgelassenheit und Übermut auf diesem Album, welche weitere Wesenszüge der meisten über Zwanzigjährigen sind. Sie stehen an der Schwelle und ihr Leben liegt vor ihnen langgezogen, und die Möglichkeiten sind endlos! Der Himmel ist die Grenze, und das ist das Gefühl, das du bekommst, wenn du diesem Album zuhörst. Es ist jung und frisch und glücklich und unbelastet von den Anstrengungen des Lebens.
Er klingt, als hätte er die schönste Zeit bei der Aufnahme dieser Songs gehabt. Ich liebe die Art, wie er lacht fast am Ende von Get On the Floor.
Willa: Ich auch!
Joie: Es ist, als könne er seine Freude nicht zurückhalten, und das ist unvergleichlich! Dieses Album zaubert ein Lächeln in mein Gesicht von den Eröffnungstakten von Don’t Stop til You Get Enough bis zu den Schlussakkorden von Burn This Disco Out. Ich liebe die romantische Bildsprache von Girlfriend, ich liebe die sorgenfreie Botschaft von Off The Wall, ich liebe die sinnliche Melodie von Can’t Help It. Ich liebe sogar den spürbaren Herzschmerz von She’s Out of my Life.
Sogar Working Day And Night, welches von einem Mann handelt, der sich jeden einzelnen Tag den „Arsch aufreißt“, und versucht, sein Mädchen glücklich zu machen, macht so viel Spaß beim Zuhören. Du bekommst das Gefühl, dass obwohl er sich darüber beklagt, es ihm nicht wirklich allzu viele Sorgen bereitet.
Willa: Weißt du, ich bin froh, dass du das erwähnst, denn ich habe viel über Working Day And Night nachgedacht. Es ist einer der drei Songs, die er für dieses Album schrieb, und es ist sehr interessant, besonders diese Lyrics:
Du sagst, dass Arbeiten Das ist, was von einem Mann erwartet wird Und ich sage, das ist nicht richtig Wenn ich dir meine süße Liebe nicht geben kann Ich bin es müde daran zu denken Was von meinem Leben erwartet wird
Der Erzähler ist ein junger Mann, der „Tag und Nacht arbeitet“ nur, um seine Freundin zu erfreuen, aber dann ist er so beschäftigt, dass er keine Zeit mehr mit ihr verbringen kann. So ist er gefangen in dieser ironischen Situation, und er ist frustriert und beschwert sich darüber, wie du sagst.
Aber vielleicht ist das nicht der Fehler seiner Freundin, Vielleicht denkt er nur, dass es das ist, was sie will, weil ihm gesagt wurde, „dass Arbeiten das ist, was von einem Mann erwartet wird“.
Interessanterweise kehrt er zu derselben Situation 22 Jahre später wieder zurück in Whatever Happens, aber in diesem späteren Song sieht er die Situation genauso aus ihrer Sicht wie aus seiner, Und dieses Mal macht er deutlich, dass sich dieses Paar gegenseitig nicht wirklich gut versteht:
Er arbeitet Tag und Nacht, denkt, er macht sie glücklich Und vergisst all die Träume, die er hatte …
Sie versucht zu erklären „Du bist es, der mich glücklich macht“ Was immer, was immer, was immer ...
Also dies beschreibt tatsächlich eine ziemlich komplizierte Situation – eine, die besonders bedeutsam ist für einen Zwanzigjährigen, dessen Karriere vor ihm langgezogen liegt. Viele Leute werden davon gefangen: sie arbeiten unglaublich hart, so dass sie sich die schönen Dinge im Leben leisten können, aber dann haben sie nicht mehr die Zeit, das Leben und diese schönen Dinge zu genießen. Ich habe das Gefühl, dass er diese Szenen zwischen einem Mann und einer Frau als Metapher benutzt, um zu dramatisieren und die Dynamik zu verstehen und zu vermeiden, im Hamsterrad gefangen zu sein. Wie er in Working Day And Night singt „Du sagst, dass Arbeiten / Das ist, was von einem Mann erwartet wird / Und ich sage, das ist nicht richtig“.
Joie: Willa, ich mag die Art, wie du Working Day And Night mit Whatever Happens vergleichst. Es ist wirklich interessant. Und die lustige Sache ist, dass ich mich selbst dabei ertappte, wie ich Don’t Stop til You Get Enough genauso mit seinen späteren Werken verglichen habe. Ich liebe einfach diese Lyrics:
Herrlich ist das Gefühl jetzt Fieber, die Temperaturen steigen jetzt … Also komm näher (näher jetzt) zu meinem Körper jetzt Liebe mich einfach, bis du nicht weißt wie …
Berühre mich und ich stehe in Flammen Es gibt nichts, wie das Verlangen nach Liebe Ich schmelze (ich schmelze jetzt) wie heißer Kerzenwachs Gefühl (ah Gefühl) herrlich, wo wir sind
Willa: Joie, das ist gemein! Wirklich gemein.
Joie: Tut mir leid; ich möchte dich nicht quälen! Ich möchte nur etwas zeigen. Weißt du Don’t Stop ist ein weiterer der drei Songs, die er für dieses Album schrieb und für mich deuten diese Lyrics an, dass dieser Song, wieder einmal, nur von der Freude an Sex und sexuellem Verlangen handelt. Und wie wir vor einigen Wochen in unserer Diskussion über In The Closet festgestellt haben, ist das ein Thema, zu dem er einige Jahre später zurückkehrt. Und was mich am meisten an Don’t Stop verblüfft ist, dass Michael immer vorgeworfen wurde, irgendwie „soft“ im Vergleich zu den schlüpfrigen Persönlichkeiten und dem lyrischen Inhalt bei anderen populären Künstlern zu sein. Jedoch konnte er einen Song schreiben, der ganz klar nur von Sex handelt und es auf eine solch subtile Art rüberbringt, dass es sich romantisch und sinnlich und stilvoll anfühlt statt anrüchig und vulgär. Er macht immer noch seinen Standpunkt deutlich, aber er tut das auf eine respektvolle, sexy Art und Weise.
Willa: Ich sage, er macht seinen Standpunkt deutlich! „Ich schmelze wie heißer Kerzenwachs“ – wow, Ich bin vielleicht 50, aber diese Zeile lässt mich immer noch erröten – besonders wenn es mir jemand ganz unerwartet vorspielt. Und dann kommt er mit seiner tiefen Stimme – „Ich schmelze jetzt“ – und … oh my. Es erschafft definitiv eine Stimmung …
Joie: Willa, du errötest so leicht. Genau wie Michael. Und es ist faszinierend für mich, dass ein Mann, der so leidenschaftliche Lyrics geschrieben hat, gleichzeitig so scheu sein konnte. Diese Eigenschaft macht ihn nur noch sexier!
Aber im Ernst, ich persönlich denke, dass sein Talent für das Schreiben dieser sinnlichen Texte auf eine so subtile Art ein wirklicher Beleg für sein Können und seine Klugheit als Songwriter ist – was noch etwas Weiteres ist, für das er nie richtig gewürdigt wurde. Aber das ist eine Diskussion für ein anderes Mal.
Der Punkt ist, wenn ich dieses Album höre, bekomme ich das Gefühl, dass Off The Wall nicht nur mein Moment des Erwachsenwerdens war; es war ebenso Michaels Moment des Erwachsenwerdens. Auf viele Arten war dies sein großes Debüt für die Welt, sogar obwohl er bereits viele Jahre vor der Veröffentlichung dieses Albums aufgetreten ist. Die war sein großer Moment, um der Welt zu zeigen, dass er nicht mehr der kleine süße Junge mit den runden Wangen war; er war ganz erwachsen und völlig darauf vorbereitet, uns allen zu zeigen, was er konnte. Er entdeckte seine Fähigkeiten als Songwriter und baute seine Fähigkeiten als Tänzer aus und erreichte wirklich seine volle Leistungskraft. Und genau deswegen ist Off The Wall einer der größten Edelsteine in seinem enorm umfangreichen Werk.
Lilly
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Thema: Re: Dancing With The Elephant (Deutsche Übersetzung) Mi 14 Nov 2012 - 20:00
Die Macht, sie hat eine Menge Kraft (The Force, It’s Got a Lot of Power) 09/02/2012
Willa: In der letzten Woche haben Joie und ich viel Spaß mit unserer Rückschau auf Off The Wall gehabt. Also musste ich natürlich immer wieder Don’t Stop til You Get Enough anhören – rein zum Zweck der Untersuchung, wirklich! Es hatte aber auch gar nichts mit dieser erstaunlich tiefen Stimme zu tun, die in der Mitte der ersten und zweiten Strophe zu hören ist …
Joie: Yeah, was immer du dir auch selbst einreden willst, meine Freundin.
Willa: Okay, du weißt doch, ich versuche nur, uns professionell erscheinen zulassen – den Schein zu wahren und all das. Was nicht so einfach ist, wenn mein Kopf voll ist mit heißen Lyrics von einem der heißesten Songs aller Zeiten, wie du freundlicherweise letzte Woche zitiert hast: „Ich schmelze (ich schmelze jetzt) wie heißer Kerzenwachs.“ Yi yi yi.
Also jedenfalls hörte ich mir Don’t Stop aus professionellen Gründen immer wieder an, und ebenso hörte ich mir die Demoversion an, die er zuhause mit Randy und Janet aufgenommen hat. Und es ist wahrlich erstaunlich – du kannst hören, wie vollständig der Song bereits entwickelt war, bevor er ihn überhaupt zu Quincy Jones brachte. All die Hauptelemente sind schon da. Aber es gibt einen sehr bemerkenswerten Unterschied zwischen dem Original Demo und der schließlich aufgenommenen Version. Im Demo singt er dieses Couplet den ganzen Song hindurch:
Keep on with your heart, don’t stop Don’t’ stop til you get enough
Mach weiter mit deinem Herzen, hör nicht auf Hör nicht auf, bis du genug hast
Aber zu der Zeit, als die aufgenommene Version veröffentlicht wurde, nahm er eine kleine, aber bemerkenswerte Änderung vor:
Keep on with the force, don’t stop Don’t’ stop til you get enough
Mach weiter mit der Macht, hör nicht auf Hör nicht auf, bis du genug hast
Also, ich begann mich zu fragen – was meint er mit der „Macht“?
Joie: Willa, das ist eine interessante Beobachtung. Und weil ich ein wenig die Science Fiction Versessene bin, fühle ich mich veranlasst, etwas Offensichtliches aufzuzeigen und zu sagen, dass dieses Album im Sommer 1979 herauskam, und nur zwei Jahre vorher 1977 kam einer der größten Filme aller Zeiten in die Kinos – Star Wars!
Willa: Weißt du, ich habe gezögert, dieses Gedankensprung zu machen, aber ich habe in etwa dasselbe gedacht. Was hast du daraus gemacht?
Joie: Okay, Star Wars wurde sofort ein Klassiker. Die Leute waren so besessen von diesem Film, dass sogar die Technikcrew, die daran mitgewirkt hat, routinemäßig um Autogramme gebeten wurde. Ich kann mich noch daran erinnern, als ich den Film zum ersten Mal gesehen habe. Ich war etwa acht Jahre alt und ging mit meinem besten Freund Deron und seinem Vater ins Kino.
Willa: Du warst acht? Ich war in der High School. Ich hab’ ganz vergessen, wie jung du bist.
Joie: Aww, du sagst die süßesten Dinge! Obwohl, wenn ich ehrlich bin und zurückblicke, scheint es mir wirklich, als wäre ich schon älter gewesen, aber ich habe nachgerechnet und yeah … ich war erst acht – und wurde bald neun! Was Sinn macht, denn ich war elf, als Off The Wall herauskam.
Jedenfalls, als wir auf den Parkplatz des Kinos fuhren, war da buchstäblich eine Schlange von Menschen, die um das ganze Gebäude ging. Und sie waren alle da, um Star Wars zu sehen! Es war surreal. Das war das erste Mal überhaupt, dass ich so etwas gesehen habe.
Star Wars war ein wirklich kulturelles Phänomen. Er brach alle Kassenrekorde zu der Zeit und er blieb einer der erfolgreichsten Filme aller Zeiten. Ich meine, es war gewaltig! Also, nachdem der Film herausgekommen war, zitierten die Leute im ganzen Land – vielleicht sogar in der ganzen Welt – Sätze aus dem Film und sagten Dinge wie „Hilf mir, Obi-Wan Kenobi, du bist meine einzige Hoffnung.“ Und „Vor einer langen Zeit in einer Galaxie weit, weit entfernt“ und – oh, und dies ist ein ganz großer – „Möge Die Macht mit dir sein.“ Überall sprachen die Leute plötzlich über ‚Die Macht’. Und wenn du irgend jemanden über ‚Die Macht’ fragst – jeden – der gelebt hat, als der Original Star Wars Film herauskam, sie werden genau wissen, was du meinst.
Also … hier biege ich wieder ein aus meiner Abzweigung und möchte andeuten, dass ‚Die Macht’, die Michael in Don’t Stop erwähnt, vielleicht etwas mit der Macht, die George Lucas sich in der Star Wars Saga vorstellte, zu tun hat. In dem Film beschreibt der Jedi Master Ben ‚Obi-Wan’ Kenobi Die Macht auf diese Art:
„Gut, Die Macht ist das, was einem Jedi seine Kraft gibt. Es ist ein Energiefeld, das durch alle lebendigen Dinge entsteht. Es umgibt uns und durchdringt uns; es verbindet alles in der Galaxie.“
Hinter dem Gedanken, dass Die Macht ein durch alle lebendigen Dinge erzeugtes Energiefeld ist und uns alle als Eins verbindet, steht ein Konzept, von dem ich erkennen kann, das es Michael umfasst. Es ist eine Art Ausweitung der Botschaft, über die er bereits seit Jahren gesungen hat. Wenn du darüber nachdenkst, ist es dieselbe Botschaft wie in Can You Feel It, wo er betont, dass wir alle gleich sind; wir sind alle verbunden. „Ja, das Blut, das in mir ist, ist auch in dir.“
Willa: Joie, ich liebe es, in welche Richtung du dies bringst, und ich stimme dir zu, wenn du es dir auf diese Art betrachtest, gibt es so viele Verbindungen zu Michael Jackson. Er spricht natürlich nicht darüber, das Laserschwert zu nehmen und für das Imperium zu kämpfen. Aber wenn wir es „auf die abstrakte Art“ betrachten, wie du sagst, scheint es eine ganze Menge Parallelen zwischen George Lucas‘ Gedanken von der Macht als „einem durch die lebendigen Dinge erzeugten Energiefeld, das alles in der Galaxie verbindet“ und Michael Jacksons Gedanken über einen „ewigen Tanz der Schöpfung“ zu geben.
Tatsächlich ist dieser Gedanke eines „ewigen Tanzes“, der uns alle verbindet, mit allen lebendigen Dingen und mit dem Kosmos eines der zentralen Themen in Michael Jacksons Buch mit Gedichten und Essays von 1992 Dancing the Dream, und er schreibt in der Einleitung:
Bewusstsein drückt sich selbst durch Schöpfung aus. Diese Welt, in der wir leben, ist der Tanz des Schöpfers. Tänzer kommen und gehen in einem Augenblick, aber der Tanz lebt weiter. Sehr oft, wenn ich tanze, fühle ich mich von etwas Heiligem berührt. In jenen Momenten fühle ich meine Seele aufsteigen und wie sie eins wird mit allem, das existiert. Ich werde zu den Sternen und zum Mond. Ich werde der Liebende und der Geliebte. Ich werde der Sieger und der Besiegte. Ich werde der Meister und der Diener. Ich werde der Sänger und das Lied. Ich werde der Wissende und das Gewusste. Ich tanze weiter, und dann ist es der ewige Tanz der Schöpfung. Der Schöpfer und die Schöpfung verschmelzen zu einer Ganzheit der Freude.
Für mich ist dieser Gedanke, dass er „eins wird mit allem, das existiert“ sehr ähnlich zu Ben Kenobis Beschreibung der Macht als etwas, das „uns umgibt und durchdringt“, wie du oben zitiert hast. Und es ist sehr bedeutsam, glaube ich, dass er diesen Zustand durch den Tanz erreicht. Es ist „wenn ich tanze“, dass er „den ewigen Tanz der Schöpfung“ anschließt und das ist, wenn er sagt „Der Schöpfer und die Schöpfung verschmelzen zu einer Ganzheit der Freude.“
Joie: Das denke ich auch, Willa, es ist eines der zentralen Themen in Dancing the Dream, diese Vorstellung, dass wir alle verbunden sind. Und er erwähnt diesen ewigen „Tanz der Schöpfung“ einige Male in dem Buch. In Heaven is Here, einem der Gedichte aus diesem Buch, sagt er:
Komm, lass uns tanzen Den Tanz der Schöpfung Lass uns feiern Die Freude des Lebens
Dieser Gedanke, dass wir alle verbunden sind, war offensichtlich sehr bedeutend für ihn, so wie er immer wieder und wieder darüber schreibt. An späterer Stelle in diesem Gedicht sagt er weiter:
Du bist die Sonne Du bist der Mond Du bist die Wildblume mit ihrer Blütenpracht Du bist der Herzschlag Der pulsiert, tanzt Von einem Staubkorn Zum entferntesten Stern
Und du und ich Waren niemals getrennt Es ist eine Sinnestäuschung Konstruiert durch die magische Linse der Wahrnehmung
Also erzählt er uns, dass alles – alles Leben, alle lebendigen Wesen, die Pflanzen, sogar der Staub – alles miteinander verbunden ist.
Willa: Ich bin so glücklich, dass du dieses Gedicht zitiert hast, Joie, denn es ist eines meiner liebsten aus Dancing the Dream, und es beleuchtet wirklich die Verbindungen zwischen uns allen. Und wie wir in dem letzten von dir zitierten Vers sehen können, verbindet es dies mit der fehlerhaften Natur der Wahrnehmung, welches eine weitere zentrale Ansicht sowohl von Michael Jackson, als auch von George Lucas ist.
Es gibt da eine wundervolle Szene in Star Wars, in der Luke zuerst einmal lernen muss, Die Macht zu nutzen. Er probiert das Laserschwert, das Ben ihm gab, aus, aber er kommt damit überhaupt nicht zurecht, also versperrt Ben ihm die Sicht. Dann sagt Ben zu ihm:
„Ich schlage vor, du versuchst es noch einmal, Luke. Aber dieses Mal lass‘ dein bewusstes Selbst los und handle instinktiv.“
Luke protestiert. „Aber … ich kann es nicht mal sehen. Wie soll ich dann kämpfen?“
Ben antwortet: „Deine Augen können dich täuschen. Vertraue ihnen nicht. Dehne deine Gefühle aus.“
Wir sehen, dass dieser Gedanke, dass „deine Augen dich täuschen können“ wiederholt wird durch Michael Jacksons Werke und auch in Videos wie Who Is It bis zu den Passagen, die du aus Heaven is Here zitiert hast. In diesem Gedicht, dass die Ansicht, wir seien getrennt, falsch ist, eine Fehlwahrnehmung – oder wie er sagt „eine Sinnestäuschung / Konstruiert durch die magische Linse der / Wahrnehmung“. Wenn wir dem Ratschlag von Ben folgen, unser „bewusstes Selbst loszulassen“ und „unsere Gefühle ausdehnen“, realisieren wir, dass „du und ich / niemals getrennt waren / Es ist eine Sinnestäuschung“, wie uns Michael Jackson erzählt.
Joie: Wir sind alle eins miteinander und mit dem Universum. Und interessanterweise neigen wir dazu, von diesem Gedanken zu denken, er sei ein Glaubenssatz aus dem Buddhismus oder Hinduismus oder einer anderen östlichen Religion. Es klingt „New Age“-mäßig oder „metaphysisch“, aber es stecken sehr reale Prinzipien dahinter. Es ist eine vorherrschende Auffassung im Bereich der Geistheilung und genauso in der Welt der Wissenschaft, wie dieses Video von Symphony of Science klar macht:
Neil deGrasse Tyson sagt in dem Video:
Wir sind alle verbunden Mit jedem anderen, biologisch Mit der Erde, chemisch Mit dem Rest des Universums, atomar
Willa: Mein Sohn und ich lieben Neil de Grasse Tyson! Er ist Doktor der Astrophysik an der Universität von Columbia, aber er kombiniert diesen starken wissenschaftlichen Hintergrund mit einer poetischen Sensibilität, so kann er die Chemie des Kosmos sowohl klar wissenschaftlich, als auch auf wunderschön poetische Art erklären. Wie Tyson uns in seiner Serie Origins (Ursprünge) erzählt, bestehen unsere Körper aus chemischen Elementen wie Karbon, Sauerstoff und Eisen, und wie er erklärt, finden sich genau diese Elemente im feurigen Inneren der Sterne. Also buchstäblich „sind wir alle Sternenstaub“, wie Tyson uns sagt, mit „Karbon in unseren Körpern, Eisen in unserem Blut, Kalzium in unseren Knochen. Jedes einzelne Atom formte sich zu einem Stern.“
Dies hat wirklich eine Verbindung zu Michael Jacksons Gedanken, die du vorhin aus Heaven is Here zitiert hast, Joie:
Du bist der Herzschlag Der pulsiert, tanzt Von einem Staubkorn Zum entferntesten Stern
Und bedeutend ist, wie dieses Gedicht betont, dass dies für Michael Jackson ein dynamischer Prozess ist, der unsere Bewegung ebenso umfasst wie unsere Bestandteile. Also bestehen wir nicht wir nicht nur aus „Sternenstaub“, wie Neil deGrasse Tyson sagt, sondern wir sind Teil des „Schöpfungstanzes“, der unsere Taten mit dem Rhythmus des Universums verbindet.
Wir sehen dies ebenso in seinen Gedanken über das Songschreiben. Joe Vogel betont in Man in the Music, dass Michael Jackson glaubte, du musst „die Musik sich selbst erschaffen lassen“ Und als Joe im letzten Herbst mit uns sprach, verband er das damit, wie die Romantiker künstlerische Inspiration beschrieben:
„Eine gängige Metapher in der Romantischen Dichtung ist die Aeolische Harfe: Wenn der Wind bläst, kommt die Musik. Du kannst es nicht erzwingen. Du hast darauf zu warten … Michael glaubte stark an dieses Prinzip … Eine weitere Metapher, die er gerne benutzte, um seinen kreativen Prozess zu illustrieren, ist Michelangelos Philosophie, dass sich in jedem Stück Marmor oder Stein eine ‚schlafende Form‘ befindet. Sein Job als Künstler ist es dann, etwas wegzuhauen, zu formen, zu polieren bis er das Verborgene ‚befreit‘ hat. Also erfordert es eine Menge Arbeit. Du musst eine Vision davon haben, wie es aussehen soll, aber du musst währenddessen im Einklang mit dem Prozess sein und hart arbeiten, um es zu realisieren.“
Dies erinnert mich wieder an die Szene aus Star Wars, in der Luke lernt, Die Macht zu nutzen, indem er das Laserschwert mit verdeckten Augen ausprobiert. Ben sagt ihm:
„Erinnere dich, ein Jedi kann spüren, wie Die Macht durch ihn hindurchfließt.“ „Du meinst, es kontrolliert deine Handlungen?“ fragt Luke. „Zum Teil, aber es gehorcht auch deinem Kommando,“ sagt Ben.
Also spürte Michael Jackson, wie du die Kreativität ungehindert durch dich hindurchfließen lassen musst, genau wie Ben sagt, dass „ein Jedi spüren kann, wie Die Macht durch ihn hindurchfließt“. Aber dennoch ist ein Künstler nicht passiv im kreativen Prozess – absolut nicht. So wie Joe bereits sagte „Du musst eine Vision davon haben, wie es aussehen soll, aber du musst währenddessen im Einklang mit dem Prozess sein und hart arbeiten, um es zu realisieren.“ Oder wie Luke und Ben in ihrem Gespräch über Die Macht sagen, es „kontrolliert sowohl deine Handlungen“ genauso wie es „deinem Kommando gehorcht“.
Joie: Weißt du, Willa, was du gerade gesagt hast, lässt mich an all die Male denken, wenn wir Michael gehört haben, wie er über das Schreiben von Musik spricht. Wie viele Male haben wir ihn Dinge sagen hören wie diese „ich schreibe diesen Song nicht, lass‘ den Song sich selbst schreiben“ oder „Ich steige einfach hinein.“ Ich liebe diesen Aufsatz aus Dancing the Dream, der „Wie ich Musik mache“ (How I make Music) heißt, wo er sagt:
Die Leute fragen mich, wie ich Musik mache. Ich sage ihnen, ich steige einfach hinein. Es ist, als würde man in einen Fluss steigen und sich dem Fließen hingeben. Jeder Moment in dem Fluss hat seinen Song. Also bleibe ich in diesem Moment und höre zu … Wenn du dich dem Fließen hingibst, ist die Musik innen und außen, und beide sind dasselbe. So lange, wie ich dem Moment zuhören kann, werde ich immer Musik haben.
Dies ist der Anleitung des Jedi Meisters sehr ähnlich, „Die Macht zu spüren, wie sie durch ihn hindurchfließt“.
Willa: Das sehe ich auch so, und es ist solch ein wundervolles Bild von dem „Hineinsteigen“ in die Musik. Aber weißt du, je mehr wir darüber reden, desto mehr entdecke ich einige sehr reale Unterschiede zwischen George Lucas‘ Gedanken und denen von Michael Jackson. Zum einen ist die Jedi Erfahrung Die Macht vorrangig ein spirituelles Gefühl, aber bei Michael Jackson ist es sehr viel mehr als das. Es ist auch sehr körperlich. Er fühlt sich am meisten damit verbunden, wenn er tanzt – es ist wortwörtlich ein „Tanz der Schöpfung“ – und in Don’t Stop til You Get Enough deutet er an, dass es ebenso an sexuelle Energie gebunden ist.
Und das bringt uns zurück zu der Zeile, die du in der letzten Woche zitiert hast, Joie: „Ich schmelze (ich schmelze jetzt) wie heißer Kerzenwachs“. Wie du weißt, lässt mich diese Zeile seit dreißig Jahren heiß und unruhig werden, und ich habe wirklich eine Menge in den letzten Wochen darüber nachgedacht und versucht herauszufinden, warum.
Eine Sache, die mich beeindruckt ist, dass es sich radikal unterscheidet von dem, wie Jungs normalerweise über Sex reden. Frauen mögen schmelzen, aber Kerle nicht. Ich habe die Jungs eine ganze Menge verschiedene Metaphern benutzen hören, als sie über Sex sangen und egal, welchem Genre du zuhörst – ob Rock oder Hip Hop oder Blues oder sogar Folk Songs – da gibt es kein Schmelzen. Definitiv kein Schmelzen. Es scheint, als versuchten sie alle, Sir Lancelot zu sein.
Joie: Weißt du, mein Bruder ist ein ziemlicher Macho von einem Kerl – ich spreche von 6‘1“, 200 lbs. reinen Muskeln. Er stemmt Gewichte und macht eine Menge Workout, also er ist ziemlich imposant. Allerdings ist er auch sehr empfindsam, ähnlich wie Michael. Und er ist auch eine Jungfrau, astrologisch gesehen – auch wie Michael. Und wenn er verliebt ist, kann er sehr rührselig sein. Ich habe ihn über das Schmelzen reden hören, ob du es glaubst oder nicht. Also denke ich, vielleicht schmelzen Männer auch. Es ist nur so, dass die Mehrheit von ihnen die Tatsache nicht öffentlich machen will, weil es normalerweise nicht als männliche Sache gilt.
Willa: Ich bin froh, dass du das erwähnt hast, Joie, den ich weiß, dass es mitfühlende, sensitive, sanfte Männer in der Welt gibt. Ich weiß aus meinem eigenen Haushalt, dass das sehr wahr ist. Aber ich rede über etwas sehr Spezielles: Die Art, wie männliche Sexualität dargestellt wird – und falsch dargestellt wird – in der populären Musik. Weibliche Sexualität wird ebenso falsch dargestellt. Basierend auf der populären Musik könntest du denken, dass alle Frauen entweder komplett passiv bis zur Unsichtbarkeit sind oder dass sie das Kommando übernehmende erotische Frauen in Miniröcken sind. In der Mitte gibt es nichts, und ich weiß, dass das nicht stimmt. Und männliche Sexualität tendiert dazu, in Songs ziemlich starr, sogar aggressiv dargestellt zu werden.
Und dann inmitten all dieser harten, unbiegsamen Übermännlichkeit ist hier Michael Jackson und „schmilzt wie heißer Kerzenwachs“ und es ist so erotisch, dass ich jedes Mal nach Atem ringe, wenn ich es höre. Es ist solch eine andere Art, männliche Sexualität auszudrücken. Aber es fühlt sich auch so natürlich an. Die Stimmung von Don’t Stop ist spielerisch und fröhlich und ausgelassen, wie auch wundervoll sexy und entspannt – einfach ein natürlicher Ausdruck seiner Persönlichkeit.
Ich muss sagen, dieses Bild von ihm, wie er vor Leidenschaft dahin schmilzt, beschwört eine unglaublich plastische Vorstellung bei mir herauf. Es ist, als würde sein eigenständiges Selbst schmelzen und als vereinige er sich mit dem/der einen, den/die er liebt: physisch, emotional, spirituell, psychologisch. Das ist einfach so wunderschön für mich und es knüpft sehr stark an seine Gedanken über „den Tanz der Schöpfung“ an. Seine Sexualität ist nicht abgeteilt in etwas, was nur hinter verschlossenen Türen passiert. Sie ist ein wesentlicher Teil dessen, was er ist, und so manifestiert sich seine Sexualität auf natürliche Weise selbst durch seine Musik und seinen Tanz und alles, was er tut. Also denke ich, dass für ihn sein „Tanz der Schöpfung“ sowohl spirituell – mit einer philosophischen Ansicht und einer kraftvollen kreativen Macht – als auch sehr körperlich ist.
Joie: Wow. Ok, Willa, dieses ganze Gespräch darüber, wie erotisch die „Schmelz“-Zeile ist … ist wirklich … ablenkend. Hey, bin nur ich es oder waren wir beide oft … abgelenkt … in letzter Zeit?
Willa: Nein, ich glaube, du hast Recht. Vielleicht sind es Frühlingsgefühle.
Joie: Vielleicht sind es Michaelgefühle. Jedenfalls stimme ich dir zu, dass er in Don’t Stop andeutet, dass Die Macht verknüpft ist mit sexueller Energie, aber ich denke auch, dass er genauso mehr als das andeutet. Zweimal sagt er dieses in dem Song:
Also lass die Liebe (oh, lass die Liebe) Uns durch die Stunden tragen Ich werde mich nicht beschweren Denn dies ist die Liebesmacht
Diese ‚Liebesmacht‘, wie er es nennt, ist tatsächlich genau die Sache, die der Jedi Meister seinem Schüler beschreibt. Es ist diese Energie „die alles in der Galaxie verbindet“, „etwas Heiliges“, von dem sich Michael berührt fühlt, wenn er tanzt. Die ‚Liebesmacht‘ ist Die Macht! Also, während es ein sehr körperliches Phänomen für Michael ist, glaube ich, es ist in erster Linie sehr spirituell für ihn. Wie Michael selbst uns einmal über das Songschreiben erzählt hat:
„Es ist die spirituellste Sache der Welt. Wenn es kommt, kommt es mit der ganzen Begleitmusik – den Streichinstrumenten, dem Bass, den Drums, den Lyrics. Und du bist nur das Medium, durch welches es kommt, der Kanal. Manchmal fühle ich mich schuldig, dass ich meinen Namen auf die Songs setze, ‚geschrieben von MJ‘, denn es ist so, als hätte der Himmel es schon getan.“
Und er wiederholt diese spirituelle Komponente des Songschreibens in einem anderen Essay aus Dancing the Dream, einfach God genannt:
„Für mich ist die Form, die Gott annimmt keine wichtige Sache. Was am wichtigsten ist, ist der Kern. Meine Songs und Tänze sind Entwürfe für IHN, damit er hineinkommen und sie ausfüllen kann. Ich harre aus, SIE gibt die Süße dazu.“
Und in demselben Essay wiederholt er auch das zentrale Thema, dass alles verbunden ist, und der Schöpfer und die Schöpfung vereinen sich „zu einer Ganzheit der Freude“, wie er sagt.
„Aber für mich hat die süßeste Berührung mit Gott keine Form. Ich schließe meine Augen, sehe in mich hinein, und trete in eine tiefe, sanfte Stille. Die Unendlichkeit von Gottes Schöpfung umgibt mich. Wir sind eins.“
Wieder, wir sind eins. Wir sind alle verbunden. „Der Schöpfer und die Schöpfung vereinen sich zu einer Ganzheit der Freude“. Mit dieser Feststellung könnte er sich auf sich selbst als Schöpfer beziehen, und die Schöpfung ist der Song oder der Tanz oder die Performance, etc. Und ich bin sicher, dass er wahrscheinlich auf diese Art fühlte. Aber ich bekomme auch das Gefühl, dass er sich definitiv auf Gott als den Schöpfer bezieht, und die Schöpfung ist die Erde und der Himmel und die Menschheit – all jene lebendigen Dinge, die verbunden und durch Die Macht aneinander gebunden sind. „Diese Welt, in der wir leben, ist der Tanz des Schöpfers.“
Willa: Joie, das ist so schön, und es drückt wunderbar diesen Gedanken aus, den Michael Jackson so oft durch seine Musik und seinen Tanz mit uns teilte, durch seine Poesie und seine gesprochenen Worte, durch seine Taten und Vorstellungen, durch sein ganzes Sein. Wie du sagst „Wir sind eins. Wir sind alle verbunden.“ Wir sind alle Teil des Schöpfungstanzes. Was für eine einfache und doch so kraftvolle Botschaft.
Also etwas wirklich Angenehmes wird nächste Woche passieren: Joe Vogel und Charles Thomson schließen sich uns zu einer Diskussion am runden Tisch über Michael Jackson als Songwriter an. Joie und ich sehen dem erwartungsvoll entgegen, also seid sicher, nächste Woche vorbeizuschauen.
Zuletzt von Lilly am Fr 16 Nov 2012 - 10:21 bearbeitet; insgesamt 2-mal bearbeitet
Lilly
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Thema: Re: Dancing With The Elephant (Deutsche Übersetzung) Mi 14 Nov 2012 - 20:17
Was macht einen Songschreiber aus? 15/02/2012
Joie: Vor einigen Wochen stellte unser Freund Joe Vogel Willa und mir und auch dem Journalisten Charles Thomson eine interessante Frage. Charles ist natürlich der Autor des wunderbaren Artikels Eine der beschämendsten Episoden in der Geschichte des Journalismus, neben vielen anderen. Also entzündete Joes Frage eine sehr lebhafte Diskussion zwischen uns Vieren, und diese Unterhaltung könnt ihr jetzt lesen.
* * *
Joe: Denkt ihr, die Tatsache, dass MJ kein technisch ausgebildeter Musiker war und keine Noten lesen und schreiben konnte, setzt ihn als Songschreiber herab? Und wie würdet ihr Kritikern antworten, die diese Behauptung aufstellen?
Joie: Hmm. Joe, das ist eine wirklich gute Frage. Und es lässt mich an all die großen Talente denken, die wir normalerweise in unserer Gesellschaft als erfolgreiche Songschreiber bezeichnen. Also habe ich mit einer kleinen Untersuchung zu diesem Thema angefangen und war sehr überrascht, zu erfahren, dass viele von jenen, denen wir diese Rolle zugestehen, niemals gelernt haben, wie man Musik liest oder schreibt. Da tauchen Namen wie Bob Dylan und Paul McCartney auf. Tatsächlich konnte keiner der Beatles Noten lesen, nicht einmal der große John Lennon. Und Paul sagte einmal in einem Interview, dass so lange er und John wussten, welche Akkorde sie spielen würden und sie sich an die Melodie erinnerten, es gar nicht notwendig war, es aufzuschreiben oder zu lesen.
Keiner der Brüder Gibb, von denen ich denke, dass sie einige der schönsten Musikstücke überhaupt geschrieben haben, konnte Noten weder lesen noch schreiben. Also nein, ich denke nicht, dass die Tatsache, dass Michael keine Noten lesen oder schreiben konnte, sein Talent als Songschreiber geschmälert hat, und wenn das das Argument ist, warum Kritiker ihm einen Platz auf dieser Liste mit den anderen „Großen“ verweigern, dann würde ich sagen, ihr Argument hat weder Hand noch Fuß.
Willa: Und ich möchte hinzufügen, dass ich diese Kritik wirklich nicht verstehe, und es mag sein, dass es nur meine eigene Unwissenheit darüber ist, wie Musikkomposition wirklich funktioniert. Aber für mich scheint es so, dass der wichtige Teil des kreativen Prozesses der ist, die Idee zu haben und eine Vision, wie diese Ideen gegenüber den Zuhörern ausgedrückt werden sollen, so dass sie wirklich das fühlen können, was du versuchst zu sagen. Noten auf Papier festzuhalten, ist nur ein Weg, die musikalischen Gedanken festzuhalten, so dass du dich später daran erinnern oder sie mit anderen Musikern teilen kannst, und Michael Jackson war fähig, dies auf andere Arten zu tun. Er konnte seine Ideen mithilfe eines Kassettenrecorders aufnehmen, oder er konnte es live singen. Es gibt darüber ein wundervolles Zitat in deinem Buch, Joe, das mich einfach fasziniert:
„Eines Morgens kam Michael herein mit einem neuen Song, den er über Nacht geschrieben hatte,“ erinnert sich der technische Assistent Rob Hoffman. „Wir holten einen Gitarrenspieler hinzu, und Michael sag ihm jede einzelne Note von jedem Akkord vor. ‚Dies ist der erste Akkord, erste Note, zweite Note, dritte Note. Dies ist der zweite Akkord, erste Note, zweite Note, dritte Note,’ etc. Dann wurden wir Zeuge davon, wie er die innigste und tiefempfundendste stimmliche Performance gab, live im Kontrollraum mit einem SM57 (Anm.: ein bestimmtes Mikrofon). Er sang uns das gesamte Streicherarrangement vor, jeden Teil. Steve Porcaro erzählte mir einmal, dass er beobachtet hätte, wie Jackson das mit den Streichern in dem Raum getan hat. Er hatte das alles in seinem Kopf, die Harmonien und alles. Nicht nur einfach Ideen von kleinen Achttaktern. Er sang tatsächlich das gesamte Arrangement in einen Mikrokassettenrecorder, komplett mit Pausen und Einfügungen.“
Ich liebe das! Für mich ist die Vision in deinem Kopf zu haben die Essenz des Songschreibens. Zu sagen, Michael Jackson sei kein richtiger Songschreiber gewesen, weil er nicht wusste, wie man Noten auf Papier schreibt ist für mich das gleiche, als würde man sagen, Jane Austen wäre keine wirkliche Schriftstellerin gewesen, weil sie nicht wusste, wie man mit der Schreibmaschine schreibt. Das sind alles tüftelige Dinge für Buchhalter, wie es mir scheint. Die Ideen zu haben und diese Ideen gegenüber einem Publikum leidenschaftlich und aufrüttelnd ausdrücken zu können, das ist das, was entscheidend ist.
Charles: Michaels Idol war James Brown, der bekanntermaßen ebenfalls Musik weder lesen noch schreiben konnte. Es ist vielleicht gar kein Zufall, dass Michael Browns Methode übernommen hat, deswegen umgab er sich mit talentierten Mitarbeitern, die seine Vision zum Leben erwecken konnten, basierend auf Beatboxing, Scatting, Summen, Singen und so weiter, die aber genauso auch ihre eigenen Beiträge auf den Tisch bringen konnten.
Unzweifelhaft ist, dass es Michael dank seiner Unfähigkeit Musik zu lesen oder zu schreiben, an Autonomie als Künstler einbüßte. Das ist keine Kritik; das gilt für jeden in derselben Situation. Ich riskiere mal, gelyncht zu werden und ziehe Prince als Vergleich heran. Prince kann nicht nur eine Komposition vollständig nach allen Regeln der Musik niederschreiben, sondern er geht dann ins Studio und spielt jedes Instrument genau so, wie er es haben will und fügt dann alles zusammen. Es ist unzweifelhaft, dass Prince, zum Beispiel, deswegen mehr Autonomie und Unabhängigkeit als Künstler besitzt.
Joie: Keine Angst, Charles, du bist hier sicher, denn ich betrachte mich selbst gelegentlich als Prince Fan. Er ist ein erstaunlicher Musiker und verdient die Anerkennung sehr. Und ich kann deiner Aussage nur zustimmen, dass er ganz sicher mehr Autonomie und Freiheit als Michael genoss.
Willa: Aber war das jetzt so, weil Prince Noten lesen und schreiben konnte oder weil er Instrumente spielen konnte? Denn schlussendlich, wenn du ein Musikstück schreibst, lässt es immer noch eine Menge Raum für die Interpretation offen. Jemand, der Musik schreiben kann, aber kein Instrument spielt, wird immer noch ein ganzes Zimmer voller Mitarbeiter benötigen, aber das scheint für mich eine ganz andere Frage zu sein.
Joie: Das ist ein wirklich guter Punkt, Willa. Prince‘ Autonomie hat wahrscheinlich eine Menge damit zu tun, dass er mehr als geübt mit vielen Musikinstrumenten ist und weniger mit der Tatsache, dass er Noten lesen und schreiben kann. Wenn er nicht die Fähigkeit gehabt hätte, all diese Instrumente spielen zu können, hätten die Dinge sicherlich anders gelegen.
Charles: Aber, wenn du Michael allein in ein Zimmer gesetzt hättest, hätte er die meisten seiner Tracks nicht erschaffen und sie so klingen lassen können, wie sie auf dem fertigen Album waren. Nimm Billie Jean. All die Schlüsselelemente des Songs sind schon auf seinem Original Demoband, aber sein Team von Mitarbeitern half ihm, die Komposition auszufeilen und zu straffen. Bruce Swedien zum Beispiel kam auf die Idee, eine bestimmte Hülse zu benutzen, um diesen kultigen Sound der Drums zu erreichen.
Nichts davon soll Michaels Fähigkeit als Songschreiber schmälern. Sieh dir einfach seinen Katalog an selbst verfassten Klassikern an. Die meisten Popkünstler können nicht mal ein Viertel der Hits verzeichnen, die Michael hatte, ganz zu schweigen von selbst verfassten Kompositionen.
Joie: Das ist sehr wahr, Charles. Fakt ist, dass 17 seiner 28 Top Ten Singles als Solokünstler von ihm selbst geschrieben wurden. Und 9 seiner 13 Nummer Eins Hits als Solokünstler wurden von ihm selbst geschrieben. Das ist sehr beeindruckend und wie du sagst, es ist irgendwie einzigartig unter den Pop Acts.
Aber ich möchte noch mal für eine Sekunde auf das zurückkommen, was du gerade gesagt hast, darüber, Michael allein in einen Raum zu setzen. Kürzlich hörte ich die Demoversion von Don’t Stop‚Til You Get Enough für einen anderen Post, an dem Willa und ich arbeiteten. Dieses Demo wurde von Michael und seinen Geschwistern Randy und Janet gemacht. Und ich war wirklich sprachlos darüber, wie nah dieses Demo an der fertigen Version, die auf das Album kam, war. Dieser Song war praktisch fertig, noch bevor er ihn Quincy Jones und seinen anderen Mitarbeitern zum „Polieren“ präsentierte. Also, auch wenn du vielleicht Recht hast, wenn du sagst, er könnte die meisten seiner Tracks nicht selbst erschaffen haben und sie zu dem Klang gebracht haben, den sie auf dem fertigen Album hatten, tendiere ich doch dazu, zu glauben, dass er sie alle verdammt nah dran hinbekommen hätte.
Charles: Das Demo zu Don’t Stop Til You Get Enough ist sehr eindrucksvoll, aber wie du sagst, ist er nicht ganz allein im Studio. Er hat Instrumentalisten dort, die ihm helfen und obwohl die Schlüsselelemente der Komposition schon da sind, wären sie es nicht, wenn er nicht diese Instrumentalisten gehabt hätte, und die gesamte Komposition hätte nicht den Glanz und den Schliff gehabt, den er erreichte, wenn er mit seinen hochdekorierten Mitarbeitern zusammenarbeitete.
Um auf Michaels Helden James Brown zurückzukommen: Eine Zeitlang wurde es modern, James Brown seine ganze Verantwortlichkeit für seine Kompositionen abzusprechen. Kritiker behaupteten, er hätte sich an die ‚Rockschöße seiner Mitarbeiter gehängt’, und dass er ohne ihre Fachkundigkeit niemals diese Musik in dem Maß, wie er es tat, hätte produzieren können. Aber ich habe über die Jahre eine Menge Zeit damit verbracht, Mr. Browns Mitarbeiter aus allen möglichen Phasen seiner Karriere zu interviewen. Ich habe niemals auch nur einen gefunden, der nicht glaubte, dass James Brown ein Genie war oder glaubte, dass irgendwelche seiner Musik ohne ihn existiert hätte.
Als ich Pee Wee Ellis interviewte, erzählte er mir:
„Er war definitiv ein Zusammenarbeiter, ein starker Einfluss, ein Anführer. Er hatte eine Vision, die wir in diesem Leben nicht noch einmal sehen werden. Er war der abgefahrenste Mann der Welt. Er hatte mehr Rhythmus in seinem kleinen Finger als die meisten von uns im ganzen Körper. Alles eine ganz natürliche Sache, verstehst du? Und die Art, wie er sich der Band gegenüberstellte. Wenn überhaupt, dann hängte sich die Band an seine Rockschöße. Aber die Band bot eine Plattform für ihn, damit er tun konnte, was er tat.“
Ich sehe Michael ähnlich. Keiner dieser genre-definierenden Hits, die er geschrieben hat, hätte ohne seine Vision existiert, aber es hätte auch keiner von ihnen existiert, wenn er nicht das richtige Team von Leuten um sich gehabt hätte, die seine Vision Realität werden ließen. Dass er keine Noten lesen und schreiben konnte, behinderte ihn nicht, so lange er Leute um sich hatte, die diese Ideen interpretierten und sie zum Leben erweckten.
Joe: Das ist ein sehr guter Punkt, Charles, und etwas, das ich versucht habe, in Man in the Music klar zu machen. Wir haben in unserer Kultur diese tief verwurzelte Vorstellung, dass etwas, was man isoliert erschafft mehr bewundert wird, als etwas in Zusammenarbeit zu erschaffen (der Mythos des ‚einzelgängerischen Genies’). Also bestaunen die Kritiker einen Künstler wie Prince, der grundsätzlich einen Track vom Entwurf bis zur Fertigstellung ohne Mitarbeiter erstellen kann. Nicht dass dies nicht beeindruckend wäre (denn das ist es), aber ich würde die Erstellung eines Albums damit vergleichen, Regie bei einem Film zu führen: Ist ein Regisseur besser, wenn er jede einzelne Rolle selbst einnimmt (Drehbuch, Kamera, Kostüme, Beleuchtung, Schauspiel, etc.)? Oder macht es einen guten Regisseur aus, wenn er die Fähigkeit hat, ein kreatives Team zusammenzubringen und ein Projekt mit seinen übergreifenden Visionen und Leidenschaften zu führen?
Willa: Ich denke, das ist eine ausgezeichnete Analogie, Joe, und verschiebt die Definition des „Songschreibers“ zu etwas, das viel näher an Michael Jacksons Prozess ist. Er kommt nicht aus der Tin Pan Alley-Tradition (Anmerkung: Tin Pan Alley ist die die 28. Straße zwischen Fifth Avenue und Broadwayim New Yorker Stadtteil Manhattan bezeichnet. Hier waren zwischen 1900 und ca. 1930 die meisten US-amerikanischen Musikverlage ansässig.), in der Musik für Notenblätter erschaffen wurde, die dann an Sänger oder Musiker verkauft wurden. So hat zum Beispiel Neil Diamond angefangen – mit Songschreiben für einen Verlag – und historisch gesehen kommen eine Menge großer Sänger und Songschreiber aus dieser Tradition. Michael Jackson hatte einen ganz anderen Hintergrund, und seine Annäherung war sehr viel ganzheitlicher als das. Er schrieb nicht einfach nur Songs und händigte sie dann jemand anderem aus, um sie zu produzieren. Wenn er einen Song kreierte, hatte er eine genaue Vorstellung davon, wie das fertige Stück klingen sollte, und dann führte er die gesamte Produktion dahin, diese Vision zu erreichen, ziemlich ähnlich dem, wie ein Filmregisseur das tun würde. Also denke ich, dieser Vergleich funktioniert wirklich gut.
Joe: Ich bin froh, Charles, dass du James Brown ins Spiel gebracht hast, denn ich weiß, dass du dich sehr mit ihm beschäftigt hast, und es gibt mit Sicherheit eine Menge Parallelen. Ich habe dieselben Empfindungen, die du bei Browns Mitarbeitern gefunden hast auch bei MJ’s Mitarbeitern, mit denen ich sprach, gefunden. Sie empfanden es nicht so, dass seine Abhängigkeit von Musikern, Produzenten und Technikern ihn als Künstler reduzierte. Jeder von ihnen sprach darüber, wie eingebunden er auf jeder Stufe des kreativen Prozesses war, aber genauso, wie er ihnen Raum und Freiheit gelassen hat; sie sprachen über kreative Chemie und wie oft Magie während der Zusammenarbeit auftauchte. Also hast du absolut Recht, dass er eventuell etwas an Autonomie verloren hat, aber er erlangte im Gegenzug dazu auch etwas an unerwarteter synergetischer Inspiration. Ich denke, Michael hat einiges auch von Quincy Jones übernommen, denn Jones (der aus dem Bereich des Jazz und der Filmmusik kommt) war brillant darin, dynamische Teams zusammenzustellen und sie dazu zu bringen, gut zusammenzuarbeiten.
Nun möchte ich, um mit dem Lesen und Schreiben von Musik weiterzumachen, alle eure Gedanken zu etwas wissen. Was denkt ihr, warum Michael Leuten oft erzählt hat, dass, wenn er Musik lesen und schreiben lernen würde, dies seine Kreativität ruinieren könnte?
Joie: Okay, ich weiß nicht viel über das Songschreiben, aber ich kann mir vorstellen, wenn du dir ständig Gedanken machst darüber, ob etwas „technisch“ funktioniert oder nicht, dass es sozusagen die Kreativität aussaugen würde. Und nicht nur das, sondern es würde vielleicht ebenso die Freude und das Herz aussaugen. Du wärst so besorgt darüber, es technisch richtig hinzubekommen, dass du in Gefahr wärst, den kreativen Flow, diese Magie, zu verlieren. Und wir wissen alle, dass es bei Michael immer um Magie ging. Also denke ich, seine Bemerkung darüber, er fürchte, es würde seine Kreativität ruinieren, war begründet. Und ich glaube, ich habe irgendwo gelesen, dass Paul McCartney einmal eine ähnliche Befürchtung geäußert hat, also ist es sogar möglich, dass die beiden mal darüber gesprochen haben.
Willa: Das ist eine wirklich interessante Frage, Joe. Ich würde behaupten, du bist ein guter Lehrer! Um ehrlich zu sein, die Befürchtung, dass das Lernen Musik zu schreiben deine Kreativität gefährden könnte, ergibt nicht wirklich Sinn für mich. Letzten Endes scheint es Mozart oder Beethoven oder Bach nicht allzu sehr behindert zu haben. Notenschrift ist nur einfach ein Weg für Musiker, miteinander zu kommunizieren, und ob du deine musikalischen Gedanken durch das Singen in einen Kassettenrecorder oder das Schreiben von Noten auf Papier ausdrückst, sollte keinen großen Unterschied machen.
Aber ich stimme Joie zu. Wenn ich es raten müsste, könnte ich mir vorstellen, dass diese Angst etwas mit der Kalkulation der Taktmaße und mit dem richtigen Generalvorzeichen zu tun hat und damit, dass es „technisch funktioniert“, wie du gesagt hast, Joie. Ich weiß, dass wenn er über das Tanzen gesprochen hat, er manchmal sagte, er würde Tänzer bei ihrem Auftritt beobachten und er könne förmlich sehen, wie sie im Geist die Takte zählen. Und er sagte, das funktioniert einfach nicht. Du musst üben und üben und üben, bis die Schritte tief verwurzelt sind in dir, so dass du beim Auftritt deine ganze Aufmerksamkeit darauf lenken kannst, die Musik zu spüren und die Gedanken und Emotionen der Musik durch deinen Körper auszudrücken, und nicht die technischen Details von „Eins, Zwei, Drei, und Gleiten.“
Und ich stelle mir vor, dass er auf dieselbe Art über das Lernen von Musikschreiben auf Notenblättern dachte. Es braucht Jahre, um erfahren genug zu sein, dass es zur zweiten Natur wird und du es kannst, ohne die Takte im Kopf zu zählen, um es mal so auszudrücken. In der Zwischenzeit würde es dem Fühlen von Musik immer in die Quere kommen, und warum sollte er sich darum sorgen, wenn er schon eine sehr effektive Methode für die Kommunikation mit anderen Musikern gefunden hat?
Charles: Es ist ein interessanter Punkt, ob technisches Wissen die Kreativität behindert und die Person, die mir sofort dazu einfällt, ist wieder einmal James Brown. Das Fehlen von technischem Fachwissen half meiner Meinung nach Mr. Brown. Er sprach immer wieder davon, dass seine Musik nur mit reinem Gefühl zu tun hatte.
Einige von James Browns größten Aufnahmen enthalten Fehler, aber er kümmerte sich nicht darum, denn für ihn zählte nur die Energie. In der Mehrzahl der Fälle veröffentlichte er die erste Aufnahme, sogar wenn sie Fehler enthielt. „Die erste Aufnahme ist Gott,“ sagte er. „Die zweite Aufnahme ist der Mensch.“
Willa: Was für ein großartiges Zitat! Obwohl es auch einen Unterschied zwischen Michael Jackson und James Brown hervorhebt. Michael Jackson zögerte nicht, 50 Takes aufzunehmen, wenn es zu dem Klang führte, den er sich vorstellte.
Charles: In der Dokumentation Soul Survivor sagten mehrere von Mr. Browns Mitarbeitern, dass eine Menge seiner Musik auf der technischen Ebene ‚fehlerhaft’ war:
„Du kannst sie nicht zählen, du kannst sie nicht schreiben, denn sie missachtet alle musikalischen Regeln … Dinge so simpel wie 1,2,3,4 – wenn das nicht bei dem funktioniert, was er macht, dann macht er es wahrscheinlich mit 1,2,3, und-ein-halb.“
Wenn Mr. Brown gesagt würde, seine Musik wäre ‚falsch’, würde er antworten „Aber sie klingt gut. Gott gab dir diese Ohren. Willst du dich mit Gottes Ohren streiten?“
Fred Wesley, einer von Browns Arrangeuren sprach in der Vergangenheit darüber, wie peinlich berührt er sich fühlte, wenn Fans zu ihm kamen und ihm erzählten, wie sehr sie den Track Pass The Peas liebten. Wesley hatte das Gefühl, dass der Track auf einem technischen Level Müll sei. Aber dieser Song wird heute immer noch rund um die Welt geliebt. Prince spielt es regelmäßig auf seinen Konzerten. Es ist oft der größte Publikumserfolg bei jedem Maceo Parker, Fred Wesley oder Pee Wee Ellis Gig. Wesley mag es technisch unspektakulär gefunden haben, aber es berührte die Leute. Es ging in sie hinein, ließ sie lächeln, ließ sie sich bewegen.
Wenn James Brown nach den technischen Regeln gespielt hätte, wären wir wahrscheinlich niemals auf Funk Music gestoßen. Ohne Funk hätten wir wohl niemals Disco oder Hip Hop gehört. James Brown brach die Regeln und änderte die Welt. Zwanzig Jahre später, als Michael Jackson all das viele Geld für das Thriller Video ausgab, dachte jeder, sein Gehirn wäre weich geworden. Er brach ebenfalls die Regeln und änderte die Welt.
Vielleicht sah Michael die Regeln des Musikschreibens als erdrückend an. Wenn er nicht wusste, was die Grenzen waren, konnte er durch sie auch nicht eingeengt werden.
Joie: Ich liebe es, wie du das sagst, Charles! „Wenn er nicht wusste, was die Grenzen waren,konnte er durch sie auch nicht eingeengt werden.“ Das ist eine sehr tiefgründige Art, das zu sehen.
Willa: Ganz meine Meinung.
Joie: Du hast so Recht mit James Brown. Ohne ihn hätte Funk Music niemals existiert, und dann würde die gesamte Landschaft der Musikszene heute sehr viel anders aussehen.
Willa: Jungs, ich habe gerade das Gefühl, als wenn ich ein riesengroßes Aha-Erlebnis habe. Dies ist alles so faszinierend für mich. Und Charles, ich denke, ich fange gerade an zu verstehen, was du sagen willst. Du sprichst nicht einfach nur darüber, Noten auf eine Seite zu werfen. Du sprichst darüber, ausgebildet zu sein in den „Regeln“ der westlichen Songschreibertradition und diese Regeln verinnerlicht zu haben – und James Brown hat diesen Takt gebrochen, und er brach die Regeln dieser Tradition.
Vor langer Zeit habe ich mal mit einer Musikprofessorin gesprochen – vor etwa 15 Jahren – die gerne Songs auf ihrem Keyboard, der an ihren Computer angeschlossen war, komponiert hat. Sie zeigte mir diese Software, die sie hatte, um einen Song spielen zu können, und die Software nahm das, was sie spielte und wandelte es automatisch um, um ein Notenblatt daraus zu generieren. Das war ziemlich cool. Du denkst, es wäre verzwickt und eine Menge Aufräumen nötig, um es richtig hinzubekommen, aber das war es nicht. Es war ziemlich sauber. Sie sagte, es gäbe etwas Befriedigendes am handschriftlichen Notenschreiben, aber es kann nach einer Weile ziemlich lästig sein und diese Software lässt sie ihr Notenblatt genauso leicht herstellen wie das Spielen. Sie kann sich ganz auf die Musik konzentrieren, und dann würde das Notenblatt magischerweise da sein, wenn sie fertig ist.
Ich musste gerade während dieser ganzen Unterhaltung an sie denken und daran, dass es keine große Sache ist. Wenn du mit Musikern zusammen arbeitest, die nach Gehör spielen, dann brauchst du kein Notenblatt. Wenn du zum Beispiel mit einem klassisch ausgebildeten Cellisten arbeitest oder mit jemandem, der wirklich ein Notenblatt möchte, dann kaufst du einfach eine Software oder mietest dir einen Studenten, der die Noten niederschreibt. Egal wie, es ist nichts Besonderes.
Aber natürlich war diese Musikprofessorin tief in der westlichen Songschreiber Tradition verwurzelt, so dass alles, was sie komponierte einfach bewusst oder unbewusst in die Konventionen dieser Traditionen fiel. Der Computer hatte kein Problem damit, die Struktur ihrer Musik zu erkennen, die Noten und alles andere genau da zu platzieren, wo sie hin sollen, denn alles, was sie spielte, passte in die Regeln oder was es von ihr zu spielen erwartete.
Aber was würde der Computer machen, wenn James Brown daher käme und eine Zeitschleife einwirft in der Mitte eines Taktmaßes? Ich habe gerade ein ziemlich lustiges Bild im Kopf von einem Computer, der rauscht und piept, während er versucht, einen Song von James Brown zu produzieren.
Joie: Willa, du bist köstlich. Ich schwöre, manchmal bist du echt zum Schießen! Aber du hast Recht; es ergibt ein amüsantes mentales Bild – dieser Computer, der einen Nervenzusammenbruch dabei bekommt, es mit James Browns Grunzern und non-verbalen Stimmlauten aufzunehmen. Das ist saukomisch!
Willa: Echt lustig, Joie! Es ist wie "James Browns Computer imitiert James Brown" – der am schwersten arbeitende Computer im Musiklabor. All die anderen Computer arbeiten sich ganz gesetzt durch Mendelssohn und Brahms, und der James Brown Computer rockt und knackt. Und kannst du dir vorstellen, wie es wäre, wenn er einen Song im 4/4 Takt darstellt und plötzlich kommt ein Taktmaß mit 3 ½ Beats? Es würden kleine Rauchschwaden aufsteigen.
Joe: Ich möchte noch hinzufügen, dass meiner Meinung nach ein Teil der Herabsetzung Michaels als Künstler zusammenhängt mit diesem Weißen, eurozentrischen Verständnis von Musik und einer Ignoranz (oder Minderung) der afroamerikanischen Ästhetik. Einiges davon hat mit dem zu tun, über das wir gesprochen haben: dem Abweichen von etablierten Formen und Techniken. Was James Brown tat, ist dem „Swing“ und der Improvisation der Jazzmusiker, die sie in die traditionellen Melodien einbrachten, nicht unähnlich. Dies waren Abweichungen von lange etablierten Traditionen, die ihre Zeit brauchten, damit die Leute sie als legitim anerkannten. Über sehr lange Zeit wurde dies als eine sehr niveaulose Form der Unterhaltung angesehen. Was oft die Reaktion gegenüber künstlerischen Neuerungen ist.
Willa: Absolut. Wir sehen dies immer wieder und überall. Als der Roman sich anfänglich entwickelte, wurde er als „niedere Kunst“ betrachtet und das ernste Drama, Gedichte und Essays waren „hohe Kunst“. Dann als Filme eingeführt wurden, wurden sie als „niedere Kunst“ betrachtet und ernste Romane als „hohe Kunst“. Heute werden Musikvideos als „niedere Kunst“ und ernsthafte Filme in Spielfilmlänge als „hohe Kunst“ angesehen, obwohl Michael Jacksons Videos dies ganz klar herausgefordert hat.
Du sprichst in deinem Atlantic Artikel über dieses Vorurteil gegenüber neuen Kunstformen, Joe – speziell gegenüber neuen Musikgenres in den USA – und du zeigst, dass es nicht nur Voreingenommenheit gegenüber neuen Formen, sondern ebenso auch einige tief sitzende Rassenvorurteile gibt:
Historisch gesehen ist diese Zurückweisung Schwarzer Künstler (und Schwarzer Stilrichtungen) mit seinem Mangel an Substanz, Tiefe und Sinn so alt wie Amerika selbst. Es war die Lüge, die die Minstrel-Shows möglich machte. Es war eine allgemeine Kritik an Spirituals (in Relation zu traditionellen Hymnen), an dem Jazz der 20er und 30er Jahre, an R&B der 50er und 60er, an Funk und Disco der 70er und an Hip Hop in den 80ern und 90ern (und das bis heute). Die kulturellen Gatekeeper verfehlten nicht nur, die ursprüngliche Gesetzmäßigkeit dieser neuen musikalischen Stile und Formen zu erkennen, sie tendierten auch dazu, die Verdienste der afroamerikanischen Männer und Frauen als Wegbereiter entweder zu übersehen oder herabzusetzen. Für Weiße Kritiker war der King of Jazz nicht Louis Armstrong, nein es war Paul Whiteman; der King of Swing war nicht Duke Ellington, es war Benny Goodman; der King of Rock war nicht Chuck Berry oder Little Richard, es war Elvis Presley.
Und wie du so deutlich in deinem Artikel darlegst weitet sich dieses Muster auch ganz klar bis zu Michael Jackson aus. Er war so innovativ an so vielen Fronten, und er musste gegen diese zweigleisigen Vorurteile gegen Schwarze Innovatoren während seiner ganzen Erwachsenenkarriere kämpfen.
Joe: Also ich denke, dies zeigt einem, auf welche Weise Jackson wahrgenommen und missverstanden wurde. Oft vereinte er schwarze und weiße Stile auf faszinierende Weise miteinander (History und Will You Be There, zum Beispiel). Aber er ist verwurzelt in der afrikanisch-amerikanischen Tradition. Genau deshalb ist es ein Fehler der Kritiker, seine Musik im Vergleich zu Künstlern wie Dylan oder Springsteen oder Bono oder Costello (alles Lieblinge der Kritiker) zu beurteilen, denn Jackson ist nicht diese Art von Künstler. Es wäre, als würde man erwarten, dass Langston Hughes Gedichte wie Robert Frost schreibt. Es ist nicht so, dass Jacksons Lyrics nicht poetisch wären; es ist so, dass er auf eine ganz andere Art kommuniziert.
Ein Teil seiner Größe besteht darin, dass er sich jenseits aller Worte bewegt (wie es die Spirituals und der Blues und der Jazz tun); es sind seine non-verbalen Stimmlaute – seine Schreie, seine Ausrufe der Freude, sein schweres Atmen, sein Scatting, sein Beatboxing, seine Fähigkeit des Einswerden mit der Musik. In der Tat ist es so, dass sogar, wenn er die Sprache benutzt, er oft Wörter verdreht und verzerrt oder sie mit einer solchen Frische, Nuancierung und Intensität übermittelt, dass Zeilen mehr werden als die Summe ihrer Einzelteile. Stevie Wonder hat einmal gesagt, Jackson habe eine erstaunliche Begabung, einen Text zu „lesen“. Mit anderen Worten, er besaß die Fähigkeit, ganz gewöhnliche Worte mit etwas weitaus Tieferem zu versehen. Bei Musik geht es letztendlich um Ausdruck und Verständigung, und für mich enthüllen seine Songs eine bei Weitem größere emotionale Bandbreite als bei den meisten anderen Künstlern.
Joie: Ich bin ganz deiner Meinung, Joe. Bei Michael geht es immer um Emotion und Intensität. Es ist immer da, direkt unter der Oberfläche, in jedem Video und in jeder Live Performance, auf jedem Track eines jeden Albums. Wie es aussieht, bekommt man diese Art von unbearbeiteten Emotionen nicht bei den meisten anderen Künstlern.
Joe: Eine andere Sache, die Jackson als Songschreiber so großartig macht, ist, dass er diese unglaubliche Fähigkeit besitzt, über alle Grenzen hinaus, die die Menschen typischerweise trennen (wie Rasse, Geschlecht, Sexualität, Sprache, Kultur, soziale Klassen) zu kommunizieren. Er hat ständig alles miteinander verbunden. Rock und R&B, Hip Hop und Pop, Gospel und Klassik. Er war gleichzeitig zugänglich und fordernd, einfach, aber vielschichtig. Er brachte den Massen Beethoven näher und die Musik der Straße in die Vorstädte.
Joie: Ich denke, das ist ein wundervoller Gedanke, um hier aufzuhören, Joe. Und Willa und ich danken euch beiden, dass ihr euch dieser Unterhaltung angeschlossen habt!
Nächste Woche werden Willa und ich Dancing the Dream erforschen, Michaels Buch der Gedichte und Essays, also stellt sicher, für diese Diskussion wieder hier zu sein.
Lilly
Anzahl der Beiträge : 87 Anmeldedatum : 07.11.12
Thema: Re: Dancing With The Elephant (Deutsche Übersetzung) Mi 14 Nov 2012 - 20:31
Tanz mit Michaels Traum 23/02/2012
Joie: Vor ein paar Wochen hatten Willa und ich wirklich Spaß mit Michaels Erwähnung von The Force in dem Song Don’t Stop til You Get Enough und diese Diskussion brachte uns auf den Gedanken, einen Blick auf Dancing The Dream zu werfen, Michaels Buch mit Gedichten und Betrachtungen. Und es war beim Durchblättern des Buches so schwierig für mich, nicht das Zeitgefühl zu verlieren, und meinen Fokus weiter auf The Force zu richten, denn es ist so wundervoll, und ich fand mich selbst völlig in seine Worte vertieft. Und Willa drückte eine ähnliche Empfindung aus, als wir darüber sprachen, also wussten wir, dass wir eine Unterhaltung über dieses unglaubliche Buch führen mussten.
Weißt du, Willa, ich muss einfach mal sagen, dass ich dieses Buch so unglaublich liebe. Und als ich diese Woche darin gelesen habe, kam ich zu dem Schluss, dass, so sehr ich die Musik liebe und so viel mir Musik auch bedeutet – und glaub’ mir, sie bedeutet alles für mich – ich dieses Buch mindestens genauso sehr schätze, wenn nicht sogar noch mehr. Dancing The Dream wurde im Juni 1992 als Nachfolger seiner Autobiografie Moonwalk von 1988 ganz still veröffentlicht. Es hat nicht sehr viel Aufmerksamkeit erhalten und in dem einzigen Interview, in dem Michael es beworben hat, beschrieb er es als „Einfach ein verbaler Ausdruck dessen, was ich normalerweise durch meine Musik und meinen Tanz sage.“ Und das ist genau das Gefühl, das ich bekomme, wenn ich dieses Buch durchblättere. Öffne es an irgendeiner Stelle bei einem Gedicht oder Essay, und es ist sehr leicht, sich vorzustellen, wie er diese Seiten mit Musik unterlegt.
Willa: Das stimmt, und ich denke, Michael Jackson selbst betont dies auch, indem er die Lyrics von Heal The World und Will You Be There einbezieht, neben den Bildern von seinen Konzerten und Videos. Indem er dies im ganzen Buch einstreut, scheint er zeigen zu wollen, dass diese Geschichten und Gedichte nichts von seinen anderen Werken, für die er sonst bekannt ist, Abgetrenntes sind. Sie sind alle verbunden: seine Gedichte und Songs, seine Zeichnungen und Videos, sein Tanz und sein Körper, die Gesamtheit seiner musikalischen und visuellen Kunst.
Joie: Jedes Gedicht und jede Geschichte ist wundervoll geschrieben, ein aufrichtiger Ausdruck dessen, was in seinem Herzen war. Genau die gleiche Liebe und Leidenschaft, die er in jeden seiner Songs und in jeden Tanz fließen ließ, ist genau da zwischen diesen Seiten. All seine Anliegen für die Umwelt, all sein Mitgefühl und seine Liebe für Menschlichkeit, all sein Staunen gegenüber der Magie und Spiritualität. Ich habe wirklich das Gefühl, dass dies seine tiefempfundensten, seine ureigensten Gedanken sind – seine Hoffnungen und Träume für den Planeten und die Menschheit – und ich finde es sowohl faszinierend, als auch auf eine Art bittersüß.
Willa: Joie, du hast gerade etwas so Wichtiges angesprochen, denke ich, als du über „die gleiche Liebe und Leidenschaft, die er in jeden seiner Songs und in jeden Tanz fließen ließ“ gesprochen hast. Als wir vor ein paar Wochen über Don’t Stop und seine Gedanken über den Tanz der Schöpfung sprachen, bekam ich das Gefühl, dass für ihn seine Kreativität und seine Spiritualität eine sehr körperbetonte Dimension hat, und dass sie sehr eng mit seinem Tanz und ebenso mit seiner sexuellen Energie verbunden sind. Ich war nicht fähig, das so gut auszudrücken und ich ringe immer noch damit, das in Worte zu fassen. Aber ich denke, die Dinge sind für ihn so tiefgreifend verbunden, weil sie alle Ausdruck von Liebe und Leidenschaft sind: schöpferische Leidenschaft, sexuelle Leidenschaft, spirituelle Leidenschaft und über all dem sein Mitgefühl. Das alles ist für ihn miteinander verflochten und stellt den Ausdruck des „ewigen Schöpfungstanzes“ dar.
Joie: Willa, ich glaube, ich verstehe, was du versuchst klar zu machen, und du hast Recht, es fühlt sich an, als wäre dies für ihn alles untrennbar ineinander verwoben, wie du sagst, es sind alles Ausdrucksformen von Liebe und Leidenschaft. Es lässt mich an seine Worte in Love denken, einen der Essays aus Dancing The Dream, in dem er sagt:
Wenn sie frei gelassen wird, ist Liebe das, was das Leben lebendig, froh und neu macht. Sie ist der Saft und die Energie, die meine Musik, meinen Tanz, einfach alles motiviert. So lange ich Liebe in meinem Herzen spüre, ist sie überall.
Für ihn ist Liebe die Energie, die motiviert … alles! Weißt du, Willa, je mehr wir über dieses Buch reden und je mehr ich lese und jedes Gedicht und jede Geschichte wieder lese, desto mehr verstärkt es diesen Gedanken, dass dieses Buch wirklich nur eine physische Repräsentation seines Herzens darstellt. Liebe – in allen seinen Formen – war der motivierende Faktor bei allem, was er tat … in jedem Song, den er schrieb, in jeder Note, die er sang, in jeder Tanzbewegung, die sein Körper ausführte, in jeder Wohltätigkeit und humanitären Sache, die er unterstützte. Und dieses Buch ist eine physische Manifestation all dessen.
Willa: Ich fühle wirklich genauso, Joie. Du weißt ja, über Liebe zu sprechen, lässt uns meistens unbehaglich fühlen. Aber wie du sagst „Liebe – in allen seinen Formen – war der motivierende Faktor bei allem, was er tat.“ Es ist die Energie, die ihm Kraft gibt, das Licht, das ihn führt, die Wärme, die ihn tröstet und ihn stark macht. Aber wie er durchgehend in seinem Buch betont, bevor wir wirklich andere lieben können, müssen wir erst einmal uns selbst kennen. Und das bedeutet, wir müssen unsere Stärken und Talente mit offenen Armen begrüßen, was sogar schwieriger sein kann, als unsere Schwächen anzuerkennen.
Hast du jemals das Gefühl gehabt, dass ein Gedanke – etwas Wichtiges – eine Ecke in deinem Gehirn anstößt und es scheint, als könntest du es nicht ignorieren, aber du kannst es auch nicht richtig greifen? Ich hatte dieses Gefühl, seitdem wir angefangen haben über The Force und den Tanz der Schöpfung zu reden – dass hier etwas sehr Wichtiges und Mächtiges ist, aber ich bin bisher nicht ganz in der Lage, es zu erkennen oder zu verstehen. Und ich denke, es knüpft an ein Zitat von Marianne Williamson an, das an die Montessorischule meines Sohnes gepostet wurde:
Unsere tiefsitzendste Angst ist nicht die, dass wir unzureichend sind. Unsere tiefste Angst ist die, dass wir machtvoll über alle Maßen sind. Es ist unser Licht, nicht unsere Dunkelheit, die wir am meisten fürchten. Wir fragen uns selbst: Wer bin ich, dass ich mich brillant, großartig, talentiert, fabelhaft nenne? Allerdings, wer bist du, dass du es nicht sein solltest? Du bist ein Kind von Gott. Deine Tiefstapelei dient der Welt nicht. Es gibt nichts Vernünftiges daran, sich kleiner zu machen, nur damit andere Menschen sich in deiner Nähe nicht unsicher fühlen. Wir sind alle dazu bestimmt, zu leuchten, so wie es Kinder tun. Wir sind dazu geboren die Herrlichkeit Gottes, die in uns ist, zu offenbaren. Es ist nicht nur in einigen von uns; es ist in jedem. Und wenn wir unser eigenes Licht leuchten lassen, geben wir unbewusst anderen Menschen die Erlaubnis, dasselbe zu tun. Wenn wir von unseren eigenen Ängsten befreit sind, befreit unsere Gegenwart automatisch die anderen.
Joie: Das ist solch ein wunderschönes und inspirierendes Zitat!
Willa: Ja, ist das nicht wunderbar? Ich habe es jeden Tag gelesen, wenn ich meinen Sohn von der Schule abgeholt habe, und es hallte so tief in mir nach. Ich kenne diese Angst, zu kraftvoll zu sein, zu sichtbar, zu lautstark, zu viel. Ich denke, eine Menge Leute, speziell Frauen, kennen diese Befürchtung. Aber „das Tiefstapeln dient der Welt nicht“, wie sie sagt „Wir sind alle dazu bestimmt, zu leuchten, so wie es Kinder tun.“
Ich erkenne, dass Michael Jackson sehr ähnliche Gedanken in Dancing The Dream äußert. Und er spricht nicht darüber, aufdringlich oder aggressiv zu sein. Leute, die mit ihm zusammengearbeitet haben, erwähnen sehr oft seine aufrichtige Bescheidenheit und seine sanfte Natur. Er spricht darüber, dass du deine Stärken und Talente kennen und sie voll ausleben sollst. Wie er in Heaven is Here, einem meiner Lieblingsgedichte aus Dancing the Dream, sagt:
Hab’ keine Angst Zu wissen, wer du bist Du bist viel mehr Als du dir jemals vorstellen konntest
Michael Jackson war nicht nur ein erstaunlicher Künstler; er war eine ungeheuer machtvolle kulturelle Persönlichkeit. Und er war machtvoll, weil er genau wusste, wer er war. Auch hatte er keine Angst davor, uns zu offenbaren, wer er war.
Er war ein wunderbar begabtes Kind, das voller Vertrauen auf eine Bühne ging, wo doch jeder wusste, dass ein Kind unmöglich auf diese Art singen und tanzen konnte. Er wurde zum erfolgreichsten Musiker aller Zeiten, wo doch jeder wusste, dass die Flamme von Kinderstars in von Drogen benebelten Erwachsenen erlosch. Er war ein unglaublich sexy Schwarzer Mann zu einer Zeit, als doch jeder wusste, dass Schwarze Männer ihre Sexualität zu verstecken hatten, damit sie nicht zu bedrohlich würden. Er änderte die Merkmale seiner Rasse, wo doch jeder wusste, dass dies unmöglich war. Er war der bedeutendste Künstler unserer Zeit, wo doch jeder wusste, dass Popstars zu oberflächlich sind, um ernstzunehmende Kunst zu erschaffen. Und er nahm die Phantasie von Millionen Menschen auf der ganzen Welt gefangen, weil er wusste, wer er war.
Und er ließ niemand anderen definieren, wer er war. Wann immer ich Mainstream Artikel über ihn gelesen habe, war ich jedes Mal erschüttert darüber, wie empört sie darüber waren, dass er sich nicht gemäß ihrer Erwartungen verhielt. Er passte sich nicht an. Er war auf wunderbare und einzigartige Weise er selbst. Er wusste, wer er war und was er glaubte, er blieb dieser Vorstellung treu, und er veränderte die Welt.
Joie: Das ist eine wirklich tiefgründige Art, wie du das erfasst hast, Willa, und du liegst absolut richtig. Er wusste ganz genau, wer er war, und er hatte keine Angst, dies zu zeigen. Und wegen all dieser Dinge, die du gerade erwähnt hast und noch viel mehr, habe ich ihn immer für einen der mutigsten Menschen, die jemals diesen Planeten geschmückt haben, gehalten. Und was du gerade gesagt hast, erinnert mich an das, was er in Courage (Mut) sagt, einem weiteren Essay aus Dancing the Dream, von dem ich weiß, dass wir beide es lieben. Er sagt dies:
Wenn du den Mut hast, zu deinen Gefühlen zu stehen, dann weißt du, wer du wirklich bist und willst es auch andere sehen lassen. Es ist beängstigend, denn du fühlst dich so verletzlich, so offen für Zurückweisung. Aber ohne Selbstakzeptanz erscheint die Art des Mutes, den die Helden in Filmen zeigen, hohl. Trotz des Risikos öffnet der Mut, ehrlich und vertraut mit dir zu sein, den Weg zur Entdeckung deines Selbst. Es bietet das an, was wir uns alle wünschen, das Versprechen der Liebe.
Der Mut, zu wissen, wer du bist und andere dies sehen lassen. So wie in dem Gedicht Heaven is Here wiederholt er diesen Gedanken in dem Essay Courage. Das sagt mir, dass dies ein Gedanke war, der ihm sehr viel bedeutet hat – diese Vorstellung, dir selbst treu zu sein und zu wissen, wer du bist.
Willa: Ich liebe Courage, besonders die Passage, die du gerade zitiert hast. Es drückt seine Vorstellungen auf so einfache, aber doch so kraftvolle Art aus, aber das bedeutet nicht, dass dies simple Gedanken sind. Wie er erklärt:
Deine Gefühle auszudrücken ist nicht dasselbe, als würdest du vor irgend jemandem zusammenbrechen – es bedeutet, dass du dich akzeptierst und deinem Herzen treu bist, was immer es dir sagt.
Das ist eine wirklich wichtige Differenzierung. Er spricht nicht darüber, ein Nervenbündel zu sein und „vor jemandem zusammenzubrechen“ und dass deine Ängste und Gefühle die Kontrolle über dich übernehmen. Ganz und gar nicht. Das ist nicht das, was er mit „dem Mut, deine wahren Gefühle auszudrücken“ meint. Er spricht über Selbsterkenntnis, darüber zu wissen, wer du bist und den Mut zu haben, ehrlich zu sein und „deinem Herzen treu zu bleiben“ – dir selbst treu zu sein und deinen Überzeugungen.
Joie: Ganz genau! Er wiederholt das noch einmal in dem Essay Trust (Vertrauen), in dem er sagt:
Wenn du dich selbst vollkommen akzeptierst, wird das Vertrauen vollständig. Es gibt nicht länger irgendeine Trennung zwischen den Menschen, weil es nicht länger irgendeine Trennung in deinem Inneren gibt. An der Stelle, wo einst die Angst lebte, darf nun die Liebe wachsen.
Willa: Oh, ich liebe das! Ich denke, sehr oft werden wir durch die Angst geleitet, dass die Leute die Person, die wir sind, nicht mögen, also geben wir vor, etwas zu sein, was wir gar nicht sind, und dann werden wir von der Angst beherrscht, dass wir entlarvt werden. Aber wenn wir uns als die Person, die wir sind, annehmen können, verschwindet die Angst und wie er sagt „An der Stelle, wo einst die Angst lebte, darf nun die Liebe wachsen.“ Ich glaube wirklich, dass das stimmt.
Joie: Dieser Gedanke um das Wissen, wer du bist, ist eines der zentralen Themen, das sich durch das ganze Buch zieht.
Willa: Das stimmt. Er spricht immer wieder über die große Bedeutung, ehrlich zu dir selbst zu sein und das Wissen, um dich selbst zu kultivieren, nicht nur zu deinem eigenen Wohl, sondern zum Wohle aller. Er wiederholt diesen Gedanken und zeigt die globalen Auswirkungen in That One in the Mirror (Derjenige im Spiegel):
Der Schmerz des Lebens berührt mich, aber die Freude ist so viel stärker. Und sie allein wird heilen. Das Leben selbst ist der Heiler des Lebens, und das Beste, das ich für die Erde tun kann, ist ihr liebendes Kind zu sein.
Derjenige im Spiegel schreckt zurück und windet sich. Er hat nicht so viel über Liebe nachgedacht. Die „Probleme“ zu sehen, ist so viel einfacher, denn Liebe bedeutet vollkommen ehrlich zu sich selbst zu sein. Ouch! …
Wird das die Welt verändern? Ich glaube, das wird es, denn Mutter Erde will, dass wir glücklich sind und sie lieben, wenn wir uns um ihre Bedürfnisse kümmern. Sie braucht furchtlose Menschen an ihrer Seite, deren Mut daher kommt, dass sie ein Teil von ihr sind. … Wenn derjenige im Spiegel voller Liebe für mich und für ihn ist, dann ist kein Platz für Angst. Wenn wir ängstlich und panisch sind, dann hören wir auf, unser Leben und diese Erde zu lieben. Die Verbindung ist unterbrochen. …
Eine Sache weiß ich: Ich werde mich nie einsam fühlen, wenn ich ein Kind der Erde bin.
Joie: Genau das liebe ich so! Diese Passage, die du gerade zitiert hast, ruft mir gerade die Lyrics des Songs Shout in Erinnerung, in denen er sagt „Wir sind von der Liebe abgeschnitten / Wir respektieren einander nicht / Was ist passiert, dass wir uns gegenseitig nicht beschützen?“ Ich denke, er bezieht sich hier auf dieselbe Sache. Von der Liebe abgeschnitten sein – der Liebe zum Planeten und der gegenseitigen Liebe. Wenn wir zu dieser Verbindung zurückkehren können, würde das die Welt verändern? Michael glaubte das.
Und weißt du, ein weiteres zentrales Thema dieses Buches ist der Gedanke, dass wir alle miteinander und mit dem Planeten verbunden sind, und wir haben diesen Aspekt von Dancing the Dream bereits detailliert vor ein paar Wochen während unserer Diskussion über The Force untersucht. Aber es gibt noch ein anderes Thema, das sich durch das gesamte Buch zieht und das ich als ebenso fesselnd empfinde wie die ersten beiden, die wir angesprochen haben – Spiritualität. Er berührt das Thema in mehreren Gedichten und Essays das ganze Buch hindurch. Aber es gibt zwei, die für mich herausragen. Das erste ist God (Gott) und das andere ist Two Birds (Zwei Vögel).
In God spricht er das Thema Spiritualität direkt an, als er sagt:
Es ist seltsam, dass Gott kein Problem damit hat, sich selbst in all den Religionen dieser Welt auszudrücken, während die Menschen an der Vorstellung hängen bleiben, dass ihr Weg der einzig richtige sei. Was auch immer du versuchst über Gott zu sagen, irgendjemand wird es übel nehmen, sogar wenn du sagst, dass jedermanns Liebe für Gott die richtige für sie ist.
Ich denke, dies ist eine schonungslos ehrliche Feststellung. So einfach und doch so wahr. Und es sagt so viel aus über unsere kollektive Sicht auf Gott und Spiritualität. Grundsätzlich ist es eine sehr persönliche Entscheidung, und niemand von uns hat das Recht, jemand anderen für seine Ansichten über Gott, wenn sie anders sind als unsere eigenen, zu verurteilen. Jedoch passiert dies ständig immer wieder in unserer Gesellschaft und jeder anderen Kultur in der Welt. Und ich bin der Meinung, diesen Essay in das Buch mit aufzunehmen, war eine sehr mutige Sache, die er getan hat.
In Two Birds nimmt er sich des Themas auf eine sehr viel subtilere Weise an, indem er ein Liebesgedicht an seine Seele schreibt. Er sagt:
Zwei Vögel sitzen in einem Baum. Der eine isst Kirschen, während der andere zusieht. Zwei Vögel fliegen durch die Luft. Das Lied des einen tropft wie Kristall vom Himmel, während der andere still bleibt. Zwei Vögel kreisen in der Sonne. Der eine fängt das Licht mit seinen Silberfedern ein, während der andere die Flügel der Unsichtbarkeit ausbreitet. Es ist leicht zu erraten, welcher Vogel ich bin, aber sie werden dich niemals finden …
Süßer Vogel, meine Seele, deine Stille ist so wertvoll. Wie lange wird es dauern, bis die Welt dein Lied in meinem hört?
Oh, das ist ein Tag, auf den ich sehnsüchtig warte!
Willa: Das ist solch ein interessantes Bild für mich, Joie. Wir können durch sein ganzes Werk hindurch erkennen, wie er mit dem Gedanken an sein öffentliches und sein privates Selbst kämpft, aber hier präsentiert er es auf eine ganz andere Art – als zwei Vögel. Einer ist körperlich anwesend: er isst, er singt, er reflektiert das Licht auf seinen Federn. Der andere tut dies nicht: er isst nicht, er singt nicht und das Sonnenlicht scheint durch seine unsichtbaren Flügel hindurch. Ein Vogel – sein öffentliches Selbst – kann leicht gesehen werden. Der andere – sein privates Selbst, seine „Seele“ – ist sehr viel schwieriger wahrzunehmen. Aber er sehnt sich nach dem Tag, an dem beide erkannt werden: wenn „die Welt dein Lied in meinem erkennt.“ Das ist so ein anmutiges Bild, besonders die Andeutung, dass seine Musik – das „Lied“ des unsichtbaren Vogels – der Ausdruck seiner Seele ist.
Joie: Das sehe ich auch so.
Willa: Er baut diesen Gedanken weiter aus in A Child is a Song (Ein Kind ist ein Lied) und er weitet dies auf uns alle aus:
Sogar wenn du niemals ein Lied geschrieben hast, ist dein Leben ein Lied. … Zu leben bedeutet musikalisch zu sein, es beginnt mit dem Blut, das in deinen Adern tanzt. Alles Lebende hat seinen Rhythmus. Jeden zu fühlen, sanft und aufmerksam, bringt seine Musik hervor.
Fühlst du deine Musik?
Kinder tun es, aber wenn wir erst einmal erwachsen sind, wird das Leben zu einer Bürde und Routine, und die Musik wird schwächer. …
Wenn ich mich müde oder belastet fühle, beleben Kinder mich. Ich suche das Leben und neue Musik bei ihnen. Zwei braune Augen sehen mich so tief an, so unschuldig und innerlich sage ich mir ‚Dieses Kind ist ein Lied.’ Es ist so wahr und so unmittelbar … Ich bin wieder bei mir selbst.
Joie: Willa, ich mag es so, wenn er sagt „Zu leben bedeutet musikalisch zu sein.“ Etwas an diesem Ausdruck ist sehr lyrisch und poetisch für mich. Wie viele Menschen würden über das Blut, das durch unsere Körper fließt, als etwas Musikalisches bezeichnen? Ich finde das faszinierend!
Weißt du, wir haben jetzt über all diese verschiedenen Themen in diesem Buch gesprochen – über den Gedanken, dass wir alle miteinander verbunden sind, den Glauben, dass wir alle bestrebt sein müssen, zu wissen und anzunehmen, wer wir sind und über das Thema Spiritualität. Und er verbindet jedes dieser Themen mit Liebe. Die verschiedenen Ausdrucksformen von Liebe und Leidenschaft, die du vorher schon erwähnt hast – kreative Leidenschaft, sexuelle Leidenschaft, spirituelle Leidenschaft, Mitgefühl. Alles verschiedene Formen von Liebe. Aber es fällt mir auf, dass es eine Form der Liebe gibt, die nicht wirklich zentrales Thema dieses Buch ist. Die romantische Liebe.
Nun, nicht dass sie komplett fehlen würde; er berührt sie kurz, aber nur zweimal. Zuerst in einem Essay mit dem Titel The Last Tear (Die letzte Träne) und dann noch einmal in I, You, We (Ich, Du, Wir).
In dem ersten beschreibt er einen schrecklichen Kampf zwischen zwei Liebenden, der einen von beiden zurücklässt und der ausruft „Raus hier! Dies sind die letzten Tränen, die ich jemals für dich weinen werde.“ Und mit diesem gebrochenen Herz wartet er und wartet auf ihre Rückkehr, während er Tränen der Enttäuschung weint, Tränen der Einsamkeit und Tränen der Verzweiflung. Aber plötzlich hat er einen Gedanken der Liebe und alles ändert sich. Er sagt:
Wie seltsam, dass all diese Tränen den Schmerz nicht wegwaschen können! Aber dann durchstach ein Gedanke der Liebe meine Bitterkeit. Ich erinnerte mich an dich im Sonnenlicht mit einem Lächeln so süß wie Wein im Mai. Eine Träne der Dankbarkeit fing an herunterzulaufen, und wie durch ein Wunder warst du zurück.
Dann in I, You, We sagt er:
Wie ich dieses Geheimnis, das Wir genannt wird, liebe! … Wir müssen das Lieblingskind der Liebe sein, denn bis wir die Hand nach dir ausgestreckt haben, gab es das Wir nicht mal. Es trifft auf den Flügeln der Zärtlichkeit ein; es spricht durch unser stilles Verständnis. Wenn ich über mich lache, lächelt es. Wenn ich dir vergebe, tanzt es mit Jubel. … Wir ist nicht länger nur eine Entscheidung, nicht wenn du und ich miteinander wachsen wollen. … Die Wahrheit ist, dass du und ich vor langer Zeit aufgegeben hätten, aber das Wir hat es nicht zugelassen. Es ist zu weise.
Ich finde es wirklich interessant, dass in den einzigen zwei Werken, in denen er die romantische Liebe berührt, er entweder beschreibt, wie die Liebe wieder zu reparieren ist, wenn sie zerbricht oder wie man sie in erster Linie intakt halten kann.
Willa: Gut, davon ausgehend wie du seine Worte interpretierst, taucht die romantische Liebe auch noch an anderen Stellen auf. Zum Beispiel glaube ich auch, dass er sie in Courage anspricht. Das mag nach einem untypischen Titel für einen Essay über die Liebe klingen, aber für mich ist es das romantischste von allen, denn er spricht über „den Mut, zu seinen Gefühlen zu stehen / vertraulich mit jemandem sein / intim mit jemandem zu sein.“ Wie du zuvor zitiert hast, Joie „Wenn du den Mut hast, zu deinen Gefühlen zu stehen, dann weißt du, wer du wirklich bist und willst es auch andere sehen lassen.“
Joie: Das ist interessant, Willa. Ich habe nie über Courage als etwas Romantisches nachgedacht, aber ich vermute, ich verstehe das, weil er darüber spricht, den Mut zu haben, emotional vertraut mit jemandem zu sein. Und genauso wie bei seinen Songs und seinen Short Films, seinen Gedichten und Kurzgeschichten sind mehrere Interpretationen möglich, also denke ich, das macht Sinn.
Willa: Das stimmt, es kann auf unterschiedliche Arten interpretiert werden und genau genommen denke ich, es ist zu begrenzt Courage als etwas zu lesen, das sich nur auf die romantische Liebe bezieht. Das Bedürfnis für den „Mut, vertraut mit jemandem zu sein“ gilt ganz sicher für romantische Beziehungen, aber es gilt ebenso auch für andere Beziehungen – genau genommen für alle aufrichtigen menschlichen Beziehungen. Auf viele Arten sehe ich diesen „Mut, vertraut mit jemandem zu sein“ – zu „wissen, wer du bist, und … andere das sehen zu lassen“ – als den zentralen Gedanken in Dancing the Dream.
Du weißt, Joie, Michael Jackson ist solch ein Wunder aus Feuer und Eis für mich – so sanft und doch so stark. In seinem Werk sehe ich eine auserlesene Sensibilität, aber in seinem Leben sehe ich eine unglaubliche Stärke. Immer und immer wieder stand er Prozesse durch, denen sich niemand stellen müssen sollte. Er ging durch einen Feuersturm nach dem anderen. Er ist so gefühlvoll und sanft; und doch so stark. Das scheint so widersprüchlich – wie Feuer und Eis – aber in ihm existierte es gleichzeitig. Wie ist das möglich? Ich denke, der Schlüssel zu diesem Geheimnis steht in diesem Buch geschrieben.
Joie: Ich bin absolut deiner Meinung, Willa. Er war zeitweilig wirklich sehr widersprüchlich. Solch ein unschuldiges, kindgleiches Wunder gegenüber einer solch weltgewandten, intelligenten Reife. So schmerzlich schüchtern unter Fremden, jedoch solch eine beherrschende Präsenz auf der Bühne.
Willa: Das stimmt. Viele verschiedene Gegensätze existierten in ihm nebeneinander.
Lilly
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Thema: Re: Dancing With The Elephant (Deutsche Übersetzung) Mi 14 Nov 2012 - 20:57
Wer ist es, wirklich? 01/03/2012
Willa: Weißt du, Joie, es gibt so viele Dinge, die ich an Michael Jacksons Videos liebe, aber ein Grund, warum sie so faszinierend für mich sind, ist ihre emotionale Komplexität. Menschliche Psychologie ist nicht einfach oder geradeaus. Niemand von uns ist nur gut oder nur schlecht – wir bestehen alle aus einer komplizierten Mischung von Emotionen und Wünschen. Und Jacksons Videos sind ebenfalls nicht simpel oder geradeaus. Sie fühlen sich für mich emotional aufrichtig an, denn seine Charaktere sind komplex, sogar widersprüchlich, und du fühlst dich selbst emotional von ihnen angezogen, sogar wenn es einige verunsichernde und unbequeme Aspekte an ihnen gibt – genau wie bei realen Menschen.
All dies lässt mich an Who Is It denken, eins seiner weniger bekannten Videos. (Genau genommen ist es, glaube ich, nicht mal mehr auf YouTube. Ich konnte es nicht finden, als ich am nächsten Tag danach gesucht habe.) Oberflächlich gesehen klingt die Handlung recht simpel: ein reicher Mann wird von einer Frau betrogen, die ein Doppelspiel treibt und ihn nur wegen seines Geld benutzt. Diese Geschichte ist älter als die Bibel.
Aber jedes Mal, wenn ich dieses Video ansehe, fühle ich mich von ihr ebenso angezogen wie von ihm, und es ist ganz klar, dass Michael wollte, dass wir so fühlen. Sie ist als sympathischer Charakter dargestellt, und die Art, wie die Story aufgebaut ist, lässt darauf schließen, dass sie komplizierte Gründe hat, so zu handeln, wie sie es tut. Tatsächlich unterliegt sie sogar mehr Zwängen als er. Er ist ein wohlhabender Mann, der einfach in einem Helikopter wegfliegen kann, wenn Probleme auftauchen, aber sie hat diese Freiheit nicht. Wie das Video deutlich macht, steckt sie fest in ihrem Leben. Während ich also mit ihm und seinem gebrochenen Herzen wegen ihres Betrugs an ihm fühle, zögere ich doch, sie zu hart für diesen Betrug zu verurteilen – besonders als sie versucht, sich von den ihr auferlegten Zwängen zu befreien und ihm ihr „wahres Gesicht“ zeigt.
Joie: Willa, ich stimme dir hier komplett zu, und ich habe dieses Video immer geliebt einfach wegen dieser Handlung. Normalerweise würde ich, wie du weißt, sagen, dass mich dieses Video nicht so sehr interessiert, weil einfach nicht genug Michael drin ist, und du weißt ja, wie ich es liebe, da zu sitzen und ihn anzustarren! Aber ich kann dieses Video nicht nicht mögen, denn die Handlung ist endlos faszinierend für mich. In der Tat ist es so, dass ich jedes Mal, wenn ich es ansehe, versuche, die Lücken auszufüllen und eine Hintergrundgeschichte zu konstruieren! Ich möchte wissen, wer diese Frau ist und wie sie in diesen zerstörerischen Kreislauf, in dem sie sich befindet, hineingeraten ist; wie hat sie den reichen Mann, den Michael darstellt, kennengelernt, und wie haben sie sich ineinander verliebt; wer sind die zwielichtigen Leute, für die sie arbeitet, und wie haben sie sie in diesen Lebensstil gezwungen? Oft ertappe ich mich dabei, dass ich mir wünsche, ich könnte mich hinsetzen und mir die ganze Geschichte als Fernsehfilm oder so ansehen. Ich liebe es einfach!
Ich denke, es ist ziemlich klar, dass sie in dem Video ein hochpreisiges Callgirl darstellt, aber es ist mehr als das. Sie ist auch eine geschickte Schwindlerin, und sie arbeitet für einige wirklich dubiose Leute, die eine Menge Zeit und Energie in die Aufgabe gesteckt zu haben scheinen, an das Geld von wohlhabenden Menschen zu gelangen. Sie haben sie darin ausgebildet, für jeden Kunden zu einer anderen Person zu werden, genau das zu sein, was der Kunde wünscht und seine oder ihre Phantasie zum Leben zu erwecken. Wir sehen, wie sie von Alex (einem sehr ‚echten’ bescheidenen Mädchen) zu Diana (einer blonden, zugeknöpften Businessfrau für eine Verabredung mit einem geheimnisvollen Mann), zu Celeste (einer brünetten, erotischen Frau in heißer Unterwäsche, die strippt, während ihr Kunde, ein älterer Herr, der um Sauerstoff ringt, zusieht), zu Eve (einer koketten „unschuldigen“ mit einer Million Locken, die wir später sehen, wie sie sich anzieht und das Hotelzimmer mit drei zufriedenen schlafenden Frauen verlässt) wird. Interessant ist, Michael scheint so, als habe er die bescheidene, natürliche Alex vorgefunden – aber ist das ihr wahres Ich?
Etwas läuft offensichtlich etwas falsch in ihrer Handlungsweise gegenüber Michaels Rolle. Irgendwie haben sie sich ineinander verliebt. Und es ist nicht ganz eindeutig, ob er einer ihrer Kunden war oder nicht oder ob er sich überhaupt ihres Berufes bewusst war. Dem Schmerz und dem Gefühl des Verrats nach zu urteilen, bekommst du den Eindruck, dass er es nicht weiß. Er hat auch einen Assistenten oder Detektiv, der für ihn arbeitet, der diesem Mädchen folgt und ihn mit zu ihrem Appartement nimmt, um ihm all die „Beweise“ gegen sie zu zeigen, die er gefunden hat, inklusive zahlreicher Businesskarten mit verschiedenen Namen darauf. Und als der Protagonist es erst einmal herausgefunden hat, ist er nicht nur am Boden zerstört, sondern er fragt sich auch, ob er nur ein weiterer Haken auf ihrer Liste ist. Wie er in den Lyrics dieses Songs singt:
Ich gab ihr Geld Ich gab ihr Zeit Ich gab ihr alles Was man in meinem Herzen finden kann
Ich gab ihr Leidenschaft Meine ganze Seele Ich machte ihr Versprechungen Und unzählige Geheimnisse
Also entwickelte er ganz klar echte Gefühle für diese Frau – oder wenigstens für die Frau, von der er glaubte, dass sie es war. Er dachte, sie wären Seelenverwandte; er dachte, sie würden für immer zusammen sein, wie er singt:
Und sie versprach sich mir für immer Und den Tag, an dem wir zusammen leben würden Wir haben uns einander versprochen Wir würden ein neues Leben anfangen
Und sie versprach mir im Geheimen Dass sie mich für immer lieben würde Es war ein falsches Versprechen Sag mir, was soll ich tun?
Er ist tief erschüttert. Sein Herz wurde komplett zerbrochen durch ihren Betrug. Und er fühlt sich verlassen und fragt „Wer ist das?“ Nicht nur ‚Wer ist der andere Mann, den sie sieht?’, sondern auch – und noch wichtiger – ‚Wer ist diese Frau, in die ich mich verliebt habe?’
Willa: Ich weiß genau, was du meinst, Joie. Jedes Mal, wenn ich dieses Video ansehe, lässt es mich fragend zurück: Wer ist diese Frau? Oder wie der Titel sagt: Wer ist es?
Wie wir ja schon viele Male zuvor besprochen haben, beginnend mit den My Baby Posts damals im August, sehen wir immer wieder in Michaels Werken dieses doppelte Szenario, bei dem er sich in einer romantischen Beziehung befindet, die zugleich auch seine Beziehung zu seinem Publikum darstellt. Und ich empfinde es ganz stark, dass wir diese doppelte Beziehung hier auch wieder haben. Er liebt eine Frau, die sich ständig verändert, und er weiß nicht wirklich, wer sie ist – und wow, das passt so auf sein Publikum. Im Grunde genommen umfasst sein Publikum Menschen, die ihn lieben, aber auch Musikkritiker, die ihn nicht verstehen, die ihn ziemlich zusammenstauchen, und auch Vertreter der Musikindustrie, die ihn nur benutzen und Geld mit ihm machen wollen, und gelegentliche Fans, die ihn nur so lange mögen, wie er als cool gilt und sich gegen ihn wenden, sobald er es nicht mehr ist, und sogar die Hasser, die ihn ganz offen nicht mögen.
Erinnere dich, dieses Video wurde 1992 produziert, genau bevor der Belästigungsskandal ausbrach. Wir neigen dazu, zurückzublicken und zu denken, dass alles wunderbar war vor 1993 und schrecklich hinterher, aber das ist nicht wahr. Die Gegenreaktion begann vor 1993. In der Tat glaube ich, dass das ein Grund dafür ist, dass so viele Leute willens waren, die falschen Anschuldigungen, die auf solch fehlerhaftem Beweismaterial basierten, zu glauben: weil nämlich die Gefühle der Öffentlichkeit ohnehin schon wirklich verwirrt und kompliziert waren an dem Punkt. Eine Menge Leute wünschten sich, er wäre der engelgesichtige Junge der Jackson 5 geblieben, aber er war erwachsen geworden und ein extrem machtvoller und reicher junger Mann mit geschätzten 500 Millionen Dollar auf der Bank. Und seine Erscheinung veränderte sich weiter – genau wie bei der Frau in Who Is It. Also da begann dieses verstörende Gefühl, dass wir diesen Jungen mit dem süßen Gesicht, der vor unserer Nase erwachsen geworden war, nicht wirklich kannten. Wir dachten, wir kennen ihn, aber taten wir das wirklich? Genauso wie er dachte, er würde die Frau in Who Is It kennen, aber tat er das wirklich?
Eigentlich hört sich das ziemlich verrückt an, aber je mehr ich darüber nachgedacht habe, desto mehr denke ich, dass die Situation dieses Mal umgekehrt ist, und die Frau in Who Is It ist er, Michael Jackson.
Joie: Das klingt überhaupt nicht verrückt, Willa. Tatsächlich habe ich genau das Gleiche gedacht!
Willa: Wirklich? Ich mache mir immer Sorgen, dass du denkst, ich würde spinnen, und ich bin jedes Mal so dankbar, dass du das nicht tust. Aber es gibt da eine Menge Parallelen zwischen ihnen, stimmt’s? Im Grunde genommen basiert ihre Karriere als Callgirl darauf, ihre Kunden zu erfreuen, genauso wie seine Karriere als Entertainer darauf basiert, sein Publikum zu erfreuen. Sie verändert ständig ihre Identitäten, um die Anforderungen verschiedener Kunden zu erfüllen. Du weißt ja, zu verschiedenen Zeiten in seiner Karriere wurde er durch diverse Gruppen als zu sehr Mainstream, zu ausgefallen, zu populär, zu paranoid, zu sanft, zu wütend, zu Schwarz, zu Weiß, zu vorhersagbar, zu ungreifbar, zu eifrig, sein Publikum erfreuen zu wollen, zu fern gegenüber seinem Publikum zu sein, usw. kritisiert.
Es beeindruckt mich wirklich, dass sie als Callgirl eine Art Künstlerin – eine Trickbetrügerin ist. Genauso wichtig ist, dass das, was sie ihren Kunden „verkauft“ der intimste Teil von ihr selbst ist. Ich denke, der Grund dafür, warum seine Werke die Leute so eindringlich bewegen, ist der, dass wenn du mit ihm auf einer Wellenlänge bist, du seine innersten Gefühle fühlst, die er vor dir enthüllt – all seine Freuden und Ängste und Hoffnungen. Und durch seine Kunst stellt er seine privaten Gedanken und Emotionen raus auf den Marktplatz und macht sie für ein Publikum, das ihn vielleicht oder vielleicht auch nicht versteht und ein Urteil über ihn abgibt, erreichbar. Für mich ist das solch eine unglaublich mutige Tat, aber es muss auch schrecklich schmerzhaft für ihn gewesen sein – besonders weil er sich aufrichtig um sein Publikum kümmerte.
Und so glaube ich, dass er sich stark mit dieser Frau in Who Is It identifiziert, ein sehr erfolgreiches Callgirl, das den „Fehler“ macht, sich in einen Kunden zu verlieben, genauso wie er ein sehr erfolgreicher Entertainer war, der den „Fehler“ machte, sich aufrichtig um sein Publikum zu kümmern. Und ich denke, das ist ein Grund, warum ich eine so große Sympathie für sie empfinde, wann immer ich das Video ansehe.
Joie: Willa, ich denke, du hast damit den Nagel auf den Kopf getroffen und ich bin genau der gleichen Meinung. Und ich denke Who Is It ist tatsächlich eines seiner feinsten Videos aus genau dem Grund. Es ist absolut brillant! Wenn du einfach nur dem Text des Songs zuhörst, führt es dich nicht wirklich zu dieser Art der Handlung. Der Song deutet an, dass es sich hier um einen Mann handelt, der entdeckt hat, dass seine Frau eine Affäre mit einem anderen Mann hat. „Wer ist es?“ singt er. „Ist es ein Freund von mir? Ist es mein Bruder?“ Der Song selbst ist ziemlich eindeutig. Aber der Short Film ist sehr viel komplexer als das.
Wie du sagst, identifiziert er sich mit der Frau im Video, und er möchte eindeutig, dass wir über ihre Unzulänglichkeiten hinwegsehen, Sympathie und Mitgefühl mit ihr empfinden und die Zwangslage sehen, in der sie sich befindet. Sie „steckt fest“ in ihrem Leben, wie du schon sagtest. Sie hat nicht viele Möglichkeiten. Und wie ich es kürzlich beobachtet habe, kann ich nicht anders, als mich zu fragen, ob Michael versucht hat, durch dieses Video eine Botschaft zu vermitteln. Die Botschaft, dass er und diese Frau wirklich überhaupt nicht so verschieden sind. Sie ist da draußen und gibt alles, was sie hat den zwielichtigen Leuten, für die sie arbeitet genauso wie den tatsächlichen Kunden selbst. Und in einem sehr realen Sinn war Michael in exakt derselben Lage. Da draußen alles zu geben – den Verantwortlichen der Musikindustrie, den Kritikern, den Hassern und den Fans. Und ich bin sicher, dass es wahrscheinlich Zeiten gab, zu denen er sich fühlte, als „stecke er fest“ in seinem Leben, so wie es bei der Frau im Video ist. Und ich denke, auf eine gewisse Art … zu einem bestimmten Zeitpunkt … fühlen wir wahrscheinlich alle zu gewissen Zeiten in unserem Leben auf diese Art. Also ist sie wirklich jemand, dem wir uns verbunden fühlen.
Willa: Da stimme ich zu. Und natürlich ist eine der beeindruckendsten Ähnlichkeiten zwischen ihr und Michael Jackson als öffentliche Person ihre sich ständig verwandelnde Erscheinung. Wie du vorhin bereits herausgestellt hast ändert sich ihre Erscheinung dramatisch von Alex zu Diana zu Celeste zu Eve – eigentlich ändert sich ihr Äußeres so radikal, dass du kaum sagen kannst, dass es sich um dieselbe Person handelt. Es geht immer nur um die Haare und das Make-up, aber die Veränderungen sind unglaublich.
Und natürlich veränderte sich Michael Jacksons Erscheinung ebenso dramatisch – so dramatisch, dass eine Menge Leute darauf bestanden, er müsste sich weitreichenden plastischen Operationen unterzogen haben, sogar obwohl er wiederholt gesagt hat, dass es nicht stimmt, und seine Mutter hat es nach seinem Tod bestätigt. So wie die Frau in Who Is It ging es immer nur die Haare und Make-up. Hier ist als Beispiel mein Lieblingsfotovergleich von 1987 und 2003:
Auf den ersten flüchtigen Blick sieht er auf diesen zwei Bildern total unterschiedlich aus. Wenn wir uns aber die Zeit nehmen und tatsächlich die strukturellen Linien seines Gesichtes betrachten, dann sind diese identisch, auch wenn 16 Jahre vergangen sind. Wenn du die Details in seinem Gesicht auf dem linken und die auf dem rechten Foto nachzeichnest und übereinanderlegst, werden sie deckungsgleich sein. Er sieht völlig unterschiedlich aus, aber wie bei der Frau in Who Is It, sind es nur die Haare und Make-up.
Joie: Es sind nur die Haare und Make-up, Willa. Und im Fall von Michaels vielen Bildern kommen noch die Beleuchtung und der Kamerawinkel und der Gesichtsausdruck dazu. Mein Lieblingsfotovergleich ist das zusammengesetzte Foto vom Vindicating Michael Blog, bei dem sie ein Bild von 1988 (aus der Bad Ära) und ein Bild von 2007 (vom Ebony Foto Shoot) genommen und zusammengesetzt haben.
Dieses zusammengesetzte Bild zeigt eindeutig, dass sein Gesicht exakt dasselbe ist; es gab keine dramatischen Veränderungen. Die Augen, die Nase, die Wangenknochen, die Kinnlinie, Lippen und Kinn. Alles exakt das gleiche. Und die zwei Bilder liegen fast 20 Jahre auseinander! Wenn das nicht der Beweis dafür ist, dass er die Wahrheit gesagt hat, wenn er sagte, er hätte nichts anderes außer einigen Eingriffen an seiner Nase und seinem Kinn vornehmen lassen, dann weiß ich es auch nicht.
Willa: Ich bin so froh, dass du dieses zusammengesetzte Foto erwähnt hast, Joie, denn es demonstriert wirklich etwas Wichtiges: Während die öffentliche Wahrnehmung und die Interpretationen seines Gesichtes sich dramatisch von 1988 bis 2007 änderten, änderte sich sein wirkliches Gesicht nicht. Es waren immer nur die Haare und Make-up und die Kraft der Beeinflussung. Aber während die Frau in Who Is It ihre Erscheinung verändert, um ihre Kunden zu erfreuen, muss Michael Jackson offenbar andere Motive gehabt haben, denn seine „Kunden“ waren nicht erfreut. Er forderte sein Publikum wirklich heraus, und eine Menge Leute mochten das nicht und waren erstaunlicherweise wütend über sein verändertes Äußeres.
Wenn man es in diesem Zusammenhang betrachtet, dann ist das Ende von Who Is It sehr ergreifend, denke ich. Die Alex / Diana / Celeste / Eve-Rolle versucht, sich aus ihrem falschen Leben zu befreien und dem Protagonisten ihr „wahres Gesicht“ zu enthüllen. Sie erreicht sein Grundstück ohne das perfekte Make-up, das perfekte Haar, die glamouröse Kleidung, ohne die majestätische Haltung. Dies ist für mich die „wirkliche“ Person, deren Namen wir nicht wissen – die Person hinter der Maske. Aber sie kommt zu spät. Er ist gegangen. Sein Assistent schüttelt den Kopf, als sie fragt, ob sie ihn sehen kann und dann schleudert er ihr all die falschen Visitenkarten entgegen: Alex, Diana, Celeste, Eve und noch mehr. In Wirklichkeit zwingt er sie, diese falschen Identitäten einzugestehen.
Sie geht zurück zu ihrem Leben, dem sie entfliehen wollte. In unserem letzten Bild von ihr liegt sie auf dem Schminktisch, während sich dieselbe Gruppe über sie beugt, um ihre Identität wieder einmal herzustellen. Und dann, in einem klassischen Michael Jackson Moment, dreht sich die Perspektive plötzlich und wir, das Publikum, liegen auf dem Tisch und sehen auf zu den Leuten, die sich über sie / uns beugen. Wir sind sie geworden.
Für mich ist diese plötzliche Wandlung der Perspektive, die uns an ihre Position platziert, exemplarisch für Michael Jackson. Sogar während er uns hinführt, mit dem gebrochenen Herzen des Charakters mitzufühlen, ermuntert er uns auch dazu, genauso ihren Blickwinkel einzunehmen. Wir sehen diese sich wandelnde Perspektive durch sein ganzes Werk hindurch, von Ben über Dirty Diana zu Whatever Happens. In Ghosts nimmt er uns sogar in die Psyche des Bürgermeisters (die Tom Sneddon Rolle) und zeigt uns die Situation aus seiner Perspektive, was in meinen Augen eine unglaubliche geistige Großzügigkeit zeigt. Er zwingt uns unaufhörlich die Situationen aus mehreren Perspektiven zu betrachten, einschließlich Sichtweisen, die vorher kaum in Erwägung gezogen wurden, und ich liebe das. Ich habe es immer geliebt, seit ich neun Jahre alt war.
Joie: Weißt du, eines der Dinge, die ich an diesem Video am faszinierendsten finde, Willa, ist die Tatsache, dass wir hier nicht wirklich viel von Michael sehen. Und die Gründe dafür sind wirklich irgendwie geheimnisumwoben. Es gibt eine Menge widersprüchlicher Informationen, die darüber im Internet kursieren, dass viele Fans glauben, dass dieses Video eigentlich vom amerikanischen Fernsehen verbannt wurde, und die allgemein anerkannte Geschichte ist, dass Michael äußerst beschäftigt mit der Dangerous Tour war zu jener Zeit und einfach nicht die Zeit hatte, sich ganz der Produktion des Videos zu widmen, so dass es ohne seinen kreativen Input hergestellt wurde.
Ich bin nicht sicher, ob das stimmt, aber es gibt zwei Dinge, die ganz sicher sind. Das erste ist, der Song Who Is It war niemals für die Veröffentlichung als Single in den Vereinigten Staaten vorgesehen, aber Michaels spontane a cappella Darbietung als Beatbox Version während des Oprah Winfrey Interviews am 10. Februar 1993 weckte das Interesse der Öffentlichkeit daran. Nachfragen, diesen Song zu spielen, kamen bei allen Radiostationen im ganzen Land an. Also entschied Sony, den Schritt zu machen und es statt Give In To Me, welches als nächste U.S. Single vorgesehen war, zu veröffentlichen. Im Grunde führte Michael deswegen das Video für diesen Song während des Oprah Interviews ein.)
Die zweite Sache, die sicher ist, ist dass, aus welchem Grund auch immer, ein Michael Jackson Impersonator – E’Cassanova – angeheuert wurde, um gewisse Szenen fertigzustellen und wenn du ganz genau all die Szenen von Michael in der Limo betrachtest und wie er im Flugzeug liegt am Schluss, kannst du deutlich sehen, dass er es nicht ist.
Willa: Willst du mich auf den Arm nehmen? Das ist ein Impersonator? Woher weißt du das alles, Joie? Du bist wirklich unglaublich, wie eine lebende, atmende Michael Jackson Enzyklopädie. Du erstaunst mich immer wieder.
Joie: Du bist so lustig! Dieser Teil ist ziemliches Allgemeinwissen.
Willa: Wirklich? Okay, ich habe vollständig die Erinnerung daran verloren, denn ich habe keine Ahnung.
Joie: Aber ab hier wird es verwirrend … Die Leute sagen, der Impersonator wurde genommen, weil Michael zu beschäftigt mit der Tour und allem war, um das Filmen zu Ende zu bringen, jedoch entstand das Video tatsächlich 1992. Nun, ich bin nicht sicher, in welchem Monat es produziert wurde, es debütierte in England am 13. Juli 1992. Das bedeutet, dass das Filmen vor Juli stattfand, und die Dangerous Tour begann am 27. Juni 1992. Und während er ganz sicher ziemlich beschäftigt mit den Proben und Vorbereitungen bis zum Startdatum der Tour war, bin ich nicht sicher, ob ich ihnen die ganze ‚zu beschäftigt, um den Film abzuschließen‘-Story abkaufen soll.
Aber die Fakten werden noch komplizierter, denn am 14. Juli, genau einen Tag nach dem Debüt in England, zog Michael das Video zurück, weil er unzufrieden mit der Bearbeitung und mit der frühen Veröffentlichung des Films war. Ich denke, dies könnte der Grund für die Gerüchte sein, dass das Video vom amerikanischen Fernsehen „verbannt“ wurde, aber die simple Tatsache ist die, das dieses Video niemals in den Vereinigten Staaten veröffentlicht wurde.
Als Sony einmal die Entscheidung für die Veröffentlichung der Single in Amerika getroffen hatte, arbeiteten sie mit MTV zusammen und veranstalteten einen Wettbewerb, bei dem die Fans ein Video für den Song kreieren konnten. Also war in den Vereinigten Staaten das begleitende Video eine Compilation früherer MJ Videos und Performance Clips. Das wirkliche Video war ist den USA nicht erhältlich, bis es auf der Dangerous: The Films DVD am 23. November 1993 veröffentlicht wurde. Aber die Frage, die mir nicht aus dem Kopf geht, ist Warum? Das Video für diesen Song war offensichtlich bereits fertiggestellt zu dem Zeitpunkt, als Sony die Entscheidung traf, den Song als Single in Amerika zu veröffentlichen. Sie trafen die Entscheidung in Folge auf das Oprah Interview (10. Februar 1993) und veröffentlichten die Single am 31. März 1993. Aber das Video war bereits in England am 13. Juli 1992 ausgestrahlt worden. Also warum es hier nicht auch einfach veröffentlichen?
Willa: Das ist seltsam. Warum der große Aufruhr für ein Video, wenn es doch schon eins gab – ein wirklich faszinierendes – das im Regal wartete?
Aber ich bin immer noch stutzig wegen des Impersonators am Ende. Das ist einfach verwunderlich. Wer macht so etwas? Wer heuert einen Impersonator an, damit er ihn in seinem Video nachstellt? Und gerade Michael Jackson, dessen Videos nicht nur einfach Marketingwerkzeuge für seine Songs sind – sie sind handwerklich exquisite Kunstwerke. Eine solche Abkürzung zu nehmen, missachtet alles, was ich über ihn als Künstler weiß. Das macht keinen Sinn.
Aber weißt du, wenn wir uns dies auf eine andere Art ansehen – wenn wir es auf das Thema bezogen betrachten – bringt ein Impersonator am Schluss eine ganz andere Bedeutungsebene und Faszination in dieses Video. Denk darüber nach. Wir haben eine weibliche Rolle, die ständig ihre Identität ändert – und deswegen verurteilt wird – und wir als Publikum fühlen uns konstant unwohl durch ihre veränderte Erscheinung und die wiederkehrende Frage „Wer ist es?“ Und dann sind die Schlussszenen mit Michael Jackson, aber es ist nicht wirklich Michael Jackson? Es ist ein Michael Jackson Impersonator? Ich meine, im Ernst, wie perfekt ist das denn? Er ist so endlos faszinierend für mich, auf so vielen Ebenen. Gerade wenn du denkst, du hast nun alles herausgefunden, dann bringt er wieder eine überraschende Wendung. Wer ist es, in der Tat.
Diese Situation mit dem Impersonator erinnert mich an ein wunderbares Zitat von Bill Bottrell, wie er die Entstehung des „White Rap“ in Black or White beschreibt:
Ich erzählte Michael, dass wir einen Rap brauchen, und wir holten Rapper wie L.L. Cool J and the Notorious BIG, die auch an anderen Songs arbeiteten. Irgendwie hatte ich aber keinen Zugang zu ihnen für Black or White … Also schrieb ich eines Tages den Rap – ich wachte auf am Morgen und vor meiner ersten Tasse Kaffee begann ich aufzuschreiben, was ich hörte. …Das ist die Art, wie er es macht, es scheint wie Zufall, aber es ist, als ob er Dinge durch Weglassen geschehen lässt. … Ich dachte nicht so viel an White Rap, also holte ich Bryan Loren, um meine Worte zu rappen … aber er fühlte sich unwohl als Rapper. Das Ergebnis war, dass ich am selben Tag, nachdem Bryan gegangen war, mehrere Versionen, mit einer festen, aufnahm und sie Michael am nächsten Tag vorspielte und er sagte „Ohhhh, ich liebe es, Bill, ich liebe es. Das soll das eine sein.“ Ich meinte „Nein, wir brauchen einen richtigen Rapper,“ aber als er erst einmal meine Version gehört hatte, hatte er sich darauf festgelegt und wollte niemand anderen in Erwägung ziehen.
Wie Ultravioletrae vor einigen Wochen so brillant in einem Kommentar zum Thema „Was macht einen Songschreiber aus?“ über das wichtige Element des White Rap in Black or White erläutert hat. Sie schrieb, „Der Teil des White Rap in Black or White nutzt Schwarzen Hip Hop, aber lässt ihn eine weiße Perspektive durchlaufen, Bill Bottrells Wohlfühl-Lyrics und Performance. Der vorangegangene Part „I am tired of this devil“ nutzt weißen Hardrock und Heavy Metal, aber lässt es durch eine Schwarze Perspektive und die Frustration der Rassenungerechtigkeit laufen. Er vertauscht hier absichtlich die musikalischen Codes und versucht, all diese Sichtweisen auf eine sehr über-ethnische Art in eine einzige Betrachtung zu integrieren.“Also benötigt Michael Jackson wirklich einen „White Rap“ für diesen Teil, aber er arbeitet mit einem Producer, der eindeutig einen Widerwillen gegen „White Rap“ hat. Aber auf geniale Art bringt er ihn dazu, es für ihn zu kreieren. Wie Bottrell sagt „Das ist die Art, wie er es macht, es scheint wie Zufall, aber es ist, als ob er Dinge durch Weglassen geschehen lässt.“ Ich liebe das Zitat, und ich kann mir die Situation richtig vorstellen. Irgendwie gehen alle diese großartigen Rapper im Studio aus und ein, und sie sind alle eifrig und willens, auf einem Michael Jackson Album zu erscheinen. Jedoch sind sie alle auf mysteriöse Weise nicht verfügbar für diesen speziellen Song – wie Bottrell sagt „Irgendwie hatte ich aber zu ihnen keinen Zugang zu ihnen für Black or White.“ – also muss er es am Ende selbst machen. Tut mir leid, aber das ist brillant.
Joie: Stimmt; es ist brillant.
Willa: Ich sehe genau dasselbe Szenario von „er lässt Dinge geschehen durch Weglassen“ in den Schlussszenen von Who Is It. Es macht auf so vielen Ebenen Sinn, einen MJ Impersonator diese Szenen darstellen zu lassen, so macht sich der wirkliche Michael Jackson einfach unerreichbar, während diese Szenen gefilmt werden. Plötzlich ist er zu beschäftigt, kann nicht kommen, Studiozeit ist unglaublich teuer, sie können nicht warten, und sie sind gezwungen, einen Impersonator zu nutzen. Brillant.
Joie: Du kannst Recht haben deswegen, Willa. Es wäre sicherlich eine interessante künstlerische Überlegung, oder? Und es legt völlig das Gerücht aus dem Internet lahm, dass Michael keine kreative Kontrolle über diesen Short Film hatte. Das Video wurde von dem Filmregisseur David Fincher gemacht, der 2008 Der seltsame Fall des Benjamin Button und 2010 The Social Network, neben vielen anderen gedreht hatte. Er drehte auch zahlreiche Musikvideos für alle von Madonna und Paula Abdul über die Rolling Stones zu Nine Inch Nails. Seine Liste von Video Credits ist genauso beeindruckend wie seine Film Credits, und wir alle wissen, dass Michael es immer mochte, nur mit den Besten auf ihrem Gebiet zu arbeiten.
Willa: Oh, ich denke, er war sehr involviert in Who Is It, von der konzeptionellen Entwicklung durch die ganze Produktion. Es ist einfach zu sehr er, bis hin zu den sich verändernden Kameraeinstellungen – es trägt ganz und gar den Stempel seiner Persönlichkeit und seiner künstlerischen Vision. Alles was du zu tun hast, ist es dir anzusehen und dann kannst du sagen, dass er sehr eingebunden war in die Erschaffung dieses Videos.
Und er hätte nicht erlaubt, dass es auf der Dangerous: The Short Films DVD erscheint, wenn er nicht ernsthaft zufrieden damit gewesen wäre. Jeder weiß, wie akribisch er war. Wir haben alle die Geschichte gehört, wie er und Quincy Jones und andere sich versammelt haben, um dem letzten Schnitt des Thriller Albums zuzuhören – und er mochte es nicht, und weigerte sich so lange, es zu veröffentlichen, bis es seine Anforderungen erfüllte. Ich weiß nicht, was damals alles vor sich gegangen ist, als das Who Is It Video herausgegeben und zurückgezogen und wieder veröffentlicht wurde – du weißt viel mehr darüber als ich, Joie – aber ich bin überzeugt, dass dieses Video wesentlich mehr Aufmerksamkeit verdient, als es bekommen hat, und es verdient einen Platz neben seinen besser bekannten Filmen.
Lilly
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Thema: Re: Dancing With The Elephant (Deutsche Übersetzung) Mi 14 Nov 2012 - 21:15
Round Table:Das MJ Academia Project 08/03/2012
Willa: Vor einigen Wochen hatten Joie und ich eine faszinierende Unterhaltung mit dem Autor Joe Vogel und dem Aufklärungsjournalisten Charles Thomson über Michael Jackson als Songschreiber. Diese Unterhaltung konzentrierte sich auf die musikalischen Aspekte seines Songschreibens, also entschieden wir uns, noch einmal über Michael Jackson als Lyriker zu sprechen. Als wir jedoch beim Gespräch zusammensaßen, nahm es sofort eine ganz andere Wendung und entwickelte sich in eine Richtung, die niemand von uns erwartet hatte, aber sehr interessant für jeden von uns war. Hier ist die Diskussion, die dann folgte …
* * *
Charles: Habt ihr die Michael Jackson Academia Project Videos gesehen? Sie sind großartig. Joe sprach in der letzten Runde davon, dass Michaels Lyrics nicht immer so groß wie seine Kompositionen waren, aber diese Videos liefern sehr starke Gründe dafür, dass seine Lyrics eigentlich sehr viel aufschlussreicher und scharfsinniger sind, als die Leute ihm zugebilligt haben – besonders auf dem HIStory Album.
Joe: Ich habe jahrelang behauptet, dass das HIStory Album einige von Michaels mutigsten und stärksten Werken enthält. Es ist sowohl sein persönlichstes, als auch sein politischstes Album. Ich muss etwas klarstellen, weil du seine Lyrics erwähnt hast: Meine Einwand ist nicht der, dass Jacksons Lyrics nicht „so groß wie seine Kompositionen“ sind. Meine Begründung ist, dass seine Lyrics durch den stimmlichen Ausdruck erhöht werden, unterstützt von seiner nonverbalen Stimmgebung, und dass sie sich dazu noch durch die visuelle Darstellung und Repräsentation steigern. Also denke ich, diese Aspekte seines künstlerischen / kreativen Ausdrucks müssen von den vielen Kritikern, die Jackson als Songschreiber abqualifizieren, mit ins Kalkül gezogen werden.
Wenn man nun die MJAP Videos betrachtet, gibt es definitiv Dinge, die ich an dem, was sie tun, mag. Sie nehmen MJ’s Werke ernst, was eine gute Sache ist und unterstützen eine eingehende Deutung seiner Werke (ich habe tatsächlich nie die Namen der kapitalistischen Tycoons, die in Money erwähnt werden, gehört). Auch sind sie sehr gut gemacht. Allerdings für die ganze Recherche, die eindeutig für sie aufgewendet wurde, machen sie einige Dinge, die mir ein wenig verwirrend für ein „Academia Project“ erscheinen. Zum Beispiel fügen sie ihrer Arbeit nicht ihre Namen bei, und so wie ich es verstehe, sind sie nicht einer Universität oder akademischen Organisation angegliedert. Auch nennen sie keine Quellen, die bereits dieselbe Information / Interpretation in ihren Videos veröffentlicht haben, was sehr wichtig wäre, wenn sie außerhalb der MJ Fan Community ernst genommen werden sollen.
Joie: Ich muss sagen, dass ich Joe in diesem Punkt zustimme. Ich verstehe nicht, warum diejenigen, wer auch immer hinter diesen MJAP Videos steht, so zögern, sich selbst zu offenbaren. Es ist fast so, als würden sie sich verstecken, und ich denke, Joe hat Recht, wenn er sagt, dass sie nicht damit rechnen können außerhalb der MJ Fan Community ernst genommen zu werden, wenn sie nicht willens sind, hinter ihrer Arbeit zu stehen. Im Augenblick rennen die Videos, so großartig sie auch sind, offene Türen ein, um es mal so auszudrücken.
Joe: Also, ich denke, in gewisser Weise fehlen ihnen Zusammenhang und Nuancierung. Zum Beispiel lassen sie es so aussehen, als wäre MJ tief in der Black Power Bewegung der 60er/70er Jahre verwurzelt gewesen. In einem der Videos wird impliziert, dass MJ ein Mitglied oder Anhänger der Black Panther Party gewesen sei; in einem anderen zitieren sie Louis Farrakhan, den Anführer der Nation of Islam und einer Person mit einer Ideologie, die weit entfernt ist von Michaels. MJ glaubte tief an soziale Gerechtigkeit und Gleichheit, befürwortete aber niemals Schwarze Überlegenheit, Antisemitismus oder Gewalt.
Willa: Das ist wirklich interessant, Joe, denn ich finde nicht, dass diese Videos so etwas aussagen, und meine Reaktion darauf ist völlig anders. Wenn die vorherrschende Geschichte in den Medien vielleicht gewesen wäre, dass Michael Jackson ein wütender Schwarzer Mann gewesen sei, dann würde ich zustimmen, dass sie ihn als zu drastisch porträtiert haben. Aber das ist nicht der Fall. Das vorherrschende Bild in den Medien ist, dass er ein zutiefst verstörter Schwarzer Mann gewesen sei, der sich seiner Rasse schämte – einem schockierend falschen Image. Also glaube ich, sie bieten hier ein stark benötigtes Gegengewicht an.
Joe: Ich denke, da ist etwas Wahres dran, Willa. Sicherlich gab es ernsthafte Missverständnisse und falsche Geschichten über Jacksons rassenbezogenes Erbe und wie dies seine Identität und seine Arbeiten durchdringt. Aber für mich sollte das Gegengewicht nicht in der Ideologie bestehen, die auf einer Linie mit Farrakhan und den Black Panther liegt. Es sollte ihn als einen komplexen afroamerikanischen Künstler darstellen, der sich geweigert hat, in eine Schublade gesteckt zu werden, der uns mit seinen Werken ständig herausgefordert, provoziert und inspiriert hat. Auf gewisse Art spüre ich, dass die MJAP Videos das tun, aber auf eine andere Weise fühlen sie sich ein wenig vereinfachend und reduktiv an.
Willa: Wow, Joe, meine Reaktion war genau gegenteilig. Ich habe gedacht, dass es wirklich interessant war, dass das Academia Project die Verbindung mit dem Black Panther Symbol und den Clip über Louis Farrakhan aufgezeigt hat, gerade weil sie so anders sind oder weil sie ideologisch so anders wahrgenommen werden als Michael Jackson.
Mit anderen Worten, Louis Farrakhan und Michael Jackson sind zwei bedeutende kulturelle Persönlichkeiten, die typischerweise jeweils an zwei gegenüberliegenden Enden eines Spektrums liegen: Farrakhan wird als zutiefst umstritten, als ein Separatist, porträtiert, während Michael Jackson als Integrationsfigur, die eigentlich Weiß sein wollte, dargestellt wird. Es ist eine grauenhafte Verzerrung dessen, was er wirklich war, aber es ist so da draußen. Für mich bedeutet das, wenn ich einen Hinweis auf eine Gemeinsamkeit gebe, zwingt das die Leute wirklich, ihre vorgefassten Meinungen über beide in Frage zu stellen. Aber zu zeigen, dass sie eine Gemeinsamkeit teilen, heißt nicht, dass sie gleich sind. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand Michael Jackson mit Louis Farrakhan verwechselt. Ich sehe so etwas nicht.
Charles: Ich denke, wenn du einem Song wie They Don’t Care About Uszuhörst, da spricht Michael über Rasse in einer eindeutigen ‚sie und wir‘-Bedeutung. Es steht genau da in der Überschrift. Er stellt dem ‚uns‘ (us) die Untergeordneten – dem ‚sie‘ (they) - Establishment - gegenüber. Er macht auch durch weitere Lyrics in dem Stück deutlich, dass das ‚wir‘ die rassische Minderheit ist. „Schwarzer Mann, Erpressung / Wirf den Bruder ins Gefängnis (Black man, blackmail / Throw the brother in jail)“ „Ich bin es leid, ein Opfer der Schande zu sein / Du wirfst mich in einen Topf mit einem schlechten Ruf ( I’m tired of being a victim of shame / You’re throwing me in a class with a bad name)“. Die Nutzung der Radio Polizeimeldung über den jungen Schwarzen Mann, der von der Polizei aufgrund einer missverstandenen Identität getötet wurde, verstärkt diese Position noch.
Dann siehst du die zwei Videos, die diesen Song begleiteten. Die Gefängnisversion zeigt die Insassen, die fast alle Schwarz sind. Es gibt Bilder vom KKK. In der Brasilversion geht er im Stechschritt und macht den Nazigruß. Er steht auf einem Balkon und bietet einen Song dar, der in Teilen auf Martin Luther Kings ‚I Have A Dream‘-Rede basiert. Da ist wenig Platz für Interpretation, außer dass sich Jackson gegen Rassismus äußert und sich selbst als Schwarzen Mann und damit als Opfer identifiziert.
Er wiederholte diese Meinung ziemlich oft in späteren Jahren. Da war der Höhepunkt 2002 mit Al Sharpton, wo er die Musikindustrie scharf kritisierte, die Schwarzen Künstler zu zerreißen und die Medien anklagte, ihre Innovationen ihren Weißen Zeitgenossen zuzuschreiben. Dann gab es das Jesse Jackson Interview, in dem er sehr eloquent über die Jack Johnson Geschichte sprach und sich selbst mit anderen Schwarzen Koryphäen verglich, die zur Zielscheibe des Establishments geworden waren.
Und zu guter Letzt möchte ich sagen, dass Michael Jackson widersprüchliche Ideologien zum Thema Rasse deutlich gemacht hat. Auf der einen Seite sprach er oft darüber ‚farbenblind’ zu sein oder dass er Menschen aller Rassen zusammenbringen möchte. Auf der anderen Seite zeigten viele seiner Songs und seiner öffentlichen Reden und Interviews nach den Anschuldigungen 1993 einen tiefen Glauben daran, dass Rassismus sehr wohl noch am Leben sei und er ein Opfer davon. Er schien nach 1993 ‚streitbarer’ diesem Thema gegenüber zu sein. Seine Musik sprach von Polizeigewalt, Zielscheibe des FBI zu sein, der Staatsanwalt stecke mit dem KKK unter einer Decke, die Medien ‚lügen, um die Rasse zu beschämen’. Während seines Prozesses und sogar bei der Ankündigung zu den This Is It Konzerten gab er den Black Power Gruß. Er umgab sich selbst mit der Nation of Islam – geführt durch Farrakhan.
Ich denke, es ist sehr schwierig, die Schlussfolgerungen des MJAP auf dieser Grundlage nicht zu beachten. Ich kann auch nicht der Bemerkung zustimmen, dass sie ihre Werke nicht mit Referenzen versehen. Das meiste davon scheint aus Büchern zu stammen, die sie explizit nennen in den Videos.
Joe: Ich möchte erklären, was ich damit meine, wenn ich sage, dass sie sich in ihren Arbeiten nicht auf Bezugsquellen beziehen. Wenn sie sagen, dass MJ’s Earth Song Video durch einen sowjetischen Propagandafilm, der irgendwie ähnlich aussieht, inspiriert wurde, möchte ich mir einfach als Forschender ansehen können, wo sie diese Information entdeckt haben. Kommt es von einem Interview? Haben sie Zugang zu seinen Archiven? Oder ist es eine auf Tatsachen beruhende Vermutung, die auf anderen Informationen basiert? (Die Verbindung zum Triumph des Willens / The Triumph of the Will ist offensichtlicher.)
Charles: Die Ähnlichkeiten sind so verblüffend, dass es mich glatt umgehauen hat, als sich herausstellte, dass es nicht nur ein Einfluss war. Michael ist nicht mehr am Leben, also ist es sehr wahrscheinlich, dass wir es niemals sicher wissen werden, aber wenn das Earth Song Video und die Konzert Performances nicht auf diesem Sowjet Film basieren, dann ist das ein gespenstischer Zufall.
Joe: Es gibt einige faszinierende Ähnlichkeiten, aber ich würde sagen, es steht 50/50. Michael hatte ein riesiges Videoarchiv und einen persönlichen Archivar, also könnte ziemlich sicher die Möglichkeit bestehen, so etwas zu verifizieren.
Hier noch ein weiteres Beispiel zum Zitieren: Vieles von dem, das sie in Black or White untersuchen, wurde bereits zuvor geschrieben (von Armond White, mir selbst und anderen). Also wäre es die Gepflogenheit unter Akademikern, die Gedanken, die bereits formuliert wurden, zu würdigen, damit sie nicht als Plagiat bestraft werden. Natürlich, wenn diese Videos in erster Linie als „Fan Videos“ beabsichtigt sind, ist dieser Kritikpunkt weniger relevant.
Nun, Charles, lass mich noch mal zurückgehen zu dem Punkt, den du erwähnt hast bezüglich MJ und Rasse / Rassismus: Ich widerspreche nicht der Tatsache, dass Jackson politisch drastischer und unverblümter in seiner späteren Karriere wurde. Es ist keine Frage, dass er gegen institutionellen Rassismus und Unterdrückung und Ungerechtigkeit im Allgemeinen kämpfte. Wo ich dem MJAP (und dir) nicht zustimmen kann, ist die buchstabengetreue Interpretation. Zum Beispiel sehe ich, wie er sich symbolisch in einen Black Panther verwandelt, nicht dass er heimlich an Treffen der Black Panther teilnahm und diskrete Codes an eine spezielle politische Gruppe aussandte. Ähnlich wie bei They Don’t Care About Usdenke ich, dass er sich mit den Unterdrückten identifiziert und die Wahrheit ausspricht gegenüber den Mächtigen, ungeachtet der Hautfarbe oder Nationalität. Es ist etwas Grundsätzliches, aber es hat nichts mit der Nation of Islam oder Louis Farrakhan (einem Mann, der bekannt dafür ist, ein Rassist, homophob und Antisemit zu sein, und viele glauben, er sei zumindest zum Teil für die Hinrichtung von Malcolm X verantwortlich) zu tun.
Wie ich schon weiter vorne gesagt habe, ich denke, es gibt eine Menge, das man an diesen Videos mögen kann – ich denke, sie haben eine Menge Potential – aber speziell um Menschen außerhalb der Fangemeinde zu erreichen (wenn das das Ziel sein sollte) glaube ich, sie könnten von etwas mehr Nuancierung profitieren.
Joie: Noch einmal, ich kann Joe hier nur komplett zustimmen; ich denke, das erste MJAP Video machte einen großen Sprung, indem es andeutete, dass Michael ein Mitglied der Black Panther Party gewesen sei oder sie und Louis Farrakhan wenigstens unterstützt habe, einfach weil er sich am Schluss des Black or White Videos in einen Panther verwandelt. Und in They Don’t Care About Us „identifiziert er sich definitiv mit den Unterdrückten“, wie Joe es gesagt hat, aber „die Unterdrückten“ gibt es in vielen Farben. Wie Willa und ich in unserer Unterhaltung über They Don’t Care About Us diskutiert haben, behandelt dieser Song / Short Film(s) nicht nur einfach das Thema Schwarz oder Weiß. Es beschäftigt sich mit so viel mehr – Armut, dem Missbrauch der Menschenrechte, und ja, Rassismus. Und er ging sehr viel entschiedener mit Rassenthemen um nach 1993 und ich stimme zu, dass er sich durch das System sehr schikaniert fühlte. Wie hätte er nicht so empfinden sollen? Aber ich glaube nicht, dass es eine versteckte Verbindung zur Nation of Islam oder zu Louis Farrakhan enthüllt.
Willa: Aber sagen diese Videos das denn? Ich denke das nicht. Sie enthalten einen Ausschnitt von Farrakhan in der Arsenio Hall Show, in der er sagt „Michael entwickelt sich politisch. Und er möchte seine politische Reife gemeinsam mit seinem Vermögen dazu nutzen, sein Volk zu unterstützen.“ Das ist es. Für mich zeigt das, dass Louis Farrakhan eine Meinung hat – eine positive Meinung – über Michael Jacksons Arbeit und Aktivitäten, aber es unterstellt nicht mehr als das.
Und ich denke nicht, dass sie andeuten „er habe heimlich an Versammlungen der Black Panther teilgenommen“ oder irgendetwas Ähnlichem, wie du erwähnt hast, Joe. Ich lese das überhaupt nicht aus den Videos heraus. Für mich ist Michael Jacksons Werk ein unglaublicher Teppich, der Fäden aus vielen verschiedenen Quellen verwebt. Und das erste Academia Project Video beleuchtet einiges der Black Panther Symbolik in seinen Werken und verfolgt ein paar dieser Fäden. Ich denke, das ist faszinierend, und es hilft mir, einen Teil des Teppichs wahrzunehmen, den ich vorher nie betrachtet hatte. Aber ich habe niemals gedacht, dass sie sagen, er sei buchstäblich ein Black Panther gewesen. Ich sehe das einfach nicht.
Joie: Nein, ich sage nicht, dass diese Videos das andeuten. Ich denke das nicht. Ich stimme nur einfach nicht mit Charles’ Einschätzung überein, dass es schwerfällt, die Schlussfolgerungen des MJAP in dieser Angelegenheit nicht zu beachten.
Das sagt auch aus, dass ich die Videos auf ihre eigene Art wirklich wundervoll finde. Sie sind sehr gut recherchiert und gut durchdacht. Wer immer dahinter steckt, hat offenbar eine große Portion an Zeit und Anstrengung darein gesteckt, und sie könnten ein großes Potential haben, wenn sie die richtigen Leute erreichen würden. Genau jetzt beschränken sie sich darauf, die Runde in der MJ Fangemeinschaft zu machen, was gut ist, denn es gibt immer noch viele Fans da draußen – speziell die Neueren – denen vielleicht das Ausmaß dessen, durch das Michael hindurch musste, nicht so bewusst war, und wie verzerrt die Medienberichterstattung war. Aber um wirklich effektiv die Diskussion über ihn zu verändern, müssen die Videos ein breiter angelegtes Massenpublikum erreichen.
Joe: Dies sind sehr gute Punkte, Joie. Ich denke, ich hoffe zumindest, meine konstruktiven Kritikpunkte sprechen genau das an, worüber du sprichst: glaubwürdiger werden, so dass sie ein breiteres Publikum erreichen können. In der Tat denke ich, dass dieses dritte Video von ihnen das bei Weitem beste war. Also lass mich nochmal auf etwas zurückkommen, was Willa gesagt hat. Du erwähntest, dass das Zitat von Farrakhan interessant sei, weil es positiv über Michaels Werke und Aktivitäten spricht. Ich stimme tatsächlich mit fast allem überein, was Farrakhan in diesem Ausschnitt sagt. Aber, noch einmal, für mich geht es um Glaubwürdigkeit. Farrakhan zu benutzen, um einen Standpunkt aufzuzeigen wird für 99 % der Leute eigentlich in die entgegengesetzte Richtung arbeiten.
Bei dem Black Panther Material würde ich persönlich eher die Möglichkeit für eine nuancierte Interpretation in einem seriösen akademischen Kontext sehen. Ich denke, dies stellt eine fesselndere Interpretation bereit, wenn sie darüber schreiben, wie Jackson gewisse Symbole in ihre gegenteilige Bedeutung dreht (á la HIStoryTeaser und Riefenstahls Triumph of the Will).
Joie: Ich stimme dir zu bei dem, was du gerade über Farrakhan und Glaubwürdigkeit gesagt hast. Die Sache ist die, dass ihn zu sehen viele Leute abschalten lässt und er dazu benutzt wird, um einen Standpunkt herzuleiten oder zu versuchen, andere von einem Standpunkt zu überzeugen, was riskant und kontraproduktiv sein kann.
Willa: Er ist wirklich polarisierend, und ich verstehe, was du und Joe sagt, Joie. Aber wie ich vorher gesagt habe, denke ich, dass es wirklich interessant und lohnenswert ist, Michael Jackson und Louis Farrakhan gegenüberzustellen, gerade weil sie so unterschiedlich sind. Es ist, wie Michael Jackson auf den Stufen des Weißen Hauses mit Ronald Reagan zu sehen. Meine Reaktion ist jedes Mal, Wow, was für ein Kontrast! Jedoch teilten sie eine Gemeinsamkeit. Dieses Bild führt mich aber nicht dahin, anzunehmen, dass Michael Jackson ein heimlicher Konservativer ist und der Republikanischen Partei insgeheim Geld zuschanzt. Überhaupt nicht. Und ich denke das auch nicht über Farrakhan und die Nation of Islam.
Es stimmt, dass Louis Farrakhan einige Dinge gesagt hat, denen ich absolut nicht zustimme. Das hat übrigens auch Ronald Reagan getan. Aber ich denke nicht, dass die Antwort darauf ist, Farrakhan in eine Schublade zu stecken und so zu tun, als würde er nicht existieren. Stattdessen denke ich, dass es unglaublich ist, dass eine Person sowohl auf Ronald Reagan, als auch auf Louis Farrakhan, Nelson Mandela und Elizabeth Taylor, auf Fans von den USA bis Japan, von Afrika bis Irland eingewirkt hat. Das ist wundervoll für mich.
Charles: Ich denke nicht, die MJAP Videos würden in irgendeiner Weise implizieren, Michael Jackson würde heimlich an Black Panther Meetings oder etwas in der Art teilnehmen. Ich denke, sie demonstrieren, dass seine Werke, sogar vor den Anschuldigungen, mit politischen und rassenbezogenen Kommentaren durchzogen waren, was von den Kritikern vollständig ignoriert wurde.
Willa: Ganz genau.
Charles: Ich finde auch, dass die Nutzung von Farrakhan als Quelle nicht jeden überzeugen kann, denn der Mann hat sich wiederholt als Rassist und Spinner gezeigt. Ich erinnere mich, dass ich vor einiger Zeit ziemlich alarmiert war, als Fans eine circa einstündige „Predigt“ von Farrakhan über Michael Jackson in der Kirche herumreichten. Während der Rede deutete er They Don’t Care About Us als einen gezielten Angriff auf Jüdische Menschen und rühmte Michael dafür, den Mut zu haben, seine antisemitische Meinung kundzutun. Aber Farrakhan ist nur eine von mehreren Quellen, die von den MJAP Erschaffern herangezogen werden, um die Ansichten zu unterstützen, und ich stimme ihm sicherlich zu, dass Michael Jacksons Behandlung zumindest teilweise rassistisch motiviert war. Wenn die ganze Sache an Farrakhan hängen würde, wäre es eine andere Sache – aber das ist nicht der Fall.
Ich finde auch, dass es in den Lyrics von TDCAU nicht um eine spezielle Rasse geht. Die Zeile „Schwarzer Mann, Erpressung / Wirf den Bruder ins Gefängnis (Black man, blackmail / Throw the brother in jail)“ ist ziemlich unverblümt, besonders im Zusammenhang mit der Polizei Radiobotschaft am Beginn des Titels und den Kommentaren durch den Rest des Albums, solche wie „Unter der Kapuze / Leg ihn herein, wenn du kannst … Im Dunkeln / Stich ihm in den Rücken / In das Gesicht / Um zu lügen und die Rasse zu beschämen (In the hood / Frame him if you could … In the black / Stab him in the back / In the face / To lie and shame the race.)“
Willa: Aber in den Videos – besonders in der Gefängnisversion – machen die Bilder diese Lyrics komplizierter. Die meisten der Gefangenen sind schwarz, aber einige sind weiß oder indianisch oder gehören einer anderen Minderheit an. Die meisten der Wächter sind weiß, aber einige sind schwarz. Und ich bin wirklich getroffen von der Tatsache, dass als er wütend wird und den Schlagstock eines Wächters zur Seite schiebt, dieser Wächter ein Schwarzer ist. Das sagt mir, dass der Rassismus, den er bekämpft, wie du sagst, ein Rassismus der Institutionen ist, und er stellt sich jedem entgegen, der diesen institutionellen Rassismus unterstützt, ungeachtet der Tatsache, ob dieser weiß oder schwarz ist. Er bewertet Menschen nach ihrer Meinung und nach ihren Taten, nicht nach ihrer Hautfarbe, und das ist eine Botschaft, die er stets sein ganzes Leben lang ausgedrückt hat.
Da sind auch wochenschauartige Bilder von einigen ziemlich grausamen Gewaltszenen – so grausam, dass MTV sich weigerte, diese Version vor 21 Uhr abends zu zeigen. Und während viele dieser Szenen Bilder des Ku Klux Klan oder Rassengewalt weiß gegen schwarz zeigen, gibt es genauso Szenen eines weißen LKW-Fahrers, der während der Rodney King Unruhen von einem jungen schwarzen Mann massiv geschlagen wird. Und einige der anschaulichsten Szenen sind Dokumente aus Südostasien. Also nochmal, er bekämpft Rassismus, aber nicht in einer vereinfachten Art und Weise von Schwarz gegen Weiß.
Und ich denke auch nicht, dass die Lyrics im simplifizierenden Schwarz gegen Weiß gemeint sind. Hier sind jene berüchtigten Lyrics, die so schrecklich missinterpretiert wurden durch einige direkte Menschen wie Steven Spielberg und Louis Farrakhan (die ein merkwürdiges Gespann bilden):
Schlag mich, hass‘ mich Du kannst mich niemals brechen Befiehl‘ mir, reg‘ mich auf Du kannst mich niemals töten
Nenn‘ mich Jude, verklag‘ mich Ihr setzt mir alle zu Tretet mich, verletzt mich Mach mich nicht zu Schwarz oder Weiß
Ganz eindeutig kämpft er gegen Antisemitismus in diesen Lyrics, und ich glaube, deswegen ist es so ärgerlich, dass er deswegen des Antisemitismus bezichtigt wurde. Also hier geht es nicht nur um Rasse. Und als er sich mit Führern im Kampf für Gerechtigkeit identifiziert, sagt er „Wenn Roosevelt leben würde / Würde er dies nicht zulassen“. Das nächste Mal singt er diese Strophe und ersetzt „Roosevelt“ durch „Martin Luther“, und suggeriert damit, dass die Fackel der Bürgerrechte von vielen Händen getragen und weitergereicht wurde, inklusive Franklin Delano Roosevelt ebenso wie Martin Luther King, Jr. Also ich denke, es ist eine Übersimplifizierung, dieses Werk einfach auf Wir gegen Sie zu reduzieren. Wie Michael Jackson selbst sagt „Mach mich nicht zu Schwarz oder Weiß (Don’t you black or white me)“.
Joe: Genau, Willa. Das ist das, wovon ich denke, dass es so wichtig ist: Michaels kreatives Leben und Arbeiten bedeutet für mich die Überwindung dieser hermetisch abgeschlossenen Gegensätze. Er bietet immer diese wechselnde Spannung. Er schob sein Publikum ständig weiter, sogar in seinen Protest Songs, um zu zeigen, welche verschiedenen Gesichter Unmenschlichkeit, Engstirnigkeit und Ungerechtigkeit haben kann. Er rief nicht nach „Black Power“, um „White Power“ (Weiße Macht) zu ersetzen. Das ist die Art, wie die Bushs und die Farrakhans die Welt sehen. Wir gegen sie. Weiß gegen Schwarz. Christen gegen Muslime. Es ist sehr viel komplexer als das. Malcolm X begann, dies in seinen letzten Jahren zu realisieren; MLK wusste es; Michael Jackson wusste es. Er kannte die Geschichte der Weißen Vorherrschaft in Amerika. Er kannte auch andere Formen von Bigotterie und Grausamkeit, ob es nun gegenüber der Erscheinung, dem Geschlecht, der Sexualität, Klassenzugehörigkeit, Religion, Krankheit oder anderen Unterschieden war. Aber er kämpfte gegen eine solche Diskriminierung durch seine reichhaltige, komplexe, synkretische *) Kunst, nicht durch ideologische Dogmen.
*) synkretisch: zusammengesetzt; Sykretismus: Vermischung religiöser Ideen der Philosophien zu einem neuen System oder Weltbild
Lilly
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Thema: Re: Dancing With The Elephant (Deutsche Übersetzung) Mi 14 Nov 2012 - 21:31
Ich fühle mich immer, als würde mich jemand beobachten – Teil 1 I Always Feel Like Somebody’s Watching Me – pt. 1 15/03/2012
Willa: Wie wir schon so oft besprochen haben, Joie, war Michael Jackson einfach ein erstaunlicher Künstler – der bedeutendste Künstler unserer Zeit, wie ich glaube. Auch war er eine formende, kulturelle Persönlichkeit, deren Kunst tiefgreifende kulturelle Änderungen mit sich brachte. Durch seine Kunst war er fähig, einige unserer am tiefsten verwurzelten kulturellen Erzählungen zu überarbeiten, besonders Erzählungen über rassenbezogene Unterschiede, und grundlegend zu beeinflussen, wie wir als Volk auf diese Erzählungen reagieren. Als Künstler drückte er sich also nicht nur selbst kreativ aus. Er war auch sehr darauf fokussiert, welche Wirkung seine Kunst auf sein Publikum hatte.
All dieses hat mich an die vielen Male denken lassen, bei denen er ein Publikum auf der Leinwand in seine Videos eingebunden hat. Manchmal ist dieses Publikum Teil des Ganzen – am berühmtesten sind die zwei sich bekämpfenden Gangs, die sich dem großen Tanzensemble in Beat It anschließen. Andere Male sind sie nur Beobachter, wie die Gangmitglieder in Bad oder die Dorfbewohner in Ghosts oder die Clubmanager in You Rock My World. So oder so bin ich getroffen davon, wie oft er uns als Publikum positioniert, so dass wir ihm faktisch über die Schultern eines Leinwandpublikums hinweg zusehen.
Joie: Das stimmt, Willa; es ist ein Muster, das er oft benutzt. Aber ich bin begeistert von dem, was du gerade über das Bad Video gesagt hast. Die Gangmitglieder, oder Tänzer, nehmen aktiv teil. Aber es sind die drei sogenannten „Freunde“, die einfach da stehen und zusehen. Ich vermute, ich hab‘ sie einfach nicht als Gangmitglieder betrachtet, vielmehr als junge Rabauken, die denken, sie wären böse. Möchtegern-Schlägertypen.
Willa: Interessant, Joie. Ich habe niemals wirklich vorher darüber nachgedacht, aber du hast Recht. Ich habe die Tänzer auch nicht als Gangmitglieder gesehen. Ich betrachte sie als Tänzer, erfundene Tänzer. Die ganze Tanzsequenz spielt sich in seiner Vorstellung ab. Aber ich neige dazu, die drei Freunde, die den Überfall planen, als Gangmitglieder zu sehen – tatsächlich beziehe ich mich sogar auf sie in der Art – aber du hast Recht, das sind sie nicht. Sie sind nur „junge Rabauken, die denken, sie wären böse“, wie du sagst.
Und das ist eine wirklich wichtige Unterscheidung, denn der ganze Sinn von Badbesteht darin, neu zu definieren, was es bedeutet „böse“ zu sein, was es genau ist, mit dem sich die drei Freunde herumschlagen. Bedeutet es respektiert zu werden, weil du hart bist – „Möchtegern-Schlägertypen“, wie du sie nanntest? Oder kannst du auch „böse“ auf eine andere Art sein und aus anderen Gründen respektiert werden? Das ist das ausschlaggebende Thema im Zentrum von Bad, und es ist ein hervorragendes Beispiel, das Michael Jackson hier benutzt, um eine kulturelle Geschichte umzuschreiben. Und ich glaube, die Anwesenheit dieser drei Freunde als Leinwandpublikum sind entscheidend, um den Gedanken zu vermitteln.
Zu Beginn des Films sehen wir die drei Freunde, wie sie dem Hauptcharakter Daryl ihre Definition von „böse“ versuchen aufzuzwingen. Er beginnt mitzuziehen, sogar obwohl er weiß, dass es falsch ist, weil er ihren Respekt will. Aber dann kommt die große Tanzsequenz, in der ihnen eine neue Definition von „böse“ mitteilt. Er offenbart ihnen, dass er ein Künstler ist – ein unglaublicher Sänger und Tänzer, der die Leute durch seine Kunst sowohl herausfordern, als auch bewegen will. Seine Freunde beobachten all dies und schlagen dann ihre Hand in seine ein. Dieser Handschlag ist der Höhepunkt des Films, meiner Meinung nach, denn das ist der Moment, als seine Freunde die äußerst wichtige Entscheidung treffen, seine Neudefinition zu akzeptieren. Also hat er einen völlig neuen Weg gefunden, den Respekt seiner Kumpel zu erlangen – nicht indem er hart ist und belanglose Straftaten begeht, sondern indem er sein Talent und seine Kreativität entwickelt und ausdrückt. Und ich glaube, dass das Leinwandpublikum die Antwort vorwegnimmt, die er sich auch von uns als Publikum wünscht. Er möchte, dass wir die Neudefinition auch akzeptieren, genauso wie es das Leinwandpublikum tut.
Joie: Das sehe ich genauso; er nimmt das Leinwandpublikum als Modell für das Verhalten, das er von uns als Nichtleinwandpublikum erwartet. Es ist wirklich klassisch Michael Jackson. Ich glaube, in den meisten seiner Short Films war es jedes Mal sein Ziel, dass wir über die Bedeutung rätseln. Wenn du darüber nachdenkst, war in fast jedem Video irgendwo eine Botschaft oder eine Lektion versteckt, und es ist unser Job als Publikum, herauszufinden, worin diese Lektion oder Botschaft besteht. Und in den Videos, die ein Leinwandpublikum haben, können wir normalerweise die beabsichtigte Lektion durch die Beobachtung der Reaktionen dieses Publikums ablesen.
Willa: Das ist eine interessante Sicht, Joie. Also kann das Leinwandpublikum auch als ein Interpretationswerkzeug gesehen werden, das uns hilft, die Bedeutung des Videos herauszufinden. Das ist wirklich interessant.
Joie: Es ist interessant, nicht wahr? Weißt du Willa, meine Lieblingsvideos mit einem Leinwandpublikum sind diejenigen, die Konzertmaterial enthalten: Give In to Me, Dirty Diana und Come Together. Das sind drei meiner Favoriten und ich denke, das kommt daher, weil Michael auf der Bühne sowieso so elektrisierend zu beobachten war. Also sind diese Videos, die eine Art „inszenierten“ Konzertauftritt auf einer Bühne beinhalten, wirklich interessant zu beobachten für mich. Es ist, als würde er auf einem schmalen Grat wandern zwischen einer Live-Performance und einer geschriebenen Rolle. Ich finde das faszinierend. Ich denke auch, dass es sehr interessant ist, dass diese Konzertvideos diejenigen unter seinen sexysten sind, und ich denke, dass hat eine Menge damit zu tun, dass er auf der Bühne immer sehr natürlich sexuell war.
Willa: Oh, das ist ganz meine Meinung! Und das ist eine interessante Unterscheidung zwischen den Mitschnitten aus seinen Livekonzerten und den Konzerten, die als Teil eines Videos „inszeniert“ wurden. Ich habe darüber vorher noch gar nicht nachgedacht. Aber während sie eher subtil sind, kannst du starke Argumente dafür liefern, dass seine Konzertvideos ebenso eine wichtige politische Botschaft haben – eine Botschaft, die noch einmal verstärkt wird durch das Leinwandpublikum. Wie wir schon vorher besprochen haben, war er ein Sexsymbol – das erste Schwarze Teenidol – zu einer Zeit, als von Schwarzen Männer nicht erwartet wurde, in der Öffentlichkeit sexuell aufzutreten. Sie sollten diesen Teil von sich unterdrücken. Und wow, er hat es provoziert!
Und nochmal, dieses Leinwandpublikum – das eine Menge schreiender, in Ohnmacht fallender, weinender Frauen aller Rassen beinhaltet – stellt für uns ein Modell dafür dar, wie wir reagieren sollen. Wir sollen nicht schockiert sein oder erschrocken oder uns bedroht fühlen durch einen sexy jungen schwarzen Mann, der sich direkt vor uns sein Shirt aufreißt. Wir sollen die Rassenvorurteile der Vergangenheit beiseitelegen und einfach diesen erstaunlicherweise wunderschönen Körper schätzen. Und das taten wir! Jeder von uns – schwarz, weiß, asiatisch, alle Rassen. Er schrieb die kulturelle Erzählung komplett neu. Genauso wichtig ist, er revidierte auch die emotionale Reaktion, die sowohl Frauen als auch Männer gegenüber dieser kulturellen Erzählung hatten.
Joie: Das stimmt. Und das führt wieder zurück zu dem, was ich gerade gesagt habe darüber, dass es eine versteckte Botschaft oder eine Lektion in jedem Short Film gibt. Und du hast es gerade ausgeführt, ich denke, die Hauptlektion all dieser Performancevideos ist, jene Rassenvorurteile zu durchbrechen und diese spezielle kulturelle Erzählung umzuschreiben.
Weißt du, Willa, was ich mich frage, denkst du, dass andere Künstler – hauptsächlich heutige populäre Musiker – jemals im Blickfeld haben, wie ihre Musik und ihre Videos, oder sogar ihr Image, nicht nur ein Publikum, sondern die ganze Welt um sie herum beeinflussen? Weil ich denke, dass sich Michael dessen sehr bewusst war, und ich glaube, er konzentrierte sich ganz aktiv darauf, wie du vorher schon sagtest. Aber bei sehr vielen der heutigen Künstler habe ich dieses Gefühl nicht.
Willa: Oh, ich weiß nicht. Ich denke, einige jüngere Künstler befassen sich sehr leidenschaftlich mit sozialem Wandel, entweder ganz ausdrücklich – wie Will.i.am’s Yes We Can-Video, das Barack Obama während der letzten Präsidentschaftskampagne unterstützt hat – oder eher subtil wie Lady Gagas Born This Way-Video. Ich weiß, wir beide sind hierzu nicht einer Meinung, aber ich sehe ihr Video als direkten Nachfolger von Can You Feel It, sowohl visuell, als auch thematisch. Beide kämpfen gegen die vielen Ausprägungen von Vorurteilen, aber während bei Can You Feel It der Rassismus im Blickfeld steht, fokussiert Born This Way Homophobie und die tiefsitzenden Vorurteile rund um Sexualität.
Joie: Gut, du hast Recht; wir haben eine völlig unterschiedliche Meinung zu diesem Video, und ich vermute, ich bin direkt darauf zugesteuert. Aber lassen wir Lady Gaga und Will.i.am mal beiseite, ich sehe eine Menge populärer Künstler genau jetzt da draußen, von denen ich denke, dass sie sich keine wirklichen Gedanken darüber machen, wie ihre Musik die Welt beeinflusst. Ich möchte niemandem zu nahe treten, also werde ich nicht diejenigen nennen, die mir sofort einfallen … aber du weißt, was ich sagen will, stimmt’s?
Willa: Ich vermute ja, obwohl du so viel mehr als ich über derzeitige Musik weißt. Sehr viel mehr. Ich bin da völlig raus. Aber Künstler entwickeln sich mit der Zeit, also speziell bei jungen Künstlern vermute ich, dass ich einfach warten werde und sehen, was passiert. Michael Jackson wurde offensichtlicher politisch mit der Zeit, und das wird bei ihnen vielleicht auch so sein. Und während ich Werke wie Earth Song liebe, das sowohl bewegend, als auch bedeutungsvoll ist, kann ich auch immer noch eine gute Performance wie Rock With You genießen, einfach nur wegen seiner Musik und seiner Stimme und seinem Tanz – und ich weiß genau, dass wir beide bei diesem Video gleicher Meinung sind!
Joie: Oh man, nur die Erwähnung dieses Videos verwirrt mich so, dass du es kaum glauben wirst! Das einzige andere Video, das mich auf diese Art berührt, ist Blood on the Dance Floor, aber ich schweife mal wieder vom Thema ab!
Du weißt, eine andere Sache, die ich an den Performance Videos oder an Konzertfilmen liebe, ist das Getöse der Menge. Es ist so anders, als wenn man eigentliches Konzertmaterial anschaut. Wie in Another Part of Me sind die Aufnahmen der Menge viel ungestellter und „real“, denn wir beobachten ein tatsächliches Publikum, das gerade ein wirkliches Michael Jackson Konzert erlebt. In den anderen drei Performance Videos – Give In to Me, Dirty Diana und Come Together – ist das Publikumserlebnis weniger authentisch, sehr viel mehr vorbereitet, aber immer noch mindestens genauso interessant für das Nichtleinwandpublikum. Aber was alle vier dieser Konzertfilme gemeinsam haben, ist das ehrfurchtgebietende Getöse der Menge. Ich finde, es ist wirklich interessant, dass alle vier Filme grundsätzlich auf die gleiche Art enden. Ungeachtet dessen, was auf der Bühne passiert, die jubelnde Menge kann über das Ende hinaus gehört werden. Die einzige Ausnahme ist bei Give In to Me, bei dem das Getöse der Menge in den Drum Rhythmus des Songs ganz am Ende übergeht.
Willa: Das ist ein interessanter Punkt, und wir verlassen Give In to Me mit einem ganz anderen Gefühl deswegen, denke ich – auf gewisse Art etwas unheimlich und verwirrend. Weißt du, jetzt wo wir über laute Menge am Ende dieser Videos sprechen, erinnert mich das daran, dass Beat It auf dieselbe Art endet. Wir sehen Beat It immer nicht als einen Konzertfilm, weil er erzählend ist: Er erzählt eine Geschichte und wir sind in der Geschichte gefangen und neigen dazu, zu vergessen, dass es eine Performance für ein Publikum ist. Aber ganz am Ende des Videos, als der Konflikt gelöst ist und alle Gangmitglieder tanzen, fährt die Kamera zurück und wir sehen, dass sie auf einer Bühne sind, und wir hören das Publikum kreischen und klatschen.
Joie: Stimmt, Willa. Ich habe daran gar nicht gedacht, aber das stimmt. Wir sehen das Leinwandpublikum nicht wirklich, aber hören es ganz am Ende des Videos. Eine wirklich interessante Perspektive für ein Ende, findest du das nicht auch?
Willa: Es ist sehr interessant, ich denke, weil es umgestaltet, was wir gerade gesehen haben. Es war gar nicht dafür gedacht, als Szene aus dem wirklichen Leben interpretiert zu werden – eine Fehlinterpretation, auf die viele Kritiker hereingefallen sind, als sie es „naiv“ und „unrealistisch“ bezeichneten – sondern als inszenierte Performance, und das ändert, wie wir es interpretieren sollen. Die Geschichte, deren Zeuge wir waren, sollte gar nicht als realistisch oder als Live Act gesehen werden, sondern als eine Geschichte – eine moralische Erzählung – dies ist bewusst so für uns kreiert worden, und die Leute, die wir dabei beobachtet haben, sind gar keine Gangmitglieder, sondern Tänzer und Künstler. Indem er dieses Video auf diese Art mit einem auf ihre Performance reagierenden Publikum enden lässt, betont er, dass dies ein Kunstwerk ist, und er fordert uns damit auf, darüber als Kunst mit einem Zweck und einer Botschaft nachzudenken.
Joie: Außer, dass die Leute, die wir gesehen haben, in Wirklichkeit Gangmitglieder sind; vergiss das nicht.
Willa: Oh ja, das stimmt!
Joie:Es ist wahr, dass da über 20 professionelle Tänzer dabei waren, viele von ihnen spielen eine wichtige Rolle in dem Video, aber viele von ihnen, die als Statisten im Hintergrund den „Kampf“ beobachten, waren tatsächliche Mitglieder der Crips und der Bloods– zweier berüchtigter, rivalisierender Street Gangs aus Los Angeles, und die Location, in der das Video wegen höherer Authentizität gedreht wurde, war eine berüchtigte Gegend. Obwohl also dieser spezielle Kampf extra für uns als „Performance“ dargestellt wurde, stellten diese zwei Gangs einen sehr realen Konflikt nach, in den sie bereits seit vielen, vielen Jahren eingebunden waren. Ich finde das wirklich interessant, denn vielleicht ist dieses Wissen Teil der Botschaft oder die versteckte Lektion in diesem Short Film. Durch den Einsatz des lauten unsichtbaren Publikums am Schluss zwingt er uns dazu, dies als reine Darstellung zu sehen, wie du sagst. Aber indem er reale Gangmitglieder mit sozusagen ihrem natürlichen Verhalten einsetzt, zwingt er uns dazu, zu realisieren, dass diese Art Konflikte im „wirklichen Leben“ tatsächlich überall in den Städten im ganzen Land vorkommen.
Willa: Das ist ein ausgezeichneter Punkt – es ist, als würde er wirklich auf der Leinwand nachstellen, was er gerne im realen Leben sehen würde, sowohl für jene von uns, die diese Performance ansehen, als auch für die Gangmitglieder, die daran teilnehmen. Jene Gangmitglieder haben wirklich mit den gegnerischen Gangmitgliedern zusammengearbeitet, um diesen Film mitzugestalten, also wird die Botschaft des Films noch einmal auf einem anderen Level dargestellt.
Joie: Das ist so wahr, und diese zwei rivalisierenden Gangs haben wirklich einen temporären Waffenstillstand für ihren Konflikt ausgerufen, so dass sie an den Filmaufnahmen für dieses Video teilnehmen konnten. In der Tat sagte der Regisseur des Videos, Bob Giraldi, einmal in einem Interview http://www.boardsmag.com/articles/online/20090707/giraldibeatit.html , dass er dachte, die Idee, wirkliche Gangmitglieder zu nutzen sei verrückt, aber Michael sei unerbittlich deswegen gewesen und suche immer nach Wegen, wie er Frieden stiften könne. Also wollte er offensichtlich diesen Kurzfilm dafür nutzen, den Gangmitgliedern zu zeigen, dass Kämpfen nicht der einzige Weg ist und dass sie zusammenarbeiten könnten, wenn sie es wirklich wollten. Ich denke, das ist Genialität.
Willa: Das ist es wirklich, und ich empfinde das besonders, nachdem ich dieses Interview gelesen habe. Das ist faszinierend. Ich habe das bisher nicht gelesen, aber ich liebe die Stelle, wo der Interviewer fragt „Wie habt ihr die echten Gangmitglieder gecastet?“ und Bob Giraldi sagt:
Es war Michael. Er ging nach draußen und ging sie alle durch, und ich vermute, die für Gangs zuständige Abteilung des LAPD (Los Angeles Police Department) und er versicherten ihnen, dass dies mit ausreichender Polizeipräsenz eine kluge und wohltätige Sache sei; sie dorthin zu bringen, damit sie einander kennenlernen und für zwei Tage miteinander rumhängen während des Videodrehs. Ich mochte den Gedanken nicht, denn es war schwer genug, Schauspieler und Tänzer zu führen, ganz zu schweigen von Gangstern.
Kannst du dir vorstellen, Ärger zu haben mit der Gangabteilung des LAPD und nicht zu wissen, was als nächstes passiert, und dann kommt jemand herein und fragt, ob du in einem Michael Jackson Video mitspielen willst? Wie surreal ist das? Es ist aber auch ein sehr Michael-Jackson-typisches Szenario, Gangmitglieder zu haben, die Schauspieler darstellen, die Gangmitglieder spielen. Wir sehen diese lustigen Arten von loopingartigen Verdrehungen während seines ganzen Werks, besonders bei Vorstellungen von Identität. Und es auch sehr üblich bei ihm, die Illusion der Realität zu durchbrechen wie er es am Schluss von Beat It macht und uns zeigt, dass alles nur eine Performance war.
Joie: Du hast Recht, Willa; das ist etwas, das wir von ihm bei mehr als einer Gelegenheit sehen. Und nächste Woche schauen wir uns einige weitere Beispiele dieses Tricks in seinen Werken an.
Willa: Stimmt. Wir machen weiter und sehen, wie er ein Leinwandpublikum in einigen seiner späteren Videos nutzt. Es ist ein erzählerisches Mittel, das er oft in seinen Werken einsetzt, wie du sagst, aber ich denke, es auch noch mehr als das. Wie wir in diesen Videos mit einem Leinwandpublikum erkennen, sind seine Werke nicht einfach nur Kunst. Es ist Meta-Kunst. Es ist Kunst über Kunst. Sein Werk ist sehr selbstreflektierend – das ist eines der Dinge, das so faszinierend daran ist – und durch seine Videos, ganz besonders, erzählt er von der Funktion von Kunst und ihre Fähigkeit, ein Publikum zu beeinflussen und es (und uns) vielleicht dazu zu bringen, Dinge auf eine andere Art zu sehen. Ich glaube, Michael Jackson erschuf nicht nur einfach Kunst; er kreierte eine neue Poetik im Sinne der Bedeutung einer neuen Theorie über Kunst als Mittel, um Wahrnehmung zu verändern und weitreichenden sozialen Wandel hervorzubringen. Und wir können ihn bei der Formung dieses Prozesses durch sein Leinwandpublikum beobachten.
Lilly
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Thema: Re: Dancing With The Elephant (Deutsche Übersetzung) Mi 14 Nov 2012 - 21:52
Ich fühle mich immer, als würde mich jemand beobachten – Teil 2 I Always Feel Like Somebody’s Watching Me – pt. 2 21/03/2012
Joie: In der vergangenen Woche haben wir eine Diskussion begonnen über Michaels regelmäßige Einbeziehung eines Leinwandpublikums in viele seiner Kurzfilme und wie er dieses Leinwandpublikum nutzte, um eine gewisse Stimmung zu vermitteln oder um uns ein Verhalten vorzugeben, das er sich von uns, dem Nichtleinwandpublikum, wünschte. Und während unserer Diskussion waren Willa und ich sehr überrascht, herauszufinden, dass da so viele Grundlagen gibt, die man über dieses Thema berichten kann. So viele eigentlich, dass wir keine andere Wahl hatten, als dies in zwei Posts aufzuteilen.
Also möchten wir diese Woche weitermachen und da anknüpfen, wo wir mit unserer Unterhaltung aufgehört haben darüber, wie oft Michael die Illusion der Realität in seinen Videos durchbrochen hat, so wie wir herausgefunden hatten, wie er es in Beat It tat. Die Tänzer machen ihre Sache, während die Gangmitglieder zusehen und dann fährt die Kamera zurück, um zu enthüllen, dass sie tatsächlich nur auf einer Bühne stehen, und wir hören die Geräusche des unsichtbaren Leinwandpublikums, das deutlich macht, dass es sich hierbei um einen Bühnenauftritt gehandelt hat.
Willa: Genau Joie, und er tut dies in einer Menge seiner Werke, sogar wenn es gar kein Leinwandpublikum gibt. Er möchte uns hineinziehen – in eine Geschichte oder eine Erfahrung eintauchen lassen – und uns dann daran erinnern, dass es nur eine Performance ist. Black or White ist vielleicht das beste Beispiel. Er bricht ständig die Illusion der Realität in diesem Video: Nach fast jeder Szene enthüllt er, dass sie auf einer Klangbühne gedreht wurde. Und in der großen Unterbrechung in der Mitte – bevor die Panther Szene beginnt – fährt die Kamera wieder zurück, um uns die Filmcrew zu zeigen und wie der Regisseur ins Bild kommt, um mit der Schauspielerin zu reden, die uns etwas gezeigt hat. Wir sollen nicht vergessen, dass dies eine Darstellung ist.
In Remember the Time wird er noch deutlicher bei der Betonung, dass er ein Darsteller ist. Eigentlich konzentriert sich die Handlung ganz und gar auf das Verhältnis zwischen dem Darsteller und seinem Publikum. Ein ägyptisches königliches Paar langweilt sich und möchte unterhalten werden, aber sie sind skrupellos gegenüber denen, die versuchen sie zu erfreuen. Ein armer Entertainer wird geköpft; ein anderer wird den Löwen zum Fraß vorgeworfen. Also wird ganz deutlich, wenn du als Performer überleben willst, musst du dein Publikum erfreuen. Michael Jackson gelingt es in seiner Rolle, die Königin zu erfreuen – und wie er es regelmäßig in seinen Werken tut, stellt er die Beziehung zwischen sich und seinem Publikum, der Königin, als Liebesbeziehung dar. Aber während die Königin zufrieden ist, ist es der König nicht. Er wendet sich sogar gegen Michael Jackson in seiner Rolle, gerade weil die Königin so angetan von ihm ist. Ganz klar, das Leben eines Performers ist nicht gerade leicht.
Joie: Das ist interessant, Willa. Ich habe noch nie bei Remember the Time in Hinsicht eines Leinwandpublikums gedacht, aber ich finde, es passt. Der König und die Königin sehen sich verschiedene Performer an, suchen nach jemandem, der sie unterhält, also sind sie hier in der Tat das Publikum!
Willa: Das sind sie, und sie sind nicht gerade ein sehr liebevolles Publikum – zumindest nicht ganz. Seine Beziehung mit seinem Leinwandpublikum ist ziemlich kompliziert, genau wie seine Beziehung mit der realen Öffentlichkeit wirklich kompliziert war. Wir haben hier zwei verschiedene Elemente seines Publikums – dargestellt durch den König und die Königin – die auf sehr unterschiedliche Arten auf seinen Auftritt reagieren, und jeder für sich ist durch einen komplexen Mix von Emotionen motiviert. Die Königin langweilt sich und verfällt ihm, weil sein Auftritt sie amüsiert, aber sie ist unberechenbar. Sie könnte leicht ihre Meinung ändern. Der König ist ebenfalls anfänglich von seiner Performance angezogen, aber dann beobachtet er, wie die Königin reagiert und wendet sich gegen ihn.
Und natürlich passierte etwas sehr Ähnliches ebenso außerhalb der Leinwand mit dem Publikum. Michael Jackson erschien zuerst als dieses süße kleine Energiebündel singend und tanzend mit den Jackson 5, und eine Menge Leute waren von der puren Freude daran gefesselt. Und dann wurde sein Ruhm immer größer und größer mit Off The Wall und natürlich Thriller, und ein großer Teil der Bevölkerung war komplett vernarrt in ihn – wie die Königin. Aber zur selben Zeit begannen die Kritiker, sich gegen ihn zu wenden – so wie der König – und die Hasser tauchten plötzlich auf, gemeinsam mit den Leuten, die einfach zu cool waren, um jemand so Populären zu mögen.
Ich weiß nicht, ob du Freunde wie diese hast, Joie, aber ich kenne Leute, die äußern sich überschwänglich über einige neue unentdeckte Talente, und dann wenden sie sich gegen sie, wenn sie zu populär geworden sind. Ich habe Freunde, die liebten REM, als sie in kleinen Clubs in Athens, Georgia spielten, verloren dann aber das Interesse, sobald sie einen großen Namen hatten. Sie liebten Bruce Springsteen, als er noch ein dürres Kind aus New Jersey war, schüttelten dann aber den Kopf und sagten, er hätte sich irgendwie „ausverkauft“, als er Muskeln aufgebaut hatte und als Stimme der Arbeiterklasse bekannt wurde.
Joie: Yeah, ich kenne solche Leute. Einen ganz besonders, der die Band Journey mochte, als sie noch nicht erfolgreich waren. Aber ab der Minute, in der sie Steve Perry als Leadsänger anheuerten und die Gruppe plötzlich Hits hatte, mochte er sie plötzlich nicht mehr. Sie waren zu populär, zu „kommerziell“. Ich verstehe so etwas überhaupt nicht.
Willa: Ich verstehe das auch nicht – Künstler sind nachdem sie populär werden genauso talentiert wie vorher – aber ich sehe diese Geschichte immer und immer wieder: mit Charlie Chaplin und Elvis und Barbra Streisand und The Beatles, und nun mit Justin Bieber. Und ich sehe Michael Jackson, der dieses Phänomen in Remember the Time untersucht. Also macht er dieses Mal etwas ein wenig anders mit seinem Leinwandpublikum. Er führt uns nicht vor, wie er möchte, dass wir reagieren. Stattdessen reflektiert er unsere Emotionen, so dass wir gezwungen sind, sie anzusehen und über sie nachzudenken, auf einer bewussten Ebene.
Joie: Hmm. Ich hätte niemals diese Verbindung hergestellt oder davon auf diese Weise gedacht. Aber wie ich schon sagte, ich habe überhaupt noch nie jemals über Remember the Time gedacht, dass es ein Leinwandpublikum beinhalten könnte, also das verschlägt mir die Sprache. Du hast mir gerade einen völlig neuen Weg gezeigt, wie man über diesen Short Film denken kann.
Aber weißt du, es gibt noch einige andere Videos, von denen ich vorher auch niemals gedacht habe, sie hätten ein Leinwandpublikum. Eins davon ist You Rock My World. Aber ich vermute, du sagst, dass die Clubbesitzer und Clubmanager in diesem Fall das Publikum sind. Übrigens übernimmt er es selbst, in diesem Video auf die Bühne zu gehen. Sie haben ihn nicht danach gefragt, ob er auftritt. Eigentlich sehen die Clubmanager eher so aus, als wollten sie ihn töten in der Minute, als er den Laden betritt, also wollen sie ihn nicht auf der Bühne. Aber er betritt sie einfach und liefert trotzdem einen spontanen Auftritt ab.
Willa: Das ist interessant, Joie, und es stellt auf interessante Arten Verbindungen zurück zu Remember the Time her. Ich habe bisher nicht über diese beiden Videos im Vergleich nachgedacht, aber es gibt einige markante Parallelen zwischen ihnen. Wie wir im letzten Herbst schon besprochen haben, scheinen die Clubmanager und Clubbesitzer in You Rock My World die Manager und den CEO von Sony zu repräsentieren, während die Stammkunden – besonders die Angebetete im grünen Kleid – die Öffentlichkeit zu repräsentieren scheinen. Und beide Gruppen beobachten ihn, als er auftritt.
Also hat er, wie in Remember the Time, ein geteiltes Publikum. Die Angebetete fühlt sich zum Performer hingezogen, genau wie die Königin in Remember the Time, und die Clubmanager fühlen sich dadurch sehr bedroht, genau wie der König. Die Clubmanager benehmen sich, als würde die Frau ihnen gehören, und als sie sehen, dass sie sich von seinem Auftritt angezogen fühlt, beginnen sie ihn zu schikanieren und zu verspotten, indem sie sagen „Das war alles? Das ist alles, was du hast? Das ist gar nichts. Du bist gar nichts. Komm schon, großer Mann, zeig mir alles, was du kannst.“ Und das hebt einen wichtigen Unterschied zwischen diesen zwei Videos hervor. Während der König sein Talent zu respektieren scheint, sogar obwohl er sich dadurch bedroht fühlt, tun dies der Clubbesitzer und die –manager nicht – was sehr aussagekräftig ist, wenn sie wirklich das Sony Management zu jener Zeit darstellen sollen.
Joie: Das sind augenöffnende Beobachtungen, Willa. Ich habe niemals vorher diese Parallelen zwischen den zwei Videos gezogen.
Willa: Habe ich auch nicht, bis du You Rock My World erwähnt hast, während ich immer noch an Remember the Time gedacht habe. Aber ich erkenne, warum das eine dich an das andere erinnert hat, denn in Hinsicht auf das Leinwandpublikum sind sie sich wirklich sehr ähnlich.
Joie: Yeah, es ist interessant, wie meine Gedanken die Verbindung im Unterbewusstsein hergestellt haben, nicht wahr? Weißt du, ein weiteres Video, bei dem ich niemals an ein Leinwandpublikum gedacht habe, bevor ich M Poetica gelesen hatte und vor unseren anschließenden Unterhaltungen darüber ist The Way You Make Me Feel, aber du erklärst, wie die Gruppe von Typen an der Straßenecke redet und sogar die Gruppe Mädchen auf der gegenüberliegenden Straßenseite den Protagonisten beobachtet, wie er versucht, das Objekt seiner Zuneigung dazu bringen kann, mit ihm zu sprechen. Sie alle werden zu seinem Publikum ebenso wie zu seiner Anfeuerungsgruppe.
Willa: Oh, The Way You Make Me Feel ist einfach faszinierend für mich! Da geht so viel vor sich in diesem Video. Und du hast Recht, die Leute auf der Straße feuern ihn an, als er die wunderschöne junge Frau zu beeindrucken versucht, aber genauso beurteilen sie ihn auch. Es ist wirklich interessant, wie er das alles aufgebaut hat. Und dann, als er einmal anfängt, Verbindung zu der jungen Frau aufzunehmen und sich um sie zu kümmern, fühlt er sich ziemlich unwohl dabei, all diese Augen auf sich gerichtet zu sehen, während sie ihn dabei beobachten, wie er versucht, eine Beziehung zu ihr aufzubauen. Es ist alles so öffentlich, und er wünscht sich mehr Ungestörtheit. Er singt „Das geht niemanden etwas an außer mich und My Baby“. Also gibt es in diesem Fall ein Leinwandpublikum, das mehrere verschiedene Funktionen zu erfüllen hat, und eine davon ist, zu zeigen, wie aufdringlich es sich anfühlt, ein Publikum zu haben, wenn du dir einen privaten Moment wünschst.
Joie: Es fühlt sich zeitweise sehr aufdringlich an, sogar für uns – das Nichtleinwandpublikum – wenn wir ihn dabei beobachten, wie er das Mädchen umwirbt. Wir atmen regelrecht leichter, als er sie schließlich auf eine Art private Veranda lockt, so dass sie da sitzen und für sich sein können. Aber das ist nur für einen kurzen Moment so, denn sie läuft ihm wieder davon. Und dann gibt es diese Spannung, die wir spüren, als er sich seinen Freunden im Schatten anschließt und diesen sehr ursprünglichen Tanz für sie tanzt, und da ist ein kleines bisschen Unbehaglichkeit dabei, wieder einmal, denn es ist nicht so privat, wie es sein sollte.
Willa: Das ist richtig – ich habe wirklich das Gefühl, dass er sich wünscht, seine Beziehung zu ihr könnte vertraut und privat sein, also verschwindet er. Und dann, als sie nach ihm sucht, kommt das Leinwandpublikum nicht nur ungelegen. Es wirkt bedrohlich. Wir sehen eine Reihe männlicher Gesichter, die uns direkt anstarren – er platziert uns in ihre Position (die der Frau), so dass wir erleben, was sie erlebt – und alle diese männlichen Gesichter starren uns direkt an. Es ist sehr verunsichernd, denke ich. Sogar das Gesicht des Polizisten wirkt bedrohlich.
Joie: Und dann atmen wir – das Nichtleinwandpublikum – am Ende einen kollektiven Stoßseufzer der Erleichterung aus, als sie ihn in ihre Arme schließt.
Willa: Ganz genau. Und ich denke, es ist von großer Bedeutung, dass das Leinwandpublikum zu diesem Zeitpunkt gegangen ist.
Joie: Oh, diese Verbindung habe ich vorher nie hergestellt. Du hast Recht! Dies ist ein sehr interessanter Einsatz des Leinwandpublikums, denke ich, weil er es benutzt, um die Spannung während des ganzen Films zu anzufachen.
Willa: Oh, ich liebe das! Ich habe daran nicht ganz so in der Art gedacht, Joie, aber ich denke, du hast Recht – ich denke, das Leinwandpublikum „heizt die Anspannung an“ in diesem Video.
Joie: Im Kontrast dazu nutzt er das Leinwandpublikum in einem anderen Short Film Say, Say, Say mit Paul McCartney auf genau gegensätzliche Weise – um ein Gefühl der Unbeschwertheit zu vermitteln. In diesem Video gibt es mehrere verschiedene Formen eines Leinwandpublikums, und jedes von ihnen unterstützt auf seine Art das Gefühl des Wohlwollens und der Unbeschwertheit. Das erste ist eine Menge von Zuschauern, die offensichtlich vom „Mac und Jack“ Zaubertrank über’s Ohr gehauen wurde. Nur dass sie nicht wissen, über’s Ohr gehauen worden zu sein, also fühlen sie sich alle glücklich und aufgeregt wegen dieses neuen Produktes. Das zweite Leinwandpublikum, das wir hier sehen, ist eine Gruppe von Kindern und Arbeitern des Kinderheims, für das der Erlös des Wundertrankbetruges bestimmt ist. Unser Hauptdarsteller springt vom Wagen und „Mac“ und seine Frau – die Erwachsenen, die sich um das Geschäft kümmern – händigen den Arbeitern des Kinderheims das Geld aus, während „Jack“ – Michaels Rolle – sofort die Kinder um sich versammelt; sie folgen ihm, direkt als er vom Wagen gesprungen ist, wie dem Rattenfänger. Die Arbeiter sind natürlich erfreut über das Geld, während die Kinder sich freuen über „Jacks“ Anwesenheit; er unterhält sie, balanciert auf dem Zaun, tanzt für sie herum. Am Schluss dieser kleinen Aufführung für die Kinder verbeugt er sich sogar – um herauszustellen, dass dies eine Performance war. Dann springen sie zurück auf den Truck, und so schnell, wie sie gekommen sind, fahren sie auch schon wieder weiter.
Das letzte Leinwandpublikum, das wir in diesem Video sehen können, ist die Menge, die im Saloon sitzt und der „Mac and Jack“ Vaudeville Show zusieht. Diese Show ist voll von so viel Spaß und Humor, dass die zuschauende Menge nicht anders kann, als amüsiert zu sein von ihren Possen, und wir – das Nichtleinwandpublikum – können ebenfalls nicht anders, als zu lächeln, wenn wir es sehen.
Willa: Wow Joie, ich habe noch gar nicht an all diese verschiedenen Arten des Publikums gedacht, aber du hast vollkommen Recht, und die Entertainer modifizieren für jedes Publikum ihren Auftritt. Bei den Stadtmenschen am Anfang sind sie hauptsächlich Hochstapler – sie legen einen Auftritt hin, um sie um ihr Geld zu prellen. Für die Kinder ist es eine reine Performance, die pure Freude der Unterhaltung. Und bei der Menge im Vaudeville-Theater am Ende ist es eine Mischung aus beidem – sie treten auf der Bühne auf, aber sie werden noch als Hausierer und Gauner präsentiert. Als die Polizei hereinkommt und anfängt, ein wenig verdächtig zu gucken, legen sie zur Ablenkung ein kleines Feuer und hauen durch den Hinterausgang ab.
Joie: Das stimmt, sie lassen uns nie vergessen, dass sie eine kleine Bande von Hochstaplern sind, die sich weiterbewegen müssen.
Willa: Das sind sie wirklich. Sie führen ihr Publikum an der Nase herum, ebenso wie sie es unterhalten. Und dieser Gedanke von dem Performer als eine Art Hausierer hat mich wieder an Who Is It erinnert. Wie wir vor ein paar Wochen besprochen haben, scheint er Parallelen zu ziehen zwischen den Erfahrungen dieses teuren Callgirls und Hochstaplerin mit seinem Leben als Performer, und diese Parallele sehen wir hier definitiv genauso – der Entertainer als eine Art Gauner und Hochstapler. Und er vermittelt diesen Gedanken durch das Leinwandpublikum.
Und dann gibt es noch Ghosts. Das ist ein ganz erstaunlicher Film auf so viele Arten, und das Leinwandpublikum ist der absolute Mittelpunkt in diesem Film. Es ist sehr psychologisch, und für mich spielt sich der zentrale Konflikt des Films in den Köpfen des Leinwandpublikums ab.
Joie: Ich stimme dir zu, dass es psychologisch ist, aber ich denke nicht, dass es in ihren Köpfen passiert. Ich denke, es ist real für sie; sie sehen wirklich diese Geister die Wände hochklettern und an der Decke tanzen, und der Bürgermeister ist wirklich zeitweise besessen von dem Maestro und rennt dann schreiend durch ein Fenster, als er die „Fremdartigkeit“ nicht länger ertragen kann.
Willa: Oh, ich erkenne, was du sagen willst. Ich habe mich nicht gut genug erklärt – das ist es nicht, was ich meinte. Ich bin auch der Meinung, dass die Geister „wirklich“ da sind, und dass die Dorfbewohner sie wirklich erleben. Was ich meinte, war, dass sich in vielen Filmen die Handlung auf einen nach außen hin sichtbaren Konflikt fokussiert, wie zum Beispiel eine gefrorene Tundra mit Schlittenhunden zu durchqueren oder einen Banküberfall durchzuziehen oder gegen das böse Königreich zu kämpfen oder etwas in der Art. Aber in diesem Film passiert wirklich wenig in diesem Sinne. Eine Gruppe von Leuten steht in einem Raum, und sie starren sich gegenseitig an. Was für eine Art Handlung ist das?
Aber im Grunde geht in diesem Film eine ganze Menge vor sich. Es ist nur so, dass sich der Konflikt innerlich abspielt – er besteht in den Gedanken der Dorfbewohner – und die Lösung dieses Konfliktes geschieht auch in ihren Gedanken. Da gibt es keine Schlittenhunde, aber dieser Film begibt sich in gewisser Weise auf eine Reise genauso schwierig wie das Iditarod (Iditarod Trail Dog Sled Race: Ein Schlittenhunderennen in Alaska). Es beginnt mit einer Gruppe verängstigter Dorfbewohner, die mit brennenden Fackeln in das Zuhause eines Künstlers, dem Maestro, eindringen. Die Dorfbewohner kommen aus einem Ort mit Namen Normal Valley, und sie fürchten sich vor dem Maestro, denn er passt nicht zu ihrer Definition von „normal“. Und sie wollen ihn wegen dieser Angst aus ihrer Stadt verjagen.
Also verfolgt die Handlung des Films die Versuche des Maestros, ihre Gedanken und Gefühle über ihn zu ändern. Und es gelingt ihm, aber er geht auf eine interessante Art und Weise vor. Er beruhigt sie nicht, indem er ihnen versichert, er sei normal und wirklich einer von ihnen. Genau das Gegenteil ist der Fall. Er reagiert, indem er sogar noch sonderbarer wird und dann ihre emotionale Reaktion auf Dinge, die nicht normal sind, ändert – Dinge, die für sie anders zu sein scheinen oder fremdartig oder freakig.
Ich muss sagen, alles an diesem Film fasziniert mich: wie er ihre psychologische Reise darstellt, wie er es herbeiführt, wie er es auflöst – aber nicht vollständig – am Ende. Da gibt es immer noch eine Menge Unsicherheiten, sogar am Ende. Und das Leinwandpublikum steht im Mittelpunkt des Ganzen. Und wir als Nichtleinwandpublikum beobachten sie und verfolgen ihren Gedankenprozess, in dem sie ihre psychologische Reise vollziehen, also auf eine Art vollziehen wir diese psychologische Reise mit ihnen zusammen. Es ist einfach faszinierend für mich.
Joie: Oh ja, ich sehe, was du sagst. Und du hast Recht, das Leinwandpublikum ist wesentlich in diesem Film, die gesamte Handlung hängt von ihnen ab.
Aber weißt du, natürlich ist das ultimative Leinwandpublikum dasjenige in dem Video für One More Chance, welches wir ausführlich im vergangenen Herbst diskutiert haben. Dieses Video benutzt wirklich die Anwesenheit des Leinwandpublikums in einem interessanten Zusammenhang, indem es es auf der Bühne platziert, während er sie eindringlich um „eine weitere Chance zu lieben“ bittet.
Wie du es in jener Diskussion herausgestellt hast, verlässt er am Ende des Videos den Raum, während das Publikum noch auf der Bühne steht. Diese Darstellung deutet dem Nichtleinwandpublikum an, dass für ihn jetzt nichts mehr zu tun ist. Sein Werk ist getan, und nun ist es an uns. Wir sind diejenigen, die weitermachen müssen in seiner Abwesenheit und tun, was wir können, um sein Vermächtnis fortzuführen und dabei zu helfen, „die Rätsel aufzudecken“.
Weißt du Willa, die Tatsache, dass sich herausgestellt hat, dass dies Michaels letztes Video ist, ist wirklich irgendwie bittersüß, wenn wir den Sinn hinter dem Leinwandpublikum und die letzte Einstellung dieses Shortfilms richtig verstehen. Es wird für mich persönlich sehr emotional.
Willa: Ich weiß ganz genau, was du meinst, Joie. Es ist auch für mich emotional, aber es ist auch ebenso wirklich motivierend. „Bittersüß“ ist eine gute Beschreibung.
Ich bin wirklich engagiert, die Gespräche über Michael Jackson zu verändern, und manchmal bin ich von dem ungeheuren Ausmaß der Aufgabe einfach überwältigt. Es ist, als wollte man versuchen, Wasser mit seinen Händen stromaufwärts zu drücken. Dieser Fluss von negativen Kommentaren fließt in die entgegengesetzte Richtung, und es ist wie: Wie können wir gegen all das kämpfen? Aber ich glaube ganz ehrlich daran, wenn wir alle zusammenarbeiten, können wir beginnen, das Wasser in eine andere Richtung umzuleiten. Ich spüre schon, dass eine große Verschiebung stattfindet, und ich bin so inspiriert, all diese verschiedenen Menschen auf der ganzen Welt zu sehen, die hart daran arbeiten, etwas zu bewirken. Und ich bin inspiriert durch dich, Joie. Ich bin so beeindruckt von all der Arbeit, die du über so viele Jahre geleistet hast. Du hast wirklich über eine lange Zeit den Glauben behalten. Und ich bin auch durch das One More Chance Video motiviert. Wenn ich entmutigt bin, sehe ich es mir an und denke: Er hat den Raum verlassen, aber wir nicht. Wir sind noch da. Nun sind wir an der Reihe.
Lilly
Anzahl der Beiträge : 87 Anmeldedatum : 07.11.12
Thema: Re: Dancing With The Elephant (Deutsche Übersetzung) Do 15 Nov 2012 - 21:21
Klang vorstellbar machen 28/03/2012
Willa: In dieser Woche sind Joie und ich wahnsinnig begeistert, dass sich uns Lisha McDuff, eine klassisch ausgebildete, Vollzeit-Berufsmusikerin mit über 25 Jahren Erfahrung anschließt – obwohl Lisha sich uns eigentlich schon eine ganze Zeit lang angeschlossen hat. Viele von uns kennen sie bereits als Ultravioletrae.
Lisha, wir sind so aufgeregt, dich hier bei uns zu haben und freuen uns, dass du deine Erkenntnisse über Michael Jackson von professioneller Musikerin zu Musiker mit uns teilst. Ich war so fasziniert von deinen Kommentaren in der Vergangenheit – besonders von deiner Fähigkeit, das, was du hörst mitzuteilen und dies für uns, die wir ohne musikalische Ausbildung sind, zugänglich zu machen. Es ist so, als ob mir das erlaubt, die Nase in eine Welt zu stecken, von der ich nicht wüsste, wie ich sie allein betreten sollte. Also vielen Dank, dass du hier bist!
In einem deiner Kommentare hat du erwähnt, dass du nicht wirklich ein Michael Jackson Fan warst, bis du This Is It gesehen hast, aber was du dann gesehen hast, hat dich so umgehauen, dass du eine leidenschaftliche Unterstützerin wurdest und angefangen hast, sein Werk zu studieren. Also ich bin neugierig: Was genau hast du gesehen, das dich so sehr beeindruckt hat?
Lisha: Ich weiß nicht, ob ich jemals aufhören werde, über den Tag zu reden, an dem ich mich entschieden habe, This Is It anzusehen. Es hat mich einfach total gefangen genommen, so wie es nur große Kunst vermag. Von Michaels erstem Erscheinen im Film bis hin zu den Credits am Ende war ich im Augenblick gefangen, total fixiert auf das, was ich sah und hörte. Ich kümmerte mich um nichts mehr, was ich jemals getan habe oder was ich in der Zukunft tun müsste. Es nahm mir den Atem. Für mich ist das genau das, was große Kunst mit dir macht. Sie erlaubt dir, eine Umgebung ohne Zeit betreten, in der deine Gedanken ihre permanente Aktivität stoppen, und du kannst nichts anderes tun, als über die Schönheit dessen, was vor dir ist, nachzusinnen. Ich glaube, das ist das, was Michael meinte, wenn er sagte, er wolle „Eskapismus“ (Flucht aus der Wirklichkeit) möglich machen. Es ist dieser magische Moment, wenn ein großartiges Gemälde, Literatur, Film oder was immer es auch ist, dich zum Stillstand bringt, dich aus deiner gewöhnlichen Wahrnehmung herausnimmt und deinen Geist mit etwas Schönem und Faszinierendem fesselt.
Willa: Was für ein wundervolles Bild! Und eine großartige Beschreibung des besonderen Gefühls, wenn Kunst dich vollkommen entzückt. Also „dieser magische Moment“, wie du ihn nennst, findet statt, wenn du vollständig gebannt von dem gegenwärtigen Augenblick in Anspruch genommen bist. Ich liebe das.
Lisha: Ich kann mich erinnern, wie der Dirigent Michael Tilson Thomas hierüber gesprochen hat, als er beschrieb, wie er eine wirklich großartige musikalische Performance von einer ganz gewöhnlichen unterscheidet. Er sagte, dass das Hören von Musik dem Geist die Möglichkeit gibt, zu träumen und umherzuschweifen, aber ein wirklich großer Musiker wird niemals erlauben, dass dies passiert. Ein wirklich großer Musiker beansprucht deine volle und ungeteilte Aufmerksamkeit, und dein Geist wird nicht eine Sekunde lang herumstreunen. Du musst jede einzelne Note hören. This Is It bedeutet, einen Meister bei der Arbeit zu sehen. Es war fesselnd.
Joie: Ich habe von so vielen Leuten gehört – die meisten von ihnen waren keine Fans im traditionellen Sinn, bevor sie den Film gesehen haben – die ähnliche Reaktionen ausdrückten, nachdem sie ihn in Aktion in This Is It gesehen haben.
Lisha: Es ist überraschend, wie viele von uns neuen Fans es da draußen gibt. Warum haben wir ihm nicht vorher unsere Aufmerksamkeit geschenkt? Stell dir vor, du weißt nicht viel über Michael Jackson und dann lässt du dich in einen Kinosessel fallen und wirst von all dem auf einmal erschlagen. Es ist ziemlich überwältigend.
Zunächst einmal war ich völlig beeindruckt davon, wie kreativ und frei alles war, was ich sah und hörte. Einige der ersten Bilder im Film sind Dinge wie Michael in der orangefarbenen Jeans und der glänzenden Jacke, als er den Moonwalk seitwärts über die Bühne macht und singt „You’re a vegetable“ (Du bist Gemüse), während er mit seinen Händen in die Lust greift und sich dann in einen Roboter verwandelt. Er war wie eine endlose Fontäne der Kreativität, nahm seine Inspiration aus solch einer enormen Bandbreite von Einflüssen, von der 70er Jahre Tanzmusik bis hin zu Marcel Marceau. Es war mit nichts, was ich normalerweise von Pop, Rock, Soul oder sogar großem Trara denken würde, zu vergleichen. Ich meine, welcher andere Musiker würde nur davon träumen, einen Pantomimen als Inspiration für seine Werke zu nutzen? Ein Pantomime ist völlig still!
Du konntest einfach nicht vorhersagen, was als nächstes von Michael kam. Er könnte sich entscheiden, zu tanzen und nichts anderes als seinen Rücken und die Schultern zu benutzen, oder er könnte sich auf den Boden fallen lassen und seine Füße in der Luft schütteln. Er könnte ein schmerzlich schönes Flötensolo oder die Stimme von Dr. King oder eine Autohupe benutzen – du weißt es einfach nicht vorher. Er sang weiche, sanfte Melodien a capella und dann legte er einen ernsthaften Rock’n Roll hin. Was immer als Nächstes kam, es war eine totale Überraschung, nichts was du hättest voraussagen oder erwarten können. Und es war jedes Mal genau das Richtige für diesen musikalischen Augenblick.
Ihn mit seinen Musikern im Zusammenspiel zu erleben war eine Erfahrung, die dir die Kinnlade runterklappen lässt. Wie ihn eine Zeile singen zu hören, um zu zeigen, wie er sie haben wollte, während er den begleitenden Rhythmus durch Beatboxing klar machte! Ich liebe diesen Clip aus dem Film:
Seine Anmerkungen sind so scharfsinnig, dass ich genau weißt, dass Alex Al nicht übertrieben hat, als er sagte, dass du Michael nicht täuschen kannst – du solltest deinen Part besser genau kennen. Ich möchte wetten, jeder Musiker dort hatte das Gefühl, dass Michael nur ihm zuhört. Ohren wie diese sind selten, das musikalische Können noch seltener.
Willa: Also was bedeutet das genau?
Lisha: Ich meine damit, dass es nicht viele Menschen auf diesem Planeten gibt, die in eine Probe kommen und wirklich alles, was da vor sich geht, gleichzeitig hören können, erkennen, wo die Probleme liegen und genau zu wissen, wie sie beseitigt werden können. Das ist es, was ich mit großartigem Gehör meine.
Joie: Und wenn du bedenkst, dass er sich über zwölf Jahre nicht auf die Bühne vorbereitet hat, ist diese Fähigkeit, alles gleichzeitig zu hören, erstaunlich. Man würde erwarten, dass er äußerst ungeübt oder so etwas wäre, aber das war ganz eindeutig nicht der Fall.
Lisha: Aber Michael hat nicht einfach die Dinge wieder aufgeräumt / saniert, er formte die Dinge neu, fügte musikalische Spannung und Anspruch zu allem hinzu, was er tat. In dieser ersten Anweisung, als er den Rhythmus und den Gitarrenteil durch Beatboxing zeigt, balancierte er den Klang und blendete ihn aus. Er wusste, dass dieser Part zum Vorschein kommen musste und er wusste, dass es so bedeutend für die gesamte musikalische Stimmung sein würde. Ein kleines Detail wie dieses kann einen großen Unterschied in dem bewirken, wie wirkungsvoll eine Performance ist. Es war so beeindruckend, wie er zuhörte und auf das, was er hörte, reagierte. Er sprach genau die Details an, die die meisten Komponisten und Performer den Arrangeuren überlassen, dem musikalischen Direktor und den Musikern. Ich war wirklich überrascht von dem Level der Interaktion – er hob das, was seine Musiker erreichen konnten, auf eine völlig neue Ebene, und sie wussten das. Hier ist ein weiterer aufschlussreicher Clip, der gerade in YouTube aufgetaucht ist:
Willa: Das ist ein wundervoller Clip, Lisha, und er zeigt wirklich, wie engagiert er in der Zusammenarbeit mit den Backgroundsängern, den Musikern und dem musikalischen Direktor war.
Lisha: Erstaunlicherweise schien Michael diese Hyper-Achtsamkeit auch gegenüber anderen Aspekten der Show gehabt zu haben: dem Tanzen, der Beleuchtung, der Filmherstellung, den Special Effects, etc. Wer kann je den Moment vergessen, als er die Führung übernahm in der Bulldozer Szene beim Earth Song und er den Einsatz von Stille vorschlug, wenn der Bulldozer seinen Rachen schließen würde? Du konntest dein Herz brechen hören bei dem Timing für den kommenden Einsatz des Pianosolos. Außergewöhnlich. Michael Bearden, der musikalische Direktor, sagte auf seiner Fan Page so etwas wie, ein elektrischer Schlag sei in diesem Moment durch ihn gefahren.
Willa: Das glaube ich gerne! Ich liebe diese Szene, und es ist ein weiterer Moment, in dem du wirklich seinen Einfluss sehen kannst. Die Musiker spielen, als der Bulldozer sich schließt, nach der Anweisung des Regisseurs, Kenny Ortega. Aber Michael hält ihn und sie an. Er möchte, dass die Musik vorher stoppt, während der Bulldozer noch geöffnet ist. Er erklärt ihnen dann „Die Wirkung wird größer sein, wenn du ihn rumpeln lässt – lass ihn offen stehen – lass ihn sich in der Stille schließen.“
Joie: Das stimmt, es ist eine kraftvolle Szene. Und ich liebe auch die Szene, in der sie Smooth Criminal proben, und nach dem Abschnitt des Films dreht sich Michael herum und verharrt für einen Moment bewegungslos, und Kenny Ortega denkt, sie hätten ihre Kabel vertauscht und dadurch missverstanden, wann die Musik einsetzen soll. Aber Michael „knistert“ (is sizzling) und wartet auf genau den dramatischen Moment, um seinem Drummer den Wink zu geben. Kenny weist dann darauf hin, dass Michael gar nicht die Möglichkeit hat, zu sehen, wie sich die Leinwand hinter ihm von einer Markise in eine Stadt verändert, wenn er es auf seine Art macht, und Michael sagt einfach „Ich werde das spüren. Ich werde das auf der Leinwand hinter mir spüren.“ Ich liebe das! Er wird nicht sehen, wie sich die Leinwand ändert, aber er fühlt es! Es ist, als würde jede Faser seines Seins komplett im Einklang mit jedem Aspekt „der Performance“ sein. Er ist fähig zu spüren, wenn sich die Leinwand verändert, genau wie er fähig ist, genau den richtigen Moment für den Wink an die Drums zu spüren. Verblüffend!
Lisha: Ich war über diesen Moment in Smooth Criminal auch erstaunt. Und wie poetisch von Michael, sich selbst als „knisternd“ zu beschreiben! Bearden war lustig, er versuchte Michael zu imitieren, als er Ortega erzählte, dass die Band ihren Einsatz nicht verpassen könne, sie würde warten, weil „er knisterte“. Ich bekam das Gefühl, dass alles, was Michael tat oder sagte, künstlerisches Flair hatte – es ist einfach die Art und Weise, wie sein Geist arbeitet.
Von all den Dingen, die ich an dem Tag gesehen hatte, war das, was mich zu Boden geworfen hat, das, was er mit Musik konzeptionell gemacht hat. Ich glaube, ich kann es immer noch nicht fassen. Es ist die Art, wie er verschiedene Stile von Musik, Tanz, Kunst durch seine ihm eigene multiple Intelligenz miteinander verschmilzt: Komponieren, Auftreten, Produzieren, Regie führen, Choreografieren, Filmerstellung, Inszenierung, Vorstellungskraft, seine emotionale Tiefe, Einfühlungsvermögen, umfassende Spiritualität. Er nähert sich der Musik von so vielen Disziplinen her, und das mit so viel Tiefe, historischem, sozialem und psychologischem Einblick. Und das alles trifft zusammen mit diesen gigantischen, mythischen Entwürfen wie der unendlichen 4D Armee in They Don’t Care About Us, den gewaltigen Kampf zwischen Gut und Böse suggerierend. Ich rang nach Luft dabei, während ich mich wieder an die ikonenhaften Bilder seiner Garderobe im Militärstil erinnerte und realisierte, dass er die machtvolle Rolle der Musik erkundet hat, wie diese viele Jahre lang die Herzen und Gedanken der Menschen wiegen lassen hat. Er hat dieses Bild und Konzept auf viele verschiedene Arten verwendet.
Ich hatte das Gefühl, dass er sogar die Grenzen des Weltraums und der Zeit mit seinem 4D Konzept und den Zeitbeugungen sprengte. Er sprang aus seinen 3D Filmen heraus auf die Bühne. Er nimmt dich mit Light Man mit in die Zukunft, und dann springt er in der Zeit zurück in die alten Filmklassiker.
Willa: Oh, Light Man ist solch eine interessante bildliche Darstellung, besonders in Hinsicht der „Zeitbeugung“. Er sieht futuristisch aus, aber bedeutsame Szenen aus unserer politischen und kulturellen Geschichte spielen sich auf der Oberfläche seines Körpers und der Kugel, die er hält, ab. Also sind wir Zeugen der Geschichte auf seiner schimmernden futuristischen Oberfläche – es ist eine Überlagerung kollektiver Erinnerungen unserer Vergangenheit auf diese Vision der Zukunft.
Kenny Ortega sagte, dass Michael Jackson mit Light Man, der auf die Kugel schaut, Hamlet verbunden hat, der auf den Schädel starrt während seiner „Alas, poor Yorick“-Rede. Ich liebe das, und es fügt der Bedeutung dieser Darstellung eine weitere Ebene hinzu. Und dann öffnet sich Light Man, und Michael Jackson springt heraus auf die Bühne.
Und dann weitet er seine Reichweite ebenso über die Bühne hinaus aus. Er plante, die „Vierte Wand“ zwischen den Darstellern und dem Publikum durch die riesigen Figuren, die sich in dem Thriller / Ghosts / Threatened Teil zwischen dem Publikum bewegen, niederzureißen. Ich war auch wirklich begeistert davon, wie die Geschosse in dem Smooth Criminal 3D Film hinausflogen ins Publikum. Er versuchte regelmäßig, uns als Publikum dahin zu führen, mit denen zu fühlen, die verletzlich sind, und in diesem Fall positioniert er uns so, dass die Geschosse uns genauso entgegenkommen wie ihm, so dass wir wirklich die Erfahrung machen, in welch verletzlicher Lage er sich befindet und die Bedrohung gegen ihn spüren.
Lisha: Ich mag deine Ansicht über Light Man, Willa, und ja, ich spüre auch, dass er die Räumlichkeit in solch einer unglaublich bedeutungsvollen Weise benutzt hat. Das ist etwas, was mich total fasziniert. Ist dir jemals aufgefallen, dass dies auch in seinen musikalischen Aufnahmen passiert? Nicht lange, nachdem ich den Film gesehen habe, las ich Bruce Swediens Buch In the Studio with Michael Jackson. Swedien spricht über Musik als Klangskulptur, darüber wie er es liebt, das Klangfeld multidimensional zu gestalten. Damit Swedien mit dem Klang zufrieden ist, muss er die das richtige Verhältnis von Links, Mitte, Rechts und Tiefe haben. Dies war für mich ein regelrechter Augenöffner, als ich damit anfing, der Art, wie Klang in Michaels Aufnahmen lokalisiert wird, Aufmerksamkeit zu schenken.
Wenn du zum Beispiel das Intro von Thriller hörst, gehen die Schritte genau aus deinem rechten Lautsprecher durch den Raum oder über deinen Tisch geradewegs in deinen linken Lautsprecher. Sie wechseln nicht einfach rechts und links. Sie gehen. Wenn du Kopfhörer trägst, gehen sie direkt durch deinen Kopf!
Joie: Oh, mein Gott! Ich kann gar nicht sagen, wie viele Male ich gestaunt habe, dass diese Schritte direkt durch meinen Kopf zu gehen scheinen, wenn ich Thriller mit meinen Kopfhörern zuhöre. Das ist einfach erstaunlich und ich frage mich jedes Mal, wie sie das gemacht haben?! Denn du hast Recht, der Klang wechselt nicht ganz einfach vom rechten Lautsprecher zum linken – er geht buchstäblich durch den Raum!
Lisha: Ich höre Thriller besonders gern in meinem Auto wegen dieser geschickten Art und Weise, in der der Klang durch den Raum geschickt wird. In dem Vincent Price Rap hört man Michael mit Ad Libs zwischen den Rap Strophen, „I’m gonna thrill her tonight“ singend, das ich vorne in meinem Auto höre. Aber von Weitem, als wenn es vom Rücksitz käme, höre ich „Hee hee hee …“ und „Thriller, Thriller, baby …“ so als wäre es direkt hinter mir! Es klingt, als säße Michael Jackson auf dem Rücksitz meines Autos und würde seine Ad Libs singen!
Willa: Das ist lustig!
Lisha: Was für ein amüsanter musikalischer Scherz, wenn du bedenkst, dass er das Horror Film Genre vortäuscht.
Willa: Oh, darüber habe ich noch gar nicht nachgedacht. Also hast du nicht nur Michael Jackson auf dem Rücksitz, du hast da hinten tatsächlich ein Monster sitzen … genau … hinter … dir. Das ist lustig!
Lisha:Hast du jetzt Angst? (Are you scared yet?) Ich habe das Gefühl, als hätte ich Michael Jacksons Traumwelt betreten, symbolisiert durch den ersten Ton, den du hörst, die quietschende sich öffnende Tür, und durch den letzten Ton, die sich schließende zugeschlagene Tür. Du wirst in einen Raum in deiner Vorstellung mitgenommen, der nur für diesen Song existiert. Du kannst erkennen, wie das Talent und die Vorstellungskraft des Komponisten, des Performers, Ingenieurs und Produzenten zusammenarbeiten muss, um einen Effekt wie diesen entstehen zu lassen.
Joie: Lisha, mehr könnte ich dir bei der Sache mit der Klangskulptur gar nicht zustimmen. Und wenn ich über jedes Album nachdenke, gibt es einfach so viele Beispiele für „Klangskulpturen“ in seinem ganzen Werk. Diejenigen, die mir sofort in den Kopf kommen, sind Don’t Stop til You Get Enough, Smooth Criminal, Dangerous, History, Ghosts und Heartbreaker. Und da habe ich jetzt nur jeweils einen Song von jedem Album herausgepickt, aber ganz ehrlich, jeden einzelnen Song auf jedem Album kann man auf diese Art beschreiben. Als klangliche Skulptur – ein dreidimensionales Kunstwerk, das für immer lebendig bleiben wird.
Lisha: Sie sind wahrhaftig Kunstwerke, und ich liebe jedes einzelne deiner Beispiele, Joie. Ich liebe sogar diese Game Music, die er kreiert hat – und vergiss nicht, es mit Kopfhörern anzuhören:
Joie: Die Game Music ist unglaublich.
Willa: Es zeigt definitiv eine ganz andere Seite von ihm, oder? Obwohl, ich habe nicht erwartet, Lisha, dass du als klassisch ausgebildete Musikerin dieses aussuchen würdest.
Joie: Willa, es ist interessant, dass du das sagst, denn als ich dieser Game Music zuhörte, kamen mir automatisch Gedanken zu dem klassischen Album, an dem er arbeitete, als er starb. Ich würde einfach alles geben, um diese Musik zu hören. Wo wir gerade über Klangskulptur sprechen! Könnt ihr euch vorstellen, wie diese Musik klingen muss?
Willa: Oh, ich weiß! Ich hoffe wirklich, dass der Estate sie einmal in irgendeiner Form veröffentlicht, denn ich würde sie zu gern hören. Und dieser Gedanke der Klangskulptur ist faszinierend, besonders die Art, wie sie die Sinne verschmelzen lässt – fast wie eine Art Synästhesie (die Kopplung zweier oder mehrerer physisch getrennter Bereiche der Wahrnehmung). Es ist, als würde man den Klang vorstellbar machen.
Joie: Das hast du so schön gesagt, Willa. „Klang vorstellbar machen“. Das ist sehr poetisch.
Willa: Es ist ein faszinierender Gedanke, oder? Und dieser Gedanke der klanglichen Skulptur fängt irgendwie etwas ein, das ich schon lange in seiner Musik gespürt habe, aber nie in Worte fassen konnte. Für mich war seine Musik immer sehr visuell, aber ich habe immer angenommen, das käme durch die Videos und die Bildhaftigkeit seiner Lyrics. Für mich erscheinen seine Videos so wesentlich für seine künstlerische Vision. So wie er es in Moonwalk ausdrückt:
Die drei Videos, die aus Thriller entstanden – Billie Jean, Beat It und Thriller – waren alle Teil meines Original Konzeptes für das Album. Ich war entschlossen, diese Musik so visuell wie möglich zu darzustellen.
Also waren die Videos nicht einfach irgendetwas, das er später als Marketingwerkzeug hinten dran hängte. Von Anfang an plante er, Film als Teil dessen, wie wir das Album erlebten, einzubeziehen, „diese Musik … visuell darzustellen“. Und jene visuellen Elemente sind wesentlich dafür, wie wir Thriller erleben, denke ich. Ich kann an keinen der drei Songs denken, ohne mir ebenso die Videos vorzustellen.
Aber dieses Konzept der „Klangskulptur“ fügt noch eine ganz andere Denkweise darüber hinzu. Es ist, wie seine Musik selbst auf gewisse Art visuell ist – sie ist dreidimensional und füllt einen dreidimensionalen Raum aus, und normalerweise denke ich bei Klang nicht daran, dass er so etwas macht.
Lisha: Ich habe auch niemals bei Musik als etwas Dreidimensionalem auf diese Weise gedacht. Es haut mich immer noch um. Klassische Musik untersucht die „Verräumlichung“ des Klangs – andere Musik und bekannte Aufnahmen tun dies ebenfalls – aber dies scheint für mich irgendwie anders. Ich bin nicht sicher, ob ich überhaupt weiß, wie ich es messen soll. In der alten Architektur von Südindien, bekannt als Vaastu, ist Architektur definiert als „eingefrorene Musik“. Eines der Konzepte von Vaastu ist der „in den Rhythmus eingebundene Raum“. Die Art wie Michael Musik wie Architektur konzipiert, erinnert mich an diese Konzepte von Vaastu. Er verschmilzt Sichtbares / Bewegung / Raum mit Musik auf eine Art, das einen das eine vom anderen nicht mehr auseinanderhalten lässt. Es ist nicht Musik mit Tanz und Visuellem – es ist irgendwie als eine einzige Sache strukturiert. Ich kann die Musik nicht hören, ohne sie mit der Empfindung der Bewegung und des bildhaften, künstlerischen, räumlichen Konzeptes zu verbinden. Ich denke, das ist wirklich entscheidend, um Michael als Komponisten und als Musiker zu verstehen.
Willa: Das ist einfach faszinierend, Lisha, und es erweitert wirklich, nicht nur wie ich über Michael Jacksons Musik denke, sondern über Musik generell. Wow, ich muss das wirklich erst mal sacken lassen!
Und ich frage mich, wie dieser Gedanke des Räumlichen und Visuellen an seine Videos anknüpft. Ich stelle mir seine Videos jedes Mal vor, wenn ich die Songs höre – die Songs und die Videos sind so sehr verbunden für mich, und es gibt eine emotionale Verzögerung zwischen ihnen. Ich weiß nicht, ob das einen Sinn ergibt, aber zum Beispiel mochte ich eine ganze Zeit lang nicht das You Rock My World Video. Eigentlich fühlte ich mich dabei richtig unwohl. Es ist ziemlich bedrohlich, und ich verstand nicht, woher dieser Zorn kam oder gegen wen er gerichtet war, und es lies mich immer so frustriert und verunsichert zurück, dass ich es einfach nicht mochte. Ich mochte diese unangenehmen Gefühle einfach nicht, die es in mir hervorrief. Und genau deswegen mochte ich den Song auch nicht – weil all diese unbequemen Emotionen aus dem Video darauf abfärbten. Aber nachdem Joie und ich im letzten Herbst über You Rock My World gesprochen und wirklich alles untersucht hatten, was in dem Video vor sich geht, wusste ich es nach und nach viel mehr zu schätzen, und jetzt mag ich es wirklich sehr. Und ich mag den Song nun auch sehr viel mehr. Das ist es, was ich mit „emotionaler Verzögerung“ zwischen den Songs und den Videos meine – die Emotionen des einen färben auf das andere ab.
Aber sogar in den Songs ohne Videos malt er manchmal solch lebhafte Bilder, dass ich mir wirklich die Frau vorstelle, die am Küchentisch sitzt in Much Too Soon, oder den Patienten, der auf dem Untersuchungstisch in Morphine liegt, während er dem Doktor bei seiner Erklärung zuhört, was passiert, wenn das Medikament in seine Venen fließt.
Joie: Ich weiß genau, was du meinst, Willa; ich mache es genauso. Eigentlich ist es so, dass ich für die Songs, für die es kein begleitendes Video gibt, tatsächlich einen vollständigen Short Film in meinem Kopf entworfen habe. Und jedes Mal, wenn ich die Songs höre, beispielsweise Money, Unbreakable und 2000 Watts, werden diese Bilder, die ich in meiner Vorstellung entworfen habe, in meinen Gedanken abgespielt, einfach weil er mit seinen Worten so lebhafte Bilder gemalt hat.
Willa: Am liebsten würde ich jetzt deine mentalen Filme sehen, Joie! Das ist so interessant. Ein anderes gutes Beispiel ist Human Nature – seine Stimme ist so ausdrucksstark, du kannst dir wirklich den Hauptcharakter ausmalen, wie er sich ruhelos fühlt und intensiv lebendig und voller Energie, wie er einfach hinaus will in die Nachtluft, um durch die Straßen der Stadt zu gehen.
Lisha: Ja, ich habe auch sehr viele Short Films in meinem Kopf produziert! Wie bei Human Nature, bei dem ich mir vorstelle, wie ich in ein Apartmentfenster eines Hochhauses sehe, aber dann drehe ich mich um und sehe hinaus, auf die Feuerleiter und die Straßenszenen in New York.
Willa: Das ist wundervoll! Was für eine kinematografische Art, sich das vorzustellen. Ich kann es mir richtig vorstellen.
Lisha: Human Nature war eine weitere bemerkenswerte Szene in This Is It. Ich konnte diese Probe fast nicht glauben, wie er so viel musikalische Spannung einfach nur mit seiner Stimme und seiner Bewegung erschaffen hat, überhaupt keine Begleitung, ganz für sich allein. Es hat mich auch visuell stark beeindruckt, denn ich erinnere mich, wie ich seinen Körper und sein Gespür für Mode und Stil betrachtete und bei mir selbst dachte: Wow, dieser Mann gab alles, was er hatte, seiner Kunst, er nutzte dafür sogar seinen eigenen Körper. Er hat nichts zurückgehalten, einschließlich jeder Zelle seines Körpers – er gab alles. Dieser Gedanke traf mich wie ein erstaunliches neues Gebiet, dass ein Künstler seinen eigenen Körper für seine Kunst nutzt. Er war wie eine lebende, atmende Skulptur. Ich habe Menschen gesehen, die ihre Körper mit Tattoos und Piercings herrichten, aber niemals etwas wie dieses. Ich war fasziniert von seiner physischen Schönheit und was es mir sagte, kombiniert mit meiner eigenen Erinnerung an ihn als Kinderstar, als Teenager, als die Thriller Ikone und an die vielen Bilder, die ich die ganzen Jahre lang in den Medien gesehen hatte.
Willa: Ich weiß, was du meinst, Lisha. Sogar die Farbe seiner Haut war Teil seiner Kunst, und für mich fühlt es sich wie eine völlig neue Art von Kunst an, ein neues Genre von Kunst – es erschafft eine Bedeutung auf eine Art, die sich völlig von einem Piercing oder einem Tattoo unterscheidet, denke ich, obwohl es da Verbindungen gibt. Sie „beschreiben den Körper neu“ auf gewisse Weise, aber Michael Jackson schreibt auch die kulturelle Erzählung, die in seinen Körper eingraviert war auf eine Art und Weise neu, wie ich es nie vorher erlebt habe. Also bringt die Art, wie er seinen Körper neu beschriftet, enorme kulturelle Auswirkungen mit sich, darauf, wie wir Merkmale wie Rasse, Geschlechtszugehörigkeit, Sexualität, Nationalität und letztendlich Identität interpretieren.
Lisha: Ich glaube, Michael Jackson markiert ein gänzlich neues Kapitel in der Musik und Kunst. Denk mal daran, wie machtvoll dies alles ist, wenn man in Betracht zieht, wie es auf die Masse gerichtet war, auf den ganzen Erdball, jeder war einbezogen, sogar der Planet selbst. Ich erinnere mich, als ich das erste Mal das Intro von Earth Song in This Is It sah und dabei realisierte, dass er die ganze Zeit mit seinem Publikum gespielt hatte, bis er die wahre Bedeutung seiner Show offenbart. This Is It ist nicht „der letzte Vorhang“ (the final curtain call) oder „der” angesagte Ort (The „it“ place to be). This Is It ist unsere Marschroute: Die Zeit läuft ab, und es gilt, die globale Katastrophe zu verhindern. Er benutzte seine musikalische, künstlerische Fähigkeit, die Massen zu erreichen und die Welt zu heilen. Ich dachte, welches Event überhaupt in der Kunst reicht an dieses heran?
Joie: Lisha, ich liebe das, was du gesagt hast darüber, dass Michaels Musik sich an den ganzen Erdball richtete. Es lässt mich an etwas denken, das Akon über ihn in einem Interview gesagt hat, Er sagte:
„Er ist unglaublich. Er ist ein Genie. Einfach nur im selben Raum mit ihm fühlte ich, dass ich alles was ich wollte, erreicht habe in meinem Leben … Diese Aura … es ist, wie unglaublich diese Ausstrahlung ist … Die Art, wie er denkt… manche Künstler denken regional, manche denken national, ich dachte international. Er denkt in Planeten! Es findet auf einer anderen Ebene statt!“
Ich finde es immer faszinierend festzustellen, dass seine Kollegen aus der Musikindustrie und die jüngere Generation von musikalischen Künstlern, die von ihm beeinflusst wurden, ihn ebenso umwerfend finden wie die Fans. Und ich liebe dieses Zitat von Akon, denn es beschreibt genau das so gut, was du gerade darüber gesagt hast, wie er die Massen anspricht. Es beleuchtet auch einen anderen Punkt, den du gerade erwähnt hast, als du sagtest: Welches Event überhaupt in der Kunst reicht an dieses heran? Wie Akon sagte, Michael denkt nicht klein. „Er denkt in Planeten!“
Lisha: Und, stimmt das nicht? Ich denke, Akon hat Recht. Da ist etwas so Umfassendes an der Art, wie Michael denkt und Kunst begreift. Ich versuche auch, an jemand anderen zu denken, der diese Art der Reichweite hat, und ich bin ratlos. Gibt es eine andere historische Person, die die Welt auf die gleiche Art erreicht hat wie Michael Jackson? Ich bin kein Historiker, aber mir fällt einfach keine ein.
Joie: Mir fällt auch keine ein, Lisha, und ich habe es seit vielen Jahren versucht.
Willa: Er hatte eine ganz andere Art Kunst zu entwerfen, stimmt’s? Nicht nur die globale Reichweite seiner Kunst, sondern auch die Art, wie er Kunst vergegenwärtigt. Ich glaube ganz ehrlich, dass er eine neue Art der Poetik erschaffen hat, eine völlig neue Philosophie von Kunst.
Also ich möchte noch einmal, wenn möglich, für einen Augenblick zurückkommen zu seinem musikalischen Können. Als Joie und ich uns vor einigen Wochen mit Joe Vogel und Charles Thomson über Michael Jackson als Songschreiber unterhielten, sprachen wir auch ein wenig über die vielen mit ihm im Studio Zusammenarbeitenden und dass sie zumindest ein wenig der Anerkennung dessen verdienen, was wir auf einem Album zu hören bekommen. Aber wir stimmten nicht darin überein, was dies in Hinsicht der Beherrschung seines musikalischen Handwerks und seines Songschreibens bedeutet. Zum Beispiel war Charles der Meinung, dass ihm weniger Autonomie zuzusprechen sei, weil er andere Musiker in das Studio geholt hat, während Joie und ich zu der Ansicht tendierten, dass er immer noch der Komponist seiner Songs und der führende Visionär für seine Alben sei, und immer noch eine ganze Menge Kontrolle über das hatte, was im Studio passiert. Also was denkst du als professionelle Musikerin, die mit anderen Musikern zusammengearbeitet hat, darüber?
Lisha: Okay, aus meiner Sicht verhält es sich so, dass sich da ein Paradigmenwechsel vollzieht, der die Betrachtung der Sichtweise etwas erschwert. Denn großartige Musik reflektiert immer die Realität der Zeit und des Ortes, in der sie entstanden ist, ob beabsichtigt oder nicht. Beispielsweise lebte Michael Jackson in einem Land, in dem die Wertschätzung für Technologie, materiellen Wohlstand und globalen Handel sehr hoch ist. Also ist es kein Zufall, dass seine Musik diese Werte sehr stark widerspiegelt. Sie ist technologisch fortschrittlich, aufwendig produziert und kommerziell erfolgreich in einem globalen Maßstab.
Willa: Wow, darüber habe ich vorher noch nie nachgedacht.
Lisha: Er lebte auch in einer Zeit und an einem Ort, an dem es klar wurde, dass Menschen die Fähigkeit entwickeln müssen, die Perspektiven des jeweils anderen wertzuschätzen und effektiv miteinander zu arbeiten. Dies war von entscheidender Wichtigkeit, als wir zu einer Weltwirtschaft wurden und daran zu arbeiten begannen, die Ressourcen und das Überleben des Planeten zu retten. Und das ist genau das, wofür Michaels kreativer Prozess sinnbildlich steht – nämlich für die Fähigkeit, vielfache Perspektiven zu schätzen, daran zu arbeiten, um sie nahtlos miteinander zu verschmelzen auf eine Art und Weise, die jedem einzelnen Teil des Ganzen nutzt und ihn noch erweitert. Ich denke nicht für eine Sekunde daran, dass es sein musikalisches Können mindern würde. Ganz im Gegenteil, ich denke, genau darin besteht sein Genie.
Ein anderer Weg, sich dies zu betrachten, sind The Beatles. Ich bin voller Ehrfurcht verliebt in ihre Werke, und ich verehre besonders Paul McCartney. Ich habe meine Freude daran, die Liner Notes auf seinen Solo Alben zu lesen und sehe, dass er aufgeführt ist als der Bassspieler, der Drummer, der Leadguitarspieler, der Keyboarder, der Leadsänger und auch als Backgroundsänger. Ziemlich erstaunlich, DIY Records! Was kann dieser Mann eigentlich nicht? Ich liebe seine Soloalben. Aber am Ende des Tages, ich muss es zugeben, kommt keines der Werke, das die Beatles als Solokünstler produzierten, an das heran, was sie in ihrer Zusammenarbeit als The Beatles produziert haben. Du kannst es wirklich hören und den Wert ihrer Zusammenarbeit verstehen – probieren geht über studieren, wie man sagt. Ich denke, es ist eindeutig, dass die musikalische Synergie ein Teil ihres Genies war.
Willa: Was für eine großartige Analogie! Und ich denke ganz sicher nicht, dass ihre Zusammenarbeit als The Beatles die musikalische Leistung irgend eines einzelnen von ihnen gemindert hat: Lennon, McCartney, Harrison oder Starr.
Lisha: Überhaupt nicht, es brachte das Beste ihrer Arbeit hervor. Das meinte Kenny Ortega damit, als er Michaels Philosophie für This Is It zusammenfasste – er wollte die besten Leute, die er finden konnte, um sich versammeln und sie herausfordern, durch ihre Zusammenarbeit über alles hinauszugehen, was sie bisher getan hatten.
Also habe ich mir selbst die Frage gestellt: Welches eigene Werk von den Leuten, die mit Michael zusammengearbeitet haben, kann mit einem Michael Jackson Album mithalten? Sogar das Album Michael, welches einen großen Teil von Michaels Arbeit enthält, kann einem Michael Jackson Album nicht standhalten! Nur dieser Mann selbst konnte das schaffen. Ohne Michael Jackson, der die Vision anführt und jedes letzte Detail bis zur Perfektion poliert, befürchte ich, wird es kein Michael Jackson Album mehr geben.
Joie: Also bedeutet das, dass du Will.i.am zustimmst, der sich vehement gegen posthume Alben mit vorher unveröffentlichter Musik ausspricht?
Lisha: Überhaupt nicht. Will.i.am hat mir eine Heidenangst eingejagt, als er sagte, er würde in Erwägung ziehen, einige der Tracks zu zerstören, an denen er und Michael gearbeitet haben! Ich kann nicht genug betonen, wie wichtig es ist, alles zu bewahren und zu archivieren GENAU SO wie Michael es hinterlassen hat, inklusive solcher Dinge, die in die Mülltonne könnten. Zukünftige Musikwissenschaftler werden den Zugang dazu brauchen. Solange dafür gesorgt wird, hoffe ich, dass der Estate alles veröffentlicht, was überhaupt einen kommerziellen Wert hat. Es werden nicht die exquisit ausgearbeiteten Kunstwerke sein, die Michael erschaffen hat, ganz egal, wer die Abschlussarbeiten ausführt, aber es wird ein faszinierender Einblick in den Geist und den kreativen Prozess eines Genies sein. Ich würde zu gern jedes letzte bisschen davon hören, sogar ganze Alben mit Schnipseln und unfertigen Songs. Ich denke, die meisten Künstler würden sterben für etwas, das so gut ist wie das, was Michael Jackson wegwerfen würde!
Lilly
Anzahl der Beiträge : 87 Anmeldedatum : 07.11.12
Thema: Re: Dancing With The Elephant (Deutsche Übersetzung) Do 15 Nov 2012 - 21:40
MJ’s Kunst: Uns höher bringen 04/04/2012
Joie: Vor einigen Wochen sprachen Willa und ich über Michaels wiederholten Einsatz des Leinwandpublikums in vielen seiner Kurzfilme. Und während dieser Unterhaltung sprachen wir oft über die Performance Videos – die Videos, die ein „gestelltes“ Konzert zeigen – und welche anderen Empfindungen sie hervorrufen als tatsächliche Konzertaufnahmen. Gut, also seit dieser Diskussion bekomme ich Give In To Me einfach nicht mehr aus dem Kopf. Ich begann, es immer und immer wieder anzusehen kurz nachdem wir Teil 1 der Leinwandpublikum-Diskussion gepostet hatten, und ich bemerkte, dass da eine Menge interessanter Dinge sowohl im Video als auch im Song vor sich gehen.
Ich habe oft von Give In To Me als einem Love Song gehört, und das hat mich immer sehr verwirrt, weil das meiner Meinung nach nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein könnte. Für mich ist dies kein Song über Liebe; es ist ein Song über Begierde. Und die Lyrics sind ziemlich roh und offen. In der ersten Strophe sagt er dem Objekt seines Verlangens „Versuch‘ nicht, mich zu verstehen / denn deine Worte reichen einfach nicht aus“.
Ich glaube, dass da etwas sehr viel Tieferes vor sich geht, und wir werden darauf in einer Minute kommen. Aber oberflächlich gesehen, glaube ich, spricht er sehr grundlegende Emotionen an: sexuelles Verlangen, Lust, körperliche Befriedigung. Er sagt ihr, dass er nicht mit ihr auf emotionaler Ebene verbunden sein möchte. „Versuch‘ nicht, mich zu verstehen,“ singt er wiederholt. Dann macht er weiter hiermit:
Liebe ist ein Gefühl Stille mein Verlangen Gib es mir, wenn ich es will Bring mich höher Liebe ist eine Frau Ich will es nicht hören Gib dich mir hin Gib dich mir hin
Jedes Mal, wenn ich diesen Song höre, bin ich ergriffen von der Zeile „Ich will es nicht hören“ (I don’t wanna hear it). Er wiederholt sie mehrere Male während des ganzen Songs. Es ist, als ob er sagen würde, er möchte überhaupt nicht reden, er will einfach nur Sex haben.
Willa: Stimmt, besonders wenn er die Zeile „Erzähl‘ es dem Prediger“ (Tell it to the preacher) hinterher schiebt. Es ist, als würde er sagen: Spar dir das romantische Gerede für jemanden auf, den es kümmert, denn ich tue es nicht. Er will einfach nur, dass sie „sein Verlangen stillt“ und ruhig ist. Ein Prediger kümmert sich vielleicht um Liebe und Verbindlichkeit, aber „ich will es nicht hören“.
Joie: Es ist solch eine unsensible, kalte, gefühllose Sache, es so zu sagen, und das sind Attribute, die wir gewöhnlich nicht mit Michael Jackson verbinden, aber hier ist es so. Ob er jemals selbst so empfunden hat, werden wir nie erfahren – und es geht uns auch überhaupt nichts an. Aber er hat einen Song darüber geschrieben und stellt es sehr überzeugend dar. Die Frustration und die sexuelle Spannung in seiner stimmlichen Wiedergabe ist greifbar, und in Kombination mit dem sinnlichen Rhythmus der Musik ergibt dies einen sehr sexy Song.
Willa: Weißt du, alles, was du gerade gesagt hast, ist so interessant, Joie, denn auf der einen Seite weiß ich genau, was du sagen willst. Es gibt da einige Zeilen in diesem Song, wenn die jemand zu mir sagen würde, der mir etwas bedeutet, dann wäre es ziemlich schwer für mich, dies hinzunehmen – Zeilen wie „Versuch‘ nicht, mich zu verstehen / Mach einfach das, was ich dir sage.“ Ich kann verstehen, warum du dich darauf fokussiert hast, denn es springt mir auch direkt ins Auge. Keine Frau, die ich kenne, würde so etwas tolerieren. Und während wir im Kopf behalten müssen, dass dies Worte sind, die Michael Jackson in seiner Rolle gebraucht und es deshalb nicht notwendigerweise auch seine eigenen Gedanken und Gefühle sein müssen, ist es doch ein Schock, denn sie scheinen komplett dem zu widersprechen, wofür er steht.
Joie: Ganz genau!
Willa: Aber ich neige dazu, dies auf eine andere Art zu interpretieren. Ich denke auch, dass Give In To Me ein Song über Leidenschaft ist – und sexuelle Leidenschaft ist definitiv ein Teil davon, wie wir in diesen heißen Bildern im Video sehen können. Aber es ist auch ein Song über künstlerische Leidenschaft. Wie wir schon oft besprochen haben, stellt Michael Jackson seine Beziehung zu seinem Publikum regelmäßig als Liebesaffäre dar. Wir sehen, wie sich diese doppelte Beziehung durch sein gesamtes Werk zieht: in Dirty Diana, Remember The Time, Who Is It , Blood on the Dance Floor, You Rock My World und One More Chance, um nur einige zu nennen. Und ich sehe hier die gleiche parallele Beziehung. Es ist sogar sehr deutlich – schließlich wird er in diesem Video nicht mit einer Frau dargestellt. Er ist auf einer Bühne, singt zu einem Publikum. Aber es werden einige sehr heiße Szenen angeschnitten, so dass es mir scheint, als würde er ganz bewusst jene Szenen von Paaren in sexueller Leidenschaft seiner kreativen Leidenschaft auf der Bühne gegenüberstellen.
Joie: Ich stimme dir zu, es ist sehr absichtlich, oder? Und das ist das „viel Tiefere“, auf das ich vorhin angespielt habe.
Willa: Das denke ich auch – wie bei vielen seiner Werke kannst du das „viel Tiefere“ intuitiv spüren, sogar bevor du eintauchst in das, was dieses Etwas ist. Und wenn wir uns diese verwirrenden Zeilen auf diese Art ansehen – als von einem Künstler, der mit seinem Publikum spricht – ergeben sie sehr viel mehr Sinn. Wenn er sagt „Versuch‘ nicht, mich zu verstehen“ und „Gib dich mir hin“, meint er damit, dass wir aufhören sollen, über sein Liebesleben und seine Boa Constrictors und seine Schaufensterfiguren und das alles zu spekulieren, und sollen aufhören zu versuchen, die Beziehung zu seinem Vater und seiner Mutter und seinen Geschwistern psychologisch zu analysieren – mit anderen Worten, wir sollen aufhören, sein persönliches Leben zu beobachten, um ihn auf diese Weise zu verstehen – und stattdessen sollten wir uns „ihm einfach als Künstler hingeben“ und uns selbst von der Macht seiner Kunst anziehen lassen.
Aber wie gewöhnlich in seinen Werken sehe ich dies nicht als Entweder-Oder-Situation, die bedeuten würde, dass wir eine Interpretation aussuchen müssen. Stattdessen erkenne ich, dass es auf beide Arten funktioniert. Für mich ist dies ein Song über sexuelle Leidenschaft UND kreative Leidenschaft, und er untersucht dies beides zur gleichen Zeit.
Joie: Willa, ich stimme dir voll und ganz zu, obwohl ich den Begriff „sexuelle Leidenschaft“ hier nicht gebrauchen möchte. Für mich impliziert dies, dass hier eine Liebesbeziehung besteht, aber das ist ganz klar nicht der Fall. Aber mangels passenderer Worte oder Begriffe glaube ich, dass wir hier über dieselbe Sache sprechen. Einfache Lust – keine Bedingungen, die an deren Erfüllung geknüpft sind.
Was die Beziehung zwischen dem Künstler und seinem Publikum angeht, denke ich, wir müssen betrachten, welches Segment seines Publikums er hier wirklich anspricht. Ganz eindeutig spricht er nicht jene von uns an, die bereits auf seiner Seite sind oder gegenüber denen er Gefühle seiner Liebe ausdrücken würde. Ich denke, dies ist ein weiterer jener Songs, bei denen das angesprochene Publikum dasjenige ist, das seinen exzentrischen Lebensstil beklagt. All jene Leute, die so beschäftigt damit sind, über die Gerüchte und sein Privatleben zu spekulieren, dass sie die Musik nicht mehr genießen können. Sie sind zu sehr beschäftigt damit, ihn einer Psychoanalyse zu unterziehen, wie du gesagt hast.
Aber weißt du Willa, sogar obwohl ich dies als einen Song über Lust betrachte, erkenne ich, dass noch etwas anderes, sehr Interessantes in dem Song selbst passiert, was auch der Kurzfilm widerspiegelt. In der zweiten Strophe sagt er:
Du hast immer gewusst, wie du mich zum Weinen bringst Und ich habe dich nie gefragt, Warum Es scheint, als ob es dir einen Kick verschafft, mich zu verletzen
Dann singt er in der Bridge des Songs weiter:
Du und deine Freunde Ihr lacht über mich in der Stadt Aber es ist Okay Und es ist Okay Du wirst nicht mehr lachen, Mädchen Wenn ich nicht mehr da bin Ich werde Okay sein Und ich … ich werde ihn finden … meinen inneren Frieden, oh
Also, obwohl er sogar auf der einen Seite sagt, dass er keine emotionale Verstrickung mit dieser Frau wünscht, drückt er im nächsten Atemzug seine verletzten Gefühle darüber aus, wie sie ihn behandelt. Und wir sehen dies ebenso im Video. Oberflächlich gesehen ist die dies nur ein einfaches Performancevideo, aber es passieren interessante Dinge im Hintergrund, die meine Aufmerksamkeit erregt haben. Verwoben mit diesem „Konzert“ sind diese wirklich sexy Aufnahmen verschiedener Paare, die sich küssen und berühren. Dann plötzlich hat eines dieser Paare einen erhitzten Streit. Der Mann ist sehr aufgebracht über seine Freundin, und wir – das Nichtleinwandpublikum – können seine Enttäuschung deutlich spüren. Es gibt Aufnahmen von Leuten, die lachen – wahrscheinlich über ihn – wie sie flüstern und ihn anstarren. Er stürmt davon und wirft mit Dingen um sich.
Willa, wenn ich damit fortfahre, den Song mit dieser zweigleisigen Interpretation im Kopf zu betrachten, ergeben diese Zeilen in der zweiten Strophe und die Bridge des Songs so viel Sinn für mich, als ob er zu diesem Teil seines Publikums spricht, den ich vorher erwähnt habe.
Willa: Oh, ich stimme dir zu, Joie. Kannst du dir vorstellen, du legst dein ganzes Herz und deine Seele in ein Album, und dann erntet deine Leistung nur Spott von höhnischen Kritikern? Stell dir einfach mal vor, wie sich das anfühlen würde. Und das ist genau das, woran ich immer denken muss, wenn ich diese Zeile höre „Du und deine Freunde / Ihr lacht über mich in der Stadt“. Er war ein Visionär: Er kannte den Wert seiner Arbeit, er wusste, dass sie ihrer Zeit weit voraus war, und er wusste, dass diese Kritiker falsch lagen. Aber noch traf es ihn schmerzlich – so hart an etwas zu arbeiten und dann so schrecklich missverstanden und unterschätzt zu werden. Aber er kannte sich auch sehr gut in Kunstgeschichte aus, und er wusste, dass die Kritiker seine Werke eines Tages zu würdigen wissen würden. Und das denke ich, wenn ich die Zeilen höre „Du wirst nicht mehr lachen, Mädchen / Wenn ich nicht mehr da bin“. Und es bewahrheitet sich gerade. Wir können schon erkennen, wie es passiert. Nun, da er gegangen ist, entdecken eine Menge Leute seine Werke oder entdecken sie wieder und beginnen langsam zu realisieren, wie unglaublich und bedeutsam sie einfach sind.
Joie: Das ist so wahr! Und ist es nicht erstaunlich? Warum ist das so, dass wir die guten Dinge niemals zu schätzen scheinen, bis sie gegangen sind und es viel zu spät ist? Es lässt mich an etwas denken, was meine Großmutter oft gesagt hat. Sie sagte immer ‚Gib mir Blumen, wenn ich noch da bin, so dass ich sie genießen kann‘. Und als ich jünger war, habe ich das nicht wirklich verstanden. Aber nun, da ich älter bin und schon einige Menschen, die mir viel bedeutet haben, verloren habe – sie eingeschlossen - verstehe ich es voll und ganz. Was ist das an der menschlichen Natur, das uns so vieles als selbstverständlich hinnehmen lässt?
Aber um auf das zurückzukommen, was du darüber gesagt hast, sein Herz und seine Seele in ein Album zu stecken, nur um Kritiker über deine Mühe spotten zu hören … nein, ich kann mir nicht einmal ansatzweise vorstellen, wie sich das anfühlen muss. Ich meine, ich stelle mir vor, dass es so ein ungeheuer mutiger Akt ist, sich seiner Kunst zu widmen – es auszuarbeiten und seine Seele einfließen zu lassen, wie du sagtest – und dann auch tatsächlich unerschrocken genug zu sein und dies mit der Welt zu teilen. Nur diesen Blog mit dir zusammen zu schreiben, bedeutete so einen großen Schritt aus meiner Komfortzone, Willa. Und du erinnerst dich, wie nervös ich deswegen war!
Willa: Oh, mir ging es genauso!
Joie: Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, irgendetwas in dem Maßstab zu machen, wie es Michael getan hat. Dieser Mann erstaunt mich jedes Mal, wenn ich über sein Leben und alles, was er erreicht hat, nachdenke. Es bringt meine Gedanken völlig durcheinander.
Willa: Ganz genau, und ich glaube, dass er in Give In To Me sowohl das Hochgefühl, als auch den Schmerz dabei behandelt – des Schaffens von Kunst, deren Zeuge Millionen von Menschen sind, die sie vielleicht oder vielleicht auch nicht verstehen – dadurch, dass er sie mit all den intensiv spürbaren Emotionen rund um das sexuelle Verlangen verbindet.
Aber ich denke nicht, dass dies nur eine Metapher für ihn ist. Ich denke, dass er wirklich eine Verbindung zwischen künstlerischer und sexueller Leidenschaft gesehen hat. In einem wunderbaren Interview von 1982 mit Gerri Hershey erzählte er ihr:
Auf der Bühne zu sein, ist magisch. Es gibt nichts, das dem nahe kommt. Du fühlst die Energie von jeder anderen Person da draußen. Du spürst es an deinem ganzen Körper. Wenn die Lichter dich treffen, ist es um dich geschehen, ich schwöre es.
Hirshey bemerkt, als er spricht „Er lächelt nun, sitzt aufrecht, während er versucht, den Phantasielosen die Schwerelosigkeit zu erklären.“ Seine Mutter erzählte Hirshey, dass er jeden Sonntag fastete und stundenlang tanzte, „ein wöchentliches Ritual, bei dem sich ihr Sohn völlig verausgabt hat, schwitzend, lachend und weinend.“ Hirshey schreibt weiter:
Es ist auch ein Ritual, das Michaels Auftritten sehr ähnelt. Da ist nichts Zaghaftes an seinen Alleingängen. Er kann seine hochgewachsene, schmale Gestalt in die Drehung eines Eiskunstläufers fließen lassen ohne die Hilfe von Eis oder Schlittschuhen. Unterstützt durch das zündende Blitzen silberfarbener Bodysuits scheint er nach Belieben seine Molekularstruktur ändern zu können, im einen Moment eckige Roboterbewegungen, im anderen wellenartige Kurvenbewegungen ausführend. So sicher ist sein Körper, dass seine Augen oft geschlossen bleiben, sein Gesicht nach oben einer unsichtbaren Muse zugewandt ist. Sein knochiger Brustkorb hebt sich. Er keucht, stößt und kreischt. Er ist bekannt dafür, von der Bühne zu springen und in die Takelage zu klettern. Zu Hause in seinem Zimmer tanzt er, bis er am Boden liegt.
In einem anderen Interview sprach er darüber, dass wenn er auf der Bühne ist und die Lichter ihn anstrahlen, es sich einfach elektrisch anfühlt – als wenn Elektrizität durch seine Haut geht – und das wird visuell in Give In To Me dargestellt. Ganz besonders am Schluss sehen wir blaue Streifen von Elektrizität über die Oberfläche seines Körpers laufen. Es ist eine wirklich erotische Art und Weise, wie er die Erfahrung, auf der Bühne zu sein, beschreibt, und ich denke in Give In To Me versucht er, das Gefühl mit denen von uns zu teilen, die niemals aufgetreten sind – wie Hirshey es so gut beschrieben hat, „während er versucht, den Phantasielosen die Schwerelosigkeit zu erklären.“
Joie: Was er in dem Interview zu beschreiben versucht, ist Ekstase.
Willa: Genau. Er versucht, jenen von uns gegenüber ein unerklärbares Gefühl auszudrücken, die dies noch niemals erfahren haben. Ich erkenne etwas ganz Ähnliches am Beginn von Martins Bashirs berüchtigter Dokumentation. Ich kenne viele Leute, die sich moralisch dagegen sträuben, Bashirs Dokumentation anzusehen, und ich kann das verstehen, aber wenn du dir das Intro ansehen willst, hier ist es:
Bei 30 Sekunden ist die Stelle mit der „klassischen“ Musik, die Ultravioletrae in einer faszinierenden Erläuterung letzte Woche erwähnt hat. Bei 3 Minuten versucht er, Bashir seinen kreativen Prozess zu erklären, was sowohl faszinierend, als auch frustrierend ist. Und dann bei 11 Minuten sagt er zu Bashir: „Ich liebe es, auf Bäume zu klettern. Ich denke, das ist meine liebste Beschäftigung. Water Balloon Fights und auf Bäume klettern. Ich denke, diese zwei sind meine liebsten Beschäftigungen.“ Bashir macht sofort eine Sensation daraus, natürlich, und sagt: „Ziehst du Liebe machen nicht vor?“ Michael Jackson sieht ihn nur einfach an mit diesem nachsichtigen kleinen Lächeln und erklärt sehr geduldig, dass er über Freizeitbeschäftigungen spricht, nicht über Leidenschaften. Als er über Bäumeklettern als seine Lieblingsbeschäftigung spricht, beschreibt er es „als mein Zeitvertreib. Ich kann es nicht mit dem Auftreten vergleichen. Andere Leute spielen gern Football oder Basketball. Ich klettere gern auf Bäume.“
Was meine Aufmerksamkeit bei dieser Unterhaltung gefesselt hat, ist, dass für Bashir der ultimative Ausdruck von Leidenschaft „Liebe machen“ ist. Aber Michael Jackson kennt eine Leidenschaft, die weit darüber hinaus geht – die Qual und den Rausch kreativer Leidenschaft. Es ist eine Art von Leidenschaft, die Bashir niemals erfahren wird, und er versteht sie nicht und belächelt sie sogar irgendwie. Aber ich sehe diese Szene und denke, wow, Michael Jackson hat Gefühle in solch einer Intensität erfahren, die sich die meisten von uns nicht einmal vorstellen können.
Joie: Und du hast damit wahrscheinlich sehr Recht, Willa. Er hat Dinge in seinem Leben erfahren – sowohl Höhen, als auch Tiefen – die die meisten von uns niemals auch nur ansatzweise nachvollziehen können. Und noch mal, es bringt meine Gedanken völlig durcheinander, wenn ich da sitze und über die Vorkommnisse in seinem Leben und seine erstaunliche Karriere nachdenke.
Und es ist sehr interessant – und auch sehr vielsagend – dass er offensichtlich Liebe machen mit Performing gleichsetzt. „Ich kann es nicht mit dem Auftreten vergleichen,“ sagt er. Bashir redet über Sex, und Michael setzt in Gedanken „Liebe machen“ damit gleich, auf der Bühne zu sein. Für ihn ist das die einzige Sache, die mit all den intensiven Emotionen mithalten kann, die man erfährt, wenn man in sexueller Leidenschaft gefangen ist. Das ist faszinierend!
Aber um noch einmal für eine Minute zu dem Video zurückzukommen, ich muss sagen, dass dies schon immer einer meiner liebsten Short Films war. Ich liebe es, wie dunkel und intensiv es sich anfühlt, und ich liebe den ganzen „Konzertaufbau“ und Michael zu beobachten, wie er sowohl mit den Fans in der Menge und auch mit den anderen Musikern auf der Bühne interagiert. Du weißt, Michael selbst sagte, dass dieses ganze Video in nur zwei Stunden aufgenommen wurde, was mich geschockt hat. Als es während seines berühmten Interviews mit Oprah zum ersten Mal ausgestrahlt wurde, ist es dies, was er darüber gesagt hat:
Oprah: Sexy.
Michael: Yeah.
Oprah: Also, wir möchten gern wissen, wie es auf einem Blatt Papier beginnt … quench my desire … und dann wird so etwas daraus.
Michael: Also Give In To Me, ich wollte einen weiteren Song schreiben, verstehst du, der irgendwie aufregend ist und Spaß macht und rockig ist. Weißt du, so etwas wie bei Beat It und Black or White. Und Slash, der ein lieber Freund von mir ist … Ich wollte, dass er dabei die Gitarre spielt. Wir kamen zusammen und gingen nach Deutschland, und wir nahmen diese Sache in nur zwei Stunden auf. Wir hatten überhaupt keine Zeit, um es aufzunehmen. Wir wollten, dass es aufregend und fantastisch wird, mit Fans, verstehst du, als wäre es ein Rockkonzert, und so wurde dies daraus, das ist das Ergebnis.
Er lässt es alles so unangestrengt klingen, oder? Wie ‚Oh, jeder kann so etwas machen!‘ Ich lache mich jedes Mal kaputt, wenn ich das lese.
Willa: Das tut er wirklich, obwohl er die Dinge in Interviews fast immer heruntergespielt hat, also ist es total typisch für ihn, dies zu sagen. Aber trotzdem, es waren nur die Konzertaufnahmen, die sie in zwei Stunden machen konnten – und wie du schon vorher betont hast, geht da eine ganze Menge mehr vor sich als nur die Konzertaufnahmen. Da sind all diese heißen Szenen, und die Art, wie er sie einander gegenüberstellt, ist so interessant.
Joie: Regie führte bei dem Video Andy Moharan und zeigt nicht nur Slash, der zu der Zeit noch bei Guns ´N Roses war, sondern es hat auch Gilby Clarke von GNR einen unerwähnten Auftritt genauso wie Teddy Andreadis, der zu der Zeit der Tour-Keyboarder von GNR war. Also geben die Konzertszenen ein wirklich authentisches Feeling wieder mit all diesem Talent auf der Bühne und der Aufregung der schreienden Fans in der Menge.
Willa: Das stimmt, und diese intensive Aufregung hat sehr große Bedeutung für dieses Video, sowohl erfahrungsgemäß, als auch thematisch. Er will, dass wir fühlen, was er fühlt. Er will, dass wir die Intensität der künstlerischen Leidenschaft, die er auf der Bühne spürt, nachempfinden, und er erzeugt diese Intensität durch die schreiende Menge und durch die heißen Szenen von Paaren in sexueller Leidenschaft und durch die ruckartigen Blitze, die auf seiner Haut spielen und durch seine unglaubliche Stimme und die Art, wie sich sein Körper bewegt und, wow – ich kann gut verstehen, warum dies eines deiner Lieblingsvideos ist, Joie! Ich glaube, ich muss mal ein Glas Wasser trinken – wirklich kaltes Wasser.
Joie: Mmmm, es wird warm hier, oder?
Willa: Aber ja! Aber ich möchte zurückkommen auf diese heißen Szenen, die du zuvor schon beschrieben hast, Joie, und wie dieses eine Paar miteinander kämpft. Ich habe das nie wirklich wahrgenommen, bis du es erwähnt und dann detailliert beschrieben hast, aber ich spulte zurück und sah es mir noch mal an, und du hast Recht, diese Szenen sind so interessant, besonders die Art, wie er auf der Bühne das wiedergibt, was sie außerhalb der Bühne tun. Zu Beginn murmelt der Typ seiner Freundin Beschwichtigungen zu und versucht dadurch, die Dinge zu beruhigen, während Michael Jackson sanft ins Mikrofon singt:
Sie nimmt es immer mit einem versteinerten Herzen hin Denn alles, was sie tut, ist, es zu mir zurückzuwerfen Ich habe ein Leben lang damit verbracht, nach jemandem Ausschau zu halten Versuch nicht, mich zu verstehen Tu einfach die Dinge, die ich dir sage
Dann, als die Frau dem Mann ins Gesicht schlägt und mit ihm zu streiten anfängt, wird Michael Jacksons Stimme sehr viel lauter und rauer, als er mit dem Refrain beginnt:
Liebe ist ein Gefühl Gib es mir, wenn ich es will Denn ich stehe in Flammen Stille mein Verlangen Gib es mir, wenn ich es will Sprich mit mir, Frau Gib dich mir hin Gib dich mir hin
Offen gesagt, wenn jemand auf diese Weise mit mir reden würde, wäre ich wirklich verletzt und würde ihm vielleicht auch ins Gesicht schlagen wollen. Ich habe in Wirklichkeit niemals vorher jemanden geschlagen, aber ich hätte vielleicht, wenn sich jemand so verhalten hätte! Und dann, als der Mann sein Gesicht reibt wegen des Schlages, wird Michael Jacksons Stimme wieder sanfter, und er beginnt ganz ruhig, die zweite Strophe zu singen, die du vorhin schon zitiert hast:
Du hast immer gewusst, wie du mich zum Weinen bringst Und ich habe dich nie gefragt Warum Es scheint, als ob es dir einen Kick verschafft, mich zu verletzen Versuch nicht, mich zu verstehen Denn deine Worte reichen einfach nicht aus
Also erzählt er uns, dass es sich hierbei nicht um einen einmaligen Streit handelt, sondern um ein permanentes Problem – wie er singt „ Du hast immer gewusst, wie du mich zum Weinen bringen kannst.“ Und als er diese Strophe singt, sehen wir, wie das Paar versucht, sich wieder zu versöhnen, aber da ist ein Eisenzaun zwischen ihnen. Es gibt eine Barriere, die sie nicht überwinden können, obwohl sie da durch greifen und sie schütteln. Sie können hindurch sprechen, aber ihre „Worte reichen einfach nicht aus“. Schließlich wankt der Mann enttäuscht weg, lehnt sich an den Zaun, kickt mit dem Fuß dagegen. An dieser Stelle ist er sprachlos – es gibt nichts mehr zu sagen – und ebenso ist es bei Michael Jackson. Die elektrische Gitarre spielt ein tobendes Solo, während er vollständig still bleibt, sich dreht und sich selbst auf der Bühne umarmt.
Hier beginnen die Dinge wirklich interessant zu werden, denn plötzlich driften die Szenen auf der Bühne und diejenigen abseits der Bühne auseinander. Bis hierher war das, was auf der Bühne passiert völlig synchron zu dem, was außerhalb der Bühne passiert. Aber nun gabelt es sich. Außerhalb der Bühne versöhnt sich der Mann mit seiner Freundin, mehr oder weniger: Er versucht sie durch den Eisenzaun hindurch zu küssen, und sie machen das Beste draus, aber sie wirken beide ziemlich enttäuscht und unzufrieden. Aber auf der Bühne – meine Güte. Ich brauche dringend ein neues Glas mit kaltem Wasser, denn es sieht aus, als würde Michael Jackson seinen Höhepunkt auf der Bühne erreichen: Die elektrischen Gitarren flippen aus, er ist in einem Tanzrausch, blaue Elektrizitätsblitze knistern über seinen Körper, Feuerwerk entzündet sich, Dampf steigt um ihn herum auf, und seine Stimme pulsiert „Give in to me. Give in to me. Give in to me.“ Oh Mann, es ist dermaßen intensiv.
Joie: Wow. …Das war … gut, Willa. Das … war wirklich … wirklich … gut. Ich hoffe, es war auch gut für dich!
Willa: Um ehrlich zu sein, ich fühle mich irgendwie benommen. Kein Wunder, dass er Unmengen an Platten verkauft hat. Also, ein Teil von mir möchte sich am liebsten niederlassen mit einem Krug voller Eistee und dieses Video wieder und wieder ansehen – und einfach das tun, was er sagt „sich dieser Erfahrung hingeben“ und einfach selbst eintauchen und es genießen. Glaub mir, ich habe damit überhaupt kein Problem!
Aber dann möchte der große englische Teil von mir herausfinden, was das bedeutet, und es scheint mir, als ob er sagen wollte, dass, während sexuelle Leidenschaft ihre Grenzen hat, künstlerische Leidenschaft diese nicht kennt. Wir leben in einer unvollkommenen Welt mit unvollkommenen Beziehungen, in der es sehr schwierig für Leute ist, sich wirklich verbunden und von anderen verstanden zu fühlen, und unserer Sexleben spiegelt das wider. Sexuelle Beziehungen können wunderschön und beglückend und nährend für die Seele sein, wie wenn du dich einer Person näher fühlst, als du es je für möglich gehalten hättest, aber sie können auch sehr verwirrend und schmerzhaft und enttäuschend sein, als würdest du versuchen, die Person, die du liebst, durch einen Eisenzaun hindurch zu küssen. Aber auf vielerlei Arten ist Kunst eine erhöhte Form des wirklichen Lebens. Also kannst du auf künstlerischer Ebene gesehen diese Frustration nehmen, sie vergeistigen und durch Kunst wieder freilassen, und so eine Leidenschaft jenseits sexuellen Begehrens entdecken.
Joie: Okay, ich denke, da kann ich dir zu 100 % zustimmen. Ich denke, er hat versucht, uns Normalsterblichen mitzuteilen, wie es sich für ihn anfühlt – auf der Bühne zu sein. Er versuchte, dieses ekstatische Gefühl zu erklären, das ihn erfüllte, wenn er auftrat, und Junge, er hat einen großartigen Job gemacht! Du weißt ja, wie ich schon gesagt habe, dies ist immer schon eines meiner liebsten Videos gewesen, aber ich konnte niemals wirklich erklären, warum. Ich habe mich nie hingesetzt und es vorher so wie jetzt auseinandergenommen. Nun, da wir es getan haben, fühle ich mich erschöpft und kämpfe gegen den Drang an, zu kuscheln. Ich werde dieses Video niemals wieder auf die gleiche Art ansehen können.
maja5809
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Thema: Re: Dancing With The Elephant (Deutsche Übersetzung) Do 15 Nov 2012 - 22:04
..irgendwie ist das blöd jetzt, hier so dazwischen zuschreiben, aber ich bin jetzt erst am Anfang des Threads, beim Nachlesen, und mir ist was dazu eingefallen..:
Gedanken zu My Baby -Eine Berührung, ein Kuss, ein Liebesflüstern
..und da fiel mir das Lied ein, was zu der Zeit, als Willa und Joie diese Beiträge schrieben, noch garnicht bekannt war:
Price of fame... I took my baby on a river boat cruise And she was well aware I was excited about the way the things could have been As in if I don't care
Ich nahm mein Baby mit auf eine Bootsfahrt und sie wußte Bescheid Ich war darüber begeistert, wie es hätte sein können wenn es mir gleich sein könnte (?)
I want a face no one can recognize, in disguise Someone called out my name They thought of taking pictures, autographs, then they grab My joy had turned to pain
Ich möchte ein Gesicht, was niemand erkennt, verkleidet Jemand rief meinen Namen Sie wollten Bilder machen, Autogramme, dann griffen sie zu Meine Freude verwandelte sich in Schmerz
Father always told me 'You won't live a quiet life' If you're reaching for fortune and fame I feel the pressure setting in I'm living just to win I'm down in my pain Don't you feelin' no pain?
Vater sagte mir immer "Du wirst kein ruhiges Leben führen" Wenn du Glück und Ruhm willst Ich fühle, wie der Druck ansteigt Ich lebe nur, um zu gewinnen Ich bin bei meinem Schmerz (angekommen) Fühlst du nicht den Schmerz?
It's the price of fame You pay the price of fame So don't be feelin' no pain It's the price of fame It's the price of fame So don't you ever complain?
Das ist der Preis des Ruhms' Du zahlst den Preis des Ruhms' Also fühle keinen Schmerz Das ist der Preis des Ruhms' Das ist der Preis des Ruhms' Also beschwere dich nicht
Zitat :
Er weiß, dass es falsch ist. Er weiß, dass er es nicht tun sollte. Aber er kann sich nicht helfen; er fühlt sich auf unerklärliche Weise von ihr angezogen. Aber wer ist sie wirklich? Und wenn wir My Baby als jemanden sehen, der einen Part seiner Psyche oder sein inneres Selbst repräsentiert, wer sind dann diese anderen Frauen, die sie ständig bedrohen und versuchen, sich zwischen sie zu stellen? Könnten diese Frauen möglicherweise einen anderen Teil seiner Psyche darstellen? Vielleicht den Teil von ihm, der um den Ruhm wirbt, die Seite von ihm, die sich zur Unterhaltung, zum Kreieren, zur Bühne hingezogen fühlt. Jener Teil von ihm, der es liebt, vor einer Kamera zu stehen oder auf der Bühne vor 80.000 Menschen aufzutreten. Ist es möglich, dass diese „gefährlichen“ Frauen den Ruhm selbst repräsentieren und dass Michael Jackson sich of von ihm verführt fühlte? Gezwungen mit ihr loszugehen anstatt nach Hause zu My Baby. Gezwungen seine Karriere zu verfolgen, statt diesen geheimen Teil von sich selbst, den er versuchte sicher vor dem Rampenlicht zu verstecken, zu hegen.
..in Price Of Fame ist dr Ruhm dann allerdings nicht als "gefährliche" Frau umschrieben, sondern wird direkt beim Namen genannt..
Zitat :
Ruhm ist der Traum von vielen, die Hoffnung von Millionen. Aber alles hat seinen Preis und oft wünschen sich diejenigen, die ihn gefunden haben, es wäre anders. Ruhm ist wild und aufregend und unvorhersehbar – genauso wie die Versuchung in Dirty Diana und Dangerous. Aber Ruhm kann auch brutal und unfreundlich und schmerzhaft sein für jene, die ihn erlangen. Frag’ einfach My Baby.
"I took my baby on a river boat cruise - And she was well aware"
...ich finde es übrigens auch klasse, dass ich jetzt, wo du es hier einstellst, "automatisch" noch mal nachlesen kann...es lohnt sich auf jeden Fall...
Lilly
Anzahl der Beiträge : 87 Anmeldedatum : 07.11.12
Thema: Re: Dancing With The Elephant (Deutsche Übersetzung) Do 15 Nov 2012 - 22:08
Hast du immer noch Angst? 12/04/2012
Willa: Ein kürzlich erschienener Artikel “Who Is Peter Pan,” in The New York Review of Books erwähnt Michael Jacksons Identifikation mit Peter Pan und er lässt ganz lässig diese kleine Bombe fallen:
Gelegentlich übernachteten Jungen in Jacksons Haus; er war zweimal angeklagt, sie missbraucht zu haben, wurde aber nie verurteilt. Heute stimmt man darin überein, dass er unschuldig war.
Joie, ich sollte begeistert sein, dass die Leute endlich zur Besinnung kommen, und ich bin es auch. Aber ich muss zugeben, dass ich herumtobe, seit ich es gelesen habe, und murmele jedem, der zuhört etwas über die wankelmütige öffentliche Meinung ins Ohr. Als er starb, bestand die überwiegende „Übereinstimmung“ darin, dass er schuldig gewesen war. Wenn er auch nicht genau der Kindesbelästigung schuldig war, obwohl die meisten Leute dachten, er sei es, so war er doch verdächtig verrückt und fast sicher wegen irgendetwas schuldig. Jetzt, drei Jahre später, „stimmt man darüber überein, dass er unschuldig war“. Warum dieser Sinneswandel? Es sind keine signifikanten neuen Beweise aufgetaucht. Es gibt keinen logischen Grund für die Leute, ihre Meinung zu ändern, aber sie haben es dennoch getan. Millionen von Menschen haben ihre Meinung geändert. Warum?
Joie: Ich weiß es nicht, Willa, aber ich verstehe genau, warum du so aufgebracht darüber bist. Es ist sehr erschütternd zu wissen, dass dieser wunderbare Mann, der immer nur Liebe in seinem Herzen und Mitgefühl für seine Mitmenschen hatte, so gequält und ausgelacht und falsch angeklagt wurde während seines Lebens. Aber nun, wo er tot ist, haben so viele von denen, die ihn schlecht gemacht haben, ihren Ton geändert. Jetzt, da es viel zu spät ist.
Willa: Ich weiß. Ich fühle einfach dieses tiefe Bedauern darüber, dass der Wandel nicht stattfinden konnte, als er noch am Leben war. Aber das Ärgerlichste daran ist, dass es gar nicht möglich war, weil sein Tod überhaupt erst das ist, was diesen Wandel hervorgerufen hat. Es gibt gar keinen logischen Grund dafür, dass sich die öffentliche Meinung gerade jetzt verändert. Die Leute ändern nicht ihre Meinung wegen überraschender neuer Beweise. Der einzige Unterschied zwischen heute und vor drei Jahren ist, dass er nicht mehr da ist. Er musste erst sterben, bevor die öffentliche Meinung sich ändern konnte. Und für mich persönlich ist der am meisten erschütternde Aspekt, dass er es gewusst hat – er wusste, dass er sterben muss, bevor sich die Einstellung der Menschen ändern würde. Er hat es uns in Ghosts erzählt.
Ghosts ist solch ein faszinierender Kurzfilm in so vielerlei Hinsicht. In M Poetica habe ich gesagt, dass es wie ein Seminar über Kunsttheorie ist, und das ist es wirklich. Wir können es als Ausgangspunkt benutzen, um in einige wirklich faszinierende Theorien einzutauchen, genau wie etwa Lewis Hydes Gedanken über Tricksterfiguren oder Elaine Scarrys Gedanken über den Körper oder Julia Kristevas Gedanken über das Abartige oder Mikhail Bakhtins Gedanken über Karneval und die Macht des Grotesken, um autoritäre Machtstrukturen auseinanderzubrechen und herauszufordern. Das ist einer der Kerngedanken von Ghosts. Wir könnten Monate damit verbringen, nur um über diesen einen Kurzfilm zu reden.
Aber wir können Ghosts auch als künstlerische Antwort auf die Anschuldigungen und den Skandal von 1993 sehen, und das ist die Herangehensweise, die ich in dieser Woche vornehmen möchte. Da gibt es so viel in Ghosts, was sich direkt auf das, was 1993 passierte und auf den darauf folgenden Medienfeuersturm, bezieht.
Joie: Du hast Recht, Willa. Sowohl der Song, als auch der Short Film handeln gewissermaßen nur von den Vorgängen rund um den Erpressungsversuch von 1993, und es ist nicht einmal versteckt; es spielt sich genau vor unseren Augen auf der Oberfläche ab. Alles, was man tun muss, ist einfach nur, seine ganze Aufmerksamkeit darauf zu lenken, beginnend mit den drei Songs, die er ausgesucht hat, um auf den Short Film selbst aufmerksam zu machen – Is It Scary, Ghosts und 2Bad.
Willa: Das ist wahr – alle drei Songs befassen sich sehr deutlich mit den Anschuldigungen von 1993 – und die Handlung von Ghosts verstärkt das noch. Es beginnt mit einer Horde wütender Dorfbewohner, die in das Haus eines Künstlers, eines Maestros, eindringen. Er hatte sich mit einigen der Kinder aus dem Dorf angefreundet und ihnen Geistergeschichten erzählt, und die Dorfbewohner denken, das sei unangemessen. Wie eine Mutter aus dem Dorf es ausdrückt „Schämen Sie sich nicht? Junge Leute sind so leicht zu beeindrucken.“
Und natürlich, das spiegelt genau das wider, was in der Realität passierte: Er war ein Künstler, der enge Freundschaften mit Kindern hatte, und viele Leute dachten, das wäre unpassend. Und sie antworteten darauf, indem sie sich einen Hausdurchsuchungsbefehl verschafften und in sein Zuhause eindrangen.
Joie: Weißt du Willa, es ist sehr schwierig, Ghosts anzusehen und nicht diese Parallelen zu seinem wirklichen Leben zu sehen. Wenn du dem, was in seinem Leben vor sich ging, irgendwie ein bisschen Aufmerksamkeit geschenkt hast – und machen wir uns doch nichts vor, die Welt konnte gar nicht anders, als dies zu verfolgen, denn die Medien waren besessen von „dem Skandal“ – dann muss man sich gar nicht fragen, woher er seine Inspiration für diese Handlung bekommen hat. Es spiegelt genau das, was ihm passiert ist, und ich denke, es ist wunderbar, dass er diesen Weg wählte, um seine Enttäuschung auf so eine kreative Art und Weise zu kanalisieren. Und ich denke auch, das sagt eine Menge über seinen Charakter aus, nämlich dass den Willen hatte, seinen persönlichen Schmerz zur Schau zu stellen, mit der Aufgabe, dem Rest von uns etwas zu zeigen.
Willa: Ich stimme dir zu, Joie. Ich denke, er musste mit sehr vielen Gefühlen klarkommen, als er an diesem Film arbeitete. Aber er half uns als Publikum ebenso, mit unseren Gefühlen klarzukommen. Als Künstler hatte er sich tiefgreifend dem sozialen Wandel verschrieben, er hat nicht einfach nur seine Gefühle ausgedrückt durch dieses Werk. Er war ebenso daran interessiert, wie seine Arbeit uns als Publikum beeinflusste, und wie sie uns half, unsere Gefühle zu verarbeiten – wie es unsere Emotionen hervorrief und neu ausrichtete und unsere Wahrnehmung änderte, wie wir vor ein paar Wochen bereits in unseren Post über das Leinwandpublikum besprochen haben. Und die Art, wie er dabei in Ghosts vorgeht, ist faszinierend.
Als die Dorfbewohner in das Haus des Maestros eindringen, ist das erste, was er tut, ihnen mit einer furchteinflößenden Maske gegenüberzutreten: Statt sein Gesicht zu sehen, sehen sie einen Schädel. Sie ringen nach Luft und weichen voller Schrecken vor ihm zurück. Aber sobald sie zurückweichen, lüftet er die Maske und enthüllt, dass es nur eine Verkleidung ist. Die Dorfbewohner seufzen auf vor Erleichterung, fangen an, sich wieder zu entspannen und nähern sich ihm wieder auf eine freundlichere Art an.
Es ist sehr interessant, was da passiert, sowohl dramaturgisch, als auch psychologisch. Die Dorfbewohner fallen in sein Haus ein, was eine sehr aggressive Handlung ist, aber er dreht die Dynamik sofort um, so dass sie diejenigen sind, die sich bedroht fühlen – nicht er – und dann entfernt er die Bedrohung, so dass sie sich auf gewisse Art sogar dankbar ihm gegenüber fühlen. Wichtig ist, dass die Dorfbewohner in sein Haus eindringen, weil sie ihn als eine Art Monster sehen – die Art, die Kinder verletzen würde – und er antwortet darauf, indem er ihnen gegenüber als Monster auftritt. Also erweckt er durch die Maske genau die Emotionen, die sie ihm gegenüber sowieso schon fühlen. Aber dann enthüllt er, dass es nur eine Illusion ist: Er ist kein Monster. Also gibt es da eine sehr schnelle Auf-und-Abbewegung zwischen Krise und Erlösung, die auf mehreren verschiedenen Ebenen funktioniert.
Joie: Hmm. Ich habe das niemals vorher untersucht, aber du hast Recht. Die Dorfbewohner stürmen sein Haus – sie sind diejenigen, die ihn bedrohen. Aber sogar bevor sie tatsächlich sein Haus betreten, fühlen sie sich schon sehr eingeschüchtert und beklommen. Sie haben ihn noch gar nicht getroffen, aber sie fürchten sich schon vor ihm; es ist alles in ihrem Kopf!
Willa: Genau, und er reflektiert diese Emotionen durch die Maske, aber dann macht er es auf eine Art rückgängig. Also fordert er die Dorfbewohner durch die Maske dazu auf, sich emotional abzureagieren und dann gestaltet er jene Emotionen neu.
Der Maestro und die Dorfbewohner beginnen zu reden, und während sie reden, trägt der Bürgermeister Beweismaterial zusammen. Er sagt „Wir haben eine hübsche, normale Stadt, normale Menschen, normale Kinder. Wir brauchen keinen Freak wie dich, der ihnen Geistergeschichten erzählt.“ Dann wird er aggressiver und sagt „Du bist verrückt, du bist seltsam, und ich mag dich nicht. Du machst diesen Kindern Angst, wie du hier so alleine lebst.“ Er beginnt sogar, den Maestro zu bedrohen „Zurück zum Zirkus, du Freak. Und tu dir selbst einen Gefallen, ok? Zwing uns nicht, grob werden zu müssen, denn das werden wir, wenn wir dazu gezwungen werden.“ Schließlich setzt er ihm ein Ultimatum und sagt „Gehst du jetzt, oder muss ich dir erst wehtun?“
Joie: Das ist sehr interessant, Willa, zum Teil auch wegen der Sprache, die er in dem Dialog zwischen dem Bürgermeister und dem Maestro benutzt. Wie du herausgestellt hast, sind die Worte des Bürgermeisters sehr spezifisch. „Wir haben eine hübsche, normale Stadt, normale Menschen, normale Kinder.“ Und natürlich, das war immer die Hauptanklage, die gegen Michael selbst gerichtet wurde – er war nicht „normal“. Er wurde eigenartig und seltsam genannt. Viele Leute sahen ihn als einen „Freak“. Also, es ist sehr vielsagend, dass dies die Worte sind, die Michael für diesen speziellen Wortwechsel benutzt. Es lässt mich an Joe Vogels Artikel „Am I the Beast You Visualized: The Cultural Abuse of Michael Jackson“ (Bin ich die Bestie, die du dir vorstellst: Der kulturelle Missbrauch von Michael Jackson) denken, über den wir im November gesprochen haben und in dem Joe sich auf all diese schmerzenden Worte als „Beleidigungen“ bezieht.
Willa: Das ist ein wirklich wichtiger Punkt, Joie, und ich denke, du liegst da richtig. Ich denke, er hat diese Worte sehr bewusst gewählt. Wie du sagst, das sind genau die Worte, die so oft gegen ihn in den späteren Jahren seines Lebens verwendet wurden. Was da also auf der Leinwand passiert, reflektiert genau das, was ihm im wirklichen Leben passierte. Genau so wie die Maske die Emotionen der Dorfbewohner auf sie zurückwirft, reflektiert seine Wortwahl unsere Emotionen zurück auf uns.
Bedeutsam ist, dass der Maestro auf diese Aggression genauso antwortet, wie er es zuvor schon getan hat, nur dieses Mal noch intensiver: er verzieht sein Gesicht bis zur Unkenntlichkeit und zieht es dann herunter, so dass sein Gesicht noch einmal als Schädel erscheint. Noch einmal weichen die Dorfbewohner in Angst vor ihm zurück, so wie sie es vorher schon getan hatten. Und wieder einmal, so schnell wie sie zurückgeschreckt sind, stellt er sein Gesicht wieder her und offenbart, dass alles nur eine Täuschung war, genau wie er es zuvor schon getan hatte. Also gibt es wieder einmal die schnelle Auf- und Abbewegung von Krise und Erleichterung, die die Dorfbewohner dazu bringt, ihre Emotionen abzureagieren dadurch dass ihre Ängste hervorgerufen und auf sie zurückgeworfen werden, worauf dann die Erlösung folgt, indem gezeigt wird, dass alles nur eine Illusion ist.
Joie: Die Botschaft hier ist eindeutig, denke ich. Er zieht die Parallelen zwischen der Rolle des Maestros und seinem eigenen persönlichen Leben. Wie du sagst, zeigt er uns also durch die Demonstration der Täuschung sehr deutlich, dass all die vermeintliche „Seltsamkeit“, die sein persönliches Leben umgibt, genau so eine Täuschung ist, und was wir – die Öffentlichkeit und die Medien – denken, was wir sehen, nicht die wirkliche Geschichte ist.
Willa: Ich denke genauso, obwohl da auf psychologischer Ebene auch eine Menge vor sich geht. Wir können das sehen, als er dieselbe Auf- und Abbewegung der Krise und Erlösung ein drittes Mal wiederholt. Es ist dieses Mal sogar noch extremer – anstatt dass sein Gesicht zu einem Schädel wird, wird sein gesamter Körper zu einem Skelett – aber die Reaktionen der Dorfbewohner sind dieses Mal ganz anders, also gibt es da eine psychologische Verschiebung. Sie sind überrascht, aber sie sind nicht verängstigt, und sie weichen dieses Mal auch nicht zurück. Sie bleiben stehen und beobachten das, was er ihnen zu zeigen hat, und als das Skelett anfängt zu tanzen, lächeln sie und genießen die Vorstellung. Mit anderen Worten, sie reagieren nicht mehr so ängstlich auf das „Fremdartige“ und das „Seltsame“ wie sie es zuvor noch getan haben. Sie sind immer noch skeptisch, aber sie fangen an, das Andersartige etwas mehr zu akzeptieren.
Und dann wiederholt er dieses Auf-und Abwärtsmuster von Krise und Erlösung ein viertes und letztes Mal, und dies ist das intensivste von allen: er zerstört sich selbst. Er fragt sie „Also, wollt ihr immer noch, dass ich gehe?“ Viele der Dorfbewohner, besonders die Kinder, schütteln ihren Kopf verneinend, aber der Bürgermeister bejaht es „Ja! Ja!“ Also sagt der Maestro „Gut, ich gehe.“ Er lässt sich fallen, zerstört seine Hände auf dem Boden, dann seine Arme und dann sein Gesicht. Seine Nase fällt ab, sein ganzes Gesicht fällt auseinander, sein Körper wird zu Staub, und ein unirdischer Wind bläst alles weg.
Die Dorfbewohner sind entsetzt, aber aus einem komplett anderen Grund als vorher: nicht, weil sie Angst vor ihm haben, sondern weil sie gerade anfingen, eine Verbindung zu ihm aufzubauen, und sie sind entsetzt, dass er sich selbst zerstört hat. Also haben sich ihre Gefühle während des Verlaufs des Films einer vollständigen Umkehrung unterzogen. Er ist gegangen, also hat er getan, was sie gesagt haben, das er tun soll, weswegen sie in sein Haus eingedrungen sind, um ihn dazu zu zwingen. Aber zu diesem Zeitpunkt wollten sie gar nicht mehr, dass er gehen würde, und sobald er gegangen war, spürten sie ein Gefühl des Verlustes und wollten ihn zurück.
Joie: Genau das, was wir jetzt erleben, wo er nicht mehr bei uns ist. Wow. Das ist sehr fesselnd, Willa. Also glaubst du, er hatte begriffen, dass sowohl er selbst, als auch seine Kunst erst nach seinem Tod geschätzt werden würde?
Willa: Das glaube ich. Aber ich denke auch, dass da noch mehr vor sich geht als das. Ich kämpfe immer noch damit, es herauszufinden und es für mich zu artikulieren, aber ich komme immer wieder zu diesen Zeilen von Is It Scary zurück:
Ich werde genau das sein Was du sehen willst Du bist es, der mich verspottet Denn du willst Dass ich der Fremde in der Nacht bin
Amüsiere ich dich? Oder verwirre ich dich? Bin ich das Biest, das du dir vorstellst? Und wenn du exzentrische Seltsamkeiten sehen willst Werde ich vor deinen Augen grotesk sein Lass sie alle zustande kommen …
Also sag mir Ist das Realismus für dich, Baby? Bin ich unheimlich für dich?
Du weißt, nachdem er gestorben war, drückten sehr viele Kommentatoren ihre Überraschung darüber aus, dass da so viel Trauer für ihn ausströmte, wenn man all die Jahre der Skandale und Kontroversen betrachtet – die Jahre der „exzentrischen Seltsamkeiten“, wie Michael Jackson sie in Is It Scary nennt. Aber ich beginne gerade genau das Gegenteil zu glauben: dass die ausströmende öffentliche Trauer nicht möglich gewesen wäre ohne all diese Jahre der „exzentrischen Seltsamkeiten“. Jene exzentrischen Seltsamkeiten haben eine wesentliche Funktion – sie stellen eine Serie von Minidramen der Krise und der Erlösung bereit – genau wie die wiederholte Auf- und Abbewegung in Ghosts. Wie in Ghosts erlauben uns die exzentrischen Seltsamkeiten unsere Emotionen über ihn abzureagieren, die auf die Belästigungsanklage folgten und fordern uns dazu auf, uns da durchzuarbeiten. Als er also starb, hatten wir uns bereits mit sehr vielen dieser negativen Emotionen beschäftigt, und als er erst einmal wirklich gegangen war, offenbarte sich uns, dass diese negativen Emotionen eine Täuschung waren – wie der Artikel aus The New York Review of Books sagt „Heute stimmt man darin überein, dass er unschuldig war.“ – und wir wurden zu unseren wahren Gefühlen zurückgeführt, die uns sagen, wie viel er uns bedeutet.
Joie: Das ist eine faszinierende Sicht auf dies alles, Willa. Ich habe das vorher nie auf diese Art gesehen.
Willa: Weißt du, ich bin immer noch auf meinem Weg, mich durch all das durchzuarbeiten, und ich kann auch völlig falsch damit liegen, aber es fühlt ich für mich so an, als wenn etwas sehr Bedeutsames durch diese „exzentrischen Seltsamkeiten“ geschehen ist, sowohl kulturell, als auch psychologisch, und ich denke, Ghosts ist der Schlüssel dazu, das zu verstehen. Er hatte eine sehr hochentwickelte Ästhetik – ich bin überzeugt, dass sein Werk auf tiefen psychologischen Ebenen funktionierte – und er bewältigte einige sehr schwierige Themen der Gruppenpsychologie nach dem Skandal 1993. Grundsätzlich ging er mit Massenhysterie und der Angst vor dem Ungewöhnlichen um, genau wie der Maestro, und er reagierte auf eine Art, die direkt diese Gruppenhysterie ansprach.
Seine Reaktion mag auf den ersten Blick nicht logisch sein, aber das Unterbewusstsein ist nicht logisch – oder fast, es hat eine eigene Logik, die sich von der Logik des Bewusstseins unterscheidet – und ich glaube, dass er durch seine „exzentrischen Seltsamkeiten“ direkt zum Unterbewusstsein spricht. Wie er uns in Ghosts erzählt haben diese wiederholten Minidramen der Krise und Erlösung eine sehr spezifische psychologische Auswirkung. In Ghosts sagte er uns ausdrücklich, was er zu tun beabsichtigt: „Ich werde genau das sein / Was du sehen willst“ und „wenn du exzentrische Seltsamkeiten sehen willst / Werde ich vor deinen Augen grotesk sein“.
Joie: Ich stimme dir völlig über die Vorsätzlichkeit seiner Kunst zu, Willa, und ich glaube wirklich, dass die drei Songs in dem Kurzfilm (Ghosts, Is It Scary und 2Bad) ganz bewusst ausgesucht wurden. Ich denke, wir beide könnten einen ganzen Blog – vielleicht sogar zwei – damit verbringen, nur über diese drei Songs im Detail zu reden und in welcher Beziehung sie zum Film und zu dem, was in seinem Leben zu der Zeit vor sich ging, stehen.
Weißt du, seit wir an diesem Blog arbeiten, verstehe ich, dass es nicht wirklich viel an Michael Jacksons Kunst gibt, das nicht ganz bewusst so gemacht wurde. Er hatte normalerweise einen ganz bestimmten Grund für alles, was er tat, und es lässt mich einfach voller Bewunderung davor stehen. Würdest du nicht auch zu gerne in die Gedankenwelt eines wirklich großen Künstlers eintauchen können … nur um zu versuchen, seine Leidenschaft und das Brennen für seine Kunst zu verstehen? Dieser Gedanke ist aus irgendeinem Grund so faszinierend für mich, und ich hätte einfach so gern mit ihm über seine Kunst geredet. Ich kann einfach nicht glauben, dass so viele Journalisten, wie Bashir zum Beispiel, die wertvolle Zeit, die ihnen mit ihm geschenkt wurde, verschwendet haben, um über so triviale Dinge wie seine Hautfarbe und sein angeblich seltsames Verhalten zu sprechen. Was für eine kolossale Verschwendung von Gelegenheiten!
Willa: Oh, ich weiß! Das ist das, was mich auch am meisten an der Bashir-Dokumentation trifft – dass ihm diese unglaubliche Möglichkeit gegeben wurde, und er sie komplett verschwendet hat. Stell dir vor, du könntest die Zeit zurückdrehen und acht Monate lang mit Van Gogh reden und ihn kennenlernen – vielleicht nicht darüber, wie er spezielle Werke interpretiert, denn Künstler neigen dazu, sehr zurückhaltend zu sein, ihr Werk mit nur einer einzigen Interpretation zu limitieren – sondern über seine Weltsicht und wie seine Kunst in diese Sicht passt. Was für eine aufregende Gelegenheit würde das sein. Und Bashir hat diese Gelegenheit erhalten und sie vollständig vertan. Und die wirklich traurige Sache daran ist, dass Bashir sein Gehirn so lange mit einer Skandaldiät gefüttert hat, dass er nicht mal merkte, dass es da draußen eine viel größere Welt gibt. Michael Jackson rang mit komplexen Themen wie sozialer Gerechtigkeit und Wahrnehmung und wie man den Sinn herausfindet, genauso wie die Fähigkeit der Kunst, grundlegend unsere Wahrnehmung der Welt zu beeinflussen und den Sinn dieser Welt zu erkennen, und Bashir verbringt die ganzen acht Monate damit, tabloidartige Fragen zu stellen. Das macht mich einfach sprachlos.
Glücklicherweise hinterließ Michael Jackson uns sehr viele Hinweise, um uns zu helfen, Wege für die Annäherung an seine Werke zu entwickeln und seine Weltsicht zu verstehen. Und wie wir in Ghosts sehen, gibt es so viel zu entdecken und zu erforschen.
Lilly
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Thema: Re: Dancing With The Elephant (Deutsche Übersetzung) Do 15 Nov 2012 - 22:34
Er ist eine Tanzmaschine 18/04/2012
Joie: Willa, in der letzten Woche sprachen wir über den Short Film Ghosts, und das hat mich dazu gebracht, über die Tanzsequenzen in dem Video nachzudenken. Du weißt ja, so viele Jahre lang war Michaels Name ein Synonym für Tanz, und er wird seit langer Zeit als einer der größten Tänzer unserer Zeit anerkannt. Ich glaube, wir können lange suchen und es wird schwer, jemanden zu finden – irgendjemanden – der Einspruch gegen diese Feststellung erhebt. Sogar Leute, die sich selbst nicht als Fans betrachten, haben kein Problem damit, das zuzugeben. Tatsächlich war er die erste Person aus der Welt des Rock and Roll, die 2010 in die renommierte National Dance Hall of Fame aufgenommen wurde.
Willa: Wirklich? Woher weißt du das alles, Joie? Du bist erstaunlich. Aber nein, ich wusste das nicht. Das ist beeindruckend.
Joie: Yeah, es ist wirklich beeindruckend. Besonders weil diese Ehre normalerweise den klassisch ausgebildeten Tänzern aus der Welt des Balletts und des Modern Dance vorbehalten ist. Die Liste der Mitglieder führt Namen auf wie George Balanchine, Martha Graham und Bronislava Nijinska, ebenso wie Fred Astaire und Bill „Bojangles“ Robinson.
Ich denke, einer der Gründe, warum die Leute sein Tanztalent so anerkennen, ist, dass er immer seine Short Films genutzt hat, um seine erstaunliche Fähigkeit vorzuführen, und ich liebe wirklich die große Tanzsequenz in Ghosts. Sogar obwohl die Handlung und die Dialoge das sind, was dieses Video wirklich antreibt, ist die Tanzsequenz für mich wirklich genauso wichtig. Von ganz zu Beginn an, wo er seine „Geisterfamilie“ den eindringenden Dorfbewohnern vorstellt über den bedrohlichen Angriff auf den Bürgermeister bis zu dem fast engelhaften Abschluss, bei dem die Geister in Ehrfurcht von der Decke herabschweben. Ich denke, das ist eine der komplexesten Tanzsequenzen, die wir jemals in einem Michael Jackson Video gesehen haben, und ich liebe es, wie er die Hintergrundmusik benutzt hat, um die Stimmung des Tanzes währenddessen zu verlagern – von leichtherziger zirkusähnlicher Unterhaltung über sehr bedrohlich bis fast ätherisch. Es macht einfach so viel Spaß dazusitzen und es anzuschauen; ich liebe es, dieses Video einzuschalten und mich wirklich darin zu versenken.
Willa: Oh, ich bin ganz deiner Meinung! Die Tanzsequenzen sind faszinierend, und du hast Recht – sie treiben uns wirklich durch eine breite Palette von Emotionen. Ich wünschte mir, ich wüsste mehr über Tanz, so dass ich mir noch mehr dessen bewusst sein könnte, was da passiert und besser verstehen würde, was er tut und warum. Er hatte drei Choreographen, einschließlich Travis Payne, die mit ihm und den anderen Tänzern an diesem Film arbeiteten, aber die Credits sagen „Alle Tanzsequenzen konzipiert und inszeniert von Michael Jackson“. Und du kannst die Führung seiner Vision in diesen Tanzsequenzen eindeutig fühlen – sie verkörpern durch körperliche Bewegung einige der zentralen Themen des Films. Und dieser erste Tanz, als all die Geister und Untoten hinter ihm tanzen, fühlt sich so anders an als jede andere Tanzsequenz, die er je gemacht hat.
Du weißt, er wollte wirklich jeden Tanz so entwickeln, dass er genau zu dem passte, was er in diesem speziellen Stück zu vermitteln versuchte. In einem MTV Interview von 1999 beschrieb er, wie er und Michael Peters die große Tanzsequenz mit den Zombies in Thriller choreografiert haben:
„Es war eine heikle Sache, daran zu arbeiten,“ sagt er, weil Zombies sich auf eine solch steife und unnatürliche Art bewegen würden – sie trapsen herum auf ihren untoten Beinen und können kaum gehen. Er sagt weiter: „Ich erinnere mich, dass meine ursprüngliche Annäherung daran war ‚Wie lasse ich Zombies und Monster tanzen, ohne dass es lustig aussieht?‘“ Er ging das Problem an, indem er sich in seiner Vorstellung selbst in den Körper eines Zombies versetzte und sich auf diese Art da durcharbeitete. Wie er sagt: „Ich kam mit Michael Peters in den Raum, und er und ich stellten uns zusammen vor, wie sich diese Zombies bewegen sollten.“
Und sie lösten das Problem auf brillante Art. Wenn du dir die große Tanzsequenz in Thriller ansiehst, fühlt es sich so richtig an, du kannst dir gar nicht vorstellen, wie schwierig es gewesen sein muss, einen Tanz für untote Beine zu choreographieren. Er und die anderen Zombies bewegen sich wirklich, also macht es Spaß, das anzuschauen, aber da gibt es einige unverwechselbare Gesten, die lebhaft den Gedanken vermitteln, dass es sich hier um steife, leichnamartige Körper handelt.
Joie: Und weißt du, es ist nicht etwas, über das die meisten Leute nachdenken würden. Aber allein die Frage zu stellen „Wie lasse ich Zombies und Monster tanzen, ohne dass es lustig aussieht?“ zeigt das, was aus ihm solch ein brillantes Talent macht – diese Aufmerksamkeit für das Detail ist unglaublich. Er näherte sich bei allem, was er tat mit derselben besessenen Aufmerksamkeit für Details. Es ist wirklich erstaunlich, wenn man darüber nachdenkt! Ich liebe es einfach, als er sagt, dass er sogar bei Proben soweit gegangen und mit Michael Peters zusammen mit Monster Make-up erschienen war, um sich besser in die Rolle hineinversetzen zu können und die Vorstellung auf diese Art zu erleichtern, wie diese untoten Kreaturen sich bewegen und tanzen würden. Die Hingabe zum Detail ist der Schlüssel.
Willa: Das stimmt. Ich denke, diese subtilen Kleinigkeiten wie diese zusammen mit der Fähigkeit, sich in seiner Vorstellung in die emotionale und körperliche Lage deiner Rolle zu versetzen, ist das, was große Tänzer, große Schauspieler, große Künstler ausmacht. Ich erinnere mich, einmal einen Artikel über Baryshnikov gelesen zu haben, als er noch sehr jung war. Er musste, glaube ich, die Rolle eines Spielzeugs tanzen, das langsam zum Leben erwacht, aber er wirkte lustlos auf der Bühne. Sein Ausbilder hielt die Musik an und fragte, ob etwas nicht stimmte, und er sagte, Nein, es ist einfach noch nicht lebendig geworden. Ich liebe das! Er schleppte sich über die Bühne, weil er vollständig in die Rolle eingetaucht war und sich vorstellte, wie es sein würde, in einem hölzernen, mechanischen Körper zu stecken und noch keinen lebenden Körper zu haben. Wie würden sich deine Arme und Beine bewegen, wenn sie noch nicht am Leben wären? Michael Jackson besaß dieselbe Vorstellungskraft, ganz ernsthaft eine Rolle zu verkörpern und sich in einer Art und Weise zu bewegen, die vermittelte, er sei wirklich ein Zombie oder ein Gangster und ein Bürgermeister, der gezwungen ist, gegen seinen Willen zu tanzen. Er beschreibt das Tanzen als Bürgermeister in The Making of Ghosts bei 6 ½ Minuten.
Joie: Weißt du, was ich an diesem Clip liebe, Willa, ist die Tatsache, dass er, obwohl er zu seinem neuen Video interviewt wird, er komplett in der Rolle bleibt wegen der ganzen Aufmachung und das Interview als Bürgermeister führt – mit der Stimme, dem Verhalten und allem! So lustig.
Willa: Ich liebe das auch! Und dann beginnt er zu zucken und sich zu bewegen, und es sieht wirklich so aus, als würde etwas in ihm an seinen Muskeln ziehen und ihn zwingen, zu tanzen. Und dann lässt er sich wirklich da reinfallen und beginnt zu grooven, aber da ist immer noch dieser Widerstand des Bürgermeisters gegen den Tanz. Es ist einfach aufregend, ihn davon reden zu hören, was passiert, während er es macht, und so lustig zu beobachten, wie er es zustande bringt.
Ich erkenne etwas Ähnliches, aber noch ein wenig komplizierteres in der großen Tanzsequenz in Ghosts. Er erschafft einen Tanz, der angemessen für diese Rollen ist – für Geister und Untote – aber er kreiert auch einen Tanz, der eine bedeutende thematische Funktion erfüllt dadurch, dass er das Groteske erweckt. Er deutet das Groteske während Ghosts auf viele verschiedene Arten an: Durch die Verzerrung seines Gesichtes, als er anfangs mit den Dorfbewohnern konfrontiert wird, durch den lachenden Narren mit seinem klingelnden dreizipfligen Hut, durch die respektlosen Untoten, die den Bürgermeister herausfordern, durch das Auf-und-Ab-Tanzen an der Decke. Und er erweckt es auch durch die Tanzschritte selbst. Da gibt es jede Menge gespreizte Beine und diese jagenden spinnenartigen Hüpfer und Seitwärtsbewegungen, die wir ihn noch niemals vorher haben machen sehen.
Joie: Das stimmt, es gibt eine Menge wirklich ganz anderer, bedrohlicher, sogar fast unheimlicher Bewegungen darin. In Thriller, obwohl sie da tanzende, untote Zombies darstellen, fühlt sich der Tanz trotzdem leichtherzig an, soft-horror-mäßig. Aber in Ghosts wirkt die gesamte Tanzsequenz viel dunkler und furchteinflößender wegen der einzigartigen Choreografie.
Willa: Daran habe ich noch gar nicht gedacht, aber es ist irgendwie verstörend, oder? Einfach, weil es so anders ist als jeder andere Tanz, der mir einfällt. Ich kann mich nicht daran erinnern, je einen Tänzer gesehen zu haben, der seinen Körper auf diese Art bewegt hätte. Und weißt du, während du Menschen aus der ganzen Welt so viele unverwechselbare Michael Jackson Tanzbewegungen machen siehst, siehst du sie nicht diese Bewegungen mit den gespreizten Beinen aus Ghosts machen. Ich habe diese Bewegungen niemals außerhalb dieses Films gesehen, und vielleicht deswegen, weil sie so nervenaufreibend anders sind.
Da passiert so viel in diesem Film und in den Tanzsequenzen, und es gibt einige subtile Gesten, die mich wirklich auf interessante Art regelrecht anspringen. Zum Beispiel beginnt er die erste Tanzsequenz, indem er diese ganzen Untoten zusammenruft, damit sie mit ihm tanzen, und dann wischt er mit seinem Handrücken über seinen Mund. Er nutzt diese selbe Geste in Bad, nachdem er die in seiner Vorstellung existierenden Gangmitglieder / Künstler zusammengerufen hat, um ihn bei der dortigen großen Tanzsequenz zu unterstützen. Und die Rolle des Macauley Culkin macht dasselbe im Intro von Black or White, genau bevor die elektrische Gitarre so laut loskracht, dass er dadurch seinen Vater zurück nach Afrika zu den Ursprüngen von Musik und Tanz schickt.
Diese kleine Geste scheint in allen drei Fällen dieselbe Bedeutung zu haben. In allen dreien wird eine ziemlich machtlose Einzelperson mit der Bedrohung durch Gewalt konfrontiert, und in allen drei Fällen stellt er sich dieser Bedrohung entgegen und begegnet ihr durch Kunst: mit Musik und Tanz. Es ist fast so, als würde Michael Jackson sein eigenes Vokabular an Gesten erschaffen, so dass wenn wir ihn in Ghosts mit dem Handrücken über seinen Mund wischen sehen, wir das Echo aus seinen früheren Filmen spüren und schon irgendwie wissen, was jetzt kommt.
Joie: „Sein eigenes Vokabular an Gesten.“ Ich mag das!
Willa: Du weißt, was ich meine, stimmt’s? Es ist einfach so faszinierend für mich, was er da tut – wie er unterschwellige Gesten wie diese benutzt, um eine Absicht rüberzubringen, aber ohne es auszusprechen. Er macht etwas Ähnliches zu Beginn des Skeletttanzes. Wie wir in der vergangenen Woche schon besprochen haben, haben die Dorfbewohner sehr widerstreitende Gefühle gegenüber dem Maestro – sie sind sich nicht sicher, ob sie ihm trauen können oder nicht – also reflektiert er dies auf sie zurück, indem er sich unvertraut macht, als Skelett, aber dann tanzt er auf eine sehr lustige, vertraute Art, die sie wieder zu ihm hinzieht.
Interessanterweise beginnt er den Skeletttanz, indem er mit seiner rechten Schulter zuckt – und das ist genau das, womit er den Zombietanz in Thriller begonnen hat. Und er muss in beiden Filmen mit einer ähnlichen Situation zurechtkommen. In Thriller spricht er die konfliktbeladenen Gefühle der Menschen zu ihm als unser erstes Schwarzes Teenidol an. Die Vereinigten Staaten waren und sind ein rassistisches Land mit niederdrückenden Tabus gegen gemischtrassige Beziehungen – besonders in den frühen 1980er Jahren, als Thriller entstand – und plötzlich fielen bei seinen Konzerten Millionen Teenagermädchen aller Rassen in Ohnmacht und behaupteten, dass er sexuell begehrenswert sei. Also forderte er diese Tabus wirklich heraus, und eine Menge Menschen fühlten sich deswegen sehr unwohl. Er reagierte auf diese widerstreitenden Emotionen genauso, wie er es in Ghosts tut: er macht sich selbst unvertraut – zu einem Zombie – also reflektiert er jene Gefühle auf uns zurück, aber dann tanzt er auf eine Art, die unmissverständlich Michael Jackson ist und zieht uns so wieder zu sich heran.
Joie: Ok, du hast mich jetzt offiziell umgehauen! Ich habe nie vorher diese Verbindung zwischen dem Skeletttanz aus Ghosts und dem Zombietanz aus Thriller hergestellt. Aber du hast Recht; er beginnt beide Tänze auf genau die gleiche Art mit der Aufgabe, uns daran zu erinnern, dass er immer noch dieselbe Person ist. Wow!
Willa: Ist es nicht faszinierend? Er haut mich einfach aus den Socken, immer und immer wieder – er ist einfach so atemberaubend brillant. Jedes Mal, wenn ich sein Werk untersuche, stehe ich wieder voller Ehrfurcht davor.
Joie: Willa, das ist eine Feststellung, von der ich denke, dass ihr so viele von uns zustimmen können. Es versetzt mich immer in Erstaunen, dass, ganz egal, wie viele Male ich seiner Musik zugehört oder einen seiner Short Films oder Konzert Performances gesehen habe, ich immer etwas Neues entdecke, das ich nie zuvor gehört oder erfahren habe. Es ist so erstaunlich für mich.
Willa: Oh, ich weiß! Und es ist für mich so interessant, wie er eine Bedeutung durch so viele verschiedene Wege gleichzeitig vermittelt. Zum Beispiel sagt er so viel durch diese zuckende Geste seiner rechten Schulter oder durch das Wischen über seinen Mund mit dem Handrücken und ganz wichtig ist, dass diese Gesten nonverbal sind. Ich frage mich, ob dies einer der Gründe dafür ist, dass seine Werke rund um die ganze Welt so populär waren – denn sogar wenn du kein Englisch sprichst und die Texte nicht verstehen kannst, kannst du immer noch seine zentralen Gedanken verstehen, weil er fähig war, diese auf so viele andere Arten auszudrücken.
Und er nutzte die Gesten nicht nur, um Absichten und Gefühle zu vermitteln. Er nutzte sie auch, um Details einer Persönlichkeit herüberzubringen, die die Charaktere in seinen Rollen auf anschauliche Art zum Leben erweckten. In einem vor einigen Wochen geposteten In einem wunderbaren Kommentar (a wonderful comment) von Nina beschreibt sie seine Fähigkeit „einen Charakter zu skizzieren“, nur durch einige subtile Gesten:
Einige der begabtesten Künstler können eine Rolle nur mit einigen einfachen Linien durch ein Verhalten oder eine Pose skizzieren – so dass wir zu Eingeweihten werden, wenn es um das Wesentliche im Verhalten und der Persönlichkeit einer Figur geht – Michael konnte solch eine „Charakterskizze“ nur durch Bewegung allein darstellen. Es ist gestische Ökonomie vom Feinsten – du kannst den „Charakter“ sofort erkennen.
Nina sagt weiter:
… er trifft genau das Verhalten eines halbseidenen Burschen, der sich in „Billie Jean“ mit einem Kamm durch’s Haar fährt, einen Gangster in „Smooth Criminal“, und einen anderen (Gangster) in „You Rock My World“, usw. Jeder dieser Charaktere besteht aus einigen wenigen grundlegenden Elementen, die uns durch sein gesamtes Repertoire vertraut sind. Aber diese Elemente werden für jede seiner Nummern neu arrangiert und in einer anderen Abfolge mit ständigen Variationen eingesetzt. Es ist kein Wunder, dass er als Pantomime mit Marcel Marceau auftreten wollte. Und in Filmstudien erkennen wir Michaels unverwechselbaren Stil, der durch sein gesamtes Schaffenswerk hindurch die Kennzeichen eines „Autorenfilmers“ trägt.
Ninas Beschreibungen seiner „gestischen Ökonomie“ sind so interessant, und ich stimme ihr vollkommen zu in Bezug auf seine Fähigkeit, einen „Charakter zu skizzieren … nur mit einigen wenigen einfachen Linien“, so dass das Wesentliche dieser Rolle für uns lebendig wird. In Ghosts zum Beispiel stellt er also nicht einfach nur den Tanz eines ganz allgemeinen Bürgermeisters dar, der gegen seinen Willen tanzen muss. Er stellt einen Bürgermeister mit einer ganz eigenen Persönlichkeit und speziellen Wünschen und Vorurteilen und Ansichten dar, einschließlich einem verzweifelten Bedürfnis jederzeit die Kontrolle zu behalten. Und diese individualisierenden Merkmale werden uns durch simple Gesten vermittelt, so wie diese abrupte Bewegung mit seinen Händen, als sein Körper anfängt, sich zu bewegen. Er verliert die Kontrolle über seine Beine und dann über seine Hüften, als sein Körper zu tanzen beginnt, aber er versucht weiter, den Dorfbewohnern zu versichern, dass er die Situation, den Maestro, sie und seinen eigenen Körper immer noch unter Kontrolle hat.
Joie: Willa, ich liebe den Kommentar, den du von Nina zitiert hast. Ich stimme ihr zu bei dem, was sie sagt über diese „Elemente, die für jede seiner Nummern neu arrangiert und in einer anderen Abfolge mit ständigen Variationen eingesetzt werden“. Das ist wirklich wahr, und wir können das in verschiedenen Performances seine gesamte Karriere hindurch erkennen. Einer meiner absoluten Lieblinge ist die 1995 MTV Video Music Awards Performance. Die gesamte Eröffnungsnummer ist unglaublich. Er performt ein Medley aus Don’t Stop, The Way You Make Me Feel, Scream, Beat It, Black or White und Billie Jean mit ein wenig Hilfe von seinem Freund Slash.
Aber es ist die vollständige Aufführung von Dangerous, die aus dieser Performance etwas ganz Besonderes macht. Er singt nicht einmal live hier, aber das verzeiht und vergisst man schnell, denn der Tanz ist so spektakulär! Sogar jetzt, 20 Jahre danach, kann ich es nicht ansehen, ohne eine Gänsehaut zu bekommen. Die Art, wie er sich bewegt, ist einfach so total anders als alles andere; es ist, als wäre er aus Gummi gemacht. Sein Körper biegt und dreht und bewegt sich auf Arten, wie es normale Leute einfach nicht können. Es gab schon viele, die es imitiert haben, und ich bin sicher, es werden noch einige kommen, aber es ist eine simple Tatsache, dass sich niemand anderer so bewegt! Slash machte einmal diese Beobachtung:
„Die Sache mit Michael ist die, dass er zweifellos einer der professionellsten, talentiertesten Performer ist, mit denen ich je gearbeitet habe. Das ganze Spektakel aber mal beiseite, letzten Endes kannst du 60 choreographierte Tänzer da oben haben und du weißt ganz genau, welcher Michael ist.“
Ich liebe einfach dieses Zitat, denn Slash hat absolut Recht, du kannst Michael immer herauspicken, wenn er auf der Bühne zusammen mit anderen Sängern und Tänzern ist. Er bewegt sich einfach anders als jeder andere. Und ich liebe ganz besonders, dass dieses Zitat ausgerechnet von Slash kommt – jemandem, von dem du normalerweise nicht denken würdest, dass er dem Tanz seine Aufmerksamkeit schenkt, weißt du?
Willa: Und das, was er sagt, ist absolut wahr. Wenn Michael in einer Gruppe tanzt, kannst du einfach nicht die Augen von ihm abwenden. Sogar in dem Gruppentanz in The Way You Make Me Feel, wo du nur die Silhouetten der Tänzer sehen kannst, weißt du genau, welcher er ist und musst ihn einfach beobachten.
Und natürlich hat er auch Lob von Fachleuten bekommen, die sehr viel Ahnung vom Tanzen haben – Leute wie Fred Astaire, Gene Kelly, Debbie Allen und Michael Flatley, wie Jacksonaktak vor einigen Monaten in einem Kommentar (a comment) bemerkt hat. Ich liebe diese Textstelle, die sie von Baryshnikov zitiert hat:
Woran sich Baryshnikov sich am deutlichsten erinnert ist „… sein simpler, federnder Gang über die Bühne, das war das, was am schönsten und fesselndsten war, wie er seine Hüften schwingt und seine Ferse nach vorne kickt. Das ist das, was er für mich verkörpert: Dieses außergewöhnliche Vertrauen in seinen Körper als Tänzer. Du möchtest sagen ´Wow, dieser Typ, was für eine Katze; er kann sich wirklich auf seine ganz eigene Art bewegen.`“
Direkt als ich dies gelesen hatte, konnte ich mir sofort diesen „simplen, federnden Gang“ so gut vorstellen. Ich liebe diesen Gang, und es ist so unverwechselbar Michael Jackson. Wir sehen Schnipsel davon während des MTV Medleys, das du so liebst, Joie. Er geht auch so als Skelett in Ghosts, und sogar als Skelett ist es so unverwechselbar er. Es ist einfach so voller Freude und sorglos, und wie Baryshnikov schon sagt, es spiegelt sein „außergewöhnliches Vertrauen in seinen Körper als Tänzer“ wider.
Joie: Yeah, das ist ein großartiges Zitat von Baryshnikov, und du hast Recht. Er hat sehr viel Lob von vielen aus der Gemeinschaft der Tänzer erhalten. Von den groß gefeierten und hoch angesehenen bis hin zu den Neulingen – wie all diese jungen Tänzer am Anfang von This Is It. Du weißt ja, während eines Interviews im Making of Thriller spricht Michael Peters darüber, dass Michael niemals in seinem Leben auch nur eine offizielle Tanzstunde genommen hat, und doch war er bei den Tanzproben mit all diesen klassisch ausgebildeten Tänzern zusammen, die jahrelang Tanz studiert hatten, und er hielt nicht nur einfach mit ihnen mit, sondern er tanzte sie förmlich an die Wand. „Es ist einfach etwas, mit dem du geboren wirst,“ sagte Peters. „Es ist einfach in ihm.“
Lilly
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Thema: Re: Dancing With The Elephant (Deutsche Übersetzung) Do 15 Nov 2012 - 23:03
Ich höre lieber beide Seiten der Geschichte 25/04/2012
Joie: Diese Woche freuen Willa und ich uns riesig, dass sich uns wieder Lisha McDuff anschließt, die viele von euch als Ultravioletrae aus dem Kommentarteil kennen. Sie wird mit uns gemeinsam über Black or White sprechen, einem Song und einem Video, die für sie eine ganz besondere Bedeutung haben.
Willa: Also Lisha, im Februar hast du einen faszinierenden Kommentar über Michael Jacksons komplexe Annäherung an die Komposition von Songs gemacht und dabei Black or White als Beispiel genannt. Hier ist das, was du gesagt hast:
Der weiße Rap-Teil in Black or White nutzt schwarzen Hip Hop, lässt ihn aber durch eine weiße Perspektive laufen, Bill Bottrells Wohlfühllyrics und –performance. Der vorangegangene Teil „Ich bin dieses Teufels müde / I’m tired of this devil“ nutzt weißen Hardrock und Heavy Metal, sieht ihn aber durch eine schwarze Perspektive und durch die Frustration über Rassenungerechtigkeit. Er vertauscht hier absichtlich die musikalischen Codes mit dem Versuch, all diese Perspektiven in einer einzigen transethnischen Sichtweise (die Art, wie er seinen Körper benutzt) zu integrieren. Er wählt völlig eigenständig die Perspektiven aus, die er zu nutzen wünscht und drückt dadurch auf geniale Art das Schwarz-Weiß-Thema in diesem Song aus.
Ich bin so fasziniert hiervon, und würde hier wirklich gern ein weniger tiefer eintauchen, so dass ich es besser verstehe. Kannst du noch ein bisschen detaillierter erzählen, was du aus diesen beiden Teilen heraus hörst?
Lisha: Diese zwei Abschnitte in Black or White haben so viel für mich offenbart, nicht nur, wie brillant und akribisch genau dieser Song ausgearbeitet ist, sondern auch über Michael Jackson als Musiker und Komponist und all die guten Kräfte ringsum auf diesem Planeten. Es ist solch ein aufregendes Konzept: Black or White repräsentiert buchstäblich eine „Schwarze und Weiße“ musikalische Perspektive. An jeder beliebigen Stelle in dem Song wird dem Hörer gleichzeitig ein „schwarzer oder weißer“ musikalischer Gedanke angeboten, und zwar auf eine Art, die beide Traditionen umspannt und ehrt. Es schlägt vor, über unsere falschen Einteilungen und ethnischen Begrenzungen hinauszugehen. Aber gleichzeitig spricht der Song einige sehr ernste Themen an und fordert den Zuhörer wirklich auf einer eher subtilen Ebene. Es geht eine Menge vor sich in dem Song und in dem Film, und man lässt sich leicht täuschen durch seine trügerische Einfachheit.
Zuerst mal war ich einfach nur neugierig auf die Struktur des Songs. Da gibt es zwei „Middle 8“ Abschnitte in dem Song, was einfach bedeutet, dass es zwei Teile in der Mitte des Songs gibt, die jeder für sich 8 Takte lang sind. Die Funktion eines „Middle 8“ ist, einen neuen musikalischen Gedanken einzuführen, der auf die Wiederholung der letzten Strophe und des Refrains vorbereitet. Ich spreche über „I’m tired of this devil“ und die Teile des „White Rap“. Es gibt zwar keine festen und strengen Regeln für Songstrukturen, aber es ist eigentlich Standard, nur eine „Middle 8“ zu haben, nicht zwei.
Willa: Und wir nennen diese „Middle 8“ normalerweise Bridge, richtig? Aber dies ist nicht nur eine lange Bridge – eine „Middle 16“ gewissermaßen. Es sind eigentlich zwei separate Bridges, die einander in einer sehr anspruchsvollen und interessanten Art gegenüber gestellt sind. Ist das die korrekte Art, es so zu sehen?
Lisha: Ja, das stimmt. Diese Abschnitte fungieren als eine Bridge, die zur letzten Strophe und dem Refrain führt und sie sind bezeichnenderweise sehr unterschiedlich voneinander und vom restlichen Song. Als ich nachgesehen habe, ob ich verstehen würde, warum es zwei Abschnitte wie diese gibt, begann ich zu realisieren, dass es ein absichtlicher Versuch ist, die musikalischen Codes zu vertauschen, die mit „schwarzen oder weißen“ musikalischen Stilen verbunden sind. Diese geniale Idee drücken auf so wundervolle Art auch die Lyrics und die bildliche Darstellung, die wir im Kurzfilm sehen, aus. Die Musik selbst drückt die Botschaft des Songs aus: „Es spielt keine Rolle, ob du schwarz oder weiß bist.“ / „It don’t matter if you’re black or white.“)
„I’m tired of this devil“ wird im Stil von Hard Rock und Heavy Metal gesungen, was überwiegend von weißem Publikum gehört wird. Gemäß dem hauptsächlich an Black or White beteiligten Mitarbeiter, Bill Bottrell, hatte Michael sehr konkrete Vorstellungen über diese Teile, sogar beim Komponieren des genauen Heavy Metal Gitarrensolos, wobei er Bottrell jeden Rhythmus, jede Note und jeden Akkord vorsang. Das musikalische Feeling wird hier abrupt sehr dunkel, und die Lyrics sind direkt und auf den Punkt. Aber sie kommen nicht aus der Sicht des weißen musikalischen Stils, der hier geboten wird. Die Lyrics kommen aus der schwarzen Perspektive von Frustration und dem Schrecken der Rassenungerechtigkeit, beschwören sogar das Bild des KKK mit einem Bezug zu „Laken“:
Ich bin dieses Teufels müde Ich bin dieser ganzen Sachen müde Ich bin dieses ganzen Geschäftes müde Geh, wenn es hart auf hart kommt
Ich fürchte mich nicht vor deinem Bruder Ich fürchte mich nicht vor Laken Ich fürchte mich vor niemandem Mädchen, wenn es gemein wird
Der nächste Abschnitt ist ein Hip Hop Rap, ein schwarzer musikalischer Stil, aber die Rap Lyrics sind unmissverständlich weiß im Ton und der Perspektive – sie wurden geschrieben und ausgeführt von Bill Bottrell. Dieser Rap-Teil fliegt auf eine komplett andere Höhe, als wir erwarten würden. Die Botschaft ist erhebend und inspirierend und im Shortfilm wird es durch Macauley Culkin als Playback gesungen (lip-synced), demselben weißen Kind, das in dem Eröffnungsdrama erscheint. Anstatt in einer blütenweißen Vorstadtumgebung wie zuvor zu erscheinen, befindet sich das Kind nun in einem urbanen Schmelztiegel und seine Kleidung und sein Verhalten signalisieren Schwarz:
Schutz für Gangs, Clubs und Nationen Die Leid in menschlichen Beziehungen verursachen Es ist ein Grabenkampf auf globaler Ebene Ich würde lieber beide Seiten der Geschichte hören Du siehst, es geht nicht um Rasse, nur um Orte Die zeigen, woher dein Blut kommt Wo dein Platz ist Ich habe das Helle dunkler werden sehen Ich werde mein Leben nicht damit verbringen, eine Farbe zu sein
Joie: Lisha, ich muss einfach mal sagen, dass ich es liebe, wenn du über Michaels Werke sprichst, denn du bringst immer eine einzigartige Perspektive in die Unterhaltung. Wie Willa schon beim letzten Mal, als wir mit dir sprachen, gesagt hat, ist es so, als würdest du uns Einlass gewähren in eine Welt, zu der wir allein keinen Zutritt hätten, da wir keine ausgebildeten Musiker sind, so wie du es bist. Diese ganze Diskussion der zwei Middle 8 Abschnitte in Black or White fasziniert mich total, und es ist so anspruchsvoll und komplex, wie du es von einem „Popstar“ nicht erwartest
Lisha: Es ist sehr intelligent, oder? Wir sind in der glücklichen Lage, einen Bericht aus erster Hand darüber zu haben, wie diese Aufnahme entstanden ist durch ein Interview, das Bill Bottrell für Sound on Sound im Jahr 2004 gemacht hat. Es scheint, als wenn die Nutzung von „schwarzen und weißen“ Sichtweisen schon länger ein Gedanke von Michael war, beginnend mit seiner Wahl von Bill Bottrell als Co-Producer für Black or White Bottrell erklärt:
„Als Co-Producer war Michael immer bereit, zuzuhören und setzte sein Vertrauen in mich, aber er war die ganze Zeit auch so etwas wie mein Ratgeber. Er wusste, warum ich da bin und was er, neben all den anderen Songs, die er aufnahm, von mir brauchte. Ich war ein Einfluss, den er auf andere Weise nicht bekam. Ich war der Rocktyp und auch der Countrytyp, so wie kein anderer.“
Bottrell war aus dem einen Grund ausgewählt worden, Black or White mit zu produzieren und diese Rock / Country Perspektive in den Song zu bringen. Also wurde die musikalische Idee von Schwarz und Weiß von Anfang an geformt. Bottrell beschreibt diesen Song so, dass er ein Südstaaten Rock Feeling hat, was erreicht wird durch seine Interpretation der Musik, die Michael komponiert hat. Er spielt den berühmten Gitarren-Riff und viele weitere Teile den ganzen Song durch. Interessant genug, es war Bottrell, der die Idee hatte, einen Rap-Abschnitt in die Mitte zu setzen, nicht Michael. Dies führte Michael zu seinem Vorschlag, einen Heavy Metal Abschnitt genau im Anschluss zu platzieren, Seite an Seite. Allerdings glaube ich nicht, dass Michael gegenüber Bottrell diese Idee für die zwei mittleren Abschnitte vollständig offenbart hat.
Der Rap-Abschnitt war der letzte Teil des Songs, der erst nach vielen Monaten schwieriger, mühsamer und zeitraubender Arbeit vervollständigt wurde. Und während da einige ernstzunehmende Rapper im Studio ein- und ausgingen, um an anderen Werken des Dangerous Albums mitzuarbeiten, fragte Michael keinen von ihnen, an Black or White mitzuwirken. Bottrell konnte sich nicht richtig erklären, warum, als er es erläutert:
„Die ganze Zeit erzählte ich Michael, dass wir einen Rap brauchen, und er holte all diese Rapper wie LL Cool J und Notorious BIG zu uns, die an anderen Songs mitarbeiteten. Irgendwie hatte ich keinen Zugang zu ihnen für Black or White, und es wurde immer später und später, und ich wollte, dass der Song endlich fertig wird. Also schrieb ich eines Tages den Rap – ich wachte eines Morgens auf und, bevor ich meinen ersten Kaffee trank, begann ich herunterzuschreiben, was ich hörte, denn der Song war zu jener Zeit schon seit acht Monaten in meinem Kopf, und es war eine Besessenheit, es zu versuchen und diese letzte Lücke zu füllen.“
Bottrell entschied sich, weiter zu gehen und eine Simulation des Rapabschnittes aufzunehmen, als etwas völlig Unerwartetes passierte, die Geburt von „LBT“:
„Es scheint wie eine Art Zufall zu sein, aber es ist, als ob er (Michael) Dinge durch Weglassen geschehen lassen würde. Es gab einfach niemanden, und es ist, als wüsste er, dass du damit zu kämpfen hast und er fordert dich damit heraus, es zu tun. Für meinen Teil denke ich nicht viel über weißen Rap nach, also holte ich Bryan Loren ins Boot, um meine Worte zu rappen und er änderte etwas am Rhythmus, aber er fühlte sich als Rapper nicht wohl. Das Ergebnis war, dass ich es am selben Tag aufnahm, als Bryan uns verlassen hatte, ich stellte mehrere Versionen her, entschied mich für eine, spielte sie Michael am nächsten Tag vor und er meinte ‚Oooh, ich liebe es, Bill, ich liebe es. Das werden wir nehmen.’ Ich sagte: ‚Nein, wir sollten dafür einen richtigen Rapper nehmen’, aber sobald er meine Performance gehört hatte, hatte er sich schon dafür entschieden und zog gar nicht mehr in Erwägung, jemand anderen zu nehmen.“
Wenn ihr euch jemals die Credits zu diesem Song angesehen und euch gefragt habt, wer „LBT“ ist. Jetzt wisst ihr es!
Willa: Diese Geschichte ist zum Totlachen. Wie du so schön dargelegt hast, Lisha, er brauchte wirklich einen „weißen“ Rap für diesen Teil als Gegengewicht zum „schwarzen“ Rock, also ließ er einfach diese unglaublichen Rapper, die im Studio ein- und ausgingen, unerreichbar für diesen speziellen Song sein. So wie Bottrell sagt: „Irgendwie hatte ich keinen Zugang zu ihnen für Black or White. Schließlich ist er irgendwie gezwungen, es selbst zu machen. Diese ganze Situation ist so lustig – ich kann mir Michael Jackson richtig vorstellen wie er ihm sagt „Oooh, ich liebe es, Bill, ich liebe es.“ Und ich denke, Bottrell hat Recht – er lässt wirklich „die Dinge durch Weglassen geschehen.“
Lisha: Ich könnte den ganzen Tag darüber lachen – ich finde das höchst amüsant. Und es ist einfach so ein großartiges Beispiel dafür, wie Michael vielfältige Perspektiven als Kompositionstechnik für diesen Song nutzte. Genial. Es gibt keinen besseren Weg, eine bestimmte Perspektive einzufangen, als jemanden dafür einzusetzen, der sich normalerweise aus dieser Perspektive der Musik annähert.
Willa: Das ist eine sehr interessante Art, sich dies anzusehen, Lisha. Also, bevor man zu den anderen Teilen des Films kommt, wird das Intro in eine „blütenweiße Vorstadtumgebung“ gesetzt, wie du sagst, mit einem Archie-Bunker-artigen Vater, der aus seinem Fernsehsessel über seiner Familie thront. Die Mutter ist vollkommen still, solange er im Haus ist – und als er erst einmal weg ist, macht sie sich Sorgen darüber, wie wütend er sein wird, wenn er wiederkommt. Das ist so stereotyp weiß und patriarchalisch.
Joie: Das ist eine sehr amüsante Einschätzung, Willa!
Willa: Das ist lustig, oder? Ich denke, es gibt eine Menge Humor in Black or White, aber nur sehr subtil, daher wird er oft übersehen. Der Sohn hört also oben laute Rockmusik, welche generell auch als weiß codiert ist, genauso wie die Umgebung, aber er hat ein Poster von Michael Jackson an seiner Tür hängen, also gibt es da schon ein bisschen Zweideutigkeit. Der Vater stapft nach oben und ermahnt ihn „Stell den Krach ab!“ und schlägt dann die Tür zu. Das Poster fällt zu Boden, das Glas zerspringt – die erste von mehreren Szenen in diesem Video, in denen Glas zerspringt – und für mich fühlt es sich so an, als wäre Michael Jackson durch das zerspringende Glas befreit worden. Er ist nicht länger sicher eingeschlossen in dem Poster auf der Rückseite der Tür. Er wurde nun losgelassen, wie ein Flaschengeist.
Der Junge reagiert auf die Forderung seines Vaters mit einer Druckwelle des Klangs von seiner elektrischen Gitarre – einer Trotzreaktion, die grundsätzlich als „weiß“ codiert ist – aber ironischerweise lässt diese Klangwelle die Fenster dieses isolierten vorstädtischen Heims zerspringen und lässt den Vater zurück nach Afrika und zu den Ursprüngen der Musik, letztendlich auch von Hard Rock und Heavy Metal, zurückfliegen. Also werden wir unterschwellig zu der Frage gezwungen, wie wir diese Musik bezeichnen und einordnen. Nachdem er in Afrika gelandet ist, beobachtet der Vater, wie Michael Jackson mit Stammesangehörigen in traditioneller Kleidung mit Körperbemalung tanzt, aber sie tanzen zu Rockmusik, die wiederum generell als „weiß“ codiert ist. Aber diese spezielle Musik wurde von Michael Jackson geschrieben und bildet nun den Soundtrack für Menschen in der ganzen Welt – Afrika, Indien, Nordamerika, Russland – indem sie sich ihm in ihrem traditionellen Tanz anschließen. Also ist diese Etikettierung „weiß“ wirklich kompliziert und an so vielen verschiedenen Fronten unterminiert.
Joie: Wie üblich, Willa, sind deine Beobachtungen brillant und treffen den Nagel auf den Kopf! Und wenn ich mir deine Ansichten über die Eröffnungsaufnahmen dieses Videos anhöre, beleuchtet das genau, wie kalkulierend und methodisch Michael bei jedem Aspekt dieses Projektes vorgegangen ist – sowohl im Song, als auch im Kurzfilm. Er hatte ganz offensichtlich eine Vision und eine Botschaft … eine Mission, wenn du so willst, für diesen speziellen Song und das Video, und es ist sehr interessant, zu analysieren und zu entschlüsseln, was diese Botschaft ist.
Lisha: Du hast absolut Recht, Joie, es ist nicht einfach ein Song – es ist eine Mission! Und liebe wirklich, was du gesagt hast, Willa, darüber, dass Michael Jackson aus dem zersprungenen Posterrahmen befreit wurde wie ein Geist aus der Flasche. Er kommt mit solch einer kraftvollen, musikalischen Wucht, wenn der Song beginnt und es fängt damit an, dass wir die afrikanische Landschaft sehen. Die Gitarre führt das starke musikalische Leitmotiv ein, diesen berühmten zweitaktigen Hook, der den ganzen Song hindurch wiederholt wird. Unter die Gitarre und den begleitenden Rockrhythmus gelegt hörst du diese leichte Percussion mit einem afrikanischen Feeling, Dinge wie Kuhglocken und Shaker. Diese schlagenden afrikanisch klingenden Instrumente deuten traditionell das Gefühl von Gemeinschaft und eine ständige Einladung zum Tanz an. Wie du herausgehoben hast, baut der Short Film diese Einladung für die ganze Welt aus.
Gemäß dem Buch der Musikwissenschaftlerin Susan McClary mit dem Titel Conventional Wisdom (Die gängige Meinung) ist „einer der bedeutendsten Fakten über die Kultur der letzten hundert Jahre, dass die Innovationen von Afroamerikanern die vorherrschende Kraft in der Musik auf der ganzen Welt sind“. Der Short Film betont diesen Punkt wirklich. Aber es wird auch etwas anderes betont, jedes Mal, wenn die Kamera wegfährt von diesen traditionellen Tanzszenen. Es wird enthüllt, dass alles auf einer Bühne stattfindet, das Künstliche der Szenen wird herausgestellt. Wir müssen uns selbst die Frage stellen, ist dies wirklich die Art, wie es ist? Tanzen wir wirklich alle so harmonisch zusammen in der ganzen Welt?
Die Art und Weise, in der die Klänge in dem Song übereinandergelegt und platziert sind, erzählt auch eine „schwarze oder weiße“ Geschichte. Die Weiße dominante Kultur wird klangtechnisch repräsentiert durch den übermächtigen Gitarrenhook, aber das afrikanische Feeling der ständigen dezenten Percussionunterlegung lädt uns permanent ein, in der Gemeinschaft zu tanzen.
Willa: Diese Art von Details sind so interessant für mich, Lisha, und ich es liebe so, wie du dies alles herausliest. Es verstärkt den Gedanken noch einmal, dass die zentralen Themen von Black or White an so vielen Fronten ausgedrückt werden – durch die Lyrics und den Tanz und die Bilder, aber auch durch die Musik selbst und wie die Musik strukturiert ist.
Lisha: Es ist endlos faszinierend, über die Art nachzudenken, wie die Musik selbst dafür benutzt wird, die buchstäbliche Bedeutung des Songs auszudrücken. Eines der besten Beispiele dafür ist die Stelle, nachdem Michael in der ersten Strophe „we’re one in the same“ singt. Plötzlich stoppt der Gitarrenhook und der komplette musikalische Fokus liegt nun auf dem Downbeat oder dem one. Takt Eins (One) trägt nun die wörtliche Bedeutung der Einigkeit und Einheit. „Now, I believe in miracles, and a miracle has happened tonight.“ Das passiert noch einmal in dem Refrain, wenn wir hören: “If you’re thinkin’ about my baby it don’t matter if you’re black or white.“ Die Betonung auf Beat Eins ist ein klangliches Statement, um uns daran zu erinnern, dass wir eins im selben sind“. Brillant!
Joie: Nun, das ist wirklich interessant, Lisha. Natürlich konzentrieren wir uns alle auf Takt Eins, wenn wir dem Song zuhören – wie es wahrscheinlich Michaels Absicht war. Aber ich habe niemals bemerkt, dass Takt Eins eine musikalische Repräsentation unseres Einsseins ist. Unserer Einheit. Das ist wahrlich faszinierend für mich!
Lasst uns zu dem Endteil des Short Films kommen, dem Teil, der üblicherweise als der Panther Dance bezeichnet wird. Fast von dem Moment an, als das Video veröffentlicht wurde am 14. November 1991 wurde es aufgrund der angeblich anzüglichen Art, in der Michael tanzte und sich selbst berührte durch Kontroversen beschmutzt, ebenso wie durch die untypische Gewalt, die er darstellte. Es war so umstritten, dass viele TV Stationen nur die verkürzte Version des Videos zeigten, indem sie die Sequenz mit dem Panther Dance entfernten.
Die interessante Sache daran ist für mich, dass, wie Willa es in anderen Diskussionen schon oft herausgestellt hat, wenn es um seine Kunst ging, Michael für gewöhnlich einen sehr speziellen Grund für alles hatte, was er tat. Er wusste, dass der Öffentlichkeit und den Messgeräten der Einschaltquoten bei dem Gedanken an sein nächstes Video praktisch der Speichel lief. Seit dem kolossalen Erfolg von Thriller und den darauf folgenden Videos für dieses Album, debütierten Michaels Short Films mit der ganzen Dramatik einer bedeutenden Hollywoodveröffentlichung. Die Leute notierten sich den Termin in ihrem Kalender und versammelten sich mit angehaltenem Atem um den Fernseher, um ein neues Michael Jackson Video anzusehen, und Black or White war keine Ausnahme. Die erste Ausstrahlung lief auf MTV, VH1, BET und Fox (es bescherte ihm seine höchsten durch Nielsen erfassten Einschaltquoten). Es wurde außerdem gleichzeitig in 27 Ländern in der ganzen Welt mit über 50 Millionen Zuschauern uraufgeführt – der höchsten Zahl, die jemals ein Musikvideo erreichte!
Also inszenierte Michael sorgfältig alles für dieses bereitsitzende und zuschauende Publikum, wissend, dass das, was er tun würde, nicht nur Kontroversen aufwirbeln würde, sondern dass es in den kommenden Jahren ein Gesprächsthema sein würde! Und ich glaube, dass es das ist, was er mit dem Panther Dance erreichen wollte – so viel Auseinandersetzung zu erzeugen, dass er sicher sein konnte, dass dieser Song/Video und seine Botschaft niemals ignoriert oder übersehen werden konnten.
Lisha: Ich muss sagen, dass, als ich an das Jahr 1991 zurückdachte und mir ansah, was damals um Michael Jackson los war, mir die Veröffentlichung dieses Videos so sorgfältig abgestimmt erscheint wie der Song selbst. Im Juni des Jahres gab einen ziemlichen Aufruhr, als Madonna Michael Jackson öffentlich kritisierte, indem sie sagte, er würde eine komplette äußerliche Veränderung (Makeover) benötigen. Ich erinnere mich ziemlich genau an dieses Nachrichtenthema, sogar obwohl damals kein Fan war. Nun frage ich mich, ob Michael selbst nicht Madonna dazu gebracht hat, diese Aussage zu machen, denn es brachte so viel Publicity! Schließlich hatten sie sich in dem Jahr ziemlich oft gesehen. Zwei von Madonnas Tänzern behaupteten, in Kontakt mit dem Jackson-Lager zu sein und sagten: „Wir haben die Absicht, die ganzen Stiefel und Schnallen und den Glitter loszuwerden … Wir wollen ihm einen aktuellen Street Look verpassen, der sehr What’s-happening-in-New-York-today ist.“ Dieses spornte Michaels Sprecher Bob Jones dazu an, ein Statement zu veröffentlichen, welches ihre Beteiligung daran abstritt, und er sagte etwas, das ich ziemlich faszinierend finde: „Er (Michael) hat für jedes seiner Alben einen anderen Look, den er selbst wählt. Absolut niemand legt fest, in welche Richtung Mr. Jackson geht.“
Willa: Wow, das ist interessant, oder? Es stellt ziemlich deutlich klar, dass „sein Look“ – mit der Bedeutung der äußeren Erscheinung seines Gesichtes, seines Körpers, seiner Haare, seiner Kleidung – Teil seiner Kunst war, und er spielt darauf in dem Film ebenso an. Es gibt diese Szene mit den sich verändernden Gesichtern (morphing faces), die so interessant ist, und dann am Schluss dieses Abschnittes kommt John Landis, der Regisseur ins Bild (und unterbricht damit einmal mehr die Illusion der Realität, indem betont wird, dass dieser Film konstruiert ist, wie du zuvor schon betont hast, Lisha) und sagte zu der Schauspielerin „Das war perfekt. Wie hast du das gemacht?“ Es ist natürlich ein Scherz, aber es impliziert, dass keine Special Effects benutzt werden, um die diversen Menschen verschiedener Rassen und Geschlechter zu verändern; es soll vielmehr aussagen, dass sie einfach eine Person gefilmt haben, die sich zwischen Rasse und Geschlecht hin und her verändert. Und natürlich wandelte Michael Jackson selbst auch zwischen den Rassen- und Geschlechtergrenzen hin und her, und eine Menge Leute fragten „Wie hast du das gemacht?“ Dies wird sofort aufgegriffen, nachdem der Panther erscheint und sich dann in Michael Jackson verwandelt. Also gibt es da eine Menge Verwandlungen – zwischen Rasse, zwischen Geschlechtern, sogar zwischen den Arten.
Lisha: Auf den Scherz bin ich bisher gar nicht gekommen. Das ist total witzig!
Willa: Ja, ist das nicht lustig? Ich liebe diese Zeile.
Lisha: Ich auch, und was für ein Einblick in dieses Stück und in sein gesamtes Werk. Wenn ich zeitlich zurückgehe und mir die Bilder von ihm ansehe, die Michael für sein vorangegangenes Album Bad veröffentlicht hat, und sogar die Fotos seiner Ausflüge mit Madonna vorher in diesem Jahr 1991, sehe ich das, was wir eine „farbige Person“ nennen. In diesem Short Film jedoch steht das, was ich sehe für „Weiß“ in meinen Gedanken. Ich denke ganz ehrlich, und ich übertreibe nicht auf irgendeine Weise, dass dies wohl die bedeutendste künstlerische Kreation unserer Zeit ist. Dieser Song und das körperliche Abbild des Künstlers kommen auf diese Art zusammen … Ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll … Ich stehe ehrfürchtig vor diesem genialen Einfall.
Willa: Ich stimme dir aus ganzem Herzen zu. Er macht mich einfach fertig. Und es ist so interessant, was du gerade gesagt hast darüber, dass sein Körper irgendwie das wiedergibt, was du zuvor über die Middle 8 Abschnitte gesagt hast, in denen er ein weißes Musikgenre nimmt – Hard Rock – und es durch eine schwarze Perspektive wiedergibt, und dann ein schwarzes Genre – Hip Hop – und es durch eine weiße Perspektive darstellt. An diesem Punkt seiner Karriere wurde sein Erscheinungsbild wahrscheinlich als Weiß wahrgenommen, aber er behauptete immer noch energisch seine schwarze Identität. Also genauso wie er „absichtlich die musikalischen Codes vertauschte“ in jenen Middle 8 Abschnitten, wie du es so gut beschrieben hast, schien er absichtlich die rassenbezogenen Codes zu vertauschen – besonders die Merkmale, die auf seinen Körper geschrieben waren – und hinterfragte, wie wir sein Gesicht und seinen Körper lesen und interpretieren.
Und wir sehen das wieder im Panther Dance, über den du gerade gesprochen hast, Joie. Sein Gesicht scheint in den ersteren Abschnitten des Videos Weiß zu sein, wie du erwähntest, Lisha, aber seine rassenbezogene „Codierung“ ist eher mehrdeutig während des Panther Dance. Als er zum Beispiel in der Pfütze kniet und sein Shirt aufreißt, würde ich nicht sagen, dass sein Gesicht oder sein Körper in dieser Szene leicht als entweder schwarz oder weiß identifiziert werden kann. Aber die Botschaft kommt eindeutig aus einer Schwarzen Perspektive. Es ist ein starker Protest gegen weißen Imperialismus, Kolonialismus, Rassismus und Unterdrückung.
Lisha: Jene durchdringenden Schreie und Rufe in dieser Szene sind so ausdrucksvoll – du kannst Jahrhunderte voller aufgestauter Wut und Enttäuschung in seiner Stimme spüren, die genau darauf hinweisen. Worte und wortwörtliche Bedeutungen sind einfach nicht nötig. Du kannst es aus der Stimme und den sichtbaren Symbolen heraus verstehen, was vermittelt werden soll. Und ich denke, da geht noch mehr Zweideutiges auch musikalischer Art vor sich. Viele haben den Panther Dance als lautlosen Tanz ohne musikalische Begleitung beschrieben, aber ich sehe das wirklich anders. Ich höre komplexe Schichten von Klängen, die sich eher wie eine avantgardistische Komposition anfühlen, indem sie die musikalische Wertigkeit verschiedenster Dinge erkunden wie zerbrechendes Glas, Wind und spritzendes Wasser. Es fühlt sich nach viel mehr an als einfach nur einer Klanglandschaft. Über die aufgenommenen Tanzschritte gelegt kannst du diese sehr rhythmischen, scharfen, spröden Hauchlaute oder ein kleines Flüstern hören, die als ein Percussioninstrument fungieren, um die Musik zusammenzuhalten und den Takt gleichmäßig. Es gibt noch andere „Mouth Percussion“ Klänge wie „cha“, „sss,“ „hew,“ und knallende Laute mit den Lippen. Es ist möglich, dass dieser alternative musikalische Ausdruck noch eine weitere Form von Protest ist.
Willa: Wow! Das ist spannend!
Lisha: Der abschließende Panther Dance ist ein kleines Meisterstück für sich, und er erzeugt solch eine perfekte Buchstütze für den Song. Die Eröffnungsszene mit seiner weißen vorstädtischen Umgebung ergibt die eine Buchstütze und der Schwarze Panther Dance in den Straßen der Stadt die andere. Perfekte Symmetrie. Wir haben diesen „schwarzen oder weißen“ (black or white) Song, co-produziert durch „schwarze oder weiße“ Perspektiven, mit seinen „schwarzen oder weißen“ Mittelabschnitten, platziert zwischen diese zwei „schwarzen oder weißen“ Buchstützen. Es scheint nichts zu geben, das nicht bis ins kleinste Detail durchdacht wäre, um die Botschaft des Songs zu kommunizieren, einschließlich dem Künstler selbst!
Joie: Was wieder zu dem zurückführt, was ich zuvor gesagt habe darüber, dass er immer sehr spezifische, sehr kalkulierte Gründe für alles hatte, was er tat. Wenn es um seine Kunst ging, ging er wirklich sehr systematisch und sehr bestimmt bei seiner Auswahl und bei seinen Entscheidungen vor. Bemerkenswert!
Lilly
Anzahl der Beiträge : 87 Anmeldedatum : 07.11.12
Thema: Re: Dancing With The Elephant (Deutsche Übersetzung) Mo 26 Nov 2012 - 20:01
Posthume Veröffentlichungen: Was würde Michael tun? 02/05/2012
Joie: Du weißt, Willa, vor einigen Wochen, als Lisha McDuff bei uns war und wir über Michaels künstlerisches Schaffen sprachen, löste der Post eine Art Feuersturm über unveröffentlichte Musik im Kommentarteil aus, und warf Fragen darüber auf, ob sie auf zukünftigen posthumen Alben veröffentlicht werden sollte oder nicht. Und ich war richtig betroffen durch all diese unterschiedlichen Meinungen der Fans zu diesem Thema. Ich denke, zum größten Teil gibt es Übereinstimmung zwischen den Fans, dass sie seine unveröffentlichte Musik hören wollen. Es ist irgendwie die einzige Sache, die uns noch bleibt, nun, da Michael gegangen ist – die unvollendeten Projekte, an denen er gearbeitet hat, als er uns verließ. Und die meisten Fans wollen das hören. Aber, was mich überrascht hat, war festzustellen, wie viele von ihnen der Meinung sind, dass mit der Musik nicht leichtfertig umgegangen werden sollte. Mehrere Leser stellten fest, dass sie die Musik lieber in der vorliegenden Form veröffentlicht hätten als dass ein weiterer Produzent damit in ein Studio geht und sie fertigstellt, und ich muss sagen, dass ich denke, ich stimme ihnen zu. Destiny, eine unserer Leserinnen, hinterließ diesen Kommentar:
„Lasst sie einfach, wie sie ist, versucht vielleicht noch herauszufinden, wie man sie zusammenstellen kann, um sie zu verkaufen. Wie bei fertiggestellten Produkten habe ich kein Problem damit, dass sie veröffentlicht werden, so wie Michael sie hinterlassen hat. Ich für meinen Teil, und das ist einfach eine persönliche Meinung, kann mir nicht vorstellen, dass andere Produzenten Hand an den Mix von Michaels Musik ohne seine Anleitung legen. Es macht dann daraus irgendwie WENIGER einen Michael Jackson Song für mich daraus. Jedoch, ich möchte sie und jegliche Demos, die er vielleicht hinterlassen hat hören, genauso wie wenn er in seiner Aufnahmekabine einfach herumalbert.“
Willa: Ich verstehe wirklich, was Destiny sagen will, und ich bin der gleichen Meinung, dass ich so gerne seine unveröffentlichten Songs hören würde, „genauso wie Michael sie hinterlassen hat“.
Joie: Ich denke, Destinys Kommentar gibt wahrscheinlich die Gefühle der meisten Fans zu diesem Thema wieder, Joe Vogel sagte eigentlich sogar etwas Ähnliches zu mir während meines Interviews mit ihm für den MJFC (interview with him for MJFC):
„Ich bin absolut der Meinung, dass dieses Material veröffentlicht werden sollte, und mit der Zeit auch (veröffentlicht) wird. Es wäre eine Schande, wenn es Staub ansetzen würde, wo es doch noch so viel herausragende Musik gibt und so viele Menschen, die sie hören wollen. Außerdem ist es, allein schon vom historischen Standpunkt aus gesehen, sehr wichtig. Ich hoffe einfach, dass die Demos weiter veröffentlicht werden, egal welche Remixe gemacht werden.“
Also gibt es anscheinend ein echtes Interesse unter den Fans, dass die unveröffentlichte Musik „unverfälscht“ bleiben soll, um es so auszudrücken, und einfach auf die Art veröffentlicht werden soll, wie Michael sie hinterlassen hat.
Willa: Obwohl Joes Position ein wenig anders als Destinys scheint. Während er diese Songs hören will, wie sie sind, scheint er es okay zu finden, dass andere Künstler an und mit den unveröffentlichten Songs arbeiten. Wie er sagte „Ich hoffe einfach, dass die Demos weiter veröffentlicht werden, egal welche Remixe gemacht werden.“ Also möchte er beides, und das ist auch ziemlich nah an dem dran, was ich darüber denke. Ich denke, es ist schön, andere Musiker Remixe machen zu lassen – das ist eine der Arten, auf die Michael Jacksons Werk lebendig und dynamisch erhalten bleibt. Aber ebenso möchte ich die unbearbeiteten Versionen hören, und ich denke, dass es äußerst wichtig ist, dass wir ein eindeutiges Verständnis darüber haben, welche Teile von Michael Jackson selbst kommen und welche Teile hinzugefügt oder durch andere verändert wurden.
Joie: Oh, bei dem Punkt bin ich mit dir genau einer Meinung. Es ist sehr wichtig, zu wissen, welche Teile von Michael sind und welche durch andere hinzugefügt oder verändert wurden. Aber ich bin nicht sicher, dass Joe sagen wollte, dass er es okay findet, wenn andere Künstler Michaels Werke beenden oder ob er ganz einfach nur eingesteht, dass dies voraussichtlich für jedes zukünftig veröffentlichte Material der Fall sein wird. Das ist es, wie ich es sehe – es ist wahrscheinlich unvermeidlich, dass dies der Fall sein wird.
Willa: Das ist ein guter Punkt, Joie. Ich habe darüber noch gar nicht auf diese Art nachgedacht. Also vermutlich sollte ich sagen, dass ich, nur für mich gesprochen, neue Interpretationen seiner Songs genieße, wie Will.i.ams Remix von The Girl Is Mine auf dem Thriller25 Album und Akons Remix von Wanna Be Startin‘ Somethin‘. Natürlich ist das eine ganz andere Situation, denn Michael Jackson konnte sie absegnen, bevor sie veröffentlicht wurden, aber meine Sichtweise ist, dass neue Interpretationen seines Werkes die Originalversionen seiner Songs wieder zum Leben erwecken können, indem sie uns helfen, sie auf eine neue Art zu hören und uns vielleicht zu einem tieferen Verständnis für seine Worte und seine Musik führen können. Zum Beispiel haben wir alle die Nationalhymne Hunderte von Malen gehört – so oft, dass wir wahrscheinlich gar nicht mehr zuhören, wenn wir sie jetzt hören, einfach weil sie so vertraut ist, Aber hier ist ein Clip von Marvin Gaye, wie er die Nationalhymne 1983 vor einem NBA All-Star Spiel singt:
Dies war einschneidend zum damaligen Zeitpunkt. NPR brachte 20 Jahre später eine Story darüber und Isiah Thomas, der einer der Spieler war, die damals auf dem Spielfeld standen, als er sang, sagte, dass es so anders war als alles, was sie bis dahin gehört hatten, dass sie nicht wussten, wie sie reagieren sollten. Thomas sagt:
„Wir sahen einander an und suchten fast nach Rückversicherung – ist es ok, dass wir uns zur Nationalhymne bewegen? … Denn als er anfing, zu singen, fing er an zu rocken und ich sah hinunter auf die andere Seite des Bodens, und die Spieler wiegten sich hin und her. Wenn du einen kirchlichen Begriff benutzen willst, war es, als ob du den Heiligen Geist gesehen hättest. Es fuhr einfach in dich, und du konntest nicht anders, als dich bewegen.“
Wie Isiah Thomas sagt bewegt dich Marvin Gayes Performance von The Star-Spangled Banner einfach, und es ist solch eine neue und erfrischende Interpretation, dass es sie neu belebt, so dass du ihr wirklich zuhörst und die Emotionen in den Worten und in der Musik hörst. Ich liebe es. Und das meinte ich damit, als ich darüber sprach, dass wenn neuen Künstlern erlaubt, Michael Jacksons Musik neu zu interpretieren, sie lebendig und frisch gehalten wird.
Joie: Ich weiß nicht, Willa. Ich denke, ich bin hier nicht mit dir einer Meinung. Weißt du, mein Dad war ein großer Basketball Fan, also ich kann mich eigentlich gut an den Beginn dieses Spiels und Marvin Gayes Auftritt erinnern, und ich muss sagen, dass ich jetzt genauso fühle wie damals. Ich war erst 14 Jahre alt zu der Zeit, aber für mich fühlte es sich falsch an. Ich liebe Marvin Gaye, aber ich hatte auch immer großen Respekt für unsere Nationalhymne, während ich also zustimme, dass das Arrangement der Musik in seiner Interpretation mich dazu bringt, mich hin- und her zu wiegen und meinen Kopf ein wenig tanzen zu lassen, mag ich diese Version überhaupt nicht.
Willa: Wirklich? Das ist überraschend für mich.
Joie: Eigentlich finde ich es leicht respektlos, und ich denke, das ist es, was Isiah Thomas ausdrücken wollte, als er fragte ‚Ist es okay, dass wir uns zur Hymne bewegen?‘ Ich glaube, auf gewisse Weise fühlte er sich auch ein wenig respektlos.
Auf der anderen Seite finde ich die Whitney Houston Version (Whitney Houston version) von The Star-Spangled Banner unglaublich bewegend und erfrischend, wie du sagst, und es begeistert dich total und bringt dich dazu, wirklich dem Text zuzuhören und die Emotionen und die Intensität des Songs zu spüren. Ihre Version, die sie 1991 beim Super Bowl XXV aufgeführt hat, kam zu einer extrem stressigen Zeit für unser Land. Wir befanden uns mitten im Golfkrieg und ich denke, ihre eher traditionelle Darbietung unserer Nationalhymne brachte unser Land wirklich dazu, an einem Strang zu ziehen, als wir es wirklich brauchten. Dies ist das, was sie über den Auftritt an jenem Tag zu sagen hatte:
„Wenn du da gewesen wärst, hättest du die Intensität spüren können. Weißt du, wir waren im Golfkrieg zu der Zeit. Es war eine intensive Zeit für unser Land. Viele unserer Töchter und Söhne waren in Übersee, um zu kämpfen. Ich konnte es sehen … im Stadion, ich konnte die Angst sehen, die Hoffnung, die Intensität, die Gebete, die losgeschickt wurden, weißt du, und ich spürte, das ist der Moment. Und da war Hoffnung … wir brauchten Hoffnung, weißt du, dass unsere Babies wieder nach Hause kommen, und darum ging es für mich, das war es, was ich fühlte, als ich dieses Lied sang, und die überwältigende Liebe, die von den Tribünen kam, war unglaublich.“
Ihre Version ist so emotional und bewegend für mich, denn sie fühlte wirklich diese intensiven Emotionen, die von der Menge herüberkamen, als sie es sang. Ich fühle einfach gar nichts, wenn ich der Marvin Gaye Version zuhöre – es fühlt sich für mich nicht wie die Nationalhymne an.
Willa: Wirklich? Ich bin geschockt, dass wir so unterschiedlich fühlen. Ich mag Whitney Houstons Version – sie hat eine erstaunliche Stimme – aber Marvin Gayes ist solch eine wundervolle Neuinterpretation. Weißt du, die Geschichte, die die Nationalhymne erzählt, handelt von Soldaten und Seeleuten, die darum kämpfen, die Unabhängigkeit von England zu erlangen, und die Raketen und Bomben fliegen ständig durch die Nacht, und sie waren nicht sicher, wie es ausgehen würde. Also warteten sie während dieser stillen Morgenstunden kurz vor der Morgendämmerung darauf, zu sehen, ob sie besiegt waren oder ob die Flagge der nun erwachsen werdenden Republik noch weht. Das ist die Szenerie dessen, was da passiert.
Die meisten Versionen des The Star-Spangled Banner neigen dazu, „den roten Glanz der Raketen“ und diesen Aspekt des Songs zu betonen. Aber Marvin Gayes Version schwächte das Militärische all dieser „Bomben, die in die Luft schießen“ ab, und es bringt mich in die ruhige Verfassung, in der ich wirklich die Stille des „letzten Schimmerns der Dämmerung“ und jene Momente vor Tagesanbruch mit dem „frühen Licht der Morgendämmerung“ spüren kann. Es bringt Aspekte der Nationalhymne hervor, die ich vorher nie richtig bemerkt habe, und das liebe ich daran. Wie Isiah Thomas andeutet, ist es eher ein ehrfürchtiges kirchliches Gefühl als die irgendwie militärischen Versionen, die wir so oft hören.
Joie: Das ist interessant, denn ich empfinde überhaupt keine Ehrfurcht; eigentlich eher das Gegenteil. Aber ich denke, das ist das Problem, das aufkommt, wenn wir darüber reden, andere Remixe zuzulassen – oder etwas fertigzustellen – die Musik, die jemand anderes begonnen hat; es kommt immer auf persönliche Gefühle und Präferenzen an. Zum Beispiel hast du die Remixe auf Thriller25 erwähnt. Persönlich liebe ich Will.i.ams Remix von The Girl Is Mine, aber ich finde Akons Remix von Wanna Be Startin‘ Somethin‘ ein wenig irritierend und leicht respektlos gegenüber dem Original Song.
Willa: Wirklich? Das ist so interessant, weil ich es überhaupt nicht irritierend oder respektlos finde. Was denkst du über Shineheads Reggae Version von Billie Jean?
Joie: Ich mag es genau genommen eigentlich. Aber es gibt da eine ganze Menge MJ Cover Versionen, die ich absolut liebe. Wie Alien Ant Farms Cover von SmoothCriminal zum Beispiel und Fall Out Boys Version von Beat It. Natürlich waren diese beiden kommerziell wirklich erfolgreich, und wurden ziemlich oft im Radio gespielt und bekamen so Aufmerksamkeit. Aber es gibt auch Coverversionen von weniger bekannten Bands, die genauso interessant und unterhaltsam sind. Wir haben einige auf der MJFC Website vorgestellt wie die außergewöhnliche britische Rockband Xerath mit dem Cover von SpeedDemon (cover of “Speed Demon) oder die Bad Rabbits aus Boston mit dem Cover von Human Nature (cover of Human nature). Ich liebe beide! Aber nochmal, ich bin der Meinung, es ist eine Sache der persönlichen Präferenz.
Willa: Himmel, Joie, es erstaunt mich immer, wie viel Wissen über Michael Jackson du in deinen Fingerspitzen hast. Es ist sehr einschüchternd. Ich hab‘ noch nie etwas von irgendjemandem hiervon gehört, aber ich habe die Coverversionen aus Glee gehört und liebe besonders ihre Version von Smooth Criminal (their version of “Smooth Criminal). Die Cellos und die sich überschneidende weibliche und männliche Stimme wirken sehr gut zusammen, finde ich.
Joie: Yeah, die MJ Tribute Folge von Glee war großartig. Aber ich denke auch, Covers sind etwas ganz anderes als das, über was wir hier sprechen, nämlich dass ein anderer Künstler oder Produzent in ein Studio geht und einen Song fertigstellt, an dem ein anderer Künstler vor seinem Tod gearbeitet hat. Meiner Meinung nach ist es wie über Äpfel mit Orangen zu vergleichen – es sind zwei komplett verschiedenen Dinge.
Willa: Das ist eine wirklich gute Feststellung, Joie. Sie sind dahingehend verschieden, dass wir bei einem Cover oder einem Remix eines Songs, der von Michael Jackson selbst veröffentlicht wurde, einen Standard haben, mit dem wir alles vergleichen können, und wir kennen seine Vision und was er ausdrücken wollte, weil wir seine Version haben und sie hören können und mit der Remix Version vergleichen können.
Joie: Genau.
Willa: Aber wenn ein anderer Künstler einen unvollendeten Song fertigstellt, haben wir den Vergleich nicht. Ich habe enormen Respekt vor Michael Jackson als Künstler, und ich möchte immer wissen, was seine Vorstellung war. Und das ist besonders wichtig bei seinen unveröffentlichten Songs, von denen wir keinen Standard als Referenz haben.
Zum Beispiel mag ich wirklich das Michael Album und habe es sehr oft gehört, aber ich finde es befremdlich, dass ich nicht sicher weiß, was seine Vision war und wie groß der Einfluss derer dabei ist, die an diesen Songs weiterarbeiteten, nachdem er gestorben ist. In “Exclusive: Inside Michael Jackson’s ‘Hollywood’”enthüllt Joe einige wirklich interessante Hintergrundinformationen über die Entstehung von Hollywood Tonight und es ist sehr verunsichernd. Ich meine einfach, wie sehr die Stimmung und die Bedeutung dieses Songs sich während der letztendlichen Produktion verschoben hat.
Gemäß Joes Artikel ist die Bridge, die Michael Jackson für diesen Song schrieb, ziemlich finster:
Sie hat nicht mal ein Ticket Sie hat nicht mal einen Weg zurück Sie ist verloren und sie ist allein Es gibt keinen Ort, an den sie gehen kann Sie ist jung und ihr ist kalt Genau wie ihr Vater es gesagt hat
Das Image, das wir hieraus für die Hauptperson schlussfolgern können, zeigt ein idealistisches Mädchen, das seinen Träumen folgt und in Schwierigkeiten gerät: „Sie ist verloren, und sie ist allein.“ Aber die Bridge, die Teddy Riley schrieb – die Bridge, die auf dem Michael Album benutzt wurde – ist viel heller, idealistischer und weniger realistisch. Sie erreicht ihre Träume gegen alle Widrigkeiten, obwohl sie sich vielleicht nicht so erfüllen, wie sie es sich vorgestellt hat:
Sie gab ihr Leben auf, um ihren Träumen zu folgen Ließ alles hinter sich für die Filmszene Nichts könnte sie sich mehr wünschen Sie war entschlossen, ihren Plan zu verfolgen Sie wollte Hollywood Sie wollte es so sehr
Nun, da sie ihren Traum erreicht hat, wurde sie ein Star Es sah alles so gut aus, aber nur von Weitem Eingesperrt in jedes Paparazzi Kamera Jeder Typ wünschte, er könnte es Nun ist Miss Hollywood zurück in der Realität
Das ist ganz anders als das, was Michael Jackson schrieb. Wie Teddy Riley Joe erzählt hat: „Durch die Bridge ließen wir sie Erfolg haben. … (Sie) vollendete ihre Mission.“
Ich habe eine Menge Respekt für Teddy Riley. Ich liebe die Arbeit, die er gemeinsam mit Michael Jackson an so großartigen Songs und Alben in der Vergangenheit vollbracht hat. Ich verstehe, dass er an dem Michael Album unter sehr schwierigen Umständen gearbeitet hat, und ich glaube ehrlich, dass er von den bestmöglichen Motiven geleitet wurde – er versuchte, das Beste zu tun, das er konnte, um das Erbe einer Person zu bewahren, die er aufrichtig liebte und verehrte. Ich möchte wirklich nicht seine Arbeit kritisieren, die er in Hollywood Tonight steckte. Aber ob es nun Absicht war oder nicht, er verdrehte komplett die Bedeutung dieses Songs.
Beispielsweise stelle ich mir eine talentierte, junge Tänzerin voller Träume vor, die nach Hollywood abhaut. Ich denke, diese idealistische junge Person war vielleicht das Zielpublikum, das sich Michael Jackson für diesen Song vorgestellt hat. Und ich denke, seine Botschaft für sie, besonders in dieser eindrucksvollen Bridge, die er schrieb, ist: Geh‘ nicht. Wenn das deine Träume sind, dann arbeite hart, um sie zu erreichen, aber lauf‘ nicht weg von zuhause in der Erwartung, über Nacht erfolgreich zu werden. Gib dein sicheres Netz nicht auf. Lass dich durch deine Träume nicht in Gefahr bringen – und nach Hollywood abzuhauen ist ein enormes Risiko. Junge Ausreißer in Hollywood sind eher gefährdet, Prostituierte zu werden als Filmstars.
Aber die Botschaft von Hollywood Tonight, wie sie auf dem Michael Album erscheint, ist genau das Gegenteil. Sie ließ ihre Familie und ihr Sicherheitsnetz hinter sich – „Sie gab ihr Leben auf, um ihren Träumen zu folgen“ – und es war sehr schwierig und ein sehr großes Risiko, aber sie war erfolgreich – und wenn du vielleicht bereit bist, das Risiko auf dich zu nehmen, kannst du es auch erreichen. Ihr Erfolg ist irgendwie hohl, aber trotzdem „hat sie ihren Traum erreicht, sie wurde ein Star“ und ist sie „Miss Hollywood“.
Joie: Du weißt Willa, ich bin vollständig der gleichen Meinung in diesem Punkt. Ich denke, die Demoversion (demo version) dieses Songs ist wahrscheinlich viel näher an dem dran, was Michael beabsichtigt hatte. In der Demoversion singt er diese Lyrics in der zweiten Strophe:
Greyhound westwärts Nach Tinseltown, um ihre Filmstarträume zu verfolgen Sie verkaufte sich an Männer, nur um den Einstieg zu finden Ihr wurde beigebracht, dass das nicht sauber ist Sie ist erst fünfzehn
Die Zeile „sie ist erst fünfzehn“ war sehr wichtig für ihn; ich erinnere mich, irgendwo gelesen zu haben, dass er, als er anfing, den Song zu schreiben, den Fokus darauf legte, dass sie eine fünfzehnjährige Ausreißerin sei und in welchen Schwierigkeiten sie sich selbst wiederfinden könnte. In den Liner Notes des Albums befindet sich tatsächlich ein Bild des Beverly Hills Hotels, das Michael eingefügt hat, als er den Song skizzierte; es ist seine Handschrift und man kann folgendes lesen:
„Story Mädchen, läuft weg, Alter 15. Sie träumt vom Ruhm, Reichtum, der Illusion des Superstars. Ihre Mission ist, es in Hollywood zu schaffen. Die Hürden, die sie nimmt sind unerträglich, aber sie verlässt ihre Eltern gegen deren Willen. Eine wahre Geschichte. Basierend auf der Wahrheit.“
Also war es bedeutsam für ihn, die dunkle Seite dieser Geschichte zu zeigen – vielleicht um den Song zu einer Warnung für alle jungen Menschen werden zu lassen. Jedoch in der Version, die auf dem Michael Album erschien, entfernten sie diesen Grundsatz vollständig und, indem sie das taten, veränderten sie die gesamte Färbung und das Feeling des Songs gegenüber dem, was Michael beabsichtigt hatte.
Willa: Wow Joie, dieser handgeschriebene Überblick in den Liner Notes macht alles ganz deutlich, oder? Und diese Lyrics, die du zitiert hast … oh, mein Gott – was für eine grausame Situation. Ich liebe den Idealismus und Optimismus von Teenagern – es ist eines der Dinge, die ich bei Kindern in dem Alter am meisten genieße – aber ihr Idealismus und Optimismus ist auch das, was sie so hohe Risiken eingehen lässt. Nur an diese talentierte, idealistische 15-jährige Tänzerin zu denken, „die sich an Männer verkauft, nur um den Einstieg zu finden“ ist ein entsetzlicher Gedanke für mich. Was für eine schreckliche, seelenvernichtende Situation für sie. Und das ist eine wahre Geschichte. Du hörst ständig Äußerungen über so etwas. Lies nur etwas über Marilyn Monroes Leben. Sie war ein idealistisches junges Mädchen, die getan hat, was sie tun musste, um Erfolg zu haben, und du fühlst einfach mit ihr.
Weißt du, wir sehen uns nur sehr zögerlich hässliche Dinge an. Es ist sehr viel erfreulicher, einen erhebenden Song über ein idealistisches Mädchen zu hören, das alles riskiert und erfolgreich ist, so wie bei Teddy Rileys Version von Hollywood Tonight, das hören wir lieber als eine traurige, warnende Geschichte über ein idealistisches Mädchen, die sich in Gefahr bringt und missbraucht wird. Aber Michael Jacksons Stärke als Künstler kommt zu großen Teilen auch von seiner Ehrlichkeit, von seiner Entschlossenheit, uns die schmerzvolle Seite des Lebens ebenso zu zeigen wie die schöne, und von seinem Bestehen darauf, dass wir uns die Probleme offen und realistisch ansehen.
Joie: Das ist sehr wahr, Willa. Er war nie jemand, der vor hässlichen Situationen zurückgeschreckt ist. Stattdessen zwang er uns, uns einige wirklich dunkle, unbequeme Wahrheiten anzusehen – sowohl in der Welt als auch in uns selbst.
Willa: Das hat er wirklich getan. Denk nur einfach an Little Susie oder Money oder Morphine oder They Don’t Care About Us.
Joie: Oh, da gibt es noch viele weitere Beispiele. Wie Why You Wanna Trip On Me,Shout oder das unveröffentlichte Do You Know Where Your Children Are. Aber um noch mal auf Joes Erwähnung zurückzukommen, dass die unveröffentlichten Songs so präsentiert werden sollten, wie sie sind neben den fertiggestellten Versionen. Ich denke, das wäre ein wirklich interessantes Konzept. Du weißt The Way You Love Me wurde fertiggestellt und ist auf dem Michael Album enthalten. Aber es ist auch bereits „so wie es war“ veröffentlicht worden damals im Jahr 2004 auf dem The Ultimate Collection Box Set, und es ist sehr interessant in meinen Augen, sich die zwei Versionen nebeneinander anzuhören. Ich glaube, ein gesamtes Album der fertiggestellten Versionen neben den Demoversionen würde sehr faszinierend anzuhören sein.
Willa: Das würde es wirklich, zusammen mit Bemerkungen oder anderen Indikatoren dessen, was seine Vision war. Wie Lisha sagte, als du sie darüber befragt hast vor einigen Wochen:
„Ich kann nicht genug betonen, wie wichtig es ist, alles zu bewahren und zu archivieren GENAU SO wie Michael es hinterlassen hat, inklusive solcher Dinge, die in die Mülltonne könnten. Zukünftige Musikwissenschaftler werden den Zugang dazu brauchen. Solange dafür gesorgt wird, hoffe ich, dass der Estate alles veröffentlicht, was überhaupt einen kommerziellen Wert hat. Es werden nicht die exquisit ausgearbeiteten Kunstwerke sein, die Michael erschaffen hat, ganz egal, wer die Abschlussarbeiten ausführt, aber es wird ein faszinierender Einblick in den Geist und den kreativen Prozess eines Genies sein. Ich würde zu gern jedes letzte bisschen davon hören, sogar ganze Alben mit Schnipseln und unfertigen Songs. Ich denke, die meisten Künstler würden sterben für etwas, das so gut ist wie das, was Michael Jackson wegwerfen würde!“
Joie: Ja! Ich liebe wirklich dieses Zitat, und ich könnte ihr nicht mehr zustimmen. Ich denke, ein ganzes Album nur mit Schnipseln und unfertigen Songs würde unglaublich faszinierend anzuhören sein. Und sogar Michael einfach nur „in der Aufnahmekabine herumalbern zu hören“ wie Destiny in ihrem Kommentar erwähnt hat, wie ich anfangs zitiert habe. Das würde ein verblüffendes Geschenk für die Fans sein! Wie der kleine Ausschnitt von Michael am Telefon, in dem er beschreibt, wie er vorgehen will mit The Way You Love Me und der zu Beginn des Songs auf dem Michael Album erscheint. Das war großartig.
Willa: Das mochte ich auch und ich stimme zu – ein Album mit unfertigen Songs, genau so, wie er sie hinterlassen hat, würde faszinierend sein. Aber das bedeutet nicht, dass ich die anderen Künstler bei ihren Interpretationen seiner Werke bremsen möchte. Überhaupt nicht. Ich will beides hören – die Songs „Genau wie Michael sie hinterlassen hat“ wie Destiny schrieb, genauso wie die Remixe dieser Songs von anderen Künstlern. Ich denke ganz einfach, dass es unheimlich wichtig ist, dass alles ganz eindeutig bezeichnet wird, so dass wir ganz genau wissen, was von Michael Jackson selbst kommt und was von anderen Künstlern kommt, die versuchen, sein Werk fertigzustellen.
Und um noch einmal für eine Minute auf Hollywood Tonight zurückzukommen – ich befürchte, dass es so geklungen hat, als würde ich Teddy Riley verreißen, und so habe ich das nicht gemeint, ganz und gar nicht. Ich denke einfach nur, dass man ganz deutlich machen muss, dass seine Version seine Vision ausdrückt und nicht unbedingt Michael Jacksons. Und ich denke, es ist sehr wichtig, dass alle Veröffentlichungen in der Zukunft sehr sorgfältig bezeichnet werden müssen, so dass wir die Herkunft jedes Songs erfahren.
Joie: Ich stimme dir vollkommen zu. Und wie ich schon zuvor gesagt habe, denke ich wirklich, andere Künstler oder Produzenten zu nutzen, um die Werke zu vollenden, die er unfertig hinterlassen hat, ist wahrscheinlich ein vergeblicher Entschluss. Ich kann wirklich keinen anderen Weg dahin erkennen. Und ich bin der gleichen Meinung wie du, dass es kein allzu schlechter Gedanke ist. Wie du liebe ich auch das Michael Album und ich bin dem Estate dankbar, es veröffentlicht zu haben – sogar mit all diesen Kontroversen zu den Cascio Tracks. Wie ich schon sagte, ich fühle wirklich so, dass es alles ist, was wir jetzt noch haben …die Musik. Sowohl der erstaunliche Musikkatalog, den Michael uns schon geschenkt hat, als auch all das unvollendete Material, das er hinterließ, als er starb. Und ich denke, es wäre eine Schande – nicht zu reden von dem riesigen Verbrechen gegen die Kunst und die Schönheit und die Liebe – wenn all diese Werke einfach nur irgendwo in einem Tresor verwahrt und Staub ansetzen würden, wo es da draußen doch so viele Menschen gibt, die ihn geliebt haben und alles darum geben würden, es zu hören.
Lilly
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Thema: Re: Dancing With The Elephant (Deutsche Übersetzung) Di 27 Nov 2012 - 21:46
Weil deine Worte einfach nicht ausreichen 10/05/2012
Willa: Also Joie, wir haben bereits ein wenig über Michael Jackson als Songschreiber gesprochen – zum Beispiel in den Posts mit Joe Vogel und Charles Thomson und Lisha McDuff. Aber diese Diskussionen haben sich vor allem auf seine Musik und seine Fähigkeiten als Komponist bezogen. Wir haben noch nicht wirklich über Michael Jackson als Texter gesprochen, und eine Sache, die ich an Michaels Jacksons Songschreiben liebe, ist seine Fähigkeit, uns nur durch einige simple Pinselstriche in ein fesselndes Erlebnis voller Dramatik eintauchen zu lassen. Ein berühmtes Beispiel ist der Refrain von Billie Jean:
Billie Jeanist nicht meine Liebhaberin Sie ist nur ein Mädchen, das sagt, ich wäre der eine Aber das Kind ist nicht mein Sohn
In nur drei Zeilen skizziert er eine überraschend reichhaltige Erzählung: Charaktere, dramatische Spannung und Details einer Handlung und die Andeutung einer Thematik, die sich durch sein gesamtes Werk zieht: die Überschneidung von Macht und Begehren. Es wirkt einfach so elegant auf mich, wie er auf so einfache Art und Weise etwas vermittelt.
Joie: Das ist wahr, Willa. Er besaß die bemerkenswerte Fähigkeit, mit nur ganz wenigen Worten ein höchst lebhaftes Bild zu malen. Ich mag dieses Beispiel aus Smooth Criminal:
Als er durch das Fenster kam Gab es den Klang eines Crescendos Er drang in ihr Apartment ein Hinterließ die Blutflecken auf dem Teppich
Nur nach den ersten zwei Zeilen weißt du sofort, dass etwas nicht stimmt. Ein Mann hat das Fenster bei jemandem zerschlagen und klettert hinein. Dann nach den folgenden zwei Zeilen weißt du, dass er sich im Apartment einer wehrlosen Frau befindet, und du fürchtest um ihre Sicherheit. Er entwirft einen gesamten Handlungsstrang mit nur ein paar kurzen Pinselstrichen, wie du es genannt hast. Ich finde diese Fähigkeit, mit nur ein paar Worten solch ein lebhaftes Bild zu zeichnen, wirklich unglaublich. Es ist ein Talent, das nicht jeder hat.
Willa: Oh, Smooth Criminal ist ein großartiges Beispiel! Da passiert so viel in dem Song – und das Video, das ihn enthält, und der Film, der beides enthält – aber es ist alles so geschickt eingearbeitet, dass es sich wie ein simpler, kleiner Song anfühlt. Aber diese augenscheinliche Einfachheit ist trügerisch. Dies ist in der Tat eines seiner komplexeren Werke, sowohl in seiner emotionalen Komplexität, als auch in seiner erzählerischen Struktur.
Zum Beispiel gibt es im Grunde genommen vier unterschiedliche „Stimmen“, die ineinander verwoben sind, um die Erzählung zu formen. Michael Jackson singt alle vier, aber jede für sich repräsentiert einen anderen Standpunkt – und er singt jede von ihnen völlig anders, um dies zu vermitteln. Die Haupt-“Stimme“ ist die des Erzählers, der uns eine Geschichte erzählt. Er ist derjenige, der diese dramatischen Eröffnungszeilen singt, die du oben zitiert hast. Dann gibt es da eine Art griechischen Chor, der auf die Erzählung reagiert, mit Michael Jackson einfach als einer von vielen Stimmen. Sie sind diejenigen, die die immer wiederholten Zeilen von „Annie, are you OK? / Will you tell us that you’re OK?“ singen.
Dann tauchen nach der Unterbrechung zwei weitere Stimmen auf. Da ist einmal der Smooth Criminal selbst, und Michael Jackson singt seine Zeilen mit dieser wirklich schroffen Stimme („Daggone it, Baby!“). Und dann singt da noch diese andere Figur „I don’t know! / I don’t know! / I don’t know why!“ Wir wissen nicht wirklich, wer das ist, aber Michael Jackson singt diese Zeilen mit einer hohen, bebenden, schönen Stimme – es ist wirklich eindringlich. Und während wir nicht sicher wissen, wer diese Figur ist, hatte ich immer das Gefühl, dass es Annies Geist ist, der aus dem Jenseits singt.
Joie: Das ist eine wirklich interessante Beobachtung, Willa. Ich habe Smooth Criminal niemals vorher auf diese Art betrachtet, bis du mich darauf gebracht hast. Es ist ein faszinierender Gedanke.
Willa: Also, es ist ja nicht klar, wem diese geheimnisvolle Stimme gehört, und ich denke, diese Zweideutigkeit ist Absicht, also zögere ich zu sagen, ja, das ist eindeutig Annie. Aber so fühlt es sich für mich an, und das könnte auch ein Grund dafür sein, warum ich die Glee Version von Smooth Criminal so sehr mag – weil es etwas Bestimmtes ganz klar ausdrückt, was für mich bereits indirekt im Original enthalten ist. Ich hatte immer das Gefühl, dass, wenn Michael Jackson singt „I don’t know why!“, er es als weibliche Figur singt, und dass dieser gesamte Abschnitt wie eine Collage aus männlichen und weiblichen Stimmen, die einander gegenübergestellt sind, wirkt. Als ich also die Glee Version mit der wetteifernden männlichen und weiblichen Stimme hörte, fühlte es sich für mich genau richtig an.
Joie: Weißt du, kürzlich habe ich einen Online-Artikel mit dem Titel „Why Prince Still Matters“ (Warum Prince immer noch eine Rolle spielt) gelesen und in dem Eröffnungsabsatz macht der Autor die Feststellung, dass, während Michael Jackson der einzige Performer war, „der sich mit Prince als Sänger, Tänzer und charismatischer Performer messen und ihn sogar übertreffen kann“, er doch niemals mit Prince als Songschreiber konkurrieren konnte. Ich habe das gelesen und war sofort frustriert – wie üblich. Das ist eine Meinung, die wir immer und immer wieder von Kritikern hören, und es ist etwas, was wir auch in unseren zurückliegenden Diskussionen mit Joe und Charles über MJ als Songschreiber angeschnitten haben, aber es ist eine Meinung, mit der ich absolut nicht übereinstimme und die ich ganz einfach nicht verstehe.
Willa: Ich verstehe es auch nicht, aber vielleicht hat es etwas damit zu tun, wie wir poetische Sprache definieren. Weißt du, zum größten Teil möchten wir, dass die prosaische Sprache unsichtbar bleibt – wir möchten einen Gedanken ausdrücken, ohne dass die Worte im Weg stehen. Aber poetische Sprache ist anders – es ist Sprache, die die Aufmerksamkeit auf sich selbst zieht. Wenn wir poetische Sprache hören, denken wir nicht einfach über die Gedanken und Gefühle nach, sondern auch über die Worte, die benutzt werden, um sie zu vermitteln. Und zum größten Teil ziehen Michael Jacksons Worte nicht die Aufmerksamkeit auf sich selbst.
Aber wenn wir uns sorgfältig seine Lyrics ansehen, entdecken wir, dass er sehr geschickt ist in seiner Wortwahl und eine große Achtsamkeit gegenüber der Poetik seiner Worte hat. Zum Beispiel beschäftigt er sich mit Wortspielen, die ein bedeutsames Merkmal der Dichtung darstellen können, aber seine Wortspiele vermitteln oft ebenso eine thematische Bedeutung. Ein gutes Beispiel ist Beat It. Ich liebe die Art, wie er die Worte des Titels über den Verlauf des Songs immer wieder neu definiert. In der ersten Strophe bedeutet „Beat It!“, dass man abhauen soll oder ängstlich wegrennen:
Sie sagten ihm, kreuz‘ hier niemals wieder auf Will dein Gesicht nicht sehen, du verschwindest besser … Also hau ab. Hau einfach ab.
Dann benutzt er das Wort „beat“ wieder, aber dieses Mal hat es eine andere Bedeutung – die von Gewalt. Er singt:
Sie werden dich treten, dann werden sie dich schlagen Dann werden sie dir sagen, es ist fair Also hau ab. Aber du willst böse sein.
Also führt er in diesem Abschnitt eine neue Bedeutung von „beat“ („sie werden dich schlagen“ / „they’ll beat you“) ein, aber dann ruft er sofort wieder die vorherige Bedeutung hervor. Also möchte er, dass beide Definitionen gleichzeitig im Spiel sind. Dann natürlich gibt es noch eine dritte Definition von „beat“, nämlich der Beat, der Takt der Musik – und, das ist wichtig, es ist die Musik, die die Gewalt zwischen den Gangs auflöst. Also bedeutet „beat it“ in diesem Sinn, einen Rhythmus zu erschaffen, wie etwa eine Trommel zu schlagen. Und schließlich gibt es eine vierte Definition von „beat“, welche ist, siegreich zu sein. Wenn zum Beispiel bei jemandem Krebs diagnostiziert wurde und er es dann überwunden hat, sagen wir, sie haben es besiegt (they beat it) – sie haben den Krebs besiegt (they „beat“ the cancer). In meinen Augen ist dies die vorherrschende Bedeutung, die sich durch den ganzen Bogen zieht und durch den Refrain am Ende wiederholt wird: „Showin‘ how funky strong ist your fight … Just beat it.“ (Zeig‘ wie verdammt stark dein Kampf ist … Besieg‘ es einfach.)
Also haben diese Worte sich einer kompletten Umwälzung unterzogen. Dem Hauptcharakter wird nicht länger gesagt, dass er verschwinden soll (to beat it). Stattdessen taucht er durch die Kraft seiner Musik siegreich aus der Gewalt zwischen den Gangs auf – er hat sie (die Gewalt) besiegt, indem er zeigt, wie „verdammt stark“ er ist – aber es ist eine andere Art der Stärke. Es ist nicht die gewalttätige Kraft der Gangs, sondern die „abgefahrene“ Kraft („funky“ power) des Künstlers. Aber während die Bedeutung der Worte „Beat it“ sich über den Verlauf des Songs dramatisch verändern, hören wir auch immer noch die Echos dieser alternativen Definitionen, was dem ständig wiederholten Refrain am Schluss enorme Tiefe verleiht.
Joie: Willa, ich stimme dir absolut zu, dass er sehr geschickt war in seiner Wortwahl und dass er eine große Achtsamkeit gegenüber der Poetik seiner Worte hat. Wie ich während unseres Posts über In The Closet aufgezeigt habe, denke ich, dass Michael sehr bedacht bezüglich der Worte war, die er für seine Lyrics auswählte, um ein bestimmtes Bild zu zeichnen oder eine bestimmte Botschaft zu vermitteln, und In The Closet ist ein großartiges Beispiel dafür.
Willa: Oh ja, sogar der Titel ist ein großartiges Beispiel. Er hat eine allgemein gebräuchliche Umschreibung für schwule Männer oder lesbische Frauen, die ihre Beziehung und Orientierung vor der Öffentlichkeit verborgen halten wollen, benutzt, und verschob dann die Bedeutung dieser Worte, indem er sie mit einer anderen Art heimlicher Beziehung verband.
Joie: Ein weiteres großartiges Beispiel ist Best of Joy vom posthumen Album Michael. Von dem allerersten Wort, das er äußert in diesem Song, bin ich erfüllt von einem Gefühl von Ehrfurcht und Frieden und bedingungsloser Liebe, und ich glaube wirklich, das ist die Botschaft, die er versucht hat, mit diesem Song zu überbringen. Ich liebe einfach diese Lyrics:
Ich bin deine Freude Das Beste deiner Freude Ich bin das Mondlicht Du bist der Frühling Unsere Liebe ist eine heilige Sache Du weißt, ich werde dich immer lieben Ich bin ewig
Es kann nicht mehr Poesie als diese geben! Dieser Song nimmt mir den Atem und lässt mich in Tränen zurück, jedes einzelne Mal, das ich ihn höre. Ein anderes wirklich großartiges Beispiel ist Speechless. Die Lyrics dieses Songs sind einfach wunderschön:
Hilflos und hoffnungslos, so fühle ich mich innerlich Nichts ist wirklich, aber alles ist möglich, wenn Gott an meiner Seite ist Wenn ich bei dir bin, bin ich im Licht, aber kann nicht gefunden werden Es ist, als würde ich an dem Ort stehen, der Heiliger Boden genannt wird
Sprachlos, sprachlos, so lässt du mich fühlen Obwohl ich bei dir bin, bin ich weit entfernt und nichts ist wirklich Ich würde überall hingehen und alles tun, nur um dein Gesicht zu berühren Kein Berg ist zu hoch, den ich nicht hochklettern könnte Demütig stehe ich vor deiner Gnade
Willa: Das finde ich auch. Ich liebe besonders den Takt seiner Worte – wie sie taumeln und fließen – und er singt es so wunderschön. Aber weißt du, was interessant ist, ist dass, ironischerweise, dieser Song von seiner Unfähigkeit handelt, sich selbst auszudrücken und seine Gedanken und Gefühle in Worte zu fassen. Er singt:
Ich habe keine Worte hier zu erklären Fort ist die Anmut für den Ausdruck von Leidenschaft
Also trotz der Eloquenz seiner Worte fühlt er sich „sprachlos“, um das gesamte Ausmaß seiner Gefühle auszudrücken.
Joie: Und trotzdem wurde ihm ständig vorgeworfen, ein mittelmäßiger Songschreiber zu sein.
Willa: Wirklich? Ich wusste, dass das Songschreiben eher übergangen wurde. Die Leute schwärmten eher von seinem Gesang oder Tanz und nicht über das Songschreiben. Aber ich wusste nicht, dass sie es tatsächlich als Mittelmaß bezeichneten. Das macht für mich gar keinen Sinn.
Joie: Ich kapiere das einfach nicht. Ich meine, sogar in Don’t Stop ´til You Get Enough, welches der erste Hit war, den er jemals schrieb, ist die ‚Eloquenz seiner Worte‘, wie du es genannt hast, erstaunlich. Der Mann spricht über etwas so Grundsätzliches und Simples wie sexuelles Begehren, jedoch macht er das auf solch eine subtile und poetische Art, dass die Tatsache, dass er über Sex spricht, fast völlig übersehen wird.
Willa: Oh, du weißt, was ich über Don’t Stop denke! Aber über Speechless zu reden, erinnert mich an einen anderen, ziemlich speziellen Aspekt seines Songschreibens. Weißt du, was mich wahrscheinlich am meisten an Michael Jacksons Songs anzieht und sie so unwiderstehlich für mich macht, ist die Art, wie er denen, die keine Stimme haben, eine Stimme gibt – den „Sprachlosen“ (speechless), die die von je her von der öffentlichen Unterhaltung ausgeschlossen sind. Wir sehen das überall in seinem Werk. Beat It und Bad geben jungen Schwarzen Männern, die in den Innenstädten aufwachsen, eine Stimme, denen, die damit kämpfen, Bandengewalt zu vermeiden und einfach am Leben zu bleiben („You have to show them that you’re really not scared“ / „Du musst ihnen zeigen, dass du wirklich keine Angst hast“). Smooth Criminal gibt seine Stimme einer jungen Frau, die in ihrem Apartment ermordet wurde, genauso wie denen, die sich um sie sorgen („Annie, are you OK?“). Dirty Diana gibt seine Stimme sowohl einem Rockstar als auch einem Groupie zu gleichen Teilen („I’ll be your everything if you make me a star“ / „Ich werde alles für dich sein, wenn du mich zum Star machst“). Morphine gibt seine Stimme einem Drogenabhängigen („I’m going down, baby“ / „Ich gehe zu Boden, Baby“). Und Earth Song gibt seine Stimme all jenen – sowohl menschlich als auch nicht-menschlich – denen eine Stimme nicht zugestanden wurde („What about us?). Dieses Interesse für jene ohne eine Stimme und sein Bestehen darauf, dass ihre Stimme zählt, war ein entscheidendes Charakteristikum seines Songschreibens, denke ich, und eins, das bei den Zuhörern in der ganzen Welt nachhallte.
Joie: Hmm. Du hast Recht, Willa. Den Stimmlosen eine Stimme zu geben war ein immer wiederkehrendes Thema in seiner Musik und er nutzte für diesen Auftrag seine sorgfältige Wortwahl auf wunderbare Weise.
Aber, ich vermute, der wirkliche Punkt hierbei ist für mich, dass ich einfach nicht verstehe, wie Kritiker völlig die Tatsache ignorieren können, dass Michael einige der ikonischsten unserer Geschichte geschrieben hat, und trotzdem weigern sie sich immer noch, das Songschreiben als eines seiner größeren Verdienste anzuerkennen. Das ergibt keinen Sinn für mich. Und ich frage mich, ob sich letzten Endes ganz einfach weiterhin dieselben hinterlistigen Behandlungen dahinter verbergen, die er in anderer Hinsicht in seinem Leben und seiner Karriere aushalten musste. ‚Er ist anders, er ist seltsam, er ist verrückt, also haben wir ihn einfach heruntergefahren und seine Anstrengungen pauschal herabgemindert.‘
Willa: Ich weiß nicht. Ich könnte über eine Menge verschiedener Gründe spekulieren, warum Kritiker auf diese Art reagiert haben, aber es würden nur Vermutungen sein. Ich weiß es wirklich nicht. Aber es ist interessant für mich, wie die Fans, die Kritiker und die Öffentlichkeit im Allgemeinen dazu tendieren, auf ihn so unterschiedlich zu reagieren, und ich frage mich, ob es mit dem emotionalen Engagement zusammenhängt. Du weißt ja, Michael Jackson kann dich wirklich weit bringen, wenn du ihn nur lässt, aber du musst es wollen, dass er dich mit sich nimmt.
Ich bekomme den Eindruck, dass Kritiker sich Künstlern - nicht nur Michael Jackson, sondern allen Künstlern - sehr oft mit einer misstrauischen Einstellung annähern. Es ist so, als würden sie mit verschränkten Armen dastehen und sagen „OK, Kumpel, zeig mir, was du kannst. Versuch‘, mich zu beeindrucken.“ Und wenn du auf diese Art an ihn herangehst, wirst du wahrscheinlich umgehauen von der unglaublichen Bandbreite seiner Stimme oder dem flüssigen Stil seiner Tanzbewegungen – von der Art offensichtlicher Dinge, zu deren Anerkennung Kritiker neigen – aber du wirst dabei die gesamte Tiefe und Komplexität und emotionale Kraft seiner Werke verpassen. Um diese Aspekte seiner Werke zu sehen und zu spüren, musst du dich wirklich mit ihnen befassen und untersuchen, was passiert und dich selbst emotional mit hineinziehen lassen. Und die meisten Kritiker waren nicht willens, das zu tun. Und seine Fans waren es.
Es geht wieder darauf zurück, was wir schon zuvor gesagt haben – wir sehen ihn anders, weil wir ihn lieben. Bei einem Künstler so komplex und herausfordernd wie er ist, bin ich nicht sicher, ob es überhaupt möglich ist, ihn auch nur ansatzweise zu verstehen oder würdigen zu können, ohne ihn zu lieben und sich ihm hinzugeben („give in to“ him). Und wir tun es.
Zuletzt von Lilly am Di 27 Nov 2012 - 23:30 bearbeitet; insgesamt 1-mal bearbeitet
Lilly
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Thema: Re: Dancing With The Elephant (Deutsche Übersetzung) Di 27 Nov 2012 - 22:15
Die Trilogie: Sie sehen dich nicht so, wie ich dich sehe 17/05/2012
Willa: Also Joie, als Michael Jackson und seine Mitarbeiter sich für die This Is It Konzerte in London vorbereiteten, kreierten sie einige spezielle Filmsegmente, die während der Darbietungen von Bad / They Don’t Care about US, Smooth Criminal, Earth Song und Thriller / Ghosts / Threatened auf der riesigen Leinwand hinter der Bühne gezeigt werden sollten. Kenny Ortega schloss diese Filme oder Teile von ihnen in den Film This Is It ein, und sie sind sehr interessant – wie kleine Charakterskizzen oder Kurzgeschichten innerhalb eines größeren Films.
Ich bin wirklich fasziniert von diesen Kurzfilmen und wie sie in die Konzerte mit einbezogen werden sollten. Ich bin ganz besonders fasziniert von diesem einen Moment in This Is It, genau an der Stelle, als Thriller in Ghosts überleitet, wo wir Michael Jackson zu Thriller tanzen sehen, da können wir eine Ratte erkennen, die auf einen Eisenzaun klettert, und dann diese riesigen Geisterfiguren, die während Ghosts auf Publikum herunterschweben.
Dieser Moment ist so interessant für mich, denn wenn ich diejenigen Werke bestimmen müsste, die für mich am ehesten Michael Jacksons Kunstempfinden beschreiben, würde ich sagen Ben,Thriller und Ghosts. Ich ertappe mich selbst immer wieder dabei, dass ich auf diese Werke zurückkomme, wenn ich für mich selbst Michael Jacksons Gedanken und seine Strategien zur Übermittlung dieser Gedanken zu verdeutlichen versuche. Für mich sind sie die Trilogie im Zentrum seines Glaubenssystems und seines künstlerischen Empfindens. Und für einen kurzen Moment in This is It scheinen sie zusammenzukommen – fast als würden sie die Hände ineinander verschränken.
Joie: Ok Willa, ich will ehrlich sein und sagen, dass du mich hiermit ein wenig verblüfft hast. Bitte erkläre mal, was du mit „der Trilogie“ meinst, denn ich habe meine Schwierigkeit damit, diese drei Werke miteinander zu verbinden, weil für mich hat – jedenfalls oberflächlich gesehen – der Song Ben sehr wenig mit den Kurzfilmen Thriller und Ghosts zu tun.
Willa: Also gut, für mich war Michael Jackson immer sehr interessiert an „Unterschieden“ – wie wir sie bestimmen, wie wir sie wahrnehmen und wie wir auf sie reagieren. Weil er Schwarz war und weil die Vereinigten Staaten so auf Rasse fixiert sind, neigen wir dazu, sein Werk in Hinsicht Rassenvorurteile zu interpretieren – und es stimmt, dass es sehr wichtig für ihn war, Gedanken zu Rasse und Voreingenommenheit in Frage zu stellen. Aber ich denke, er sprach ebenso über Unterschiede auf einer mehr allgemeinen Ebene, und arbeitete an der Überwindung dieser Grenzen oder Unterschiede basierend auf Rasse, Alter, Geschlecht, Sexualität, Religion, Nationalität, Behinderungen, Größe, Gewicht, Reichtum, sozialem Status oder sogar einfach dem vagen Gefühl, dass jemand „verrückt“ oder „freakig“ oder auf unbequeme Art seltsam in gewisser Weise ist.
Und ich sehe dies definitiv in Ben – diesen Antrieb, zu hinterfragen, wie wir Unterschiede wahrnehmen und kennzeichnen, und die Vorurteile, die oft daraus resultieren, anzuzweifeln. Im Grunde genommen ist Ben eine Geschichte über eine Ratte, die von den meisten Menschen verachtet wird, einfach weil sie eine Ratte ist. Aber sie ist befreundet mit einem Jungen, der fähig ist, hinter diese Vorurteile zu sehen und ihn für das zu lieben, was in ihm ist. Wie der Junge singt:
Ben, die meisten Menschen würden dich abweisen Ich höre nicht auf ein Wort, das sie sagen Sie sehen dich nicht so, wie ich dich sehe Ich wünschte, sie würden es versuchen Ich bin sicher, sie würden noch mal darüber nachdenken Wenn sie einen Freund wie Ben hätten
Es hat schon andere Werke gegeben, die versucht haben, Ratten und Mäuse in gefällige Charaktere zu verwandeln – zum Beispiel Stuart Little oder Ratty in Wind in the Willows oder Ralph in Beverly Clearys The Mouse and the Motorcycle Stories oder Mrs. Tittlemouse in den Geschichten von Beatrix Potter.
Joie: Oder Mrs. Frisby and The Rats of NIMH von Robert C. O’Brian. Ich liebe das Buch!
Willa: Oh, das ist ein großartiges Beispiel! Oder etwas eher Neueres, da gibt es Ratatouille oder The Tale of Despereaux (Der kleine Mäuseheld). Aber das Interessante ist, dass in all diesen Werken diese Charaktere akzeptabler gemacht wurden, indem man sie weniger nagetier-mäßig und mehr vermenschlicht hat – mit anderen Worten, indem man sie aus unserer Sicht „normaler“ gemacht hat. Sie tragen menschliche Kleidung. Sie steuern ein Boot oder fahren ein Motorrad. Sie leben in Häusern für Menschen und kochen für Menschen bestimmtes Essen und erledigen menschliche Haushaltspflichten. Hier ist ein Bild von Mrs. Tittlemouse:
Aber Ben ist ganz anders. Der Junge weiß, dass Ben eine Ratte ist, weiß, dass sie deswegen als andersartig gekennzeichnet ist, aber er liebt sie genauso wie sie ist. In all diesen anderen Werken ist dieser starke Antrieb zu spüren, diese kleinen Nager süß und ansprechend und „normaler“ zu machen – menschlicher. Aber dieser Antrieb fehlt völlig bei Ben. Der Junge scheint nicht die Notwendigkeit zu sehen, Ben zu ändern, um ihn akzeptabler zu machen. Er zieht ihm keine Kleidung an oder gibt ihm ein Spielzeugmotorrad oder vermenschlicht ihn auf irgendeine Weise. Es ist sehr viel einfacher als das. Er liebt Ben, Ben liebt ihn, und das ist alles.
Joie: Ok, ich erkenne, was du sagen willst. Und du hast Recht; er versucht die Ratte überhaupt nicht zu vermenschlichen. Eigentlich ist es genau das Gegenteil. Wie du sagtest, weiß er, dass Ben eine Ratte ist und dass er „anders“ ist. Aber davor hat er keine Angst und er ist auch nicht eingeschüchtert durch diese Unterschiede. Stattdessen begrüßt er die Unterschiede und liebt Ben ohnehin. Es ist eine Lehrstunde, von der wir alle lernen können – über Liebe und Toleranz. Obwohl wir alle unterschiedlich sind, bedeutet das nicht, dass wir uns gegenseitig nicht trotzdem mit Anstand und Respekt behandeln können.
Willa: Genau, und ich mag die Art, wie du das gesagt hast: „er begrüßt die Unterschiede“. Er sagt nicht, die Unterschiede würden nicht existieren. Das tun sie – wir sind alle wunderbar unterschiedlich. Stattdessen sagt er, dass diese Arten von oberflächlichen Unterschieden nicht darüber bestimmen sollten, wie wir aufeinander reagieren und darüber denken. Er weiß, Ben ist eine Ratte, aber er kennt auch sein Herz, und das ist das, was wichtig ist. Er ist immer noch fähig, ihn zu „sehen“ und ihn aufrichtig zu kennen und zu lieben. Anstatt also zu versuchen, Ben akzeptabel zu machen, indem er ihn ändert und „normal“ macht, fordert er uns auf, unsere Vorurteile zu überwinden und Ben auf die Art, wie er ist, zu akzeptieren. Er singt: „Sie sehen dich nicht so, wie ich dich sehe / Ich wünschte, sie würden es versuchen“.
Joie: Das lässt mich gerade über ein Video des Rappers Adair Lion nachdenken. Der Song heißt auch Ben und, obwohl er Homosexualität anspricht, könnte die Botschaft des Songs auch von Rassismus, Sexismus oder anderen Formen von Vorurteilen handeln. Er sampelt Michael Jacksons Ben kurz in dem Song, und ich denke, dass Michael es wahrscheinlich gemocht haben würde.
Willa: Oh Himmel, Joie, ein wundervolles Video! Danke für’s Zeigen. Und du hast Recht, Adair Lion spricht über Homophobie, aber er stellt auch Parallelen her zu Rassismus und anderen Formen von Vorurteilen – wie als das weiße Mädchen ihn küssen will und das andere weiße Mädchen sie davon abhält und ziemlich rabiat dabei wird. Und er stellt diese Verbindungen ausdrücklich in dem Rap dar, wo er sagt:
Ich vermute der dort drüben Er hat gewählt schwarz zu sein Und sie asiatisch Und die anderen weiß Und jene gottverdammten Schwulen Haben dieses Leben gewählt
Also spricht er über spezielle Formen von Vorurteilen, aber indem er sie nebeneinander stellt, spricht er ebenso über Unterschiede im Allgemeinen, und das ist sehr Michael Jackson – und passt sehr gut zur Botschaft von Ben, denke ich.
Ich fühle mich auch sehr angesprochen von den Szenen, in denen das kleine Mädchen versucht, das Geld zu ihrem Geburtstag auszugeben, das ihre zwei Väter ihr gegeben haben. Die Frau im Eisgeschäft weist ihr Geld zurück und weigert sich, ihr eine Eiswaffel zu servieren, und die Frau im Spielzeuggeschäft weist auch ihr Geld zurück und weigert sich, ihr eine Puppe zu verkaufen. Aber dann kommt sie zu dem Tacostand, wo Adair Lion in seiner Rolle arbeitet, und sein Kumpel verkauft ihr nicht nur einen Lutscher, sondern gibt ihr noch zwei extra mit. Es ist eine ganz direkte Botschaft, aber sehr bewegend.
Und dann endet das Video mit diesem kraftvollen Nachsatz:
Zufällig ist Ben der Name von jemandem, den ich nie getroffen haben – mein Vater Also warum sollte ich jemals über jemanden urteilen, der versucht, zwei zu sein Von etwas, was ich niemals hatte?
Wie du weißt, Joie, ist Ben etwas sehr Besonderes für mich, und wenn ich ganz ehrlich bin, haben ich ziemlich gezögert, dieses Video anzusehen, weil mir das Original so viel bedeutet. Ich vermute, ich hatte Angst, dass er es irgendwie nicht angemessen behandelt oder trivialisiert hat. Aber im Grunde hat es mich zum Weinen gebracht. Ich bin nicht sicher, warum es mich so betroffen macht – vielleicht, weil ich etwa im selben Alter war wie das kleine Mädchen, als ich zum ersten Mal Ben gehört habe – aber vielleicht auch, weil dieses Video so aufrichtig und ehrlich wirkt.
Joie: Es ist ein ziemlich fesselndes Video; da hast du Recht. Und die Tatsache, dass er Michael Jacksons Ben darin verarbeitet hat, macht es für mich um so kraftvoller, denn dieser Song sagt uns alles darüber, hinter die Unterschiede zwischen uns allen zu sehen.
Weißt du Willa, die süße Stimmung in Michael Jacksons Stimme, in der er diesen Song singt ist so überwältigend rein und echt. Und ich frage mich manchmal, ob er – erst 14 Jahre alt – verstanden hat, welch enorme Botschaft er mit diesem Song transportiert hat. Es fühlt sich ganz sicher sehr aufrichtig an, wenn du ihm zuhörst. Der Song wurde von Don Black geschrieben und von Walter Scharf komponiert, und er war der Titelsong für den Film Ben im Jahr 1972 (der Fortsetzung des Films Willard von 1971 über eine Killerratte). Ursprünglich war der Song für Donny Osmond geschrieben worden, aber der war auf Tour und zu der Zeit unabkömmlich. Also war Michael im Grunde genommen zweite Wahl, um den Song aufzunehmen – was mich einfach durcheinander bringt, weil, so wunderbar Donny Osmond auch ist, ich mir keinen anderen als Michael vorstellen könnte, der dies singt.
Willa: Oh ich weiß, und offenbar konnte Michael Jackson das auch nicht! In einem Interview (an interview with Life After 50) vor einigen Monaten sagt Donny Osmond, dass er ihm erzählt habe, dass Ben ursprünglich für ihn geschrieben worden sei, und Michael Jackson sagte: „Red‘ keinen Unsinn!“ Er konnte es nicht glauben, und ich kann es auch nicht. Ben und Michael Jackson sind in meinen Gedanken so sehr verbunden.
Und man merkt ihm an, dass Ben für ihn sehr viel bedeutet hat. Du kannst es in seiner Stimme hören und daran, wie oft er darauf zurückgekommen ist. Er sang es jahrelang in seinen Konzerten, und er nahm es auf fast jedes seiner Compilation Alben, einschließlich The Best of Michael Jackson, Anthology, Number Ones, The Ultimate Collection und The Essential Michael Jackson.
Joie: Das stimmt! Er kehrte darauf immer wieder und wieder zurück.
Willa: Ja wirklich. Und als Kind nahm er sogar einige Ratten als Haustiere auf. Hier ist ein Bild:
Wahrscheinlich am bedeutsamsten ist, wie oft das Thema von Ben in seinen späteren Werken wiederkehrte – nicht nur um Vorurteile den Unterschieden gegenüberzustellen, sondern auch, um das Vorurteil mit der Wahrnehmung zu verbinden. In Ben singt er: „Sie sehen dich nicht, wie ich dich sehe.“ In Can You Feel It singt er:
Kannst du erkennen, was untergeht? Öffne deinen Geist …Denn wir sind alle dieselben Ja, das Blut in meinen Adern fließt auch in dir
In Another Part of Me fragt er: „Kannst du es nicht sehen / Du bist nur ein anderer Teil von mir?“ Zum wiederholten Mal erzählt er uns, dass Vorurteile gegenüber Unterschieden einfach eine Sache der Wahrnehmung sind oder vielmehr eine kulturell hervorgerufene Fehlwahrnehmung. Diese Vorurteile sind nicht echt und natürlich – Kinder werden nicht mit ihnen geboren – sie sind einfach ein Teil unserer sozialen „Konditionierung“. Und ich denke, wir können erkennen, wie er diese Fehlwahrnehmung auf dramatischste Art durch die Änderung seiner Hautfarbe in Frage stellt. Er bewies auf eine Art, die nicht geleugnet werden kann, dass wir ungeachtet der Rasse alle miteinander verbunden sind. Wir sind alle herrlich verschiedene, einzigartige Individuen, aber wir sind alle ein Volk. So wie er sagt: „Ja, das Blut in meinen Adern fließt auch in dir“.
Joie: Willa, ich denke, das ist eine wundervolle Beobachtung, und ich stimme dir vollkommen zu. Ich glaube, die Botschaft von Ben war offensichtlich sehr wichtig für ihn. Wie du herausgestellt hast, kehrte er immer wieder zu dieser Botschaft zurück, in variierenden Formen, viele Male seine gesamte Karriere hindurch. Ist wäre nur fair zu sagen, dass die Botschaft dieses Songs ihm dazu verhalf, den Mann zu formen, der er wurde – die Songs, die er über Einheit und Akzeptanz geschrieben hat, das humanitäre Wirken, das zu unterstützen er sich entschlossen hat, die bescheidene, liebende Art, in der er sein Leben lebte. Ich denke, Ben hatte wahrscheinlich einen sehr tiefgründigen Effekt auf ihn.
Willa: Weißt du, das ist interessant, denn ich habe mich schon oft gefragt, was genau Ben für ihn bedeutet hat – und ich denke, du liegst richtig. Ich glaube, Ben hatte wahrscheinlich eine tiefgreifende Auswirkung auf ihn oder vielleicht verhalf es ihm, etwas auszudrücken, das er sowieso schon fühlte. Ich weiß, er verspürte sehr viel Gefühl für Ben – du kannst das sagen, wenn du einfach nur seiner Stimme beim Singen dieser Lyrics zuhörst – aber ich frage mich, ob er sich nicht auch selbst mit ihm identifiziert hat. Im Grunde genommen wird Ben nicht akzeptiert, einfach weil er als anders gesehen wird, und das ist etwas, mit dem Michael Jackson genauso gekämpft hat. Sogar als sie ihn vergöttert haben, behandelten die Leute ihn als unbequem anders.
In einem Interview (1980 interview with 20/20) erzählt seine Mutter der Reporterin Sylvia Chase:
„Wo immer er auch hingeht, jeder kommt her, um Michael Jackson zu sehen – weißt du, sie wollen ihn sehen, wie er aussieht – und er sagt, er fühlt sich wie ein Tier in einem Käfig.“
Als Sylvia Chase ihn darüber befragt, sagt er: „Das tue ich, ständig. Gut, ich sollte nicht ‚ständig’ sagen, aber mir ist schnell etwas peinlich. … Wenn ich, weißt du, bei ganz alltäglichen Leuten bin und das ganze Zeug, dann fühle ich mich fremd. Wirklich.“ Sie sagt daraufhin: „Es gibt einige Leute, die glauben, dass, weil du immer auf der Bühne warst, daher musstest du niemals mit der wirklichen Welt zurecht kommen.“ Er antwortet:
„Das stimmt in vielerlei Hinsicht. Das ist wahr in gewisser Weise. Aber es ist schwierig in meiner Situation. Ich versuche es manchmal, aber die Leute benehmen sich nicht auf diese Art mir gegenüber, weil sie mich anders sehen. Sie reden nicht so mit mir, wie sie es mit ihrem Nachbarn machen würden.“
Er sagt also, die Leute würden sich ihm gegenüber nicht in einer gewöhnlichen, für sie typischen Art verhalten, „weil sie mich anders sehen“. Und wenn er das 1980 gefühlt hat – vor Thriller, vor Vitiligo, vor den Anschuldigungen 1993 und vor dem Prozess 2005 und den schreienden Schlagzeilen über Wacko Jacko – stell dir vor, wie er sich erst später gefühlt haben muss.
Joie: Du hast so Recht; seine Isolation ist nur noch gewachsen, als sein Ruhm größer wurde. Ich bin sicher, dass er sich wahrscheinlich sehr ‚wie ein Tier in einem Käfig‘ gefühlt hat.
Willa: Oh, es ist einfach unvorstellbar, was er aushalten musste. Und es gibt noch eine andere Verbindung zwischen Ben und Michael Jackson, über die ich seit einer ganzen Zeit nachgedacht habe, aber noch nicht zu einem Schluss gekommen bin, und das sind die Gründe, warum sie als so fremdartig gesehen wurden. Und während ich immer noch versuche, das herauszufinden, denke ich, dass es sehr viel mit kulturellen Tabus demgegenüber zu tun hat, gewisse Grenzen zu überschreiten.
Denk darüber nach – warum sind Ratten für die meisten Menschen so abstoßend? Ich denke, es ist deswegen, weil sie Grenzen überschreiten oder vielmehr, weil sie in diesem eigenartigen Zwischen-Ort leben, in dem sich zwei deutlich abgegrenzte Kategorien überschneiden. Im Grunde genommen, wenn wir über Ratten nachdenken, denken wir grundsätzlich nicht daran, sie würden in Wäldern oder auf Wiesen und an Flüssen leben. Stattdessen denken wir, sie leben in Kanalisationsrohren und auf Müllhalden und in Kellern von Häusern oder in Ruinen. Mit anderen Worten, wir denken bei ihnen daran, dass sie am Rand der Zivilisation leben an Orten, die weder vollständig wild noch komplett zivilisiert sind. Sie existieren in diesem eigenartigen Niemandsland, in dem die Grenzen zwischen dem, was wild ist und was zivilisiert ist, verwischt werden. Wir neigen dazu, diese Idealvorstellungen eindeutig unterscheidbar und getrennt halten zu wollen, aber Ratten verwischen diese Grenze und bedrohen unsere Auffassungen von Zivilisation und Wildnis – und es ist diese Bedrohung, die sie so abstoßend macht.
Und auf vielerlei Arten tat Michael Jackson dasselbe. Er lebte in diesem Niemandsland zwischen Schwarz und Weiß, maskulin und feminin, schwul und straight, vornehm und kleinbürgerlich, liberal und konservativ, Kind und Erwachsener, christlich und jüdisch und islamisch und buddhistisch, zwischen Soul und Blues und Disco und Rock, Sänger und Tänzer und Filmemacher und Philosoph. Er hinterfragte so viele künstliche, kulturell konstruierte Grenzziehungen. Und er überschritt nicht nur diese Grenzen. Er lebte in diesem Zwischen-Ort, wo sich diese Kategorien auf unbequeme Art überlappen und demonstrierte, dass diese Grenzen künstliche Konstrukte sind. Und das war sehr bedrohlich für viele Menschen, besonders für jene, die diese Kategorien klar definiert und getrennt behalten wollten.
Joie: Ok, Willa. Das war nun ein weiterer ‚Wow‘-Moment für mich! Du hast gerade die Punkte miteinander verbunden und all die Parallelen zwischen Michael Jackson und dem Thema des Songs Ben gezogen, und es ergibt völlig perfekten Sinn. Und du hast Recht; die Leute flippen typischerweise total aus bei Ratten, und es ist, weil wir dazu neigen, von ihnen zu denken, sie würden am Rand der Gesellschaft leben. Aber Ratten sind in Wirklichkeit ziemlich cool. Die meisten Leute sind für gewöhnlich sehr erstaunt, wenn sie erfahren, dass Ratten wirklich gute Haustiere abgeben. Im Grunde sind Ratten bessere Haustiere als Mäuse, denn sie tendieren nicht dazu, zu beißen. Sie sind sehr intelligent, soziale Tiere, die leicht gezähmt werden können, und die meisten Besitzer vergleichen ihre Kameradschaft mit der eines Hundes!
Also werden wir diese Diskussion nächste Woche mit dem fortsetzen, was Willa ‚die Trilogie‘ nennt mit einem Blick auf den Kurzfilm Thriller. Und ich muss sagen, Willa, ich sehe immer noch nicht, in welcher Beziehung Ben zu den Kurzfilmen Thriller und Ghosts für dich steht. Eventuell sehe ich Ghosts irgendwie auf diese Art, weil dieser Film davon handelt, anders zu sein. Aber ich vermute, ich denke auf diese Weise überhaupt nicht von dem Thriller Video. Ja, Michael Jacksons Rolle verändert sich darin ständig von einem Teenager Jungen in einen Werwolf in einen Zombie und wieder zurück, aber ich denke bei diesem Video nicht an „Unterschiede / Anderssein“. Aber das werden wir nächste Woche besprechen.
Lilly
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Thema: Re: Dancing With The Elephant (Deutsche Übersetzung) Mi 28 Nov 2012 - 22:06
Die Trilogie: Nein, ich meine, ich bin anders 24/05/2012
Joie: Also Willa, letzte Woche haben wir eine Diskussion begonnen über etwas, das du Die Trilogie nennst, und es hat mit der Art deiner Beziehung dreier Werke Michael Jacksons – Ben, Thriller und Ghosts - zu tun, und mit deinem Gefühl, wie sie alle auf eine gewisse Art zusammenpassen und mehr oder weniger Michael Jacksons Kunstverständnis abbilden. Letzte Woche konzentrierten wir uns auf den Song Ben und welche kraftvolle Botschaft für Akzeptanz dieser Song in sich trägt. Diese Woche habe ich gehofft, dass wir einen Blick auf den Kurzfilm Thriller werfen können und darüber reden werden, wie dieser für dich zu der Idee der Trilogie passt.
Willa: Okay, wie wir bisher schon besprochen haben, erkenne ich den primären Fokus von Michael Jacksons Kunst und Leben darin, dass er die uns voneinander trennenden Unterschiede hinterfragt. Er wurde von einer Vision von uns allen als einem Volk getrieben, trotz der Einteilungen in Rasse, Geschlecht, Nationalität, Sexualität, Alter, Religion, Behinderung oder irgendwelcher anderer Unterschiede, die dazu benutzt werden, Menschen in unterschiedliche Lager aufzuteilen. Wir erkennen das Song für Song, Video für Video, genauso wie in Interviews und Reden und in den Wohltätigkeitseinrichtungen, die er unterstützte. Allerdings, für mich gibt es drei Werke, die besonders wie Leuchtfeuer erstrahlen und wirklich die künstlichen Grenzen, die uns trennen, in Frage stellen, und diese drei sind Ben, Thriller und Ghosts.
Joie: Das ist wirklich interessant, Willa, denn wie ich letzte Woche schon sagte, habe ich den Kurzfilm Thriller nie als etwas gesehen, das die ‚künstlichen Begrenzungen’ anspricht, wie du die Unterschiede zwischen uns allen nennst. Es interessiert mich wirklich sehr, zu hören, wie du dies siehst.
Willa: Gut, es wird subtil behandelt – im Grunde ist es fast so, als würde er die Botschaft auf eine unterbewusste Art übermitteln – aber alle drei dieser Werke stecken die Grenzen zwischen uns auf neue und überzeugende Arten ab, und ich erkenne das ganz besonders in Thriller.
Wie wir alle wissen, spielen sowohl Thriller als auch Ghosts im Genre Horrorfilm. Aber interessanterweise antwortete Michael Jackson, als Alex Colletti ihn in einem MTV Interview 1999 (1999 MTV interview) fragte „Warst du ein Fan von Horrorfilmen?“:
Ob du es glaubst oder nicht, ich fürchte mich davor, unheimliche Filme anzusehen. Ganz ehrlich, ich mag es gar nicht so sehr, sie anzusehen. Ich habe nie gedacht, dass ich einmal an so einer Sache beteiligt sein würde.
Und Horror hervorzurufen, scheint nicht sein Ziel bei diesen zwei Kurzfilmen gewesen zu sein. Da scheint noch etwas anderes vor sich zu gehen.
Wenn wir uns Thriller sorgfältig ansehen, entdecken wir, dass es eine ganz spezielle Art von Horrorfilm ist. Er handelt nicht von mutierten Spinnen oder Schlangen, oder von einem riesigen Affen, der auf das Empire State Building klettert, oder von Dinosauriern, die durch ihre DNA wieder zum Leben erweckt werden. Er handelt nicht von einem besonders tödlichen Tornado oder einer Flutwelle oder einem Asteroid, der dabei ist, die Erde zu treffen. Er handelt auch nicht von außerirdischen Fremden, die die Weltherrschaft übernehmen wollen oder von einer geheimnisvollen Infektion, die die Bevölkerung auslöscht. Er handelt nicht von einem mörderischen Verrückten mit einer Kettensäge oder einem Gewehr oder einem unstillbaren Appetit auf seine Mitmenschen. Er handelt nicht von einer uralten Vorhersage, dass die Welt in zwei Wochen untergehen wird oder vom Beginn des 3. Weltkrieges oder einem nuklearen Holocaust oder einem Kollaps der Umwelt. Es ist nicht mal ein Monsterfilm in der gleichen Art wie Godzilla oder Creature from the Black Lagoon.
Joie: Okay, du hast jetzt eine wirklich gute Aussage getroffen, aber jetzt habe ich Angst, dass du mich zusammengekauert auf meiner Couch mit einigen DVD’s und einer großen Schüssel Popcorn sehen willst!
Willa: Das ist lustig! Wir sollten mal irgendwann eine Movie-Nacht zusammen machen, obwohl ich dich warnen muss – ich bin ein Feigling bei gruseligen Filmen. Aber wenn wir uns Thriller von Nahem ansehen, entdecken wir, dass es eine ganz spezielle Art von Horrorfilm ist: Es ist eine Geschichte über einen hübschen Teenagerjungen, der Grenzen überschreitet. Zuerst übertritt er die Grenze zwischen Wolf und Mensch, aber er überschreitet diese Grenze nicht vollständig. Er wird nicht zum Wolf. Stattdessen stoppt er mittendrin und lebt in diesem Zwischenraum, in dem er sowohl Wolf, als auch Mensch ist. Er wird ein Wolfsmensch, ein Werwolf. Später bringt er die Grenze zwischen den Lebenden und den Toten durcheinander, und wieder befindet er sich in diesem eigenartigen Zwischenraum, in dem er sowohl Lebendiger, als auch Toter ist. Er wird einer von den Untoten, ein Zombie.
Joie: Ok. Ich denke, ich kann erkennen, worauf du hinaus willst. Grundsätzlich willst du sagen, dass du das Gefühl hast, Michael Jacksons Rolle in Thriller sei eine Art symbolisches Annehmen der Unterschiede zwischen uns, über die wir letzte Woche gesprochen haben, als wir uns den Song Ben ansahen. Im Thriller Video befindet sich sein Charakter mitten in diesen Unterschiedlichkeiten und überschreitet absichtlich die Grenzen.
Willa: Ganz genau. Das ist exakt das, auf das ich hinaus wollte, und du hast Recht – es knüpft wundervoll an Ben an und weitet die Gedanken aus, über die er in dem Song singt. Aber ich denke, da geht noch eine ganze Menge mehr vor sich.
Julia Kristeva ist eine Literaturtheoretikerin, die ebenfalls Psychoanalytikerin ist, und sie glaubt, dass Menschen eine tiefe psychologische Bedrohung darin sehen, wenn bestimmte Arten von Grenzen verwischt oder in Frage gestellt oder auf gewisse Weise überschritten werden. Sie beschreibt in Powers of Horror: An Essay on Abjection, dass wir unsere Identität erschaffen und definieren, wer wir sind, dadurch dass wir Grenzen bilden zwischen dem, was wir sind und was nicht-wir sind, so dass alles, was die Grenzen einzureißen droht, auch unser Selbst durch Auflösung bedroht – es bedroht unsere Identität auf der fundamentalsten psychologischen Ebene. Zum Beispiel sagt sie, dass dies der Grund dafür ist, warum wir solch einen Ekel gegenüber menschlichen Abfallprodukten verspüren, nämlich weil er die Grenze zwischen dem Körperinneren und dem Äußeren überschritten hat, zwischen uns und nicht-uns, und uns dazu zwingt, zu realisieren, dass diese Grenzen durchlässiger sind, als wir sie gern hätten, und das empfinden wir auf einer tiefen, ursprünglichen Ebene als Bedrohung.
Joie: Nun, das ist wirklich interessant! Ich habe niemals vorher von ihr gehört, aber würde das Buch gerne lesen. Es klingt faszinierend.
Willa: Oh, es ist faszinierend, und es lässt mich wirklich dieses Thema des Grenzenüberschreitens auf eine völlig andere Art sehen – nicht einfach als soziales / politisches Thema, sondern ebenso als ein machtvolles psychologisches Thema. Sie spricht auch über Leichname, und warum sie uns so entsetzen:
Wenn Kot die andere Seite der Grenze kennzeichnet, den Ort, wo ich nicht bin und der mir erlaubt, zu sein, dann ist der Leichnam, der am meisten ekelerregende aller Abfallprodukte, eine Grenze, die sich über alles hinaus ausgedehnt hat. Es ist nicht mehr länger das Ich, das abweist, sondern das „Ich“ ist abgewiesen. Die Grenze ist ein Objekt geworden. Wie kann ich ohne eine Grenze existieren?
Also sieht Kristeva unsere Abscheu gegenüber Leichnamen als das extremste Beispiel unserer ursprünglichen Angst, die uns zu überwältigen droht, wenn die Grenzziehung zwischen uns und nicht-uns scheitert. Sie sagt: „Wie kann ich ohne Grenze existieren?“ Es bedroht unsere bloße Existenz, psychologisch. Es bedroht das, was wir sind, das „Ich“, das ich als mich selbst definiert habe. Und ich denke, das erklärt, warum Leichname in zwei von Michael Jacksons bedeutendsten Werken eine so wichtige Rolle spielen, obwohl er eigentlich gar keine Horrorfilme mag. Der Grund dafür ist, dass er uns direkt mit unseren tiefsten Ängsten über die Auflösung dieser Grenzen auf ihrem ursprünglichsten Level konfrontiert.
Aldebaran beschrieb ein faszinierendes Beispiel dieser tiefsitzenden Art des Überschreitens von Grenzen in einem Kommentar vor einigen Wochen, als sie über einen Artikel im The Guardian (an article in The Guardian) sprach. Wie Aldebaran es beschrieb, handelt der Artikel
... von einer gemischtrassigen Familie, die Zwillinge hatte – ein Zwilling war schwarz geboren und der andere weiß. Interessanterweise war es der weiße Zwilling, der in der Schule schikaniert wurde, und zwar so sehr, dass seine Eltern ihn dort herausnahmen. Es ist ein sehr interessanter Artikel über die gegenwärtigen Rassengrenzen. Die Kinder mobbten den weißen Zwilling, weil sie dachten, dass er in Wirklichkeit schwarz wäre, jedoch weiß erschien – ganz auf die gleiche Art wie MJ und der Tänzer Arthur Wright. In der Schule verlangten die Lehrer, dass der weiße Zwilling sich selbst als schwarzen zeichnete – es war unglaublich.
Wenn wir uns diese Situation durch die Linse von Kristevas Gedanken ansehen, ergeben die Taten der Schikanen in der Schule auf perfekte Art einen Sinn. Sie mobbten nicht den „schwarzen“ Zwilling, denn er sah schwarz aus, er blieb innerhalb seiner korrekten Kategorie, und deshalb bedrohte er nicht ihre Identität. Er war „gefahrlos“ schwarz. Aber der andere Zwilling hatte dieselben Eltern und denselben genetischen Hintergrund und war deswegen als „schwarz“ bei den anderen Kindern und sogar bei den Lehrern gekennzeichnet, aber er sah weiß aus. Offensichtlich stellte das Verwischen dieser Grenzen zwischen Schwarz und Weiß eine tiefe psychologische Bedrohung für diese Schulkinder dar, denn er sah aus wie einer von ihnen, aber sie hatten das Gefühl, dass er nicht einer von ihnen war. Sie reagierten auf diese Bedrohung, indem sie die Grenzen zwischen sich und ihm verstärkten – mit anderen Worten, sie schikanierten ihn, um ihm (und sich selbst) gegenüber ganz klar zu verdeutlichen, dass er nicht-sie war.
Und natürlich, wie Aldebaran verdeutlicht hat, dies ist „so etwas Ähnliches wie bei MJ“. Er hinterfragte Rassengrenzen sogar, bevor sich Vitiligo bei ihm entwickelte, und er verwischte viele andere Begrenzungen ebenso. Und das rief eine gewaltige Gegenreaktion hervor, vergleichbar mit der Gegenreaktion gegenüber dem weiß-schwarzen Zwilling.
Joie: Oh ja, das ist sehr wahr; das hat er getan. Und ich vermute, dass wir das Argument haben, dass Kristevas Theorien auf alle Formen von Rassismus angewandt werden können – diese „wir gegen sie“-Mentalität oder diesen Denkprozess, der uns immer in Schwierigkeiten bringt.
Willa: Ja, das stimmt, oder auf Antisemitismus oder Frauenfeindlichkeit oder Homophobie oder Xenophobie (Fremdenfeindlichkeit) oder jegliche Art von Vorurteilen, die uns voneinander trennen. Und wie brechen wir als Kultur daraus aus? Es gibt keinen logischen Grund, warum die Grenzen auf diese Art und Weise gezogen wurden – es gibt an diesen Grenzen nichts Reales oder Wahres oder Natürliches – aber das bedeutet nicht, dass sie nicht existieren und nicht eine große psychologische Macht haben. Ich denke, das ist das Problem, das in Thriller angepackt wird. Wir könnten Monate damit verbringen, dies vollständig zu untersuchen, aber ich denke Thriller funktioniert auf einer tiefen psychologischen Ebene, indem es uns ganz direkt mit der Angst und dem Horror konfrontiert, den wir gegen alles und jeden verspüren, der die Grenzen überschreitet, die wir dazu nutzen, um uns selbst zu definieren.
Zum Beispiel wurde zu der Zeit, als Thriller herauskam Michael Jackson als Sexsymbol in der Größenordnung von Elvis oder den Beatles oder Frank Sinatra angesehen. Es war ein noch nie dagewesener Fall für einen schwarzen Mann, in solch einer Position zu sein, zum Teil weil die Vereinigten Staaten ein tief rassistisches Land sind mit strengen Restriktionen gegen sexuelle Anziehung zwischen schwarzen Männern und weißen Frauen. Ein Element dieses Rassismus ist eine jahrhundertealte kulturelle Erzählung, dass schwarze Männer sexbesessen seien, dass sie ihre animalischen Triebe nicht kontrollieren könnten, dass sie im Grunde Vergewaltiger seien. Statistisch gesehen wird eine Weiße Frau eher von ihrem (weißen) Freund als von einem (schwarzen) Fremden von der Straße vergewaltigt, und diese Botschaft ist mittlerweise exakt bestätigt worden. Aber in den frühen 1980er Jahren, als Thriller veröffentlicht wurde, war es für junge weiße Frauen eine gewohnte Situation, dass sie gewarnt wurden, nicht allein herumzulaufen, besonders nicht an ihnen unbekannten Orten, weil sie durch einen (schwarzen) Angreifer überfallen werden könnten.
Was also bedeutet es, ein schwarzes männliches Sexsymbol in einem Land zu sein, das schwarze Männer als unfähig bezeichnet, ihren sexuellen Drang zu zügeln? Das ist eine unglaublich komplizierte Situation, in der man dann ist, und das ist eines der Themen, mit denen uns Michael Jackson in Thriller konfrontiert. Der Film beginnt mit einem Teenagerjungen und einem Mädchen, die ein Date haben. Es ist wichtig, dass der Name des Jungen Michael ist, also gibt es eine Identifikation zwischen der Rolle auf der Leinwand und Michael Jackson selbst, das ist wesentllich. Es würde nicht auf die gleiche Art funktionieren, wenn sein Name William oder Gregory wäre.
Dieses Teenagerpaar fährt in einem Auto und plötzlich geht ihnen das Benzin aus – eine bekannte Masche, um zu „parken“ oder herumzuknutschen, also sind wir in einer sexuellen Situation – und plötzlich werden wir mit unseren schlimmsten Befürchtungen konfrontiert. Dieser ziemlich verklemmte junge schwarze Mann verliert die Kontrolle über sich selbst, er kann seine animalischen Triebe nicht mehr steuern, er ist nicht wiederzuerkennen, und er überfällt seine Freundin. Es ist wie eine Vergewaltigungsszene: Sie liegt voller Angst auf dem Rücken, er kommt ihr bedrohlich näher und greift sie an. Wir sehen es nicht, aber wir hören es, und wir sehen die Reaktionen des Publikums, das diese Szene beobachtet, einschließlich dem Freund und der Freundin, die nun mittendrin im Kino sitzen. Sie hält es nicht aus und geht hinaus, und er folgt ihr und erzählt ihr: „Es ist doch nur ein Film.“
Joie: Wow Willa, ich habe diese Szene noch als etwas gesehen, das eine Vergewaltigung widerspiegeln soll, aber du liegst absolut richtig; es wird auf diese Art ausgelebt, oder? Jetzt fühle ich mich dämlich, dass ich es vorher nie bemerkt habe!
Willa: Nun, es wird ziemlich unterschwellig angedeutet, und wir können dieses Intro von Thriller auf viele Arten deuten, aber eine Art ist eben zu sehen, dass es direkt die kulturelle Erzählung hinterfragt, dass Schwarze Männer ihre sexuellen Triebe nicht kontrollieren könnten. Und das wird hier so brillant durch einen Zwei-Phasen-Prozess gemacht. Zuerst mal übertreibt es diesen Mythos und bläht ihn auf, bis er riesig ist und unsere Gedanken ausfüllt, so dass wir als Nation gezwungen sind, unseren schlimmsten Befürchtungen von Angesicht zu Angesicht gegenüber zu stehen. Und dann explodiert der Mythos und zeigt uns, dass er nur eine Täuschung war. Unsere Ängste sind nur ein Mythos, eine falsche kulturelle Erzählung – oder wie Michael uns sagt: „Es ist nur ein Film.“
Aber ich möchte betonen, dass dies lediglich eine Möglichkeit der Interpretation von Thriller ist, und um ehrlich zu sein, mag ich diese Interpretation nicht besonders. Sie ist zu speziell und fühlt sich für mich zu einschränkend an. Diese Elemente sind definitiv alle darin enthalten, also denke ich, die Interpretation hat ihre Gültigkeit, aber für mich behandelt Thriller noch viel mehr. Verschiedenheit wird ganz allgemein angesprochen, und es funktioniert auf einem tiefen, psychologischen, fast unterbewussten Level. Und was es aussagt – erstaunlich genug – ist, dass Grenzen überschreiten nichts Unheimliches ist. Es macht Spaß! Das ist in meinen Augen die Botschaft von Thriller, und was ist das für eine unglaubliche Botschaft! Es nimmt all diese Ängste, dreht die Oberseite nach unten und kehrt das Innerste nach Außen.
Thriller ist ein erstaunliches Kunstwerk. Alles daran – die Art, wie die Erzählung strukturiert ist, die Art, wie die zwei zentralen Charaktere wieder und wieder zurückkehren, die Art, wie alles aneinander anknüpft und die Legende des Werwolfs und Zombies miteinander verbindet, die Art, wie es den Song und den Tanz in die Erzählung einbezieht – jedes Detail ist überwältigend und perfekt. Es ist wahrlich ein brillantes Kunstwerk, aber es ist auch ein Kunstwerk, das zu grundlegenden kulturellen Veränderungen angestiftet hat, und wir beginnen gerade erst damit, uns dies in seiner ganzen Tiefe anzusehen. Und ich denke, wir sind noch weit davon entfernt, es wirklich zu verstehen.
Joie: Ich glaube, damit hast du Recht; wir sind noch sehr weit von den meisten Dingen entfernt, die Michael uns durch seine Kunst zu vermitteln versucht hat. Weißt du, gemäß Merriam-Webster ist eine der Definitionen für einen Wortpropheten: Jemand, der mit mehr als gewöhnlicher spiritueller und moralischer Einsicht gesegnet ist; ganz besonders: ein beflügelter Poet. Ich denke, diese Definition könnte problemlos Michael Jackson beschreiben.
Joie: Das ist hübsch, oder? Und wie ich schon zuvor gesagt habe, glaube ich wirklich, dass jeder Kurzfilm eine Botschaft oder eine versteckte Lektion darüber war, dass wir einander mit Liebe und Respekt behandeln sollten. Ich glaube, das war seine Mission und sein Zweck hier auf dieser Erde, und er hat sein Bestes getan, um diese Mission zu erfüllen. Der Rest hängt jetzt von uns ab.
Lilly
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Thema: Re: Dancing With The Elephant (Deutsche Übersetzung) Mi 28 Nov 2012 - 22:35
Die Trilogie: Wir brauchen keine Freaks wie dich 31/05/2012
Joie: Also Willa, in den vergangenen zwei Wochen haben wir uns zwei von drei Werken Michael Jacksons angesehen, von denen du sagst, dass sie eine Art Trilogie seiner Ästhetik bilden – Ben und Thriller. Diese Woche lass’ uns übergehen zum abschließenden Teil in dieser Trilogie – Ghosts – und darüber reden, wie es dazu passt und wie alle drei von ihnen mit diesem komplexen Thema des Überschreitens der uns voneinander trennenden Grenzen umgehen. Wie wir alle wissen ist dies ein Thema, mit dem sich Michael oft in seiner Karriere auseinandersetzen musste, und für dich ist dieser Gedanke der Trilogie deshalb sehr wichtig, stimmt’s?
Willa: Das ist er wirklich, teils weil jedes dieser Werke für sich allein genommen schon so bedeutend ist und teils, weil sie uns im Zusammenhang betrachtet erlauben, die Entwicklung seiner Gedanken zu erkennen.
In Ben, das im Januar 1972 aufgenommen wurde, nimmt Michael Jackson die Rolle eines Jungen ein, der sich mit einer Ratte anfreundet. Die meisten Menschen sehen Ratten als etwas Ekelhaftes an, als „anders“, also ist diese Freundschaft ein auf sozialer Ebene grenzüberschreitender Akt. Mit anderen Worten ist Ben die Geschichte einer unangemessenen Freundschaft. Aber diese Beziehung wird hier auf so besondere und schöne Art präsentiert, dass wir dazu aufgefordert werden, unsere Wahrnehmung über diese unkonventionelle Freundschaft zu ändern. Bedeutend ist allerdings, dass während der Junge und die Ratte soziale Grenzen überschreiten, sie außerhalb der Grenzen bleiben. Was ich meine ist, dass sie die Grenze überschreiten, indem sie Freunde werden, aber der Junge bleibt ein Junge, und die Ratte bleibt eine Ratte.
Zwölf Jahre später, im Dezember 1983, veröffentlichte Michael Jackson das Thriller Video, und es erweitert die Gedanken von Ben auf entscheidende Weise. Ein weiteres Mal ist Michael Jackson ein junger Mann, der sozial verbotene Grenzen überschreitet, aber dieses Mal sind diese Grenzen in ihm selbst. Er wird ein Werwolf, der die Grenzziehung zwischen Mensch und Tier verwischt, und dann wird er ein Zombie, der die Grenze zwischen lebend und tot verwischt. Also handelt Thriller nicht von einer „anstößigen“ Freundschaft, sondern von einer „anstößigen“ Person, deren Identität ständig im Fluss ist. Demzufolge verinnerlicht er das Überschreiten von Grenzen und ändert die Art, wie wir diese unkonventionelle Person wahrnehmen und auf sie reagieren, genauso wie wir die verbotenen Grenzen wahrnehmen, die wir in uns selbst spüren und auf sie reagieren.
Was besonders interessant an Thriller ist, ist allerdings, wie es die Gefühle dieses Themas neu aufbereitet. Grundsätzlich erzählt uns Thriller, dass das Überschreiten von Grenzen nicht unheimlich ist – es macht Spaß! Es ist im Grunde aufregend. Sieh dir die vielen Michael-Charaktere auf der Leinwand an. Welcher davon möchtest du sein? Der verklemmte Michael am Anfang, der so sehr versucht, eine anständige Person zu sein oder der offenherzige Michael, der ausbricht und mit Zombies tanzt? Wie du so passend letzte Woche gesagt hast, Joie, er „lebt mit diesen Unterschieden“, die er in sich selbst spürt – er nimmt die vielen verschiedenen Aspekte seiner Persönlichkeit an, einschließlich der unheimlichen oder beschämenden Teile, von denen gesagt wird, dass wir sie verstecken sollten – und er hat einen Wahnsinnsspaß! Sieh ihn dir nur an, wie er tanzt, und sieh auf sein Gesicht am Schluss, wenn er sich umdreht und uns fixiert mit diesen verrückten Katzenaugen. Er strahlt! Er könnte nicht glücklicher sein. Thriller verarbeitet dies alles so geschickt und unangestrengt, dass wir gar nicht realisieren, was für eine radikale psychologische Verschiebung das ist, aber ich glaube, Thriller funktioniert auf einer tiefgreifenden psychologischen Ebene und fordert damit einige unserer ursprünglichsten Ängste über Unterschiedlichkeit, über „Anderssein“ heraus und neutralisiert sie dann. Und es ist brillant.
Dreizehn Jahre später, 1996, erschuf Michael Jackson Ghosts und nahm einen weiteren Quantensprung nach vorne. Dieses Mal nähert er sich dem Thema auf eine mehr theoretische Art und deutet spezielle Wege an, auf denen Kunst uns behilflich sein kann, die Grenzen zwischen uns zu überwinden. Mit anderen Worten ist Ghosts nicht nur ein Kunstwerk. Es ist Meta-Kunst – es ist Kunst über Kunst – und in ihm sehen wir den Beweis dafür, dass Michael Jackson eine neue Poetik erschaffen hat.
Joie: Weißt du, Willa, das ist etwas, was du oft sagst – dass Michael eine neue Poetik erschaffen hat. Kannst du in einfachen Begriffen erklären, was du damit meinst, für diejenigen, die vielleicht nicht verstehen, was du damit sagen willst?
Willa: Das ist eine wirklich gute Frage, Joie. Es gibt eigentlich viele verschiedene Definitionen, aber was ich meine, ist, dass er eine neue Philosophie von Kunst erschaffen hat oder ein neues Musterbeispiel für den Entwurf von Kunst – einen neuen theoretischen Rahmen dafür, um zu verstehen, was Kunst ist, wie sie funktioniert und was sie zu leisten imstande ist. Weißt du, wenn wir zurückgehen und uns die ganz großen Künstler der Geschichte ansehen – Künstler wie da Vinci, Michelangelo, Vermeer, Monet, van Gogh, Picasso, Warhol – sie haben nicht einfach nur bedeutende Kunstwerke erschaffen. Sie haben auch unsere Definition von Kunst verändert, und das ist es, was Michael Jackson macht. Er erschafft exquisite Kunstwerke, aber er definiert auch ganz neu, was Kunst überhaupt ist und erweitert unsere Gedanken darüber, was durch Kunst möglich ist. Und darum ist er der bedeutendste Künstler unserer Zeit.
Joie: Ok, also lass uns darüber reden, was in Ghosts vor sich geht und warum du das Gefühl hast, dass es Teil der Trilogie ist. Du sagst, dass Ghosts von Kunst über Kunst handelt, aber wie passt es in diese Thematik des Grenzenüberschreitens?
Willa: Gut, also wie wir schon besprochen haben ist Ghosts die Geschichte über einen Künstler – einen Maestro – der einem Übergriff der kleinstädtischen Bewohner von Normal Valley ausgesetzt ist. Sie fürchten sich vor ihm, weil er so nervenaufreibend anders ist – sie denken, er ist ein „Freak“, ein „Spinner“ – also nähern sie sich seinem Haus mit Fackeln in der Hand, fest entschlossen, ihn zu vertreiben. Aber etwas Unerwartetes passiert: Der Maestro verwickelt sie in eine Reihe von künstlerischen Erfahrungen, und durch diese künstlerischen Erfahrungen verändert er nicht nur ihr Gefühl für ihn, sondern auch, wie sie über Unterschiede im Allgemeinen denken.
Also funktioniert Ghosts auf mehreren Ebenen gleichzeitig. Auf der einen Ebene handelt es sich um reine Unterhaltung und beschäftigt uns mit einer interessanten Geschichte. Auf einer anderen Ebene erschafft es ein Gleichnis für das, was Michael Jackson tatsächlich in seinem wirklichen Leben selbst passiert ist, und erklärt, welchen Plan er als Künstler für die Reaktion auf die Bedrohungen gegen sich durch Tom Sneddon und andere hat. Und auf noch einer weiteren Ebene spricht er über Kunst und zeigt uns, wie Kunst die Wahrnehmung ändern kann und so einen signifikanten sozialen Wandel herbeiführen kann – genauso wie es die Wahrnehmung und das Verhalten der Bewohner von Normal Valley verändern kann.
Joie: Das ist wirklich sehr interessant, Willa. Weißt du, ich habe es schon mal gesagt, aber ich habe wirklich das Gefühl, es noch einmal sagen zu müssen. Bevor du mich gebeten hast, M Poetica zu lesen und meine Meinung darüber abzugeben, habe ich niemals über Michaels Werk auf solch einem tiefgreifenden künstlerischen Level nachgedacht. Und ich weiß nun, dass es so war, weil ich nicht wirklich die Instrumente oder das Wissen dafür hatte, um es zu tun. Aber ich habe wirklich das Gefühl, dass du mir so viel über Kunst und darüber, wie man Kunst interpretiert, beigebracht hast, und ich bin sehr dankbar dafür. Ich habe jetzt die Möglichkeit, Michaels Werk auf eine Weise zu untersuchen, wie ich es nie zuvor hatte.
Willa: Glaub mir, Joie, ich weiß genau, was du fühlst. Ich habe Thriller jahrelang ganz einfach als unterhaltsames Video genossen. Im Grunde genieße ich es immer noch auf diese Art, und das ist vollkommen okay. In dem MTV Interview von 1999, aus dem wir letzte Woche zitierten, wird Michael Jackson gefragt, was ein gutes Musikvideo ausmacht, und seine erste Reaktion ist: „Meiner Meinung nach muss es komplett unterhaltend sein.“ Und es ist ihm gelungen: Sein Werk im Allgemeinen, und Thriller im Besonderen, ist wunderbar unterhaltend.
Aber so sehr ich Thriller einfach als Unterhaltung geschätzt habe, spürte ich mehr und mehr, dass da noch etwas anderes vor sich ging – aber es war irgendwie nicht greifbar. Ich konnte spüren, dass etwas Bedeutsames passierte, aber ich konnte es nicht erklären, nicht mal mir selbst. Bis ich anfing, Ghosts zu analysieren, und dann machte es Klick bei mir. Wie ich früher schon erwähnt hatte ist Ghosts nicht nur ein Kunstwerk – es ist auch ein Kunstgespräch über Kunst und untersucht spezielle Wege, wie Kunst die Meinung der Leute über Unterschiedlichkeit verändern und sozialen Wandel hervorrufen kann. Und als ich das untersuchte und darüber nachdachte, realisierte ich plötzlich, dass die speziellen Prozesse, die er in Ghosts beschreibt, auch in Thriller ablaufen. Also gab mir Ghosts grundsätzlich die Instrumente, die ich brauchte, um Thriller auf eine völlig neue Art zu interpretieren. Für mich öffnete Ghosts einen neuen Zugang zum Denken über Kunst, und diese neue Sicht erlaubte mir, Thriller auf eine Art zu sehen, wie ich es nie zuvor getan hatte.
Also erschafft Michael Jackson nicht nur eine neue Art von Kunst, die auf neue Weise funktioniert, was erstaunlich genug ist. Er stellt uns auch den theoretischen Apparat zur Verfügung, den wir benötigen, um diese neue Art von Kunst zu interpretieren. Und Joie, es haut mich einfach aus den Socken. Als Künstler ist er so phänomenal intelligent und phänomenal kreativ – einfach jenseits-von-Gut-und-Böse-brillant – und ich denke, wir beginnen gerade erst die Tiefe seiner Werke und die ungeheuren Auswirkungen dessen, was er uns zeigt, zu begreifen.
Joie: Also, ich stimme dir vollkommen zu, dass er ‚jenseits-von-Gut-und-Böse-brillant‘ ist, wie du es so schön gesagt hast. Ich denke nicht, dass irgendwer das bestreiten würde. Und ich muss sagen, dass ich wirklich deine Beobachtung liebe, dass Ghosts ein ‚Kunstgespräch über Kunst‘ ist. Das ist nicht nur eine wirklich tiefgründige Feststellung, sondern es war auch sehr tiefgründig, ein sehr kühner Schachzug, von Michael Jackson. Ein Video zu kreieren – ein Kunstwerk – das über Kunst spricht und darüber, wie wir sie nutzen können, um die Leute zu erziehen und ihre Meinung über die sozialen Ungerechtigkeiten um uns herum zu ändern. Das ist eine verblüffende Sache!
Willa: Das ist es wirklich. Und in Ghosts sehen wir ganz direkt, wie er eine sehr spezielle Frage über Kunst und die Macht von Kunst stellt: Wie kann ein Künstler Kunst nutzen, um die Meinung der Leute über jene zu ändern, die sie als anders zurückweisen, besonders wenn ihre Antipathie auf falschen Erzählungen und unbegründeten Vorurteilen basiert?
Wie ich vorher bereits erwähnt habe beginnt Ghosts mit den Bewohnern von Normal Valley, die sich dem Haus des Maestros nähern mit der Absicht, ihn zu vertreiben, weil sie denken, er sei ein Monster, ein „Freak“. Und ihre Emotionen in diesem Moment sind ziemlich kompliziert: sie fürchten ihn, aber sie sind auch aufgeregt und fühlen sich befugt, ihn zu vertreiben.
Wie wir in einem Post über Ghosts vor einigen Wochen diskutiert haben, reagiert der Maestro auf die Dorfbewohner in einem Prozess in zwei Phasen. Zuerst nimmt er ihre Ängste und ihr Verlangen auf und dann wirft er diese Emotionen auf sie zurück: Er erscheint ihnen gegenüber mit einer Maske, also gibt er ihnen das Monster, als das sie ihn sehen möchten. Aber dann lässt er die Maske herunter und enthüllt, dass es nur eine Täuschung ist. Das ist die zweite Phase. Und diese schnelle Doppelbewegung, dass er zuerst ihre Ängste und Triebe aufbläht und sie dann in sich zusammenfallen lässt, erzeugt bei den Dorfbewohnern eine Art Katharsis und hilft ihnen dabei, ihre Gefühle , die sie auf ihn übertragen, zu neutralisieren. Aber der Bürgermeister möchte diese Ängste nicht neutralisieren.
Sein Ziel ist genau das Gegenteil – er möchte diese Emotionen schüren und die Dorfbewohner in einem Zustand der Angst und Unruhe halten. Also beginnt er seinen Fall gegen den Maestro aufzubauen: dass dieser ein „Freak“ sei, ein unheimlicher Fremdling, ein Monster, das die Kinder der Stadt mit mysteriösen Geistergeschichten ansteckt. Als Reaktion ruft der Maestro noch einmal die Zwei-Phasen-Bewegung der Verkörperung und des Aufblähens der Emotionen, die sie auf ihn projizieren hervor, um sie dann in sich zusammensinken zu lassen. Zuerst verzerrt er sein Gesicht, macht es grotesk und unheimlich. Hier ist ein Screenshot:
Dann zieht er sein Gesicht gänzlich herunter, so dass nichts anderes als ein lachender Schädel übrig bleibt. Aber wichtig ist, dass er, nachdem die Dorfbewohner diese Emotionen, die sie auf ihn projizieren, durchlebt haben, den Schädel aufschlägt und sein wahres Gesicht enthüllt und ihnen somit zeigt, dass alles nur eine Täuschung war.
Dann führt er diesen Zweiphasenprozess ein drittes Mal durch, aber dieses Mal ist es ein wenig anders, denn ihre Gefühle haben sich verändert, also haben sich auch jene Gefühle verändert, die sie auf ihn übertragen. Sie sind nicht mehr so ängstlich ihm gegenüber – im Grunde beginnen sie, ihn und seine „freakige“ Tanztruppe zu genießen – aber sie sind sich seiner noch unsicher und möchten immer noch, dass er geht, obwohl sie deswegen im Konflikt sind. Also stellt er diese Emotionen stellvertretend für sie dar: Er zerstört sich selbst und wird vor ihren Augen zu Staub. Aber dann erscheint er wieder und zeigt einmal mehr, dass es nur eine Täuschung war. Also sehen wir zum wiederholten Mal, wie er die Ängste und Sehnsüchte verkörpert und sogar ausweitet, die die Dorfbewohner auf ihn reflektieren und wie er sie dann zerstreut.
Joie: Ich denke, es ist wirklich interessant, dass er diesen Prozess immer wieder und wieder während des gesamten Kurzfilms wiederholt. Das gibt mir zu verstehen, dass er wirklich versucht hat, eine Aussage zu treffen. Da gibt es etwas, von dem er wirklich möchte, dass wir es verstehen … einen Gedanken, von dem er möchte, dass wir ihn wirklich begreifen und verstehen. Warum sollte er sich sonst immer wiederholen?
Willa: Das fühlt sich für mich genauso an. Er führt in Ghosts die Serie der Doppelbewegungen dreimal aus – was mir sagt, dass dies wirklich wesentlich ist. Wichtig ist, dass es genau das ist, was er auch in Thriller macht, wie wir letzte Woche besprochen haben. Im Grunde genommen besteht die Handlung in Thriller ebenfalls aus einer Serie von drei Doppelveränderungen – oder eher zweieinhalb, denn die letzte endet ungelöst – und wenn wir uns ansehen, was 1983 passierte, ergibt die Handlung von Thriller auf perfekte Art Sinn. In den frühen 1980er Jahren war er unser erstes schwarzes Teenidol, das sowohl erregend als auch ungeheuerlich auf viele Menschen wirkte. Also reagierte er darauf, indem er auf der Leinwand zum Monster wurde – zum Werwolf, zum Zombie, zu einem unidentifizierbaren Wesen mit Katzenaugen – und dann neutralisierte er diese Emotionen, indem er uns zeigte „Es ist nur ein Film“.
Und ich glaube, er reagierte auf die Medienhysterie rund um die falschen Belästigungsanschuldigungen auf genau die gleiche Art. Durch die Illusion der plastischen Operationen machte er sich selbst ungeheuerlich in den Augen der Öffentlichkeit. Aber es ist nur eine Täuschung. Er reflektiert lediglich das, was die Öffentlichkeit auf ihn projiziert, wie er uns sehr deutlich in Is It Scary erklärt:
Ich werde genau das sein Was du sehen willst Du bist es, der mich verspottet Denn du möchtest Dass ich der Fremde in der Nacht bin
Amüsiere ich dich Oder verwirre ich dich einfach nur? Bin ich die Bestie, die du dir vorstellst?
Und wenn du Exzentrische Seltsamkeiten sehen möchtest Werde ich vor deinen Augen grotesk sein Lass es alles zustande kommen …
Bist du also zu mir gekommen Um deine Phantasien zu sehen Die sich direkt vor deinen Augen abspielen?
Ein quälender gespenstischer Trick Ein schauriger Schwindel Und Geister tanzen in der Nacht?
Wenn du aber gekommen bist Um die Wahrheit, die Reinheit zu sehen Sie ist hier in einem einsamen Herzen Also lass die Vorstellung beginnen
Also sag mir, ist das Realismus für dich, Baby? Und bin ich unheimlich für dich?
Der Skandal der plastischen Operationen war im Grunde genommen eine Art darstellende Kunst, aber es war eine völlig neue Art der Kunst, anders als alles, was wir bisher gesehen haben. Es war „Realismus“ auf einer Skala, die wir niemals zuvor erlebt haben. Es ist solch eine neue Art der Kunst, dass es erstmal schwer ist, sie als solche zu erkennen, aber es ist ein Kunstwerk mit einem ganz besonderen Zweck und einer besonderen Funktion – nämlich eine falsche kulturelle Erzählung umzuschreiben und eine Entspannung der Emotionen, die diese falsche Erzählung antreiben, anzubieten. Es ist atemberaubend in seiner blanken Kühnheit, aber wenn wir erst einmal unsere Gedanken darauf richten, realisieren wir, dass es auf soliden Prinzipien von Kunst und Psychologie aufgebaut ist – und die Schnittmenge von Kunst und Psychologie, besonders der Gruppenpsychologie, ist ein primärer Fokus von Michael Jacksons Kunstempfinden. Mit anderen Worten, es ist perfekt auf die künstlerischen Grundsätze ausgerichtet, die er in Ghosts und in allen seinen Werken herausbildet.
Und Joie, ich kann nicht eindringlich genug sagen, wie wichtig und fundamental sein Werk ist. In M Poetica sagte ich, dass ich sein Gesicht als sein Meisterwerk sehe, und ich glaube das ganz stark. Ich liebe seine Stimme und seine Musik und seinen Tanz und seine Filme – du weißt, wie sehr ich sie liebe – aber sein Gesicht und die Illusionen, die er durch sein Gesicht erzeugt hat, weisen den Weg zu einer neuen Art von Kunst, die das Potential hat, einige unserer am tiefsten verwurzelten kulturellen Erzählungen in Frage zu stellen und neu zu schreiben. Und das ist wahrlich revolutionär.
Joie: Willa, ich liebe die Art, wie du das sagst: „Es ist atemberaubend in seiner blanken Kühnheit.“ Das ist solch eine wahre Feststellung, wenn es um irgendetwas geht, das mit Michael Jackson zu tun hat. Ich denke, dieser Satz steht sinnbildlich für so ziemlich alles, was mit seiner Karriere und seiner Persönlichkeit zu tun hat. Er war „atemberaubend in seiner blanken Kühnheit!“
Lilly
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Thema: Re: Dancing With The Elephant (Deutsche Übersetzung) Mi 28 Nov 2012 - 22:44
Hold Me, Like the River Jordan 07/06/2012
Willa: Joie, kennst du das, man hat manchmal lange einen Song im Kopf hat, und er beschäftigt ständig deine Gedanken?
Joie: Ja. Das kann dich manchmal wirklich verrückt machen! Besonders, wenn es ein Song ist, der dich eigentlich gar nicht kümmert.
Willa: Genau, wie zum Beispiel ein Werbejingle. Der alte Oscar Mayer Jingle macht das manchmal mit mir, und ich denke tagelang „Oscar Mayer has a way with B-O-L-O-G-N-A“. Und manchmal ist es einfach deswegen, weil er eine eingängige Melodie hat, die mich gefangen hält. Aber manchmal, wenn ich darüber nachdenke, bemerke ich, dass es einen Grund dafür gibt, dass dieser spezielle Song mich gepackt hat. So wie einmal, als ich den Schoolhouse Rock Song über die Präambel zur Verfassung so ziemlich den ganzen Winter lang gesungen habe und dann bemerkte, dass mein Sohn die Verfassung gerade in der Schule durchnahm.
Joie: Das ist lustig! Es ist erstaunlich, wie das Gehirn manchmal arbeitet.
Willa: Ja, das ist lustig, nicht wahr? Jedenfalls geht es mir nun seit einigen Wochen mit Will You Be There so. Es war schon immer einer meiner liebsten Songs, aber irgendetwas scheint er mir genau jetzt sagen zu wollen, denn er beschäftigt mich ständig. Obwohl ich hinzufügen muss, wenn schon ein Song in deinem Kopf festsitzen muss, dann ist dies ein furchtbar schöner dafür!
Joie: Das kann ich nicht bestreiten; was für ein großartiger Song! Dieser würde dich niemals verrückt machen.
Willa: Oh, er ist so anmutig, von den ersten wunderschönen Noten der Eröffnungslyrics bis zur anschwellenden Orchestrierung. Und dann setzt der Chor ein, mit seiner Stimme, die sich über allem dazwischen webt – ich liebe es einfach. Es erinnert mich daran, an einem Fluss entlang zu laufen und eine Schwalbe dabei zu beobachten, wie sie über dem Wasser herumschwirrt und Insekten fängt. Der Chor ist der Fluss mit seinem großen, vollen, fließenden Klang und Jacksons Stimme die Schwalbe, die darüber herumschwirrt und eintaucht.
Joie: Hmm. Du zeichnest ein schönes Bild. Und ich stimme zu; es ist ein wunderbarer Song. Und ich liebe einfach die Eröffnungssequenz der kompletten Fassung des Songs mit dem einleitenden Beethoven Präludium. Wunderschön! Weißt du, ich glaube nicht, dass viele Menschen bemerken, dass dieses Stückchen Musik aus Beethovens berühmter Ode an die Freude stammt.
Willa: Oh, du sprichst also über die Version aus dem Dangerous Album, richtig?
Joie: Ja.
Willa: Und ich dachte an die Videos – das vom MTV 10th Anniversary und das aus Free Willy – und sie haben dieses Vorspiel nicht. Und es ist so interessant, dass du es erwähnt hast, Joie, denn ich habe auch über das Intro nachgedacht, aber auf eine ganz andere Art. Ich habe mich auf die Eröffnungszeile aus den Lyrics konzentriert – „Hold me, like the River Jordan“ – und gedacht, wie sehr es nach einem alten Slaven Spiritual klingt. Es hat sogar den Rhythmus eines Spirituals. Du weißt, wie Swing Low, Sweet Chariot mit zwei langen langsamen Noten beginnt, gefolgt von einer langen Pause, und wie es dann nach der Pause das Tempo mit schnelleren Noten aufnimmt? Gut, das ist genau so, wie Will You Be There beginnt. Also, obwohl es ein zeitgemäßer Song ist, ist es so, als wenn ältere Musik durch ihn sein Echo abgibt, und du kannst dir wirklich vorstellen, wie diese Eröffnungslyrics vor 200 Jahren gesungen worden wären.
Aber nun, da du das Präludium erwähnt hast, bringt mich das wo ganz anders hin. Weißt du, wenn du darüber nachdenkst, ist es wirklich faszinierend, was er in diesem Intro auf der Dangerous Version macht. Wir sollten mit Lisha irgendwann darüber sprechen, um einen professionellen Einblick zu erhalten, aber es beginnt mit einem musikalischen Zitat von Beethoven, wie du sagst, also beschwört er das klassische Genre herauf. Aber dann hören wir die erste Zeile der Lyrics, und sowohl die Sprache, als auch der Rhythmus dieser Lyrics erinnern an ein Spiritual. Das scheint solch ein Kontrast zu sein, aber irgendwie funktioniert es, und es funktioniert auf wunderschöne Art und Weise. Wer sonst als Michael Jackson könnte einen Gegensatz wie diesen zustande bringen und es sich so passend anfühlen lassen? Es klingt wie ein großer Gegensatz, diese zwei weit voneinander abweichenden Genres zusammen zu bringen – du denkst irgendwie, es muss einen Sprung geben von dem einen zum anderen – aber in seinen Händen fühlt es sich vollkommen natürlich an, und genau richtig.
Joie: Willa, es ist so interessant, dass du das sagst, denn in dem klassischen Stück von Beethoven ist ein Chor, der die Lyrics auf Deutsch singt. Die englische Übersetzung dieser Lyrics geht folgendermaßen:
Do you bow down, millions? Do you sense the Creator, world? Seek Him beyond the starry canopy! Beyond the stars must He Dwell.
Ihr stürzt nieder, Millionen? Ahntest du den Schöpfer, Welt? Such' ihn überm Sternenzelt! Über Sternen muss er wohnen.
Also liest sich dieser Teil der Ode an die Freude sehr wohl wie ein geistliches Lied oder wie ein altes Sklaven Spiritual, wie du sagtest.
Willa: Wow, das ist wirklich interessant, oder? Auf mich hat die Musik dieses Chorteils eine ganz andere Wirkung – es fühlt sich für mich überhaupt nicht wie ein Sklaven-Spiritual an – aber die Lyrics lesen sich wirklich wie ein geistliches Lied, oder?
Joie: Ja, das tun sie wirklich. Also, während sie oberflächlich gesehen wie zwei völlig verschiedene und gegensätzliche Richtungen zu sein scheinen, sind sie im Grunde genommen gar nicht so weit voneinander entfernt, wenn du ein wenig tiefer gräbst. Und du hast Recht; wer sonst, wenn nicht Michael Jackson könnte einen Gegensatz wie diesen zustande bringen und ihn so natürlich und authentisch wirken lassen? Joe Vogel sagt in seinem Buch Man in the Music über den Song:
Das fast achtminütige Stück ist im Wesentlichen eine monumentale Filmmusik, die seine Wurzeln im Schwarzen Gospel hat, aber mit klassischer Musik und Rhythm and Blues verschmolzen ist. Es ist dennoch ein weiteres Beispiel für Jacksons bemerkenswerte Fähigkeit, verschiedene musikalische Stile in Anspruch zu nehmen und sie zusammenwirken zu lassen.
Diese Fähigkeit, ‚verschiedene musikalische Stile in Anspruch zu nehmen‘ und Unterschiede zusammenzubringen ist meiner Meinung nach das Herzstück seiner Genialität. Er hat das nicht nur mit Musik gemacht, wie wir schon zuvor besprochen haben, sondern er tat das genauso mit Menschen. Alle Farben, alle Nationalitäten und alle Generationen zusammenzubringen.
Joe bemerkt weiter in seinem Buch, welche Bedeutung Intros für Michael hatten, und zitiert seinen langjährigen Mitarbeiter Brad Buxer. Joe schreibt:
‚Er war brillant bei diesen Sachen‘, sagt Brad Buxer, ‚Intros und Outros waren wirklich wichtig für ihn. Die Intros waren fast genauso wichtig wie der Song selbst‘.
Also wurde dieses wunderschöne Intro mit den engelhaften Klängen des Cleveland Orchestral Chorus, der die sehr hymnenartigen Worte zu Beethovens unglaublicher Neunter Symphonie singt, nicht zufällig gewählt. Ich denke, Michael wusste wahrscheinlich ganz genau, was die englische Übersetzung dieses Musikstückes war und nutzte es absichtlich, denn, wie Brad Buxer betont hat, für Michael waren „die Intros fast genauso wichtig wie der Song selbst“.
Willa: Das ist faszinierend, Joie, und wir können das wirklich erkennen in Will You Be There. Und weißt du, was du da gerade mitgeteilt hast über die hymnenartigen Qualitäten dieses Beethovenabschnittes lässt mich an die Trennung denken zwischen „hoher“ Kunst und populärer Kunst, über die wir auch schon gesprochen haben, und die Nina in den Kommentaren der letzten Woche erwähnt hat. Es ist so, als würde er beginnen, ein geistliches Lied aus zwei verschiedenen Quellen hervorzurufen – der hohen Kunst von Beethovens Ode an die Freude und der volkstümlichen Kunst eines Sklaven Spirituals – um sie dann zusammenzubringen zu diesem wunderschönen Song.
Also bin ich der Meinung, dass du genau Recht hast, Joie, wenn du sagst, seine Fähigkeit „Unterschiede zusammenzubringen sei das Herzstück seiner Genialität“. Wie haben das in Black or White gesehen, wie Lisha so verblüffend dargelegt hat, als wir mit ihr vor einigen Monaten sprachen, und wir sehen es hier wieder. Und wie du es schön gesagt hast, Joie, diese Fähigkeit, Grenzen zu überschreiten erweitert sich vom musikalischen Genre bis hin zu Bevölkerungsgruppen: „Alle Farben, alle Nationalitäten und alle Generationen zusammenzubringen.“
Ich denke, dieses Bestehen darauf, die Grenzen zu überschreiten war teilweise eine bewusste, künstlerische Entscheidung, wie wir auch in den vergangenen Wochen besprochen haben, aber ich glaube auch, dass es einfach die Art war, wie sein Geist funktionierte. Er sah die Grenzen wirklich nicht, die die Welt und uns in kleine separate Kategorien trennen – oder er sah sie, aber weigerte sich, sie anzuerkennen. Er weigerte sich, die Grenzen zwischen Rock und Rap, zwischen klassischer Musik und Spirituals, zu beachten, genauso wie er sich weigerte, die Grenzen zwischen Schwarz und Weiß, männlich und weiblich, jung und alt, christlich, jüdisch, islamisch und buddhistisch zu beachten.
Joie: Ich stimme dir absolut zu, Willa. Ich denke, das ist einfach die Art, wie sein Geist tickte. Ich denke, er sah all diese Grenzen, die zu erwähnst und beschloss mit voller Absicht, sie einfach komplett zu ignorieren, weil sie überhaupt nicht zählen. Und ich denke auch, die Lyrics dieses Songs bezeugen dies. Für mich handelt dieser Song von Freundschaft und brüderlicher Liebe und davon füreinander da zu sein. Und die Unterschiede zwischen uns zählen einfach nicht. Er singt:
Halt mich Wie der Fluss Jordan Und ich werde zu dir sagen Du bist mein Freund
Führe mich Als wärst du mein Bruder Lieb‘ mich wie eine Mutter Wirst du da sein?
Willa: Oh, ich liebe diese Strophen! Ich denke, diese ersten zwei Verse, ganz besonders, sind unter seinen besten, und ich bin damit einverstanden, dass diese Verse als Gespräch über brüderliche Liebe interpretiert werden können und füreinander da zu sein, wie du sagst. Aber es gibt genauso auch andere Interpretationen und es führt zurück zu einer Frage, bei der ich mich jedes Mal selbst wiederfinde, wenn ich Will You Be There höre: Zu wem spricht er in diesem Song?
Er könnte zum Beispiel zu einer höheren Macht beten und eine spirituelle Frage stellen, indem er singt „Will you be there?“ Besonders diese ersten zwei Verse und das Wort „Dir“ (Thee) deuten dies für mich irgendwie an. Aber dann macht er weiter und singt: „Du bist mein Freund“ und das hört sich nicht nach einem Gebet an. Das fühlt sich anders an, als würde er zu der Menschheit sprechen und uns dazu ermuntern, uns um einander zu sorgen, wie du erwähnt hast. Und dann kommt die folgende Strophe:
Wenn ich erschöpft bin Sag mir, wirst du mich halten? Wenn ich unrecht habe, wirst du mit mir schimpfen? Wenn ich verloren gehe, wirst du mich finden?
Und das hört sich wiederum wie ein Gebet an. Sogar der Gleichschritt dieser Zeilen klingt biblisch für mich.
Joie: Das stimmt, Willa; sie klingen biblisch. Und um noch mal zurückzugehen zu dem, was du gerade darüber sagtest, das es wie ein Gebet klingen würde außer der Zeile „Du bist mein Freund“ … weißt du, manche christliche Religionen beziehen sich auf die Philosophie, dass Gott – oder Jesus, um deutlicher zu werden – dein Freund ist und dass wir uns IHM im Gebet auf diese Weise nähern sollten. Als wenn wir zu einem engen Freund sprechen würden. Also ist diese Interpretation dieses Songs vollkommen berechtigt und wird durch die Lyrics unterstützt.
Willa: Oh, das ist interessant, Joie. Also ist es vielleicht gar kein Widerspruch. Und dann setzen sich die Lyrics fort und werden sehr persönlich, finde ich:
Jeder übernimmt die Kontrolle über mich Es scheint, als habe die Welt Eine Rolle für mich Ich bin so verwirrt Wirst du mir zeigen Dass du für mich da sein wirst Und dich genug um mich kümmern, damit ich es aushalte?
Und diese Strophe klingt, als würde er ganz besonders über sich selbst sprechen – nicht über die Menschheit als Ganzes. Aber nochmal, zu wem spricht er? Spricht er zu seinen Fans und fragt uns, ob wir in schweren Zeiten für ihn da sein werden? (Wirst du mir zeigen / Dass du für mich da sein wirst / Und dich genug um mich kümmern, damit ich es aushalte?) Oder ist dies ein Gebet für spirituelle Führung? (Es scheint, als habe die Welt / Eine Rolle für mich / Ich bin so verwirrt).
Joie: Nochmal, ich denke, hiermit liegst du richtig, Willa. Es klingt extrem persönlich. Und seltsam Unheil verkündend, wenn man die rechtlichen Probleme bedenkt, in denen er sich 1993 bald nach Veröffentlichung des Songs als Single wiederfand. Er könnte sehr gut zu den Fans gesprochen haben, uns gefragt haben, ob wir ihm beistehen oder ihn sogar führen, wenn die Dinge zu hart für ihn würden, als dass er sie ertragen könnte. Es fühlt sich ganz sicher so an, wenn du dem Song zuhörst.
Aber mit demselben Hintergrund könnte er auch ganz einfach zu Gott gesprochen und um göttliche Führung und Vermittlung gebeten haben. Und, du weißt ja, das Video für diesen Song und die Aufnahmen davon, wie er es während des Konzerts darstellt, scheinen diese Annahme zu unterstützen, denn beides endet mit einem Engel, der über der Bühne hängt und durch die Luft zu fliegen scheint, als er sich auf den Weg zu ihm macht. Und am Ende des Songs, landet er, tritt anmutig hinter ihn und hüllt ihn liebevoll in seine Flügel ein.
Willa: Das ist eine hervorragende Feststellung, Joie, und es auf diese Weise zu betrachten, dafür scheint auch bedeutsam zu sein, dass er den Engel bei dem MTV Auftritt einbezieht, welches sein erster Live-Auftritt mit diesem Song war, ich glaube 1991. Also sieht es so aus, als wäre es Teil seiner ursprünglichen Vision für diesen Song. Und ich muss sagen, ich liebe alles an dieser MTV Performance, von seinem stillen Peace-Zeichen in die Menge ganz zu Beginn über den Slogan „Women’s Rights Now“, der in einem Farbwirbel auf das Autodach gesprüht ist, bis hin zu dem Kinderchor und dem Frauenchor und dem Männerchor, zu seiner tieferen Stimme bei den Eröffnungszeilen und zu seiner höheren Stimme, zu der sie sich aufschwingt, bis zu der durchgehend fließenden Eleganz seines Tanzes und der Choreographie aller Tänzer und dem beschützenden Engel am Schluss, der ihn hält und symbolisch in Sicherheit verwahrt. Ich liebe es alles.
Und weißt du, wenn ich mich selbst frage: Zu wem spricht er? Sehe ich verschiedene Antworten, die an verschiedenen Stellen in dem Song hervortreten und ich finde mich selbst bei der Antwort wieder: Zu allen oben genannten. Ich denke, dieser Song ist eine spirituelle Suche und ein Plädoyer an die Menschheit für brüderliche Liebe und eine ehrliche Frage an seine Fans darüber, ob wir für ihn da sein werden in schweren Zeiten.
Joie: Ich denke, ich kann dir zustimmen, Willa. Die Antwort ist ‚Zu allen oben genannten‘: Zumindest fühlt es sich ganz sicher so an. Und ich kann nicht anders, als mich zu fragen, ob dies ohnehin die ganze Zeit seine Absicht für diesen erstaunlich schönen Song gewesen ist.
Lilly
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Thema: Re: Dancing With The Elephant (Deutsche Übersetzung) So 2 Dez 2012 - 22:00
Es scheint, dass die Welt eine Rolle für mich hat 13/06/2012
Willa: Diese Woche sind Joie und ich begeistert darüber, dass Sylvia J. Martin sich zu uns gesellt, eine Forschungskollegin an der Universität von Kalifornien in Irvine mit einem Dr. phil. in Anthropologie. Sylvias Arbeit konzentriert sich auf sozialökonomische Beziehungen in kommerziellen Medienindustrien und diese Forschung hat sie dazu hingeführt Michael Jacksons Kunst und kulturellen Einfluss zu studieren, sowohl hier in den USA, als auch Übersee, während sie über ein Fulbright-Stipendium in Hong Kong lebte und arbeitete. Sie ist am öffentlichen und medialen Diskurs über Michael Jackson interessiert und hat Interviews mit Leuten geführt, die mit ihm gearbeitet haben. Sie hat kürzlich einen Artikel in Social Science and Modern Society / Sozialwissenschaft und moderne Gesellschaft veröffentlicht, der untersucht wie, in ihren Worten, „Michael Jackson, wie Superman, eine amerikanische Ikone ist, die global wurde.“ Vielen Dank, dass du dich zu uns gesellst, Sylvia!
Joie: Sylvia, können wir eine Minute über das Wort „Ikone“ sprechen? Manchmal denke ich, dass wir in diesen Tagen dazu neigen, dieses Wort ein wenig zu oft zu verwenden und es scheint, irgendwie trivialisiert worden zu sein. Aber wenn jemand oder etwas „ikonischen“ Status erreicht, ist es wirklich eine große Sache in unserer Gesellschaft, nicht wahr? Kannst du uns genau sagen, was es bedeutet eine amerikanische Ikone zu sein und was das bedeutet, wenn man über Michael Jackson nachdenkt?
Sylvia: Großartige Frage, Joie. Ich denke, dass eine Ikone, in dem Zusammenhang, in dem wir es verwenden, jemand ist, der die Stimmung und den Stil eines bestimmten Moments einfängt, der die Essenz einer spezifischen Zeit und/oder Ortes repräsentiert. Objekte und Orte können also ikonisch sein; zum Beispiel mag das Chrysler Building als „ikonisch“ für die Art Deco Bewegung bedacht werden. Jedoch zur selben Zeit hat eine Ikone das Potenzial, seine bestimmte Zeit und seinen bestimmten Ort zu transzendieren, um bemerkenswert außerhalb seines unmittelbaren Kontextes zu existieren.
Willa: Wie die Mona Lisa ikonisch wurde oder Munchs Schrei? Oder gar Einsteins strubbeliges Haar oder Stephen Hawkings Rollstuhl? Sie sind alle sofort außerhalb ihres unmittelbaren Kontextes, wie du sagst, wiederzuerkennen und sie alle scheinen spezielle konnotative Bedeutungen hervorzurufen, die ihre buchstäbliche Bedeutung transzendieren. Zum Beispiel ist Stephen Hawkings Rollstuhl nicht einfach etwas, das in von Ort zu Ort bewegt – er scheint auch die Scharfsichtigkeit eines brillanten Geistes zu repräsentieren, der in einem fehlerhaften Körper gefangen ist.
Sylvia: Genau, Willa. So wie McDonald's ikonisch für die globale Ausbreitung amerikanischer Produkte und „Werte“ (Fastfood für Menschen unterwegs, erschwingliche Mahlzeiten für Familien) ist oder sie versinnbildlicht, manchmal auf Kosten von lokal produziertem Essen.
So, wie ich in meinem Artikel besprochen habe, war Michael nicht nur eine amerikanische Ikone, weil er einfach alle Hitlisten seiner eigenen Industrie getoppt hat – er wurde ebenso im Weißen Haus gefeiert, beim Superbowl, auf der U.S. Militärzeremonie. Viele betrachten ihn als den amerikanischen Performer der 1980er schlechthin; sein nationaler Erfolg spiegelt die Kämpfe und Errungenschaften der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung wieder. Jedoch hat er seither Jahrzehnte lang Fans in der ehemaligen Sowjetunion und China (einige der Feinde der USA im Kalten Krieg), Iran und Indien gefunden – Orte mit enorm unterschiedlichen politischen und ökonomischen Flugbahnen als die von Amerika.
Nun, der Ausdruck „Ikone“ trägt religiöse Konnotationen, insofern als sie die Repräsentation einer Gottheit oder verehrten religiösen Figur darstellt, normalerweise in Form einer Schnitzerei oder eines Mosaiks. Eine im Vergleich dazu weltliche, zeitgenössische Ikone wie Michael kann ebenso eine Anhängerschaft hervorbringen, eine Mythisierung. Mit Sicherheit scheint er es getan zu haben! Um Fanverehrung in einen Zusammenhang zu setzen, in Indien wird Bollywood-Filmstar Amitabh Bachchan fast als göttlich von vielen seinen Fans betrachtet. Und in Südindien haben tamilische Fans Tempel für ihre liebsten Stars errichtet. Also diese religiöse Bezugnahme auf Celebrity-Ikonen ist durch Kulturen hinweg zu beobachten. Aber es ist es auch wert hervorzuheben, dass Michaels Reichweite nicht einfach nur ein Ergebnis seiner enormen Talente ist; sie wird auch durch unsere globalisierte kulturelle Ökonomie erleichtert – durch den globalen Kapitalismus.
Willa: Ich war wirklich fasziniert von diesem Aspekt deines Artikels, Sylvia, und wie du erwägst, dass Michael Jacksons ikonischer Status im Ausland auch einer politischen Funktion gedient hat. Wie du schriebst,
„Jacksons Musik und Lebensgeschichte wurden zuhause und auswärts als unbestreitbarer Beweis der Vorherrschaft des amerikanischen Individualismus, Entrepreneurialismus, Multikulturalismus und Konsumkapitalismus hochgehalten.“
Jedoch bot sein Werk mit der Zeit eine scharfe Kritik an amerikanischem Leben und Politik, speziell im Hinblick auf Rassenvorurteile, wie du so gut hervorgehoben hast. Also wie siehst du diese zwei in gewisser Weise widersprüchlichen Impulse sich manifestieren, sowohl global, als auch national?
Sylvia: Es ist herausfordernd beides zu sein, ein männliches Aushängeschild und eine Art Provokateur. Außerhalb der USA schienen die Menschen es größtenteils zu schätzen, dass er für den Mainstream und die Marginalisierten sprach. Innerhalb der USA war es schwieriger durchzuziehen, aber in den 1980ern, auf der Höhe seiner amerikanischen Solokarriere, hatte seine musikalische Kritik einen sehr leichten Touch. Seine Kritik wurde ausdrücklicher, als er Erfahrungen mit Erpressung, medialer Verleumdung und dem Streben nach „Gerechtigkeit“ durch amerikanische Individuen und Agenturen mit beachtlicher Staatsgewalt machte.
Joie: Das ist eine sehr wahre Aussage. Als er einmal die negative Seite des Ruhmes erfahren hatte – die Erpressung, die mediale Verleumdung und die „Gerichtsverhandlung durch Klatsch“, die folgte – wurde er sehr viel direkter in seiner Kritik an den sozialen Missständen, die uns quälen.
Sylvia: Genau, Joie. Und lasst uns einen der „amerikanischen Werte“ ansehen, den Michael verkörpern sollte – Individualismus. Seine Auswahl an Lesestoff spiegelt diesen Wert wieder (Die Möwe Jonathan, der Autor Ralph Emerson). Aber Michael hat auch wiederholt das Bedürfnis nach Gemeinschaft zum Ausdruck gebracht; er sprach von Sorge um und Handeln für die Gemeinschaft, unser Vertrauen zueinander und er hat diesen Gemeinschaftswert in die Tat umgesetzt. Und einiges davon tat er zu einer Zeit, als Präsident Reagan staatliche Unterstützung für soziale Dienste für niedrig verdienende Menschen abzog und die „Hilf dir selbst aus der Patsche“-Ideologie bewarb.
Songtexte wie „Wir sind die Welt“ und „Mach einen besseren Ort/ Für dich und für mich/ Heile die Welt, in der wir leben/ Rette sie für unsere Kinder“ - heben die Bezüge auf „wir“ und „uns“, auf das Kollektiv hervor. Da sind so viele lyrische und visuelle Bezüge auf die Wichtigkeit von Gemeinschaft in Michaels Werk. Sicher, er sammelte glücklich die Auszeichnungen, die ihm persönlich verliehen wurden, aber er würdigte auch seine Vorgänger, die Gemeinschaft von Musikern, aus der er kam, und er war ein riesiger Menschenfreund. Und nur dieses eine Beispiel – davon, wie er Individualismus und, am anderen Ende des Spektrums, Gemeinschaft repräsentierte – zeigt, dass er eine sehr breitgefächerte Anziehung hatte. Vielleicht haben die Menschen, die Stadien rund um die Welt füllten, um ihn performen zu hören, nicht immer bewusst daran gedacht, welch breites Spektrum Michael repräsentierte, aber sie haben sie nichtsdestoweniger ausgefüllt und Michaels Ikonizität (und Marktwert) bestärkt.
Nun, als Sylvia Chase ihn im Jahr 1980 in einem 20/20 Interview fragte, wie er sich dabei fühlt, vor hunderten von Menschen zu performen, antwortete Michael, dass sie Hände gehalten und geschunkelt haben und „alle Farben von Menschen waren da, alle Rassen, es ist die wundervollste Sache und nicht einmal Politiker können das tun.“ Während das eine kleine Übertreibung sein mag, ist es generell schwer für Politiker eine unterschiedliche Gruppe von Menschen zu versammeln von Veranstaltung zu Veranstaltung, wie Michael es tat.
Willa: Das ist wahr und ich wüsste nicht, dass Politiker in der Lage sind, sie dazu zu bringen Händchen zu halten und zu schunkeln, so wie es Michael Jackson tat.
Joie: Ja, ich muss sagen, dass ich nicht denke, dass das überhaupt eine Übertreibung von ihm war. Es ist fast unmöglich für Politiker Menschen auf diese Weise zusammenzubringen!
Sylvia: Naja, ich denke manche Präsidentschaftskandidaten (ganz zu schweigen von politischen Aktivisten und Monarchen) haben multikulturelle Gruppen von Menschen dazu inspiriert zu singen, zu jubeln, zu klatschen, zu salutieren und in sehr großen Zahlen mit ihren Füßen zu stampfen. Fleetwood Mac's Performance von Don't Stop an Präsident Clintons Amtseinführungsball kommt in den Sinn – und sogar Michael war dort. Er hat sich sogar zu Fleetwood Mac und den Clintons gesellt, um auf der Bühne zu singen! Aber nein, amerikanische Politiker könnten vermutlich Menschen nicht auf die Weise zusammenbringen, über die Michael Jackson sprach, mit tatsächlichem Händchenhalten.
Wie auch immer, um einfach zurückzutreten und auf den breiteren kulturellen Kontext zu blicken, in dem Michael so prominent in den 1980ern wurde, sollten wir uns vielleicht daran erinnern, dass einige charismatische schwarze Sprecher in den USA, so wie Fred Hampton (der Aktivist, der die Regenbogenkoalition bildete) und Dr. Martin Luther King, Jr., frühzeitige Tode ereilten nur ein paar Jahrzehnte vor Michaels amerikanischem Höhepunkt. Ich sage nicht, dass Michael ein politischer Aktivist war oder dass er ihr Schützling war, aber mit Rassismus immer gerade so unterhalb der Oberfläche, oder auf der Oberfläche, gab es eindeutige Risiken für schwarze Männer, die versuchten zu einer Mehrheit von Menschen zu sprechen, die über Grenzen hinaus reichten, an deren Einhaltung andere hart gearbeitet hatten.
Also im Licht dieser Geschichte ist es vielleicht nicht überraschend, dass Michael einiger Gegenwirkung gegenüberstand, dafür, dass er so ein breites Spektrum besetzte und dafür, dass er in der Lage war, so viele Menschen dazu zu bringen, an einem Ort zusammenzukommen, immer wieder. Und aus diesem Grund habe ich James Baldwin in einer anderen Arbeit zitiert, Remembering Michael Jackson: Moonwalking Between Contradictions / Erinnerung an Michael Jackson: Moonwalken zwischen Widersprüchen - Baldwin hat erkannt, dass solch ein nie dagewesener Erfolg und solche Aufmerksamkeit für Michael nicht trennbar von Amerikas Rolle als „unehrlicher Vormund schwarzen Lebens“ sein könne.
Wie Michael Rabbi Shmuley Boteach erzählte, mochte es ein Großteil der weißen Presse nicht, dass er zu Stadien voll kreischender weißer Mädchen rund um die Welt spielte und ich denke, Michael hatte damit zu einem hohen Grad recht. Übrigens, ich habe mit einem männlichen Fotojournalist gesprochen, der Michael über die letzten paar Jahre seines Lebens abgelichtet hat, und der Journalist war nicht nur verblüfft darüber, warum so viele Frauen Michael und seine maskulinen, androgynen und femininen Aspekte so sexuell anziehend fanden, er war eindeutig beunruhigt darüber.
Joie: Wirklich? Das ist so interessant für mich. Ich bin immer fasziniert von der Tatsache, dass so viele ihn ansahen und ihn so komplett verschieden sahen. Jeder in den Medien hat immer versucht, ihn als diesen seltsam aussehenden Spinner mit dem freakigen Gesicht darzustellen, aber dennoch haben ihn Millionen andere als sehr gutaussehend und unglaublich sexy gesehen.
Willa: Ich bin davon auch fasziniert – dass verschiedene Leute ihn auf solch radikal verschiedene Arten sehen konnten. Er schien wirklich die Erwartungen und Neigungen zurück zu spiegeln, die jeder von uns ihm entgegengebracht hat. Und ich denke, du bringst hier einen extrem wichtigen Punkt auf, Sylvia, und einen, der nicht annähernd genug behandelt worden ist. Die Art, wie er Begriffe von Geschlecht und Sexualität herausgefordert hat, ist mindestens genauso bedrohlich wie sein Überschreiten von Rassengrenzen – vielleicht sogar noch mehr – und ist direkt verbunden mit den Polizeiaktionen gegen ihn, ebenso wie mit der medialen und öffentlichen Gegenreaktion.
Sylvia: Genau, Willa. Michael hat die weiße, amerikanische, männliche heteronormative Sexualität ungemein herausgefordert, so gefangen wie sie ist, in Fragen von Rasse und „Authentizität“. Die „Verwirrung“, die Michael gestiftet hat, ist unverzeihlich, wie auch Susan Fast in ihrem Artikel Difference that Exceeded Understanding: Remembering Michael Jackson 1958-2009 / Verschiedenheit, die über Verständnis hinausging: Erinnerung an Michael Jackson 1958-2009 erwähnt.
Willa: Ja, wie Susan Fast es in ihrem Artikel so gut formuliert hat,
„Bitte sei schwarz, Michael, oder weiß oder schwul oder hetero, Vater oder Mutter, Vater für Kinder, nicht selbst ein Kind, sodass wir zumindest wissen, wie unsere liberale (In)toleranz zu regeln ist.“
Mit so vielen von unseren nervenaufreibenden Trennungen – von Rasse, Geschlecht, Alter, Sexualität, Familie – hat er nicht nur einfach die Grenze überschritten, sondern einen dazwischen liegenden Ort genau am Schnittpunkt bewohnt. Und das war es, was so „unverzeihlich“ war, wie du sagst.
Sylvia: Ja, er hat musikalische Kodierungen „durcheinandergebracht“ (wie Lisha in ihrer Abhandlung zu Black or White hervorgehoben hat) und er hat auch maßgebende soziale und sexuelle Kodierungen durcheinandergebracht. Und es ist diese bevorstehende Vermischung, auf die sich Baldwin in seinem Kommentar über Michaels Erfolg bezieht, der sich Amerikas Unbehagen bezüglich sexueller Rollen und sexueller Panik zu Nutze macht. Ohnehin sah Michael im Prozess des Umgangs mit einer Gegenreaktion in verschiedenen Angelegenheiten, dass manche der Probleme, die er festgestellt hatte, besonders in den USA, nicht verschwanden und in der Tat mehr Kritik verdienten (solche wie rassistische Vorverurteilung und Medienethik), auf die er sich in seinem späteren Werk bezog. Er sah, dass er trotz, und in der Tat vielleicht aufgrund seines unvergleichlichen Erfolges, etwas werden würde, wovon er möglicherweise nicht gedacht hatte, er wäre in Gefahr, es zu werden: ein kriminalisierter schwarzer Mann.
Joie: Ich weiß nicht, ob ich dieser Aussage umfassend zustimmen würde, Sylvia. Ich denke, für jeden schwarzen amerikanischen Mann ist der Gedanke, dass du eines Tages sehr leicht und durch keine wirkliche eigene Schuld ein „kriminalisierter schwarzer Mann“ werden könntest, ein sehr realistischer. Also könnte ich nicht sagen, dass dieser Gedanke Michael nie zuvor in den Sinn gekommen wäre. Tatsächlich wäre ich bereit Geld zu verwetten, dass er das an einem gewissen Punkt tat. Ich denke, dass ist einfach eine Tatsache, mit der alle schwarzen amerikanischen Männer leben, ganz gleich, wie erfolgreich man wird.
Sylvia: Ich stimme dir absolut zu, dass Michael aller Wahrscheinlichkeit nach wusste, dass er kriminalisiert werden könnte. Allerdings habe ich nicht gesagt, der Gedanke wäre ihm „nie“ in den Sinn gekommen, sondern dass er „möglicherweise“ nicht gedacht hätte, er wäre in Gefahr kriminalisiert zu werden. Da liegt ein ziemlicher Unterschied.
Der Grund weshalb ich sagte, er hatte „möglicherweise nicht daran gedacht, er wäre in Gefahr“, rührt daher, was ich gelesen und gehört habe, dass es möglich wäre, dass er sich bisweilen verständlicherweise in falscher Sicherheit wog, dadurch dass er eine persönliche Security (Bill Bray usw.), Zugang zu Spitzenanwälten und institutioneller Anerkennung hatte. Mit anderen Worten, seine gesellschaftliche Position und sein Berufsstand verkomplizieren das Rassenthema, weil er Zugang zu Mitteln hat, die viele nicht-berühmte und mittelständische bis hin zu Menschen der Arbeiterklasse nicht haben. Ich sage weder, dass er weniger Zielscheibe gewesen wäre, als jeder andere schwarze Mann, noch sage ich, dass seine Sichtbarkeit ihn immun gemacht hätte – in der Tat behaupte ich in meinem Kommentar bezüglich der Bedrohung gegen charismatische schwarze Sprecher, dass auch Michael sehr stark in Gefahr war. Aber so sehr Michael wusste, dass er eine Zielscheibe war, weil er so berühmt war, denke ich dennoch, dass es Zeiten gab, in welchen er dachte, er hätte Zugang zu mehr Schutz davor kriminalisiert zu werden, als ein nicht-berühmter schwarzer Mann.
Willa: Das ist ein wirklich kompliziertes Thema, denke ich. In Randy Taraborrellis Biografie beschreibt er den Moment im Jahre 1993, als Jordan Chandlers Mutter und Stiefvater ihn erstmals vor Evan Chandlers Drohungen warnten:
Michael hat sie nicht ernst genommen. „Oh, so etwas passiert mir ständig,“ erzählte er ihnen. „Immer versuchen Leute Geld aus mir rauszuholen. Ich lass meine Leute das erledigen. Sorgt euch nicht darum.“ Als sie Michael jedoch das Tape vorspielten, das Dave von seiner Unterhaltung mit Evan gemacht hatte, wurde Michael unruhig. „Er klang so wütend,“ erzählte mir Michael von Evan Chandler in einem Interview Monate später. „Ich wusste auf der Stelle, dass es um Erpressung ging. Er sagte es direkt auf Band. Was ich dann also tat,“ erzählte mir Michael, „war es an [den Anwalt] Bert [Fields] und [den Privatermittler] Anthony [Pellicano] weiterzugeben und ich entschied zu versuchen, es zu vergessen.“
Als Taraborrelli ihn danach fragt, antwortet er:
„So denke ich nicht,“ sagte Michael offenherzig. „Ich lebe mein Leben nicht in Angst.“
Aber dann denke ich an etwas, das er Gerri Hirshey in einem Rolling Stone Artikel zehn Jahre zuvor erzählte, kurz bevor dass Thriller Video herauskam. Sie schrieb,
Er ist bekannt dafür, sein Privatleben mit fast zwanghafter Vorsicht zu führen, „genau wie ein Bluter, der es sich nicht leisten kann, auch nur irgendwie gekratzt zu werden.“ Der Vergleich ist seiner.
Diese Zeile ist mir immer hängen geblieben – sich einfach vorzustellen, wie es sich anfühlen muss, dein Leben so führen zu müssen, mit der „zwanghaften Vorsicht“ eines Bluters. Also ich denke, er hat versucht, „mein Leben nicht in Angst zu leben“, wie er Taraborrelli gesagt hat, aber er war ein Student der Geschichte, besonders der schwarzen Geschichte und die USA haben eine lange beunruhigende Geschichte im „Kriminalisieren“ erfolgreicher schwarzer Männer. Und er war der erfolgreichste schwarze amerikanische Mann überhaupt. Also war er eine riesige Zielscheibe – für die Polizei, die Klatschblätter, die Kritiken, für jeden – und ich denke, er war sich dessen sehr bewusst.
Sylvia: Er war sich dessen tatsächlich bewusst. Und wie wir in dem Beispiel sehen, dass du angeführt hast, übergab er dieses Thema einem ziemlich profilierten Anwalt und Privatermittler und hoffte vermutlich, es würde ohne viel Schaden geklärt werden.
Joie: Willa, ich liebe dieses Hirshey Interview und dieser Kommentar hat mich auch immer getroffen. Besonders der letzte Satz -„Der Vergleich ist seiner.“ Das bedeutet, das waren seine Worte; er selbst beschreibt sich als einen „Bluter, der es sich nicht leisten kann, auch nur irgendwie gekratzt zu werden“. Zu wissen, dass dies seine Beschreibung von sich selbst und der Art ist, wie er sein Privatleben führt, ist sehr aufschlussreich, finde ich.
Willa: Ich stimme zu und weißt du, es ist rückblickend auf tragische Weise ironisch, aber etliche Leute, die ihn kannten, haben behauptet, dass ein Grund, warum er soviel Zeit mit Kindern verbracht hat, der war, dass er dachte, sie seien sicher. Erwachsene konnten ihn betrügen – und hatten es getan – und er war bedacht darauf, aber er vertraute Kindern. Und ich denke er lag richtig zu fühlen, er könnte Kindern vertrauen. Wenn man sich ansieht, was 1993 und 2003 passiert ist, was bis zum Prozess 2005 führte, die Anschuldigungen haben nicht mit Kindern angefangen – sie haben mit Erwachsenen angefangen.
Sylvia: Ich muss den marxistischen Kunstkritiker David Walsh hier zitieren, der manches der scharfsinnigsten Berichterstattung zum 2005-Gerichtsurteil schrieb, direkt nachdem es ausgesprochen wurde. Walsh richtet die ganze Aufmerksamkeit auf das, wovon ich glaube, worum es ging: Michaels wahrgenommene Bedrohung „amerikanischer Werte“. Walsh schreibt:
In der Brutalität eines Sneddon sieht man im Mikrokosmos den Charakter der amerikanischen herrschenden Elite: Ignorant, rücksichtslos, verbittert, endlos jeden und alles verfolgend, das Opposition oder die „Gegenkultur“ andeutet. Warum war Michael Jackson eigentlich vor Gericht? Weil sein Lifestyle anders war, sogar seltsam; weil er als schwul wahrgenommen wurde; weil er schwarz war. In der paranoiden, pornographischen Sichtweise der extremen Rechten, deren perverses Geistesleben es verdient von einem Freud analysiert zu werden, steht Jackson für eine Provokation und Bedrohung „amerikanischer Werte“.
Also, der Mann, der nach der Voice of America einst der höchstrangige westliche Popstar im früheren Sowjetblock war und der von beiden, republikanischen und demokratischen Verwaltungen gefeiert wurde, endete damit eine Bedrohung für „amerikanische Werte“ zu werden. Der King der Popmusik und -kultur wird die „Gegenkultur“. Seht, wie er sich nun durch das Spektrum bewegt hat (oder bewegt wurde).
Willa: Es ist wirklich ziemlich schockierend, nicht wahr? Und es ist wie eine Wiederholung dessen, was Charlie Chaplin während des kalten Krieges passiert ist – tatsächlich ist es fast die exakte Sprache, die gegen Chaplin verwendet wurde. Das ist nicht einfach ein Rassenthema, obwohl Rasse eine sehr wesentliche Rolle gespielt hat.
Sylvia: Ja, Ideologie und umfangreichere politische Umstände spielen hier auch eine Rolle, wie sie es mit Chaplin taten. Das Moralisieren unter Amerikas „herrschender Elite“ nach Präsident Clintons Affäre, das in manchen Medien Widerhall fand, führte möglicherweise zu einer stärkeren Überprüfung (und Verzerrung) von Michaels prominentem, unkonventionellen Lifestyle. Ich werde auch an den 2003er Live Webchat mit Björk erinnert, als Leute ihr Fragen schrieben und Michael war einer davon. Sie hat auf seine Frage über den Einfluss der Natur auf ihre Musik geantwortet und etwas Unterstützung für ihn beigefügt, indem sie bemerkte: „Es ist wie in den USA jetzt, es ist illegal ein Exzentriker zu sein.“
Willa: Welch ein tolles Zitat!
Joie: Es ist ein tolles Zitat!
Willa: Und sie hat recht.
Sylvia: Und betreffend „amerikanischer Werte“ sehen wir hier wieder, die Widersprüche manifestieren sich; ja, die USA werten Erfolg auf...aber wenn wir mit all den Schwierigkeiten konfrontiert werden, die er beinhaltet, und den menschlichen Schwächen dahinter, dann richten wir uns dagegen. Als Michael den ungewöhnlichen Schritt ging, Ersatzfamilien zu bilden, so wie er es mit den Chandlers getan hat, und Freundschaften mit Kindern als einen Weg, um seinen Verlust der Kindheit zu kompensieren, die geopfert wurde, um diesen „All-American“-Erfolg zu erreichen, war die Reaktion in vielen Kreisen das sofort zu sexualisieren und dafür zu kriminalisieren.
Besonders der Medien-Entertainment-Industriekomplex hat eine lange Geschichte Kinder zu sexualisieren. (Ich habe meinen Studenten Shirley Temples 1932er „Baby Burlesks“-Filme gezeigt und sie waren ziemlich schockiert sie in Windeln und im Alter von 3 Jahren auf eine „spielerisch“ verführende Art tanzen zu sehen.) Also es ist nicht so überraschend, dass viele in der Medien-Entertainment-Industrie den einfachen Weg einschlugen und sich reihum anschickten, Michaels Beziehungen mit Kindern zu sexualisieren. Ich denke schon, dass Michael einige unkluge Entscheidungen in dieser Zeit getroffen hat, aber dieses „Leuchtfeuer“ des Post-Bürgerrechts-Amerikanischen Traums war dafür geschaffen, für den vollen Ausdruck seiner Kunst und die Menschlichkeit, die es schürte, zu brennen. Und er brannte für seine facettenreiche Ikonizität.
Willa: Das hat er wirklich – er hat dafür am schmerzhaftesten bezahlt. Nun, vielen Dank, dass du dich zu uns gesellt hast, Sylvia! Wir haben es wirklich genossen mit dir zu reden.
Wir haben auch Arbeit an der Songtexte-Bibliothek begonnen und haben soeben die Songtexte aus dem Off The Wall Booklet gepostet, wollen also alle einladen sich das bei Gelegenheit mal anzusehen. Wir hoffen, es wird ein lustiger und nützlicher Ort sein, um Ideen auszutauschen und Wissen über Michael Jacksons Songtexte zu sammeln.
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Thema: Re: Dancing With The Elephant (Deutsche Übersetzung)